13.02.2009

Knallchargen auf Kanal null

zurück

Knallchargen auf Kanal null

Hadsch Lakhdar1 – er trägt eine bodenlange Gandura, sein Bart ist sorgfältig gestutzt, auf dem Kopf sitzt ein Turban – betritt ein Amt. „Der Direktor ist nicht da!“, ruft ihm ein etwa zehnjähriger Knirps zu. Lakhdar geht zunächst trotzdem weiter, muss sich dann aber von der Hausmeisterin aufhalten lassen, die eben erst den Boden gewischt hat. Von all dem unbeirrt, verschafft sich unser Held schließlich Zutritt in eine Amtsstube, in der ein Sachbearbeiter seinem Vorgesetzten gerade die Haare schneidet. Der verweist den Hadsch an eine Kollegin, die sofort loszetert: „Ich muss schließlich meine Familie ernähren!“ Auf ihrem Schreibtisch liegt Gemüse, sie bereitet auf einem Gaskocher das Abendessen zu. Endlich wird Lakhdar vom „Direktor“ empfangen. Doch in dessen Büro spielen gerade auch seine Kinder.

Die Szene stammt aus einer Folge der satirischen Fernsehserie „Imarat Hadsch Lakhdar“ („Die Stadt des Hadsch Lakhdar“), die das algerische Staatsfernsehen ENTV – der einzige algerische Sender überhaupt – in der ersten Hälfte des Fastenmonats Ramadan ausgestrahlt hat. Der wackere Hadsch Lakhdar trotzt der Arroganz der Funktionäre und redet ihnen ins Gewissen, um sie an ihre Pflichten zu erinnern: „Dafür werdet ihr vom Staat nicht bezahlt!“

„Imarat HadschLakhdar“ ist nicht sonderlich anspruchsvoll gemacht, aber die Serie thematisiert auf bizarre Weise die Tücken des Alltags. Die Geschichte spielt in einem Mietshaus, das der Hauptfigur Lakhdar gehört. Seine Mieter bringen ihn ständig in groteske Situationen, und so bietet jede Episode Gelegenheit, ein „Problem“ anzusprechen, wie es im Vorspann heißt: von der Bürokratie über illegale Einwanderung bis hin zur Arbeitslosigkeit. Die Serie ist die einzige Sendung im Staatsfernsehen, die jedenfalls teilweise die algerische Wirklichkeit widerspiegelt.

Hadsch Lakhdar gibt mal den Moralisten, mal den strengen Knecht Ruprecht: „Wir leben im Jahr 2008“, erklärt er, „in Zeiten des Fortschritts und der Modernität.“ In einer anderen Folge will der Held seinen Mietern „Kultur“ beibringen. Er verlangt, dass sie ihre Satellitenschüsseln vom Balkon nehmen und den Abfall pünktlich für die Müllabfuhr bereitstellen. Bis auf den Akademiker sind alle im Haus empört über diese Anordnungen. Doch keiner kann so leicht über seinen Schatten springen. Kaum ist Hadsch Lakhdar außer Hörweite, seufzt der Akademiker: „Mein Gott, da legt man sich abends schlafen, und am nächsten Morgen hat er wieder neue Regeln für uns aus dem Hut gezaubert!“ Die Algerier sind in dieser Optik eben Leute, die sich gegen neue Entwicklungen und kulturellen Fortschritt sträuben.

Der Hausbesitzer verkörpert hier den „Vater der Nation“. „Er ist zwar streng, aber er ist für uns alle wie ein guter Vater“, meint einer der Mieter. Lakhdar ist das nationale Gewissen, der achtsame Herr des Hauses, der sich um seine nichtsnutzigen Kinder kümmert und die Eskapaden seiner Mieter geduldig erträgt. Obwohl hier scheinbar Klartext geredet wird, hält sich „Imarat Hadsch Lakhdar“ brav an die ungeschriebenen Regeln: Kritik wird aus dem Bereich der Politik in die Privatsphäre verlagert – es geht um die Symptome, nicht um die Ursachen von Missständen, und von den Machthabern oder den islamistischen Führern ist nie die Rede.

„Es gibt keine Zensur“, erklärt ENTV-Programmdirektor Djamel Benrabah. „Jede Folge wird so ausgestrahlt, wie sie der Autor geschrieben hat. Wenn er die Diktatur oder den Islamismus zum Thema gemacht hätte, wäre das auch gesendet worden. Hadsch Lakhdar liest immerhin auch der Staatsführung die Leviten.“

Damit bezieht sich der Programmchef auf eine Episode, in der Hadsch Lakhdar die Situation der Studenten anspricht, die kein Geld haben, während andere junge Leute nichts Besseres zu tun haben, als in ihren Kabrios durch die Gegend zu fahren. „Hadsch Lakhdar hat damit den Staat aufgerufen, etwas zu unternehmen, damit unsere Studenten nicht mehr ins Ausland flüchten“, erklärt Djamel Benrabah. „Letztlich soll das heißen: Wir brauchen Kultur. Reich und ungebildet zu sein, ist armselig.“

Die Schuld liegt in dieser Serie immer bei den Bürgern. So wie Präsident Bouteflika den Jugendlichen vorwirft, sie würden am liebsten als Nachtwächter arbeiten, um den Tag verschlafen zu können, hält Lakhdar der Gesellschaft vor, sie sei an ihrem Unglück selbst schuld, weil sie nicht auf ihre Führungskräfte höre. Der Hadsch führt sein Haus mit eiserner Hand, er gibt sich gütig, lässt aber keine Entscheidungsfreiheit. Als sich beispielsweise die Journalistin Farida eines Abends ohne ihren Mann zu einer Geburtstagsfeier aufmacht, erklärt Amine, dem der neue „Bürgersinn“ suspekt ist: „Dich kann nur einer wie Hadsch Lakhdar auf den rechten Weg zurückführen!“ Ein Ehemann, der seine Frau mit „Samthandschuhen“ anfasst, ist eben ein Schwächling.

„Imarat Hadsch Lakhdar“ wurde während des Ramadan zur besten Sendezeit ausgestrahlt: am frühen Abend, wenn sich die algerischen Familien zum Fastenbrechen an den Tisch setzen. Damit hat die Serie höchste Einschaltquoten erzielt, aber auch heftige Kritik wegen „rassistischer“ und „sexistischer“ Äußerungen auf sich gezogen. Ferhat M’henni, Präsident der Bewegung für die Unabhängigkeit der Kabylei (MAK) verurteilte die verzerrende Darstellung eines Kabylen (ein Idiot, der von seinem Schwiegervater Hadsch Lakhdar abhängig ist), und die Regionalzeitung La Dépêche de Kabylie kritisierte, dass die Serie jedes Anderssein zum Fehlverhalten erkläre und „alle, die den Anspruch erheben, anders zu sein, als kindisch und rückständig darstellt“.2

Der Zauberer im Staatsfernsehen

Nicht nur Frauenorganisationen, sondern auch Nouara Saadia Djaffar, die stellvertretende Ministerin für Familie und Frauen, beklagten den Sexismus der Serie. Farida und Amine verkörpern das Ehepaar nach westlichem Muster – hier hat die Frau das Sagen. Erst ein Zauberer rückt die Dinge zurecht: Nun zwingt Amine seine Frau, ihm die Füße zu waschen, dann wirft er sie aus der Wohnung. In Tränen aufgelöst, erklärt Farida dem Hausbesitzer, ihr Mann habe sie geschlagen. Hadsch Lakhdar, der später als Vermittler auftritt, stellt erst einmal befriedigt fest: „Jetzt ist er ein richtiger Mann geworden.“

Der ehemalige ENTV-Chef Hamraoui Habib Chawki ist stolz auf den Erfolg der Sendung und weist alle Anfeindungen zurück: „Mit manchen Sachen, die in den Folgen vorkamen, mit manchem, was über die Frauen oder die alten Mudschaheddin gesagt wird, bin ich persönlich nicht einverstanden. Aber trotzdem und trotz mancher Schwierigkeiten mit der Technik und der Regie bin ich insgesamt zufrieden. Wir haben den Algeriern ein gutes algerisches Produkt geboten, und es hat ihnen gefallen.“3 Programmdirektor Benrabah hat eine noch bessere Entschuldigung parat: „Wenn wir einfach erklärt hätten: ,Schlagt eure Frauen nicht!‘, dann hätte das weiter nichts bewirkt. Erst durch Hadsch Lakhdar ist die Diskussion über die Frauen in Gang gekommen.“

Eine andere Serie, eine vollkommen andere Welt: Hier ist von der Armut in Algerien nichts zu spüren. „Kampf der Herzen“ spielt im bürgerlichen Milieu. Hier kommt die Liebe – auch die nichteheliche – zu ihrem Recht und es herrscht Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Beim Casting gelten hohe Ansprüche, vor allem an die Schönheit der jungen Schauspielerinnen. Die technischen Vorzüge dieser Serie von Regisseur Nazim Qaidi kommen wegen ihrer argen inhaltlichen Dürftigkeit leider kaum zur Geltung: Zu viel künstliche Spannung und an den Haaren herbeigezogene Wendungen haben am Ende auch das Publikum abgeschreckt.

Die Hauptfigur in „Kampf der Herzen“ ist Jussef (gespielt von Mustapha Laribi), ein junger Firmenboss, der seine Scheidung verarbeiten muss. Nachdem er – versehentlich – Mahmud umgebracht hat, lässt er zwei seiner Mitarbeiter Nachforschungen über den Toten anstellen. Wie kaum anders zu erwarten entwickelt sich eine überbordende Handlung, getragen von schematischen Gegensätzen: Zauberei – Exorzismus, Freundschaft – Verrat, Großzügigkeit – Banditentum, Freundschaft –Mord, Vernunft – Wahnsinn, Trennung – Versöhnung … All das in ein und derselben Folge und eingerahmt von polizeilichen Ermittlungen und Ratschlägen von irgendwelchen Leuten, die sich als Vermittler einschalten. Nach einer halben Stunde hat der Zuschauer den Überblick verloren: „Ich hatte das Gefühl, nicht alles zu verstehen“, meint eine Zuschauerin, „deshalb habe ich die Serie nicht weiter verfolgt.“

In „Kampf der Herzen“ ist die Darstellung von Reichtum wichtiger als die Handlung und die amourösen Verstrickungen der Figuren: Goldene Uhren blitzen bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf, teure Zigarren werden herumgereicht, alle wohnen in Luxusappartements und reden ständig über Geld, über Millionen und Milliarden Dinar. Hier strahlen sogar – oh Wunder! – die Krankenhäuser und Gefängniszellen vor Sauberkeit.

„In jeder Gesellschaft gibt es Arme und Reiche“, erklärt Djamel Benrabah. „Unser Sender hat sich das nicht erst ausgedacht. ‚Kampf der Herzen‘ zeigt nur, dass es ehrliche und unehrliche Reiche gibt.“

Nachdem ENTV mit der Serie „Imarat Hadsch Lakhdar“ den Bürgern die Leviten gelesen hat, ist der Sender nun in das Geschäft mit den Träumen eingestiegen. Vorgeführt werden zwei Methoden der Bereicherung: Entweder man wird Chef einer Firma – und läuft Gefahr, alles zu verlieren. Oder man macht illegale Geschäfte – und riskiert, verhaftet zu werden. Weil das Budget knapp war, wurden die Folgen künstlich in die Länge gezogen – auf Kosten der Zuschauer.4 Aber die Schauspieler machen einiges wett, insbesondere die großartige Razika Farhane.

Was gute Comedy sein kann, zeigt die erste algerische Sitcom „Djemai Family“. Ihren Erfolg verdankt sie vor allem dem talentierten Hauptdarsteller Salah Ougrout, der in Mimik und Gestik einen algerischen Mister Bean gibt. Er spielt allerdings auch alle anderen an die Wand. Die Themen und überraschenden Wendungen in dieser Sitcom sind ganz auf ihn zugeschnitten. Die Serie ist technisch perfekt, will aber nichts weiter sein als gute Unterhaltung – und ist letztlich naiv und belanglos.

Nach dem Ramadan ruht sich das Staatsfernsehen weiter auf seiner üblichen Quote von schätzungsweise gut 70 Prozent aus – man scheint zu vergessen, dass sich das Publikum zunehmend den ausländischen Sendern (arabischen wie westlichen) zuwendet. Das dürftige Programmangebot hat ENTV inzwischen schon den Beinamen „Kanal null“ oder „Waisenkind“ eingetragen. Ali Chibani

Fußnoten: 1 Der Ehrentitel Hadsch gebührt jedem Muslim, der die Pilgerfahrt nach Mekka unternommen hat. 2 La Dépêche de Kabylie, Tozi Ouzou, 23. September 2008. 3 Liberté, Algier, 1. Oktober 2008. 4 Jede Folge hat dreißig Minuten, davon insgesamt sechs für Vorspann und Abspann.

Le Monde diplomatique vom 13.02.2009, von Ali Chibani