16.01.2009

Entwicklungshilfe zum Selbermachen

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Entwicklungshilfe zum Selbermachen

Die afrikanischen Migranten tragen die finanzielle Last von Anne-Cécile Robert und Jean-Christophe Servant

Weltweit überweisen jährlich etwa 200 Millionen Migranten mehr als umgerechnet 190 Milliarden Euro in ihre Heimatländer. Und 12,5 Milliarden transferieren Arbeitsmigranten aus Afrika1 , deren Rücküberweisungen seit Beginn des 21. Jahrhunderts um 55 Prozent gestiegen sind. „Für seine Entwicklung braucht Afrika aber viel dringender Humankapital als Finanzkapital“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Ravinder Rena vom Eritrea Institute of Technology: „Wenn wir nicht umdenken, wird Afrika arm bleiben. Und das viele Geld aus aller Welt wird nicht viel geholfen haben.“2

Besonderes Interesse wecken die Milliarden, die nach Afrika fließen, bei der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und westlichen Regierungen. So sind laut den Ergebnissen verschiedener Studien3 die Rücküberweisungen, die in manchen afrikanischen Ländern das Sieben- bis Achtfache der öffentlichen Entwicklungshilfe (APD) ausmachen, eine verlässlichere und stabilere Einnahmequelle als die Entwicklungshilfe oder die Investitionen der Privatwirtschaft. Tatsächlich speist sich zum Beispiel auf den Kapverden ein Viertel des Wirtschaftsaufkommens aus den Überweisungen der Migranten. Die Nationalbank von Ghana schätzt, dass diese Gelder etwa einem Fünftel des nationalen Exportvolumens entsprechen. Und in Lesotho kommen 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus Rücküberweisungen, die im benachbarten Südafrika erwirtschaftet werden, dem wichtigsten Zielland der innerafrikanischen Migration.

In Nigeria, dem Land, das alle Stärken und Schwächen des Kontinents in sich zu vereinen scheint, ist das Phänomen besonders augenfällig: Jeder fünfte afrikanische Migrant kommt aus Nigeria. Diese Auswanderer haben bereits ein Netz von Handels- und Geschäftsbeziehungen geschaffen, das sich von São Paulo nach Houston, von London nach Dubai und Atlanta und von Neu-Delhi nach Hamburg spannt. Schätzungsweise 17 Milliarden Euro haben Nigerianer in den vergangenen zehn Jahren aus dem Ausland an ihre Familien überwiesen, laut Weltbank knapp 2 Milliarden Euro allein im Jahr 2007.4 Etwa 30 Prozent der Überweisungen, die die auf derartige Transfers spezialisierte US-Bank Western Union im südlichen Afrika abwickelt, gehen nach Nigeria.

Die nigerianische First Bank, Geschäftspartner von Western Union, unterhält im ganzen Land mehr als 200 Geschäftsstellen, bei denen vorwiegend Auslandsüberweisungen eingehen: „Das ist mit Abstand der wichtigste Geschäftszweig unserer Bank“, erklärt Filialleiter Bola Adebanjo. „Hier herrscht von morgens bis abends Hochbetrieb.“

Satte Gewinne erhoffen sich inzwischen auch andere nigerianische Banken durch die Partnerschaft mit Geldtransferunternehmen. So arbeitet die United Bank of Africa seit 2007 mit dem US-Finanzdienstleister MoneyGram zusammen. „Nigeria sollte eine Vorreiterrolle spielen in der Einbindung seiner im Ausland lebenden Bürger“, meint der frühere US-Botschafter in Nigeria, Howard Jeter. „Deren finanzielles, intellektuelles und technologisches Potenzial ist von unschätzbarem Wert. Afrika müsste all diese Ressourcen nutzen: für die Entwicklungspolitik, die Ernährungssicherheit, die Bekämpfung von Umweltzerstörung und Aids.“5

Man ahnt, was gemeint ist: Wer, wenn nicht die Migranten, könnte zu Hause am besten helfen? Doch der Westen tut alles, um die Migranten möglichst fest in die internationalen Geldkreisläufe einzubinden, weil es ihm einfach darum geht, „die Entwicklungsländer ihre Entwicklung selbst bezahlen zu lassen“6 – und dabei auch noch Prozente einzustreichen.

Eine von der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) und vom französischen Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie7 vom Januar 2008 hat vier afrikanische Länder untersucht, die mit Frankreich historisch und migrationsbedingt eng verbunden sind. Im Senegal, in Mali und auf den Komoren wurden insgesamt 2 000 Haushalte befragt: Im Jahr 2005 wurden in den Senegal 449 Millionen Euro rücküberwiesen (19 Prozent des BIP und 218 Prozent der öffentlichen Entwicklungshilfe), in Mali waren es 295 Millionen (11 Prozent des BIP und 79 Prozent der Entwicklungshilfe) und auf den Komoren 70 Millionen (24 Prozent des BIP und 364 Prozent der Entwicklungshilfe). Das Monatseinkommen der von diesen Überweisungen unterstützten Haushalte lag jeweils über dem nationalen Durchschnitt. Die betreffenden Haushalte konnten in Marokko mit diesem Geld mehr als die Hälfte ihre Einkommens decken, in Mali waren es zwei Drittel und in Senegal und auf den Komoren etwas weniger als die Hälfte.

Wirken sich diese Gelder tatsächlich auf die gesamte Volkswirtschaft aus, wie die Werbebroschüren der Western Union vorgaukeln? Dem widerspricht Jean-Pierre Garson, Migrationsexperte bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): „Eindeutige Auswirkungen auf die Entwicklung sind nicht feststellbar, zumal die Emigration für diese Länder zunächst einen Verlust an Arbeitskräften bedeutet.“ Zweifellos helfen die Geldtransfers einigen Familien, doch sie schaffen zugleich neue Abhängigkeiten. Und nur ein sehr geringer Teil des Geldes generiert neue Einkommen: „Die Überweisungen tragen nicht zur Entwicklung bei, weil sie nicht investiert werden. Das Geld wird zumeist nicht für produktive Zwecke, sondern für Reisen, Schuldentilgung, Miete, Landerwerb und Ähnliches verwendet, manche horten es auch oder stecken es in Prestigeobjekte, mit denen sie dann protzen können“, erklärt Ravinder Rena.8

Von den Überweisungen aus dem Ausland gehen mehr als drei Viertel für Lebensmittel drauf. Was übrig bleibt, wird in ein weiteres Grundbedürfnis, nämlich das Wohnen investiert. In Ghana kam eine interdisziplinäre Forschergruppe zu dem Befund, dass das Geld von Migranten zur Bodenspekulation beiträgt: „Die Preise für Wohneigentum steigen und für die Ortsansässigen und ärmeren Leute bleiben weniger Angebote übrig. […] Schon weil die Migranten in bar zahlen und höhere Preise akzeptieren, verkaufen die Grundeigentümer lieber an sie als an Leute, die schon dort leben.“9

Die neue französische Entwicklungs- und Migrationspolitik verfolgt vornehmlich ein Ziel: Steuerung der Migrationsströme durch „Co-développement“. Die Überweisungen der Migranten sollen in nachhaltige Investitionsvorhaben fließen, wie zum Beispiel in Projekte im Bildungs- und im Gesundheitswesen sowie in Unternehmensgründungen, die potenziell Ausreisewillige dazu bewegen können, in Afrika zu bleiben.

Auf dieser Grundlage bieten französische Sparkassen allen Migranten mit einer Aufenthaltserlaubnis spezielle „Co-développement-Sparkonten“ an. Wer den eingezahlten Betrag für eine Investition in seinem Herkunftsland einsetzt – ob für die Gründung oder Übernahme einer Firma, einen Mikrokredit oder die Finanzierung einer gewerblichen Immobilie – bekommt eine Steuererleichterung von 25 Prozent. Ein weiteres Angebot besteht in der Einrichtung eines „Co-développement-Sparbuchs“, das Migranten eine Sonderprämie zubilligt, wenn sie ihr Erspartes für Investitionszwecke einsetzen.

Manch einer hat längst begriffen, worum es bei diesen politisch-korrekten Maßnahmen eigentlich geht. In seinem Blog auf der Website Soninkara10 mokiert sich Armand Adotevi, ein Wirtschaftsanwalt aus Benin, über die billigen Tricks der Pariser Strategen: „Kaum hat der Meister gemerkt, dass hier eine Menge Geld abzuzweigen ist, mit dem man zum Wohle der französischen Wirtschaft kurz- und langfristig auf den internationalen Finanzmärkten wuchern kann, versucht er dem Schüler auch schon nahezubringen, das komme auch ihm und seinem Heimatland zugute. Dabei zieht er alle Register der Bauernfängerei: Von Steuererleichterungen ist die Rede, von Verdopplung und Verdreifachung der Zinsen auf Sparguthaben. Doch kein Wort davon, dass er selbst nur eine Gelegenheit ergreift, um sich aus seinen Verpflichtungen zur Entwicklungshilfe herauszuwinden. Hat man jemals davon gehört, dass afrikanische Regierungen Europäern, ob als private oder juristische Person, Vorschriften machten, wie sie die nach Hause transferierten Gewinne aus afrikanischen Geschäften anlegen sollen?“

Tatsächlich sorgen diese Steuerungsinstrumente nur dafür, dass die Ungleichheiten in den internationalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen bestehen bleiben. Und sie liefern dem Westen den Vorwand, sich aus der Verantwortung zu stehlen, die lästige Entwicklungshilfe loszuwerden und sie denen aufzubürden, die an der Unterentwicklung leiden. Das Geld der Migranten kann aber die Armut nur lindern, aus der Welt schaffen wird es sie nicht.

Fußnoten: 1 Siehe dazu Dilip Ratha und Zhimei Xu, „Migration and Remittances Factbook 2008“, Washington D. C. (The World Bank) 2008; sowie: „Immer der Arbeit nach. Migration im Zeitalter der Globalisierung“, Edition Le Monde diplomatique, Heft 4, Berlin, 2008. 2 Ravinder Rena, „Brain drain and brain gain in Africa“, Africa Economic Analysis, 23. Januar 2008. 3 Hinweise dazu auf www.remittances.eu (Website der 2006 in Den Haag gegründeten Foundation for International Migration and Development). 4 Dilip Ratha und Zhimei Xu, siehe Anmerkung 1. 5 Zitiert nach Gumissai Mutume, „L’importance de canaliser les transfers de fonds“, afrik.com, 18. Mai 2006. 6 Johnson Mbengue, „Comment intégrer les immigrés dans le circuit bancaire“, Walf Fadjri, Dakar, Juli 2004. 7 Banque Africaine de Developpement, „Les transferts de fonds des migrants, un enjeu de développement“, Tunis, Oktober 2007, siehe www.co-developpement.org/?p=445. 8 Siehe Ravinder Rena, siehe Anmerkung 2. 9 Siehe Kaakyre Kwame Appiah, „Pour un nouveau cosmopolitisme“, Paris (Odile Jacob) 2008. 10 Siehe www. soninkara.com.

Aus dem Französischen von Edgar Peinelt

Von Anne-Cécile Robert und Jean-Christophe Servant erschien kürzlich: „Afriques, années zero. Du bruit à la parole“, Nantes (L’Atalante) 2008.

Le Monde diplomatique vom 16.01.2009, von Anne-Cécile Robert und Jean-Christophe Servant