11.06.2004

Rechte Profiteure

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WIE so oft in den vergangenen Jahren werden in Belgien am 13. Juni vor allem die Wahlergebnisse von Flandern und Brüssel mit Spannung erwartet. Die Belgier wählen an diesem Tag nicht nur ihre Europaparlamentarier, sondern auch die Vertreter in den Regionalparlamenten von Flandern, Wallonien und der zweisprachigen Region Brüssel-Hauptstadt. Bei der Europawahl vor fünf Jahren wählten sie gleichzeitig die Abgeordneten im Bundesparlament. Hier kam es im Mai 2003 zu vorgezogenen Neuwahlen, aus denen Sozialisten und Liberale als Sieger hervorgingen. Sie einigten sich auf eine Regierungskoalition, die Grünen, die zwischen 1999 und 2003 mitregiert hatten, wurden auf die Oppositionsbänke verwiesen.

Belgien ist ein föderaler Staat, folglich können im Bund andere Koalitionspartner regieren als in den Regionen, was aufgrund der starken Verflechtung zwischen Bundesinstitutionen und den „föderierten Einheiten“ einige Probleme birgt. Ab 1999 saßen auch in den Regionalregierungen Sozialisten, Liberale und Grüne – mit Ausnahme von Brüssel, wo nach dem Ausstieg der Grünen alle im flämischen Regionalparlament vertretenen Parteien an der Regierung beteiligt werden mussten, um den Vlaams Blok außen vor zu halten.

IN Flandern geht es bei den Wahlen am 13. Juni erstens natürlich um die Frage, welche Partei die meisten Stimmen auf sich vereinigen wird. Für die Christlich-Sozialen vom CD&V (Christen-Democratisch en Vlaams), über lange Zeit die größte und in einigen Wahlbezirken über eine absolute Mehrheit verfügende flämische Partei, sah es bis vor kurzem so aus, als würde sie in der Wählergunst verlieren.

Bei den Wahlen zum Bundesparlament 2003 erlitt die CD&V eine schwere Niederlage und kam mit 21 Prozent der Stimmen nur auf den dritten Platz hinter den Liberalen und den Sozialisten (1995 entfielen auf den CD&V noch 27,3 Prozent, 1999 22,2 Prozent). Nun scheint die Partei wieder Tritt zu fassen, seit sie sich mit der „Nieuw-Vlaamse Alliantie“ (N-VA), einer kleinen nationalistischen flämischen Partei, verbündet hat. Meinungsumfragen sehen den Wahlblock am 13. Juni an erster Stelle vor den Sozialisten und den Liberalen. Sollten die Liberalen bei den anstehenden Wahlen Stimmenverluste hinnehmen müssen, hätte das womöglich auch Konsequenzen für den liberalen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt.

Die andere Frage bezieht sich einmal mehr auf das Wahlergebnis des rechtsextremen Vlaams Blok1 , der in den vergangenen Jahren bei jeder Wahl zulegte und in Flandern mit 18 Prozent derzeit fast gleichauf liegt mit den drei großen traditionellen Parteien der Sozialisten, Liberalen und Christlich-Sozialen. Die Partei weiß aus jedem Holz Pfeile zu schnitzen, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Seit sie am 21. April dieses Jahres wegen Verbreitung von Schriften, die zum Rassenhass aufstacheln, verurteilt wurde, sucht sie der Bevölkerung mit einer Kampagne zur Meinungsfreiheit weiszumachen, man dürfe zu gewissen Themen in Belgien politisch inkorrekte Auffassungen nicht mehr äußern. Mit anderen Worten: Der Vlaams Blok, den die anderen Parteien gerne als „undemokratisch“ bezeichnen, ruft zur Verteidigung der Demokratie auf. Die Hauptgefahr besteht indes nicht in weiteren Stimmgewinnen des Vlaams Blok, sondern darin, dass sich die drei anderen großen Parteien zur Bildung einer großen Koalition genötigt sehen könnten, nur um den Vlaams Blok auszubremsen.

Extrapoliert man das Stimmergebnis, das der Vlaams Blok voriges Jahr in Brüssel erzielte, ist eine absolute Mehrheit in der flämischen Sprachengruppe im Brüsseler Regionalparlament nicht unwahrscheinlich. Das wäre katastrophal, weil die Ministersessel im Brüsseler Regionalparlament aufgrund der Doppelsprachigkeit der Region zu gleichen Teilen auf Flämisch- und Französischsprechende aufgeteilt werden. Und die französischsprachigen Minister werden es wohl kaum akzeptieren, die Regierungsmacht mit flämischen Ministern zu teilen, die vom Vlaams Blok bestimmt sind. Somit droht eine Blockade der Brüsseler Institutionen2 .

Der Vlaams Blok lässt natürlich nichts unversucht, genau diese Situation herbeizuführen. In seinem Wahlprogramm kommt Brüssel als die Hauptstadt eines unabhängigen Flandern vor – gleichwohl spricht die nationalistische Partei ihre Brüsseler Wähler auf Französisch an. Von Nationalismus, ist in ihren Wahlreden nicht viel zu hören, von Flandern noch weniger.

S. G.

1 Dazu Rinke van den Brink, „La Flandre redoute une poussée brune“, Le Monde diplomatique, Mai 2003. 2 Serge Govaert, „Rechtsextremisten: Der Sprengkopf am Staate Belgien“, Le Monde diplomatique, Januar 1998.

Le Monde diplomatique vom 11.06.2004, von S. G.