Wider den multikulturellen Imperativ
Die Linke hat eine andere Aufgabe von Walter Benn Michaels
Das Thema Diversität spielte im Jahr 2001 überhaupt noch keine Rolle, inzwischen wird immerhin darüber geredet.“1 Mit dieser Feststellung begrüßte die französische Tageszeitung Libération die Tatsache, dass bei den Kommunalwahlen im März 2008 auf Seiten der Linken mehr – viele sind es freilich immer noch nicht – Kandidaten antraten, die jeweils eine bestimmte soziale oder kulturelle Gruppierung repräsentieren. Die Linke hat jedoch kein Monopol auf die Diversität in Frankreich. Schon einige Monate vor der Wahl hatte Nicolas Sarkozy vorgeschlagen, sie in die Präambel der Verfassung aufzunehmen. Und unlängst erklärte er, er wolle die „ethnische Vielfalt“ in der gesellschaftlichen Elite „massiv verstärken“.2
Dass sich jetzt in Frankreich ein solcher Trend abzeichnet, weckt in einem Amerikaner wie mir gemischte Gefühle. Zunächst bin ich verwundert: Warum sind die Franzosen in dieser Hinsicht so sehr im Rückstand? Im politischen, gesellschaftlichen und vor allem wirtschaftlichen Leben der Vereinigten Staaten nimmt die ethnische Vielfalt schon seit dreißig Jahren stetig zu. Als Nächstes bin ich jedoch enttäuscht: Warum zum Teufel beschließt Frankreich jetzt, diesen „Rückstand“ aufholen zu wollen?
Die erste Frage ist eher ein Forschungsthema für die Historiker. Mir geht es um die zweite. Wenn sich eine derart breite und heterogene Anhängerschaft – von der Bürgerbewegung der Indigènes de la République, die unter anderem auf die Diskriminierung von Migranten aufmerksam machen wollen, bis hin zum Staatschef Frankreichs – für die Diversität starkmacht, dann liegt da womöglich bereits der Keim einer Antwort.
Sehen wir uns zunächst die Frage eines Aktivisten der Indigènes an: „Was bedeutet denn nun konkret die paradoxe Behauptung, dass Arm und Reich, Bourgeoisie und Proletariat, Konzernchefs und Arbeiter, Herr und Knecht, Weiße und Nichtweiße, Männer und Frauen, Heteros und Homos gleich seien?“3 Hier kommt es schon auf die Aufzählung in der Frage selbst an, nämlich auf die strukturelle Verschiebung, die sich ergibt, sobald man die Gegensätze zwischen „Herrn und Knecht“ und „Weißen und Nichtweißen“ auf dieselbe Ebene stellt. Die Ungleichheit zwischen Weißen und Nichtweißen beruht – wie die zwischen Männern und Frauen, Heteros und Homos – vor allem auf Diskriminierung und Vorurteilen. Und da sie durch Rassismus und Sexismus verursacht wird, müsste man nur Rassismus und Sexismus überwinden, um sie aus der Welt zu schaffen.
Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeiter und Konzernchef beruht jedoch weder auf Rassismus noch auf Sexismus. Sie ist ein Produkt des Kapitalismus und der Eigentumsverhältnisse. Bei der wirtschaftlichen Ungleichheit funktionieren Rassismus und Sexismus wie ein Auswahlkriterium: Sie verursachen die Ungleichheit nicht, haben aber Einfluss darauf, wie ihre Auswirkungen verteilt werden. Deshalb würde die endgültige Überwindung von Rassismus und Sexismus den Graben zwischen armen und reichen Menschen nicht schließen, sondern nur deren Verteilung nach Geschlecht, sexueller Neigung und Hautfarbe verändern. Wenn in Frankreich mehr Schwarze reich wären, dann wäre in Sachen ökonomischer Gleichheit immer noch nichts erreicht. Nur wäre der Graben zwischen armen Schwarzen und reichen Schwarzen noch tiefer.
Die Situation in Frankreich hat natürlich ihre Besonderheiten: Von 1945 bis Ende der 1970er-Jahre kümmerten sich die vorherrschenden linken Strömungen ausschließlich um wirtschaftliche Gleichheit. Fragen, die mit Feminismus, Rassismus, Homosexualität und so weiter zusammenhingen, wurden zu „Nebenwidersprüchen“ erklärt oder völlig ignoriert. In den letzten dreißig Jahren haben sich die Prioritäten jedoch grundlegend geändert. Seit dem Frühjahr 1983, als François Mitterand zu einer liberalen Wirtschaftspolitik umschwenkte, steht ganz oben auf der Agenda nicht mehr der „Bruch mit dem Kapitalismus“, sondern der Kampf gegen die Diskriminierung – besonders sichtbar durch SOS Racisme. Da in vielen Fällen der Einsatz für die Diversität an die Stelle des Kampfes für die Gleichheit getreten ist (statt ihn zu ergänzen), hat er am Ende die Barrieren geschwächt, die den um sich greifenden Neoliberalismus eindämmen sollten.
Wenn die Linken wie die Rechten denken
Es hat sich herausgestellt, dass das Ziel, Rassismus und Sexismus zu beseitigen, mit dem Wirtschaftsliberalismus durchaus unter einen Hut zu bringen ist. Nicht so das Ziel, den Graben zwischen Arm und Reich zu verkleinern – oder gar zu schließen. Die herrschende Klasse in Frankreich engagierte sich für die Diversität, indem sie Vorurteile bekämpfte, aber auch die „Unterschiede“ zelebrierte. Gleichzeitig nahmen ihre neoliberalen Neigungen zu. Neu ist jedoch, dass diese für die Rechte typische Entwicklung – oder ist Nicolas Sarkozy etwa kein Rechter? – auch Menschen erfasst, die sich als Linke bezeichnen. Man mag die „nationale Identität“ hochjubeln, wie es der Staatspräsident tut, oder sie bekämpfen, wie es die Indigènes de la République tun. Aber je mehr sie ins Zentrum der intellektuellen Debatten rückt, desto mehr kaschiert sie die wachsende ökonomische Ungleichheit, mit der der Neoliberalismus überall in der Welt einhergeht.4
Ich behaupte nicht, dass Maßnahmen der positiven Diskriminierung oder ganz allgemein affirmative action die Ungleichheit verstärken. Aber ich möchte zeigen, dass die dem Kampf für mehr Diversität zugrundeliegende Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit – nach der unsere gesellschaftlichen Probleme letztlich eher auf Diskriminierung und Intoleranz als auf Ausbeutung gründen – selbst auf einem neoliberalen Konzept beruht.
Dabei handelt es sich doch nur um eine Parodie von sozialer Gerechtigkeit, wenn die Vertiefung des Grabens zwischen Arm und Reich in Kauf genommen wird, solange unter den Reichen – nach Proporz, versteht sich – ebenso viele Schwarze, Braune und Gelbe wie Weiße sind, ebenso viele Frauen wie Männer, Homosexuelle wie Heterosexuelle. Das ist mit anderen Worten eine „soziale Gerechtigkeit“, die die durch den Kapitalismus erzeugte Ungerechtigkeit akzeptiert. Diversität ist kein Mittel, um Gleichheit zu erreichen. Sie ist eine Methode, um die Ungleichheit zu verwalten.
Obwohl sie in puncto Diversität und Neoliberalismus Spätzünder waren, haben die Machthabenden in Frankreich schnell gelernt. Im Jahresbericht 2006 der Hohen Behörde für den Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichheit (Haute Autorité de lutte contre les discriminations et pour l’égalité, Halde) erklärt deren Präsident Louis Schweitzer seinen sehr speziellen Ansatz für das Konzept der Gleichheit: „Wenn man an die Gleichheit glaubt, dann ist die Abwesenheit von Diversität das sichtbare Zeichen von Diskriminierung oder mangelnder Chancengleichheit.“5 Wenn also die Leute, die mehr Geld verdienen als andere, allesamt Weiße und Männer sind, liegt ein Problem vor. Sobald Schwarze, Behinderte und Frauen unter ihnen sind, ist das Problem behoben. Wenn Herkunft oder Geschlecht die Erfolgschancen verschlechtern, besteht ein Problem. Wenn die Benachteiligung an der Armut liegt, ist das Problem inexistent.
Einige Kommentatoren sind jedoch der Auffassung, dass die zitierte Quelle überhaupt mit Vorsicht zu genießen sei. Zum einen habe es im ersten Leitungsgremium von Halde nur wenige „erkennbare Vertreter von Minderheiten“ gegeben. Zudem sei Louis Schweitzer jahrelang Chef des Autobauers Renault gewesen, der mehrfach wegen Diskriminierung der Gewerkschaften verurteilt worden sei. Doch diese Einwände gehen am Ziel vorbei. Das Problem von Halde liegt nämlich nicht an der zu homogenen Führungsebene. Selbst wenn es bei Halde so viel ethnische Vielfalt gäbe wie in der französischen Nationalmannschaft, die 1998 Fußballweltmeister wurde, wäre es um die ökonomische Gleichheit in der französische Gesellschaft deshalb noch kein bisschen besser bestellt.
Problematisch ist nicht, dass Louis Schweitzer die Gewerkschaften diskriminiert hat. Denn es hat eben nichts mit Heuchelei zu tun, wenn jemand linke Gewerkschaften bekämpft und sich zugleich für Vielfalt in Bezug auf Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung starkmacht. Ebenso wie kein Gegensatz besteht zwischen der Perpetuierung der Eliten und ihrer Diversifizierung: Das Bemühen um mehr Vielfalt in den Eliten dient dem Zweck, diese zu legitimieren, nicht sie verschwinden zu lassen.
Als erfahrener Geschäftsmann weiß Louis Schweitzer, dass das Engagement für die Diversität Managerstrategie und politische Stellungnahme ist. Das Thema weckt in den amerikanischen Business Schools ebenso große Begeisterung wie bei den französischen Indigènes de la République. Um angehenden Konzernchefs „eine globale Perspektive der Interkulturalität in der Geschäftswelt“ zu bieten, veröffentlichten Carlos und Javier Rabasso im September 2007 eine „Einführung in interkulturelles Management. Für eine Betriebsführung der Diversität“.6 Dieses nicht sehr progressive Werk – in derselben Reihe findet man „Marketing im Dienstleistungsbereich“, „Finanzmarkt“, „Finanzstrategie“ und „Coaching in fünf Schritten“ – hält einige Überraschungen bereit: Fast jede Zeile könnte von den angeblich Linken der Indigènes de la République geschrieben sein.
Ein führendes Mitglied der Indigènes, Sadri Khiari, erhebt gegen die „vereinigte Linke“ den Vorwurf, dass sie sich zwar um die „kulturelle Vielfalt in der Welt“, nicht aber „in Frankreich selbst“7 kümmere. Das klingt ganz ähnlich wie die Aussagen der Brüder Rabasso, die den europäischen Regierungen vorwerfen, sie würden die Diversität unterstützen, aber nicht „innerhalb der nationalen Grenzen“. Und während die Indigènes in ihrem Appell „Staat und Gesellschaft“ zur „kritischen Rückbesinnung“ auf die „in der Französischen Revolution proklamierte egalitäre Universalität“ aufrufen, fordern die Autoren Rabasso eine „neue französische Revolution“, die sich auf „Diversität, Diskriminierung und Affirmative Action“ stützt.
Was mag es bedeuten, dass Vertreter der Geschäftswelt und die Nachkommen von „Großeltern, die versklavt, kolonisiert, wie Tiere behandelt wurden“, dieselbe Weltsicht haben? Immerhin hat eine denkbar breit gefasste Diversität es inzwischen so weit gebracht, dass die französische Wirtschaftszeitung Les Echos von ihr als einem „ökonomischen Imperativ“8 spricht. Und auf Seiten der Linken ist die Bereitschaft, sich für diesen neuen „Imperativ“ zu begeistern, kaum geringer als bei den Rechten.
Radikale Kapitalismuskritik ist nicht angesagt
Die Auffassung, dass das Hauptproblem von Gesellschaften in der Anerkennung unterschiedlicher Identitäten und nicht in der Reduzierung wirtschaftlicher Ungleichheit liegt, breitet sich also in Frankreich so aus wie seinerzeit in den USA. Hier wie dort hat die neoliberale Rechte endlich eine neoliberale Linke gefunden, die etwas fordert, was ihr die Rechte nur allzu gern zubilligt. Wenn die Arbeits- und Finanzmärkte effizienter werden können, indem man die Diversität innerhalb der Unternehmen weiterentwickelt – der „ökonomische Imperativ“ lässt grüßen –, dann kann es diese „erneuerte“ Linke gar nicht abwarten, den Vorreiter zu spielen.
Es mag verwundern, dass wir beim Thema Diversität von einer Annäherung zwischen der neoliberalen Rechten und der neoliberalen Linken sprechen. Wurde Nicolas Sarkozy 2007 nicht auch wegen seines überschwänglichen Programms der „nationalen Identität“ gewählt? Hat er nicht im Verlauf seines Wahlkampfs so konservative Intellektuelle wie Alain Finkielkraut umgarnt? Und hat er nicht nach seiner Wahl unverzüglich einen Minister für Immigration und nationale Identität ernannt? Aber kaum war dieser Minister im Amt, erklärte Sarkozy im Januar 2008: „Diversität ist gut für uns alle.“ Und dann verkündete er, der Kampf für diese Diversität werde im Mittelpunkt seiner Präsidentschaft stehen.
Die neoliberale Linke greift Sarkozy dennoch immer wieder so an, als sei er ein wahrer Rassist. Das lässt sich leicht erklären: Die neoliberale Linke muss die neoliberale Rechte als Maske der alten, fremdenfeindlichen Rechten darstellen, um sich überhaupt noch von ihr zu unterscheiden. Deshalb jubelt der Chefredakteur der französischen Tageszeitung Libération, Laurent Joffrin, sobald Sarkozy auch nur den leisesten uneindeutigen Ton zum Thema Immigration und nationale Identität von sich gibt. Tatsächlich sind sich neoliberale Linke und Nicolas Sarkozy näher als Sarkozy und der reaktionäre Le Pen. Beide sind Anhänger des (gemäßigten) Kapitalismus, der (regulierten) Marktwirtschaft und des (kontrollierten) Freihandels. Der französische Präsident hat allerdings einen kleinen Vorteil: Er hat die Macht. Die Sozialistische Partei hingegen versucht immer noch, wie Joffrin selbst etwas wehmütig feststellt, „dem Wort Sozialismus eine Definition zu geben, die modern ist und sich zugleich deutlich von der Politik der UMP unterscheidet“.9
Man will also links sein, ohne tatsächlich linke Positionen zu beziehen. Dass radikale Kapitalismuskritik zurzeit nicht angesagt ist, erleichtert die Sache. Aber wir Amerikaner haben die Lösung gefunden. Wir streiten uns endlos über „Identity“: Wer beispielsweise gegen Affirmative Action ist – weil damit angeblich die Weißen benachteiligt würden –, der muss sich als Rechter beschimpfen lassen; und wer dafür ist – weil wir das den Schwarzen nach allem, was wir ihnen angetan haben, schuldig sind –, der ist natürlich ein Linker. So sind wir gut beschäftigt, und zwar mit uns selbst.
Vergleichen wir die Zumutungen, die sich aus der Diversität ergeben (alle müssen nett zu allen sein), mit denen, die der Gleichheit innewohnen (einige müssen auf ihren Reichtum verzichten). Ganz offensichtlich verfolgt die US-amerikanische Linke mit ihrem Engagement für die Diversität nur noch das Ziel, dass sich Reiche mit „anderer“ Hautfarbe oder sexueller Orientierung wohler fühlen können. Die Grundlage dieses Wohlbehagens – das Geld – bleibt derweil unangetastet.
Das war nicht immer so. Bobby Seale, Mitbegründer der Black Panthers, warnte seine Genossen: „Wer unserem Kampf die Klarheit nimmt, indem er die Existenz unterschiedlicher Ethnien in den Vordergrund stellt, fördert die Ausbeutung der Massen: arme Weiße, arme Schwarze, Hispanics, Inder, Chinesen und Japaner.“ Für Seale war die Sache klar: „Wir werden die kapitalistische Ausbeutung nicht mit einem schwarzen Kapitalismus bekämpfen. Wir werden den Kapitalismus mit dem Sozialismus bekämpfen.“10 Sollte die Abkehr von einer solchen Sichtweise die Annäherung an einen „schwarzen Kapitalismus“ zur Folge haben?
Wir haben uns mit der Vorstellung angefreundet, dass unser eigentliches Problem die kulturellen und eben nicht die wirtschaftlichen Unterschiede sind. Wir haben uns sogar angewöhnt, Letztere selbst als kulturellen Unterschied zu behandeln. Heute erwartet man von uns, dass wir den Armen mehr Respekt bezeugen und aufhören, sie als Opfer zu behandeln. Sie als Opfer zu behandeln, wäre nämlich Herablassung und Verleugnung ihrer Individualität.
Wenn wir also zu der Überzeugung gelangen, dass es den Armen nicht an Geld, sondern an Anerkennung und Respekt fehlt, dann ist nicht mehr die Armut, sondern unsere Einstellung gegenüber den Armen das Problem. Dann müssen wir unsere Reformbemühungen nicht mehr auf die Abschaffung der Klassen konzentrieren, sondern auf die Abschaffung dessen, was wir Amerikaner Classism nennen. Der Trick besteht also darin, dass die Ungleichheit als Folge unserer Vorurteile angesehen wird und nicht mehr als Grundproblem unseres Gesellschaftssystems. Das Ziel einer Gesellschaft mit mehr Gleichheit wird also durch das Ziel ersetzt, die Individuen dazu zu bringen, auf Rassismus, Sexismus, Klassendiskriminierung und Ausländerfeindlichkeit zu verzichten.
Natürlich steht es Frankreich frei, diese Strategie zu übernehmen. Die endlose Kopftuchdebatte kann als verheißungsvoller Ansatz angesehen werden. In gewisser Hinsicht handelte es sich dabei tatsächlich um eine „unechte Debatte“, wie Pierre Tévanian erklärte. Die wenigen jungen Mädchen, die mit Kopftuch zur Schule gingen, waren keinerlei Bedrohung für Frankreich oder das französische Bildungswesen. Sie hatten nicht das Ziel, die Trennung von Staat und Kirche zu unterwandern. Warum hat diese Diskussion dann eine solche Tragweite erreicht? Tévanian erkennt hier „einen latenten Rassismus, den man in allen sozialen Schichten und allen politischen Richtungen findet“.11 Aber seine Antwort trifft höchstens teilweise zu – und ist vor allem symptomatisch. Denn die Kopftuchdebatte hat auch die Attraktivität sowohl von „Antirassismus“ als auch von „Antisexismus“ deutlich gemacht.
Beide Lager konnten sich austoben, die einen warfen den anderen Rassismus vor, während die anderen den einen Sexismus vorhielten: „Ihr seid nur deshalb gegen das muslimische Kopftuch, weil ihr die Rechte der Muslime missachtet!“ – „Ihr seid nur dafür, weil ihr die Rechte der muslimischen Frauen missachtet!“ Die ganze Debatte erwies sich als genauso sinnlos wie die Auseinandersetzung um die positive Diskriminierung in den USA – es ging immer nur um Fragen der Identität.
Es wird weitere Gelegenheiten geben, sich in derartige Diskussionen zu verbeißen. Schließlich lässt sich der Streit um das Selbstbild Frankreichs an etlichen Themen immer wieder neu entfachen. Während die postmodern-kulturalistische Linke – mit der Stimme der Indigènes – beklagt, dass Frankreich „die Rehabilitation und Verbreitung unserer Geschichten im öffentlichen Raum“ vernachlässige, erklärt die neoliberale Rechte – mit der Stimme von Alain Finkielkraut und Konsorten –, dass die Indigènes entweder die Geschichte Frankreichs als ihre Geschichte ansehen oder sich daran erinnern sollten, dass sie ja „das Recht haben, zu gehen“.12
Professor Finkielkraut zieht immer gern über Leute her, die „Reue“ für die von Frankreich begangenen Untaten fordern. Doch seine Elitestudenten an der Ecole Polytechnique werden die Lektion schnell lernen, die ihre amerikanischen Kollegen längst verinnerlicht haben: Respekt für die Menschen – für ihre Kultur, ihre Geschichte, ihre Sexualität, ihren Kleidungsgeschmack und so weiter – zu bezeugen, ist wesentlich billiger, als ihnen einen ordentlichen Lohn zu zahlen.
Yazid Sabeg, Manager und Millionär, Koautor von „La diversité dans l’entreprise, comment la réaliser?“,13 hat im November 2008 ein Manifest mit dem kühnen Titel „Oui, nous pouvons!“ (Ja, wir können!)14 veröffentlicht. Einen Monat später ernannte ihn Nicolas Sarkozy zum Kommissar für Diversität und Chancengleichheit. „Amerika hat die Gültigkeit eines demokratischen Modells bewiesen, das auf Gleichheit und Diversität beruht“, verkündet das Manifest, das prominente Rechte wie Linke unterzeichnet haben. Auch Carla Bruni-Sarkozy erklärte, „man muss der Elite helfen, sich zu ändern“. Nicht um ihren Status als Elite infrage zu stellen, sondern, damit sie schwärzer, muslimischer, weiblicher werde – eben so, wie es der amerikanische Traum vorsieht.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Walter Benn Michaels ist Professor für Literaturwissenschaft an der University of Illinois at Chicago. Von ihm erscheint in Kürze: „La Diversité contre l’égalité“, Paris (Raisons d’agir) 2009.