09.07.2004

Worte des Kandidaten Kerry

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Worte des Kandidaten Kerry

Seit dem Vietnamkrieg standen die Demokratische Partei und ihre Präsidentschaftskandidaten innenpolitisch für ein umfassendes sozialstaatliches Programm und außenpolitisch für eine entschiedene Politik der Kriegsvermeidung. Die Republikaner dagegen setzten auf eine harte, militärisch akzentuierte Außenpolitik bei gleichzeitiger Beschneidung der Sozialprogramme. Doch im Gefolge des 11. September hat sich bei den Demokraten ein neuer Typ von Politiker in den Vordergrund gespielt. Ihr prominentester Vertreter ist der Präsidentschaftskandidat Senator John Kerry. Als eine Art „aufgeklärter Falke“ versucht er, den mutmaßlichen Vorteil der Bush-Administration auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik dadurch auszugleichen, dass er einen aggressiven Feldzug gegen den Terrorismus und gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen ankündigt.

Von MICHAEL T. KLARE *

WIR werden unsere nationale Sicherheit verteidigen und ein militärisches Potenzial bewahren, das uns zur stärksten bewaffneten Macht dieser Erde macht“, verkündete der Kandidat. Zudem werde er nicht zögern, diese militärische Macht bei Bedarf „auch gegen Terroristen einzusetzen“. Dieses Bekenntnis zu einer robusten Außen- und Sicherheitspolitik stammt von Senator John Kerry. Er verkündete es am 2. September 2003, dem Tag, an dem er sich zum Bewerber um die demokratische Präsidentschaftskandidatur erklärte. Früher hätten demokratische Kandidaten als Hintergrund für eine solche Rede eine Kindertagesstätte oder eine Werkshalle gewählt. Kerry dagegen verkündete seine Kandidatur vor einer eher martialischen Kulisse: Um seinen harten Kurs in der Militärpolitik zu unterstreichen, sprach er vor der gigantischen Silhouette des Flugzeugträgers USS Yorktown.

Seitdem hat der Senator sein Bekenntnis zu einem starken Militär mehrfach wiederholt. Er hat sogar, was für einen ernsthaften demokratischen Präsidentschaftskandidaten bislang fast undenkbar war, dem amtierenden Präsidenten eine zu „schwache“ Verteidigungspolitik vorgehalten: „George Bush hat die stärkste Militärmacht der Welt übernommen“, sagte Kerry am 27. Februar 2004 in Los Angeles, „aber er hat sie geschwächt. Viel zu oft fehlen unseren Truppen in gefährlichen Missionen die Waffen und die Ausrüstung, die sie brauchen, um ihren Job sicher zu erledigen.“ Außerdem kritisierte er, Bush habe es versäumt, eine energische und umfassende Strategie zum Kampf gegen den Terrorismus zu entwickeln: „Ich werfe George Bush nicht vor, dass er im Krieg gegen den Terror zu viel getan hat. Ich glaube vielmehr, dass er zu wenig getan hat.“

Kerry artikuliert in seinen Reden und Verlautbarungen zur nationalen Sicherheitspolitik eine Position der Demokraten, die sich zwar von derjenigen der Republikaner unterscheidet, aber nicht weniger aggressiv ist. Dabei stützt er sich auf eine ganze Phalanx von Verteidigungsexperten, von denen viele in der Clinton-Administration gedient haben. Sie haben eine neue, differenzierte Sicherheitsdoktrin ausgearbeitet und propagieren sie seit längerem auf Konferenzen, in Fachzeitschriften und den Massenmedien. Zu den wichtigsten Figuren dieses Beraterstabs gehören Samuel R. („Sandy“) Berger, früher Sicherheitsberater von Präsident Clinton, der ehemalige Verteidigungsminister William J. Perry, Ashton B. Carter, ehemals stellvertretender Verteidigungsminister und heute Professor an der Kennedy School of Government in Harvard, und schließlich Lawrence J. Korb, früher Vizeverteidigungsminister in der Reagan-Administration und heute am Center for American Progress tätig, einem neuen Thinktank der Demokratischen Partei.

Die Arbeit am Entwurf einer neuen Doktrin begann kurz nach den Zwischenwahlen zum Kongress im November 2002. Dabei büßten die Demokraten etliche Sitze im Senat wie im Repräsentantenhaus ein. Daraufhin machten mehrere prominente Demokraten, darunter auch Expräsident Bill Clinton, der Parteiführung den Vorwurf, dass sie in einer Zeit, da die größte Sorge der Nation dem Terrorismus gelte, auf ihrer traditionellen „Tauben“- Perspektive beharre. „Wir haben uns nicht aus der Deckung gewagt“, erklärte Clinton vor dem Democratic Leadership Council, einer Organisation gemäßigter Demokraten, die ihn bei seiner ersten Wahl 1992 unterstützt hatte. „Wenn die Leute sich unsicher fühlen, wollen sie lieber jemanden haben, der stark ist und Unrecht hat, als jemanden, der schwach ist und Recht hat.“ Wenn die Partei die Wahlen von 2004 gewinnen wolle, so Clinton weiter, „müssen wir in der Frage der nationalen Sicherheit eine klare und starke Position beziehen“.1

Auf Initiative Clintons und einiger seiner früheren Mitarbeiter begann eine Gruppe von Demokraten der politischen Mitte ein sicherheitspolitisches Konzept auszuarbeiten, das man dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten für 2004 andienen wollte. Nachdem sich Kerry dann in den Vorwahlen durchgesetzt hatte und als im April 2004 wieder Kämpfe im Irak ausbrachen, verurteilte er die Kriegsführung der Bush-Regierung mit der Bemerkung, der Präsident habe die US-Soldaten in höchstem Maße gefährdet, weil er kein internationales Bündnis zustande gebracht habe: „Unsere Soldaten bezahlen heute den Preis für eine falsche Strategie. Wegen unseres Alleingangs im Irak tragen unsere Soldaten nun 90 Prozent des Risikos und stellen 90 Prozent der Toten und Verwundeten.“

Um den Druck auf die US-Truppen zu reduzieren und den Wiederaufbau zu beschleunigen, machte Kerry den Vorschlag, die oberste Autorität im Irak den Vereinten Nationen zu übertragen und eine multinationale Truppe unter Führung der Nato mit der friedenserhaltenden Mission zu betrauen. Wiederholt musste sich Kerry auch gegen Angriffe der Republikaner zur Wehr setzen, die ihm nicht zutrauen, in Notzeiten das Amt des Oberbefehlshabers ausüben zu können. Typisch für solche Angriffe waren die Bemerkungen von Vizepräsident Dick Cheney am 26. April: „Der Senator aus Massachusetts gibt uns allen Anlass, an seiner Urteilsfähigkeit und an seiner Haltung in entscheidenden Fragen unserer nationalen Sicherheit zu zweifeln.“ Um solche Attacken zu kontern, verweist Kerry immer wieder auf seinen Militärdienst in Vietnam und stellt die Aufrichtigkeit von Leuten wie Bush und Cheney in Frage, die sich damals dem Einsatz entziehen konnten: „Jeder weiß, dass ich in Vietnam gekämpft habe und verwundet wurde. Ich habe meinen Wehrdienst geleistet und bin sehr stolz darauf. Jetzt werfen mir das Leute vor, die sich damals anders entschieden haben. Das stört mich schon sehr.“ Im Wahlkampf werden die Republikaner wohl zig Millionen Dollar für Fernsehspots ausgeben, in denen sie fragen, ob sich Kerry ausreichend mit Fragen der nationalen Sicherheit befasst. Die Demokraten hingegen werden viel Geld aufwenden, um die soldatischen Leistungen ihres Kandidaten herauszustreichen. Allein schon dies wird ihren Wahlkampf von allen vorangegangenen unterscheiden.

Um auf dieses Duell vorbereitet zu sein, haben die Demokraten ein umfassendes außen- und verteidigungspolitisches Programm ausgearbeitet. Das unterscheidet sich zwar nicht in allen Punkten von der Regierungspolitik, stellt dieser jedoch einen eigenständigen Ansatz entgegen.

Die „Bush-Doktrin“ ermächtigt die Vereinigten Staaten zum präventiven und einseitigen Einsatz militärischer Gewalt, um jede vermeintliche Bedrohung der nationalen Sicherheit im Keim zu ersticken. Der Rückgriff auf militärische Gewaltmittel ist nach dieser Doktrin des Weißen Hauses auch deshalb so wichtig, weil man auf diese Weise den Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch terroristische Organisationen und „Schurkenstaaten“ verhindern will, die sich durch die traditionellen Mittel der Diplomatie oder der militärischen Abschreckung nicht beeindrucken lassen. Nach dieser Strategie haben die USA selbst dann das Recht zu präventivem Vorgehen gegen eine potenzielle Bedrohung, wenn ihre Verbündeten die Analyse Washingtons nicht teilen oder nicht bereit sind, der Gefahr entgegenzutreten.

Die Republikaner betrachten die Bush-Doktrin als logische Weiterentwicklung der alten US-Verteidigungspolitik; mit einigen neuen Elementen werde lediglich auf das veränderte globale Bedrohungspotenzial reagiert. Sandy Berger sieht hingegen „einen radikalen Wandel innerhalb der amerikanischen Außenpolitik“. Ende Oktober 2003 kritisierte er Bush auf einer vom Center for American Progress organisierten Tagung: „In gewisser Weise hat er der Doktrin der Abschreckung, die in den vergangenen fünfzig Jahren der Eckpfeiler unserer nationalen Sicherheit war, eine prinzipielle Absage erteilt.“ Zudem sei die Politik eines forcierten Unilateralismus „diametral gegen das Konzept von dauerhaften Bündnissen gerichtet“, das es möglich gemacht habe, „gemeinsame Bedrohungsszenarien“ zu entwickeln und während der gesamten Periode des Kalten Krieges gemeinsam zu agieren.2

Nach Ansicht der Demokraten lassen sich die Sicherheitsinteressen der USA am besten dadurch wahren, dass man die gestörten Beziehungen zu den bewährten Verbündeten repariert und diese enger in die wichtigsten Vorhaben einbindet – dass man sie also zu Partnern im Krieg gegen den Terrorismus und beim Wiederaufbau in Afghanistan und im Irak macht. In diesem Sinne erklärte Kerry: „Als Präsident werde ich die Bush-Ära der Isolation beenden und eine neue Ära der Allianzen beginnen. Denn der Kalte Krieg ist zwar zu Ende, aber unser Bedarf an Verbündeten ist genauso groß oder noch größer geworden, weil wir vor ganz anderen Gefahren stehen und ganz neue Herausforderungen bewältigen müssen.“3

Es gibt kein Dokument und keine Rede, in denen bereits alle Aspekte dieser neuen Politik formuliert wären. Doch ihr Grundcharakter lässt sich am besten mit dem Begriff „aufgeklärter Nationalismus“ beschreiben, den Senator Joe Biden am 28. Oktober 2003 benutzt hat.4 Der Ausdruck bedeutet, dass die USA ihre nationalen Interessen mit einer Kombination von militärischer Stärke und internationaler Kooperation verfolgen wollen. Die Gemeinsamkeit mit der Bush-Doktrin besteht darin, dass die Bedrohung durch Schurkenstaaten und terroristische Gruppen ausgeschaltet werden soll.

Aber das Konzept der Demokraten will zu diesem Zweck nicht nur die Macht der Vereinigten Staaten aufbieten, sondern die kollektive Stärke der Weltgemeinschaft. Diese soll überall in der Lage sein, Terrorzellen aufzuspüren und zu vernichten. Zweitens soll der Zugang von Schurkenstaaten zur Atomwaffentechnologie unterbunden und – drittens – sollen Aufbauprogramme für Staaten organisiert werden, die durch Kriege ruiniert wurden. Die USA würden dafür zwar weiterhin das militärische Potenzial und auch die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Aber sie würden dies als Mitglied der internationalen Gemeinschaft in Zusammenarbeit mit anderen tun.

Dieses Konzept der Demokraten weicht zwar in manchen Punkten von dem der Republikaner ab, übernimmt aber auch viele Hardlinerpositionen der jetzigen Regierung. Sandy Berger hat das in aller Deutlichkeit ausgesprochen: „Eine demokratische Regierung wird die Bereitschaft der Vereinigten Staaten unterstreichen, ihre lebenswichtigen Interessen auch unter Einsatz militärischer Gewalt zu verteidigen – zur Not auch allein.“ Man werde sich zwar länger als die Republikaner auf diplomatischer Ebene um eine friedliche Konfliktlösung bemühen, aber wenn die Umstände es erforderten, werde man genauso entschlossen militärische Mittel zum Einsatz bringen.5

„Keine Zweifel an unserer Entschlossenheit“

AM 3. Dezember 2003 äußerte Kerry unverblümt: „Als Präsident werde ich unsere Sicherheit nicht irgendeinem anderen Staat oder einer anderen Institution überantworten. Und unsere Gegner werden keine Zweifel an unserer Entschlossenheit haben, wenn nötig auch Gewaltmittel einzusetzen.“ Deswegen wollen Kerry und seine Anhänger die Fähigkeit der USA zur Führung von Kriegen deutlich verbessern, eine für Demokraten eher unübliche Forderung. Insbesondere wollen die Kerry-Leute die Kampfkraft der Landstreitkräfte und der Marineinfanterie erhöhen. Diese haben sowohl bei einem Bodenkrieg als auch bei friedenserhaltenden Missionen und der Stabilisierung von Nachkriegsgesellschaften die Hauptlast zu tragen. Um sie zu stärken, wollen die Demokraten zwei neue Divisionen aufstellen und damit die Zahl der einsatzbereiten Soldaten um 40 000 erhöhen. Außerdem soll die Grundausrüstung der Infanterietruppen verbessert werden, indem mehr schusssichere Westen, gepanzerte Transportfahrzeuge und Kampfhubschrauber angeschafft werden.6

Bei solchen Vorschlägen betonen die Demokraten häufig den Unterschied zwischen einer höherwertigen Ausstattung der Bodentruppen – etwa für den Einsatz gegen Guerillaeinheiten und zur Stabilisierung von Regionen wie Afghanistan, Irak und Kosovo – und den raffinierten Hightechwaffen, die die Bush-Administration bevorzugt. So schrieb etwa Lawrence J. Korb im Januar 2004: „Die Diskussion über die Umgestaltung des Militärs muss vor allem die Menschen im Auge haben, die mit diesen Waffen kämpfen. Wir brauchen ein Militär, das stark genug und hinreichend ausgerüstet ist, um die vielfältigsten Aufgaben auf vielen Kriegsschauplätzen in aller Welt wahrzunehmen.“7 Die Demokraten wollen für die zusätzlichen Einheiten und für die Waffen, die ihr Konzept erfordert, bis zu 6 Milliarden Dollar jährlich mehr ausgeben. Diese Kosten hat jedenfalls Korb für das Center for American Progress ermittelt. Um die Gelder aufzubringen, ohne den Verteidigungshaushalt insgesamt zu erhöhen, würden sie das Programm zur Entwicklung eines Raketenabwehrschirms zurückstutzen und einige der kostspieligen Rüstungsprogramme einstellen, etwa die Entwicklung des F/A-22-Kampfflugzeugs und die Beschaffung neuer U-Boote der Virginia-Klasse.

Während Präsident Bush in seiner Wiederwahlkampagne auf die Aussage baut, er sei am besten geeignet, den Krieg gegen den Terrorismus zu gewinnen, behaupten die Demokraten, das Weiße Haus führe diesen entscheidenden Kampf zu zögerlich. Der Präsident habe sich seit 2001 zu sehr auf den Irak fixiert und damit die Aufmerksamkeit und die nötigen Mittel von der wichtigeren Aufgabe, der Vernichtung von al-Qaida, abgezogen. Zum Zweiten habe er die internationale Gemeinschaft in vielerlei Hinsicht vor den Kopf gestoßen und damit die Unterstützung durch die anderen Länder gefährdet, die nötig ist, um gegen Terrorzellen vorzugehen.

Das erste Argument hat mit der Aussage von Richard A. Clarke, dem früheren Chef der Terrorbekämpfung im Weißen Haus, neuen Auftrieb bekommen. Bei seinem dramatischen Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss über den 11. September hat Clarke am 24. März 2004 ausgesagt, der Präsident und seine engsten Mitarbeiter hätten erstens die terroristische Bedrohung vor dem 11. September weitgehend ignoriert und zweitens in den Tagen nach den Attacken versucht, diese Saddam Hussein in die Schuhe zu schieben, obwohl es dafür nicht die geringsten Anhaltspunkte gab. Präsident Bush, schlussfolgern die Demokraten, habe es also aufgrund seiner Irak-Obsession versäumt, einen wirksamen Krieg gegen al-Qaida zu führen.

Um diese Anklage zu untermauern, verweisen Kerry und andere auf die Tatsache, dass es nicht gelungen ist, Ussama Bin Laden aufzuspüren und festzusetzen. „Wir hatten ihn vor zwei Jahren in den Bergen von Tora Bora schon fast gestellt“, erklärte Kerry am 27. Februar, „aber dann hat Bush die US-Truppen zurückgehalten. Stattdessen hat er den afghanischen Warlords, die nicht loyal zu unserer Sache stehen, aufgetragen, den Job zu Ende zu bringen.“ Auf diese Weise habe das Weiße Haus „den Krieg gegen den Terrorismus erschwert“.8 Zudem habe die Bush-Administration andere Regierungen vor den Kopf gestoßen, deren Hilfe beim weltweiten Kampf gegen al-Qaida und deren Ableger unentbehrlich ist. „Präsident Bush sagt, die Zusammenarbeit mit anderen Staaten, und insbesondere mit unseren Verbündeten, sei für unseren Krieg gegen den Terrorismus entscheidend. Da hat er völlig Recht. Doch seine Regierung setzt sich ständig über die Interessen dieser Staaten hinweg, und das gleich bei einer ganzen Reihe von Themen, vom Klimaschutz bis zum Internationalen Strafgerichtshof.“ Statt die Unterstützung für den Kampf gegen den Terrorismus zu gefährden, müssten die Vereinigten Staaten „mit der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um eine globale Strategie festzulegen, die eine kollektive und keine imperiale ist“. Nur mit veränderter Taktik und neuen Prioritäten könnten die USA ihren Kampf gegen den Terrorismus effektiver führen.

Aus dieser Analyse ergeben sich zwei Forderungen. Erstens müssen die Beziehungen zu den wichtigsten Verbündeten wieder verbessert werden, zweitens brauchen Militär und Nachrichtendienste mehr Mittel, um ihre neuen Aufgaben zu erledigen. Vordringlich sollen die unkonventionellen Kampfmethoden der US-Armee erheblich verbessert werden, erläutert Sandy Berger: „Obwohl wir nach wie vor in der Lage sein müssen, konventionelle Kriege zu führen, haben wir jetzt auch Feinde aufzuspüren und zu vernichten, die nicht offen auftreten, sondern sich häufig in der Zivilbevölkerung verstecken.“ Für solche Operationen brauche man jedoch eigens ausgebildete Kommandoeinheiten und Spezialagenten der Geheimdienste – „eine Herausforderung für unsere Nachrichtendienste“.9

Im Gegensatz zu einigen traditionellen Demokraten wie Dennis Kucinich, Abgeordneter des Repräsentantenhauses aus Ohio, die für einen raschen Abzug der US-Truppen aus dem Irak eintreten, will John Kerry die US-Truppen im Lande lassen. So soll verhindert werden, dass es zur Basis von Terroristen wird. Kerry ist sogar bereit, noch mehr US-Truppen in den Irak zu entsenden, wenn das Land damit stabilisiert werden kann. Für ihn sind die USA zum Erfolg verdammt: „Wir können es uns einfach nicht leisten, dass der Irak zu einem failed state wird und damit zu einer Brutstätte für antiamerikanischen Terrorismus.“ Allerdings verlangt Kerry, die militärische Präsenz der USA im Irak unter ein Mandat der Vereinten Nationen zu stellen. Verantwortlich für die Sicherheit solle die Nato werden.

Ganz ähnlich sehen die Demokraten die Lage in Afghanistan. Angesichts der Gefahr, dass Gewalt und Chaos die Rückkehr der Taliban und der verbliebenen Al-Qaida-Kämpfer begünstigen könnten, fordern sie eine starke und dauerhafte militärische Präsenz der USA. In diesem Sinne fordert Sandy Berger von den Demokraten eine kräftige Dosis „Realismus“: „Wenn die Vereinigten Staaten in den Krieg ziehen, sollten sie darauf vorbereitet sein, nach dem Kampf dazubleiben, um das, was zerstört wurde, wieder aufzubauen.“ Washington müsse nicht nur firepower (Feuerkraft), sondern auch staying power (Stehvermögen) demonstrieren.

„Die islamische und die übrige Welt“

ABER auch diese Aufgabe wollen die Demokraten „internationalisieren“, d. h.: mehr auf die Hilfe der Verbündeten vor allem in Europa zurückgreifen, macht Sandy Berger klar: „Jetzt, da die Nato einer erweiterten Friedenstruppe in Afghanistan zugestimmt hat, geht es darum, dass europäische Truppen die bestehende militärische US-Präsenz verstärken.“10

Zur „aufgeklärten“ Außenpolitik gehört noch eine weitere Absicht: Die Demokraten wollen sich bemühen, auf die Ursachen des Terrorismus einzugehen und der ideologischen Anziehungskraft extremistischer Bewegungen zu begegnen. So hat Kerry im Februar geäußert, die USA könnten zwar vielleicht sämtliche Schlachten gegen den Terrorismus gewinnen, doch am Ende komme es allein darauf an, „im Krieg der Ideen zu obsiegen“. Zu diesem Zwecke müsse man den Medien, die in weiten Teilen der islamischen Welt den Hass predigten, Alternativen entgegensetzen. Zudem solle die muslimische Jugend gemäßigte, westlich orientierte Bildungsangebote erhalten.

„Wir müssen eine große Initiative starten, um die Kluft zwischen der islamischen und der übrigen Welt zu überbrücken“, erklärte Kerry vor dem Council on Foreign Relations. Nur so könnte man die Verfechter des Terrorismus bei den Muslimen im Nahen Osten in Misskredit bringen. Doch dieser „Krieg der Ideen“ müsse einhergehen mit konkreten Schritten zur Bekämpfung von Armut und ökonomischer Rückständigkeit, die in den Entwicklungsländern viele Menschen in die Arme extremistischer Organisationen treiben. Susan Rice, Vizeaußenministerin mit dem Zuständigkeitsbereich Afrika in der Clinton-Regierung, hat es so formuliert: „Unsere Sicherheit ist aufs Höchste bedroht, wenn die halbe Weltbevölkerung mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen muss. Also sollten wir schon aus purem Eigeninteresse den Abstand zwischen Reich und Arm verringern. Wir müssen dies als unseren eigenen und nicht nur als den Kampf der Entwicklungsländer betrachten.“11

Nach Ansicht der Demokraten hängt ein erfolgreicher Antiterrorkampf noch von einem weiteren Faktor ab: von deutlichen Fortschritten in Richtung einer friedlichen Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern. Die Position, die Kerry zu diesem Konflikt bezieht, geht zunächst von einer eindeutigen Unterstützung des Staates Israel aus: „Die altbewährte Garantie Amerikas für die Unabhängigkeit und Weiterexistenz Israels darf niemals ins Wanken geraten.“ Kerry betont aber auch, Israel müsse am Ende die Bildung eines palästinensischen Staates akzeptieren und sich auf einen Verhandlungsprozess einlassen, der zu einer solchen Lösung führt.

In seinen öffentlichen Äußerungen gibt Kerry nicht zu erkennen, welche Art Zugeständnisse von Israel zu verlangen seien, damit ein endgültiges Friedensabkommen mit den Palästinenser erreicht werden kann. Aber er bejaht die Roadmap, die von den USA und einer Gruppe europäischer Länder vorgelegt wurde, um beide Seiten auf den Weg zu einem solchen Abkommen zu bringen. Zum Beispiel hat Kerry vorgeschlagen, die USA solle den palästinensischen Sicherheitskräften Ausrüstung liefern und Ausbildungshilfe anbieten, wenn und falls diese sich entschlossen zeigen, terroristische Gruppen im Westjordanland und im Gaza-Streifen zu verfolgen.

In vielerlei Hinsicht nimmt Kerry zu Israel und den Palästinensern eine ganz ähnliche Haltung ein wie Präsident Bush. Beide bestehen darauf, dass die Palästinenser Jassir Arafat durch eine akzeptable Führungsfigur ersetzen müssen, und beide erklären, Fortschritt sei erst dann möglich, wenn die palästinensische Autonomiebehörde die Hamas und andere militante Gruppen zerschlägt.

Beim Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen behaupten die Demokraten, ebenfalls über eine bessere Strategie zu verfügen als die Republikaner. Am militärischen Konzept der Bush-Administration kritisieren sie einen doppelten Fehler. Weil sie sich von der internationalen Gemeinschaft entfremdet habe, die den einseitigen Einsatz von Gewalt durch die USA missbillige, würden erstens die kooperativen Bemühungen um die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen behindert. Zweitens würden dadurch potenzielle Gegner veranlasst, sich möglichst schnell in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Kampfmittel zu bringen, um die USA von einem Angriff abzuhalten.

Die Demokraten würden das von militärischem Denken geprägte Konzept der Bush-Administration aufgeben und zusammen mit den Verbündeten den internationalen Handel mit Materialien, Geräten und Know-how zur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln unterbinden. Sandy Berger versichert: „Eine demokratische Regierung sollte jedes ihr verfügbare Mittel einsetzen, um eine solche Bedrohung abzuwenden, bevor nur noch der Einsatz von Gewalt übrig bleibt. Die erste Maßnahme, mit der Washington den Erwerb von tödlichem Waffenmaterial durch Schurkenstaaten unterbinden kann, besteht darin, solches Material schon an der Quelle abzufangen.“ Das erfordert insbesondere mehr finanzielle Mittel für die Entsorgung der überschüssigen Vorräte in der früheren Sowjetunion und höhere Sicherheitsstandards für die Materialien, die nicht vernichtet werden. Das entsprechende Programm läuft in den USA unter dem Titel „Cooperative Threat Reduction“, das nach seinen Initiatoren im Senat auch als „Nunn-Lugar-Programm“ bezeichnet wird.

Ein schärferes Profil wollen die Demokraten auch im Hinblick auf Nordkorea entwickeln. Sie fordern einen stärkeren Druck auf Pjöngjang, um das nordkoreanische Atomwaffenprogramm zu stoppen und das vorhandene nukleare Arsenal abzurüsten. Sandy Berger geht sogar so weit, dem Weißen Haus Schwäche vorzuwerfen: „Die Regierung hat mit unerklärlicher Nachsicht reagiert, als Nordkorea sich seine Atombewaffnung zusammenkaufte und eine rote Ampel nach der anderen überfuhr.“12 Angesichts der Tatsache, dass Nordkorea als einziges Land der Welt willens und fähig ist, Terroristen mit Atommunition zu versorgen, schlägt Berger vor, Pjöngjang durch ökonomische und politische Anreize zur Aufgabe seiner atomaren Ambitionen zu bringen. Wenn die Nordkoreaner dies ablehnen, solle Washington nach Berger andere Staaten auffordern, gemeinsam mit den USA zu „Zwangsmaßnahmen“ zu greifen.

Im Rahmen ihrer Strategie eines „aufgeklärten Nationalismus“ wollen die Demokraten auch eine andere Energiepolitik betreiben. Sie würden die Abhängigkeit der USA von Ölimporten reduzieren und damit auch das Risiko einer künftigen militärischen Einmischung in der Nahostregion vermindern. So erklärte Kerry im Februar: „Wenn ich Präsident bin, werde ich alles daransetzen, alternative Treibstoffe und die entsprechenden Fahrzeuge der Zukunft zu entwickeln – damit dieses Land innerhalb von zehn Jahren vom Öl des Nahen Ostens unabhängig wird und unsere Söhne und Töchter nicht mehr für dieses Öl kämpfen und sterben müssen.“13

Dies ist ein sehr ehrgeiziges Vorhaben, und es wird einigen Widerstand von demokratischen Wählergruppen in Michigan und anderen Bundesstaaten provozieren, wo eine Menge gut bezahlter Jobs in der Automobilindustrie auf dem Spiel stehen. Auch gibt es ernsthafte Zweifel, ob der Kongress jemals ein derart gigantisches Programm zur Entwicklung alternativer Energien absegnen würde.

Eine größere Energieunabhängigkeit der USA würde auch zu einem anderen Ziel Kerrys beitragen: dass sich Washington gegenüber der saudischen Königsfamilie nicht mehr so willfährig verhalten muss. Nach Ansicht der Demokraten unterhalten einflussreiche Republikaner – besonders in der unmittelbaren Umgebung der Bush-Dynastie – sehr enge politische und ökonomische Beziehungen zu den saudischen Herrschern. Deshalb hätten sie so große Hemmungen, die Saudis dafür zu bestrafen, dass noch immer Spendenströme an islamistische Wohlfahrtsorganisationen fließen, denen direkte Beziehungen zu al-Qaida und anderen terroristischen Gruppen nachgesagt werden. Vor dem Council on Foreign Relations erklärte Kerry im Dezember 2003: „Die saudische Regierung behauptet heute, sie sei dabei, das Finanzierungssystem der Terroristen zu zerschlagen, aber das sind nur Worte, denen keine Taten folgen.“

Kerry zufolge werden die USA die Saudis so lange schonen, wie die USA von saudischem Erdöl und saudischen Geldanlagen abhängig bleiben: „In Wirklichkeit ist es so, dass es tiefe und zur Zeit auch unauflösliche Verflechtungen gibt, eine ökonomische und energiepolitische Abhängigkeit, die unsere Beziehung mit Saudi-Arabien kompliziert.“ Und genau dies spreche dafür, eine neue Energiepolitik für die USA zu entwickeln.14 Ein solches Projekt wird vielleicht noch aggressiver durchgesetzt werden müssen als der Kampf gegen den Terrorismus.

deutsch von Niels Kadritzke

* Professor für Friedensforschung am Hampshire College in Amherst, Massachusetts. Im August erscheint „Blood and Oil“, sein neues Buch über die Folgen der wachsenden Abhängigkeit der USA vom Erdöl.

Fußnoten: 1 New York Times, 4. Dezember 2002. 2 www.americanprogress.org. 3 Referat vor dem Council on Foreign Relations, New York, 3. Dezember 2003. Die hier zitierten Reden Kerrys sind nachzulesen unter www.johnkerry.com. 4 Auf derselben „Conference on New American Strategies for Security and Peace“ („Neue amerikanische Strategien für Sicherheit und Frieden“) vom 28./29. Oktober 2003, von der auch das Zitat von Sandy Berger stammt (siehe Anm. 2). 5 Ebd. 6 Lawrence J. Korb, „Six Steps to a Safer America“, Center for American Progress, 29. Januar 2004, S. 5. 7 Ebd. 8 Kerry am 27. Februar 2004 (siehe Anm. 3). 9 Berger, „Foreign Policy for a Democratic President“, Ausgabe vom Mai/Juni 2004. 10 Ebd. 11 Der Beitrag von Susan Rice ist dokumentiert unter www.americanprogress.org. 12 Berger (siehe Anm. 2). 13 Kerry am 27. Februar 2004 (siehe Anm. 3). 14 Kerry am 3. Dezember 2003 (siehe Anm. 3).

Le Monde diplomatique vom 09.07.2004, von MICHAEL T. KLARE