14.05.2004

Polnische Lobby

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Polnische Lobby

IM Jahr 1920 standen die Polen auf der Liste aller außerhalb der Vereinigten Staaten geborenen Amerikaner an vierter Stelle hinter den Kanadiern, den Briten und den Iren. Seither ist der Anteil der Polen an der amerikanischen Gesamtbevölkerung aufgrund des wachsenden Zustroms von Nichteuropäern erheblich gesunken. Doch nach wie vor bilden die Polen mit derzeit 10,5 Millionen die bei weitem zahl- und einflussreichste Bevölkerungsgruppe aus den ehemals kommunistischen Ländern.

Viele polnischstämmige Amerikaner organisieren sich in örtlichen Interessenverbänden, um politische Entscheidungen im (vermeintlichen) Interesse ihres Herkunftslandes herbeizuführen. Rund 3 000 Lobbyverbände haben sich im „Polish American Congress“ (PAC) zusammengeschlossen.1 Seit seiner Gründung vor ungefähr sechzig Jahren beschäftigt sich der PAC mit sämtlichen Fragen, die direkt oder indirekt Polen tangieren. Er organisiert regelmäßig Kampagnen für oder gegen bestimmte Regierungspläne, für oder gegen die Besetzung eines Amts mit bestimmten Persönlichkeiten und ergreift die Initiative, wann immer es geboten scheint.

Auf landesweiten Veranstaltungen werden Resolutionen diskutiert und beschlossen, die per amtlichem Schreiben an die Mitglieder der Bundesregierung und an Kongressabgeordnete, vornehmlich „Landsleute“, verschickt werden. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches spielte der PAC, in dessen Reihen die Neokonservativen hohe Ämter bekleiden, eine wichtige Rolle in der Kampagne für den Nato-Beitritt Polens. Sein Engagement für den EU-Beitritt war zurückhaltender.

Doch die Flitterwochen zwischen George W. Bushs Amerika und Polen scheinen sich dem Ende zuzuneigen. Seit Februar dieses Jahres ist ein Abbau der polnischen Kontingente im Irak im Gespräch. Warschau beabsichtigt unter Umständen, „seine“ Besatzungszone der Nato zu unterstellen. Der Grund: Polen steht am Rand des Bankrotts. Die Mehrheit der Polen beschäftigen zurzeit eher die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes als die Frage, ob Polen durch seine Teilnahme am irakischen Abenteuer zur Regionalmacht aufsteigen könnte.

Viele sind noch aus einem anderen Grund enttäuscht. Obwohl das Land Seite an Seite mit den Vereinigten Staaten kämpft, brauchen polnische Staatsbürger („wie die Angehörigen eines feindlichen Landes“3 ) nach wie vor ein Visum, um in die USA einzureisen. Polens Präsident Aleksander Kwašniewski konnte bei seinem Staatsbesuch in Washington im Februar dieses Jahres in dieser Frage nur ein vages Versprechen erwirken: „In einigen Monaten“ würde man Beamte der US-Einwanderungsbehörde auf dem Warschauer Flughafen einsetzen, um die polnischen Amerikareisenden zu überprüfen – sofern sie ein gültiges Visum besitzen. Dieses Verfahren, so heißt es nicht ohne unfreiwillige Komik, werde die Formalitäten vereinfachen – die sonst anfallen, wenn der Reisende bereits auf amerikanischem Boden ist.

Im Übrigen bedauern die Polen, dass die amerikanischen Investitionen weit hinter den Versprechungen zu Beginn des Irakkriegs zurückgeblieben sind. Die stets wachsame polnische Lobby in den Vereinigten Staaten hielt es daher für angebracht, US-Präsident George W. Bush darauf hinzuweisen, dass seine Wiederwahl unter Umständen von den Stimmen der polnischen Gemeinschaft abhängen könnte. T. S.

Fußnoten: 1 www.polamcon.org 2 Le Monde, 13. Februar 2004 3 Le Nouvel Observateur, Paris, 5. Februar 2004.

Le Monde diplomatique vom 14.05.2004, von T. S.