11.06.2004

Öl für Tennis und Fußball

zurück

Öl für Tennis und Fußball

Der Emir von Katar gilt als frankophil und setzt auf Demokratisierung. Aber der Einfluss Frankreichs könnte größer sein. Ein Zweckbündnis mit den USA soll das Land vor seinen Nachbarn schützen.

Von PASCAL BONIFACE *

DER Fernsehsender Al-Dscha–sira1 ist vermutlich bekannter als das Land, in dem er gegründet wurde. Bislang hat Katar wenig Schlagzeilen gemacht. Das kleine Emirat am Arabischen Golf zählt 820 000 Einwohner – von denen nur knapp ein Drittel die Staatsbürgerschaft besitzt. In der Hauptstadt ad-Dawha (Doha) fand im November 2001 die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) statt, nach Ansicht mancher Beobachter nur deshalb, weil man hier sicher sein konnte, dass nicht wie zuvor in Seattle an der Westküste der USA tausende Globalisierungskritiker auftreten würden.

Vor kurzem wurde der US-Generalstab für die Kriegführung im Irak (Centcom) in das Emirat verlegt. Und: Katar taucht in den Sportnachrichten auf, seit eine Reihe alternder Fußballstars sich durch hohe Gagen an den Golf locken ließen. Soll man daraus schließen, dass Katar ein Polizeistaat ist, der Ausländer nur bedingt einlässt, eine mit Washington verbündete Golfmonarchie, deren Führer Unsummen für ihre Sportbegeisterung ausgeben?

Es wäre ein falsches Bild, das sich aus solchen Klischees ergibt. Denn die politische Entwicklung in Katar ist auf Modernisierung, ja sogar auf Demokratisierung gerichtet. Emir Scheich Hamad Bin Chalifa al-Thani2 bemüht sich um allmähliche politische Öffnung, seit er 1995 seinen Vater gewaltlos absetzte, der in großem Umfang Staatsgelder veruntreut haben soll. Die strenge Zensur wurde abgeschafft, und mit der Einrichtung des Senders al-Dschasira („Die Halbinsel“) geschah etwas in der arabischen Welt Unerhörtes: Bis auf Kommentare zur Innenpolitik war den Redakteuren alles erlaubt; in der Berichterstattung konnten sie völlig neue Töne anschlagen.

Eine 2003 durch Volksentscheid bestätigte neue Verfassung sieht die Einrichtung eines Konsultativrates mit 45 Mitgliedern vor, die zu einem Drittel vom Emir ernannt, zu zwei Dritteln durch allgemeine Wahlen bestimmt werden. Außerdem soll eine unabhängige Justiz entstehen, Religions- und Organisationsfreiheit sind Verfassungsrechte. Begonnen hat die Reform des Strafrechts, um es an europäische Normen anzupassen. Für die Rechte der Frauen setzt sich der Emir ganz besonders ein – unterstützt von seiner Gattin, die erfolgreich im Hintergrund wirkt. Seit Mai 2003 gibt es in Katar eine Ministerin und eine Universitätspräsidentin.

Das strategische Bündnis mit den USA ist nicht zu leugnen – es einzugehen war von den Machtverhältnissen diktiert. Denn Katar ist reich, aber zugleich klein und schwach. Das Emirat liegt in einer äußerst gefahrvollen Zone: umgeben von Saudi-Arabien, dem Iran und dem Irak. Auch nur ein einziger Raketeneinschlag hätte fatale Folgen für das Vertrauen in die wirtschaftliche Stabilität und das günstige Investitionsklima. 2001 konnten mit Saudi-Arabien alte Grenzstreitigkeiten beigelegt werden. Doch weiterhin werden Übergriffe des mächtigen Nachbarn gefürchtet – und dass bei al-Dschasira kritische Beiträge über die saudische Monarchie gesendet wurden, brachte die Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf einen Tiefpunkt.

Den Sturz des Saddam-Regimes nahm die katarische Führung mit Befriedigung zu Kenntnis. Man sah darin eine Reduzierung der strategischen Bedrohungen, war sich aber bewusst, dass es sich nur um einen Etappensieg handelt. Noch hat Washington den Kampf nicht gewonnen. Andererseits weiß der Emir, dass die USA auf lange Zeit in der Region bleiben werden und unter den gegebenen Umständen eine Kooperation unvermeidlich ist. Die Einmischung der US-Regierung im Nahen Osten erscheint ihm aber weder unparteiisch noch Erfolg versprechend. Schon nach dem 11. September 2001 hatte Katar dafür plädiert, im Krieg gegen den Terrorismus nicht nur die Folgen, sondern auch die Ursachen zu bedenken – vor allem den ungelösten israelisch-palästinensischen Konflikt.

Doch an eine Machtprobe mit den USA ist nicht zu denken, denn das Land braucht den Schutz durch das amerikanische Militär. Außerdem hofft man auf US-Unterstützung im Bereich von Bildung und Technologie. Gegen die Segnungen der amerikanischen Konsumgesellschaft hat die katarische Elite keine Vorbehalte; Sorgen bereiten ihr nur die strategischen Fehlentscheidungen der USA, vor allem ihre alles niederwalzende Außenpolitik.

Katar hatte schon lange vor dem neuen Irakkrieg um die Stationierung amerikanischer Truppen gebeten, um sich vor dem übermächtigen Nachbarn Irak wirksam zu schützen. So waren die Umstände günstig für die Einrichtung von Centcom: Die USA wünschten ihre Präsenz in Saudi-Arabien zu reduzieren, ihre militärische Rolle am Golf dagegen zu bekräftigen. Seither scheint der Einfluss Washingtons im Emirat übermächtig – und dies, obwohl der Emir als frankophil gilt, den Kronprinzen frankophon erziehen ließ, sich häufig privat in Paris aufhält und enge persönliche Beziehungen zu Staatspräsident Chirac pflegt.

Die USA verfolgen im Emirat nicht nur ihre militärischen und strategischen Interessen. Sie sind auch auf andere Weise präsent. Politiker reisen an; Mitte Januar tauchte Expräsident Clinton bei einer Konferenz auf. Geschäftsleute besuchen das Land, noch vor zwei Jahren hielten sich amerikanische und französische Investitionen die Waage, jetzt steht es fünf zu eins für die USA. Wissenschaftler lassen sich in Katar nieder; vier US-Universitäten haben bereits Quartier auf dem neuen Campus bezogen, den die Katarische Stiftung für Erziehung, Wissenschaft und Entwicklung bauen ließ. Und auch Berater sind präsent; die Gruppe Rand Consulting aus New York hat ein Büro eröffnet und arbeitet bereits für einige Ministerien. Frankreich bemüht sich, dagegenzuhalten, seit die amerikanischen Aktivitäten alte Pfründen gefährden – noch liefern französische Firmen 80 Prozent der Ausrüstung der katarischen Streitkräfte.

Der Emir versucht, eine allzu exklusive strategische Bindung an die USA zu vermeiden. Die Allianz mit Frankreich erscheint ihm als notwendiges Gegengewicht. Allerdings haben die Debatten um das Schleierverbot dem französischen Image geschadet. 2002 konnte Frankreich im Geschäft mit Katar einen Handelsüberschuss von mehr als 628 Millionen Euro verbuchen. Qatar Airways bestellte gegen massiven Druck aus Washington beim Airbus-Konsortium Flugzeuge des neuen Typs A 380 im Auftragswert von 5 Milliarden Dollar – dennoch fand der Boss des europäischen Unternehmens bislang nicht die Zeit für einen Besuch in Doha.3 Weil das französische Außenministerium sparen muss, hat die französische Botschaft in Doha keinen Pressereferenten. Im Land von al-Dschasira macht das keinen guten Eindruck.

Nach einer Rezession im Jahr 2002 sorgten die Einkünfte aus Erdöl und Erdgas 2003 wieder für eine Wachstumsrate von 7,5 Prozent. Das jährliche Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner liegt nach Kaufkraft bei 20 000 Dollar (Frankreich: 24 000, Deutschland: 25 000 Dollar). Katar verfügt nach Russland und dem Iran über die drittgrößten Erdgasreserven der Welt; nach Schätzungen lassen sich diese Vorkommen noch über 200 Jahre lang ausbeuten. Die erheblichen Investitionen in diesen Sektor haben sich bereits weitgehend amortisiert.

Vorbild für die anderen Golfstaaten

KATAR könnte am Golf ein Vorbild für die soziale Entwicklung abgeben, wie einst Japan das wirtschaftliche Vorbild für die asiatischen Länder war. Angesichts der immensen Bodenschätze und der geringen Bevölkerungszahl sind kühne Vorhaben denkbar. Das Herrscherhaus will kein Risiko eingehen, versucht aber, eine Vorreiterrolle einzunehmen und die Gesellschaft zu bewegen. Ein dunkles Kapitel bleibt der soziale und menschliche Umgang mit den Arbeitsimmigranten, die zwei Drittel der Bevölkerung Katars ausmachen. Ihnen bieten sich keine Möglichkeiten der Integration, sie besitzen keine gewerkschaftlichen oder politischen und nur wenig soziale Rechte.

Seine erheblichen Haushaltsüberschüsse sollen dem Emirat nicht nur für die privaten Konsumwünsche dienen, sondern auch dazu, das Land international bekannt zu machen. Man setzt auf Sportveranstaltungen. Katar richtet ein Tennisturnier aus, das den Saisonauftakt darstellt und sich der Aufmerksamkeit der Medien sicher sein kann. Ein Radrennen im Februar ist beliebt, weil es wegen der klimatischen Bedingungen für die Teams als ideale Vorbereitung auf die europäischen Wettkämpfe gilt. Bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Paris im August 2003 konnte Katar sogar eine Goldmedaille gewinnen. Der Sieger war allerdings ein naturalisierter Kenianer: Der 3 000-Meter-Hindernisläufer Stephen Cherono hatte sich für ein Gehalt auf Lebenszeit verpflichtet und den Namen Saif Schaid Schahin angenommen. Und die britische Hochseeseglerin Tracy Edwards strich 55 Millionen Euro dafür ein, dass sie ihren Katamaran „Qatar 2006“ (!) nannte. Fußballern, die nicht ins nationale Aufgebot ihrer Heimat berufen wurden, bot das Emirat Verträge und die Staatsbürgerschaft an, um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2006 zu schaffen – der internationale Fußballverband Fifa unterband jedoch dieses Vorhaben.4

Überhaupt der Fußball: Um die Spiele um die nationale Meisterschaft aufzuwerten, waren vierzig Millionen Euro nicht zu viel. Altstars wie Batistuta, Effenberg, Leboeuf und Guardiola verdienen bei den Vereinen 100 000 bis 200 000 Euro im Monat; das Monatsgehalt des Hindernisläufers Schahin beträgt übrigens nur 1 000 Euro. 2006 wird Katar die Asienspiele ausrichten, nach den Olympischen Spielen und der Fußball-Weltmeisterschaft das drittgrößte Sportereignis weltweit. Noch nie hat eine dieser Veranstaltungen in einem arabischen Land stattgefunden.

Katars Herrscher, Scheich Hamad al-Thani, ist der Ansicht, es sei wichtiger, dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anzugehören als den Vereinten Nationen: „Die Entscheidungen des IOC werden überall respektiert.“ Eigentlich geht es aber darum, in die Nachrichten zu kommen. Inzwischen ist von Katar in der Sportpresse tatsächlich immer wieder die Rede. Abdulla al-Mulla, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, fasst die Vorstellungen der Staatsführung zusammen: „Sport ist für ein Land das beste Mittel, um sich zu präsentieren und voranzukommen. Heute denkt jeder gleich an Terroristen, wenn er den Begriff ,Naher Osten‘ hört. Unserer Staatsführung geht es darum, Katar einen guten Ruf zu verschaffen.“5

Auch wenn im Augenblick der Sport im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht: Die größten Anstrengungen unternimmt Katar im Bildungsbereich. Mit 250 Millionen Dollar ist ein Universitätsgelände entstanden, das den höchsten Ansprüchen genügt. Hier sollen Studenten aus den Golfstaaten ausgebildet werden. Doch anders als die Universitäten aus den USA zeigt Frankreich bislang kein Interesse an den Angeboten aus Katar – obwohl es hier viel zu gewinnen gibt.

deutsch von Edgar Peinelt

* Leiter des Institut de relations internationales et stratégiques (Iris); Autor von „La France contre l’Empire“, Paris (Laffont) 2003.

Fußnoten: 1 David Hirst „Eine freie Stimme in der arabischen Welt“, Le Monde diplomatique, August 2000. 2 Françoise Sellier, „Katar, nach allen Seiten offen“, Le Monde diplomatique, November 1997. 3 Challenges (Paris), 22. Januar 2004. 4 L’Equipe (Paris), 9. März 2004. 5 Le Journal du Dimanche (Paris), 15. Februar 2004.

Le Monde diplomatique vom 11.06.2004, von PASCAL BONIFACE