Ein Panzer namens Don Quichote
AM 25. August 1944 um 14 Uhr ergab sich der deutsche Gouverneur von Paris, General Dietrich von Choltitz, dem spanischen Soldaten Antonio Gonzalez. Um 16 Uhr unterzeichnete er die Übergabe von Paris in Anwesenheit der Franzosen General Leclerc und Oberst Rol-Tanguy. Paris war befreit. Nur zu oft wird in Frankreich immer noch darüber hinweggegangen, dass spanische Republikaner im Widerstandskampf einen besonderen Beitrag geliefert haben.
Von DENIS FERNANDEZ RECATALA *
Erinnerungen an die Befreiung „wiederaufleben“ zu lassen ist derzeit eine vordringliche Angelegenheit, zumal bald auch die letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs tot sein werden. Doch in Frankreich erinnert man sich nur in homöopathischen Dosen an die Ausländer, die an der Befreiung von Paris im August 1944 beteiligt waren – allen voran tausende Spanier, die gegen die Nazi-Besatzer kämpften. Noch immer gibt es kein größeres Denkmal für jene spanischen Frauen und Männern, die an der Seite der Franzosen für die Sache der Freiheit gestorben sind.
Zu den Alliierten, die am D-Day in der Normandie landeten, gehörten auch die Truppen von „France libre“, der 1940 von de Gaulle ins Leben gerufenen „Freiheitsarmee“ gegen die Deutschen (siehe Kasten). Legendär ist in Frankreich die unter französischer Flagge kämpfende 2. Panzerdivision, in der sich unter der Führung von General Leclerc Kämpfer verschiedener Nationalitäten versammelten. Die meisten der internationalen Soldaten waren Spanier. Und die ersten Soldaten der Alliierten, die am 24. August in Paris einzogen, waren Spanier. Doch davon ist selten die Rede. Wer allerdings in Madrid das Museum Reina Sofia besucht, bekommt neben Picassos „Guernica“ auch sein „Monument aux morts espagnols pour la France“ zu sehen: Denkmal für die Spanier, die für Frankreich starben.
Damals, 1944, ging es um das Schicksal von Paris, und die Lage war äußerst verworren. Die Alliierten hatten geplant, an Paris vorbeizuziehen, um verlustreiche Straßenkämpfe zu vermeiden und die Deutschen zur kampflosen Übergabe der Stadt zu zwingen. Doch die FFI (Forces Françaises de l’Interieur, siehe Kasten) hatten zum Aufstand geblasen. Am 19. August war der Generalstreik ausgerufen worden, Polizei, Post und Gendarmerie streikten, und ganze Viertel waren schon von den Nazis „befreit“. Die Deutschen sollten an allen Fronten kämpfen müssen. Doch der Widerstand wusste, dass er gegen die Deutschen nicht lange würde durchhalten können. Deshalb wurden die Truppen der Alliierten sehnlichst erwartet, und Oberst Rol-Tanguy, Kopf der Pariser FFI, der im spanischen Bürgerkrieg politischer Kommissar der 14. Internationalen Brigade gewesen war, entsandte Boten zu den Allierten mit der dringenden Bitte um Unterstützung. Nach langen Verhandlungen zwischen Eisenhower und de Gaulle erhielt General Leclerc den Befehl zur Einnahme von Paris, und unmittelbar darauf entsandte er die ihm unterstehende 9. Panzerkompanie, die von Hauptmann Raymond Dronne befehligt wurde und ausschließlich aus Spaniern bestand. Man sprach kastilisch.
Am 24. August um 20 Uhr 41 marschierte die Vorhut der 9. Panzerkompanie über die Porte d’Italie in Paris ein. Der Panzer „Guadalajara“ überquerte als Erster die äußeren Boulevards – „Guadalajara“, nach der Stadt im Norden Spaniens, wo die Republikaner 1937 einen großen Sieg über Mussolinis Freiwillige (Francos Verbündete) errungen hatten.
Um 21.22 erreichten die Panzer in Paris die Place de l’Hôtel de Ville. Hundertzwanzig Spanier und zweiundzwanzig Panzerfahrzeuge wurden dort, vor dem Rathaus, als Befreier empfangen. Eine jubelnde Menge umringte sie. Zur Überraschung der Pariser Bevölkerung waren ihre Befreier keine Franzosen und sprachen in fremder Sprache, aber nicht Englisch, sondern Spanisch, und die Panzer trugen Namen von Schlachten aus dem Spanischen Bürgerkrieg – Ebro, Teruel, Belchite, Madrid –, aber auch Don Quijote oder Durruti, nach dem Anarchistenführer.
Bereits fünf Tage zuvor hatten die Widerstandskämpfer das Pariser Rathaus erobert, sich dort verschanzt und den deutschen Angriffen erfolgreich widerstanden. Jetzt kamen die Spanier den Aufständischen zu Hilfe: Sie postierten ein Geschütz im Innern und tauften es „Abuelo“, Großväterchen. Amado Granell, der (spanische) Oberstleutnant der 9. Kompagnie der „Französischen Freiheitsarmee“, wurde vom „Conseil national de la Résistance“, dem Zentralrat des Widerstands, freudig empfangen. Man wartete auf die Verstärkung. Endlich, am Morgen des 25. August, erreichte General Leclerc mit dem Rest seiner 2. Panzerdivision die Stadt.
Woher kamen die vielen Spanier – und was hatte es eigentlich mit dieser 2. Panzerdivision auf sich? Natürlich gab es im Frankreich der Zwischenkriegszeit zahlreiche Wirtschaftsflüchtlinge aus Spanien, doch 1939, bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, lebten über 500 000 Bürgerkriegsflüchtlinge in Frankreich, die sich über die Pyrenäen ins Nachbarland gerettet hatten. In Südfrankreich wurden sie gemeinsam mit den Interbrigadisten anderer Nationalitäten interniert. Nach Kriegsbeginn durchstreiften die Gendarmen jeden Morgen die Baracken und forderten die Spanier auf, sich freiwillig zur Fremdenlegion zu melden. Man wollte, wie es General de Gaulle ausdrückte, „mit französischen Streitkräften […] an der Schlacht in Afrika teilnehmen“.
Mehrere tausend Spanier ließen sich überreden; sie wurden in Nordafrika und in Schwarzafrika (Tschad, Kamerun) eingesetzt. Als im Sommer 1943 in Afrika unter der Fahne von de Gaulles „France libre“ Soldaten für die Rückeroberung Frankreichs rekrutiert wurden, waren die Spanier dabei: 20 Prozent der 16 000 Soldaten, die sich zur legendären 2. Panzerdivision unter General Leclerc meldeten, waren Spanier.
Die Erfahrung des Spanischen Bürgerkriegs war bei Kriegsbeginn noch sehr präsent, und die Menschen, die in Spanien gekämpft hatten, konnten ihre militärische Erfahrung im Kampf gegen gegen die Nazi-Besatzer gut gebrauchen. So wundert es nicht, dass innerhalb der französischen Résistance wie in den Truppen des Freien Frankreichs französische wie ausländische Interbrigadisten (und allen voran die Spanier) wichtige Bindeglieder waren und auch wichtige Posten besetzten – sowohl beim Vormarsch der Alliierten, vor allem aber innerhalb der französischen Résistance. Mehr als 10 000 Spanier kämpften in ganz Frankreich – in der Bretagne, in den Cevennen, in Poitiers, Bordeaux, Angouleme und Avignon. Eine Stadt, Foix, wurde sogar ausschließlich von Spaniern befreit. 1940, als der Widerstand gegen die einfallenden Deutschen begann, rekrutierte sich dieser sogar hauptsächlich aus Spaniern, weil sie nicht zur französischen Armee eingezogen worden waren (viele französische Soldaten wurden von den Deutschen gefangen genommen und kamen erst später frei). Außerdem waren sie nicht durch den Hitler-Stalin-Pakt irritiert, während die französischen Kommunisten durchaus daran zu knapsen hatten. Die von der PCF (Kommunistische Partei Frankreich) in den 1930er-Jahren gegründete MOI (Mains d’Ouvres Immigrés, eingewanderte Arbeitskräfte) nahmen alsbald einen wichtigen Platz in der Résistance ein. Ein Großteil der spanischen Kommunisten trat ihr bei, die übrigen Kommunisten bildeten bewaffnete Kommandos, die ihre Aktionen mit dem französischen Widerstand im ganzen Land koordinierten. Bereits im Sommer 1940, kurz nach Ausbruch des Krieges also, hatte es in Bordeaux Kontakte zwischen Partisanen und der exilierten Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) gegeben, und auch in Paris gab es eine feste Zusammenarbeit zwischen im Untergrund agierenden spanischen und französischen Kommunisten – eine Verbindung, die sich nicht zuletzt auch der Koordinationsarbeit von Lise und Artur London verdankte: Artur London, ein tschechischer Kommunist, hatte bei den Internationalen Brigaden in Spanien gekämpft und kämpfte nun im französischen Widerstand, bevor er von den Nazis nach Buchenwald verschleppt wurde.1
Es ist unmöglich, an dieser Stelle die Namen all derer zu nennen, die im Widerstand gegen die Deutschen führende Rollen eingenommen haben und denen ein Platz in der französischen Geschichtsschreibung bislang nicht eingeräumt wurde – so etwa „Lucien“, der mit bürgerlichem Namen Conrado Miret-Must hieß, aus Spanien kam und 1942 zum Anführer des MOI für Paris und Umgebung bestimmt wurde. Damals lag die Befreiung noch in weiter Ferne, aber trotz der Razzien und Gefangennahmen war er unermüdlich im Einsatz, um den Kampf für die Befreiung vorzubereiten.
Den Nazis gelang es 1942 und 1943, die Reihen der Kämpfer zu dezimieren, durch Gefangennahmen, Deportationen und Hinrichtungen.2 Auch im Viertel „Petite Espagne“ (Klein-Spanien) im Pariser Vorort Plaine Saint-Denis werden bei Razzien viele Leute verhaftet. Noch im selben Jahr begann der so genannte Prozess gegen die „Terroristen der Union nationale espagnole“ (UNE) 3 wie es im Nazi-Jargon hieß. 135 Spanier wurden vor Gericht gestellt, ihr Schlachtruf war die Marseillaise gemeinsam mit dem „Himno de Riego“, der Hymne der Spanischen Republik. Ein anderer Spanier, dessen Kampfgruppe die Nazis zerschlagen hatten, Celestino Alfonso, ein ehemaliger Oberstleutnant der Panzertruppen, schloss sich einer schlagkräftigen Gruppe von Widerstandskämpfern an, die traurige Berühmtheit erlangte: Sie wurde angeführt von dem Armenier Manouchian und ging als „Gruppe des roten Plakats“4 in die Geschichte ein. Diese internationale Kampfgruppe, in der es einige Spanier und viele Juden gab, setzte den Nazis mit Sabotageakten und Mordanschlägen ordentlich zu. Ende 1943 gelang es den Nazis, sie aufzureiben, und Celestino Alfonso wurde mit vielen anderen am 16. Februar 1944 hingerichtet. In seinem Abschiedsbrief schrieb er: „Ich sterbe für Frankreich.“
Für die Spanier war die Résistance die Fortsetzung des Bürgerkriegs in einem anderen Kontext. Der Kampf war ein internationaler, und er ging gegen die Faschisten – in Paris ebenso wie in Afrika. Für die Kommunisten war der Widerstand eine Fortsetzung der Internationalen Brigaden, die schließlich auf einen Beschluss der Komintern zurückgehen.
Nachdem den Nazis einige Schläge gegen den Widerstand gelungen waren und auch die Gruppe Manouchian aufgeflogen war, zogen sich die verbleibenden spanischen Kämpfer aus Paris in die umliegenden Departements zurück, um mit dem 6. Juni 1944, als die Alliierten an den Küsten der Normandie landeten, sofort wieder auf dem Plan zu stehen: „Robert“, der mit bürgerlichem Namen José Baron hieß und Spanier war, organisierte die kampfbereiten Spanier der Region in diversen Kampfgruppen. Die Vorbereitungen für den Aufstand und die Befreiung von Paris begannen. Die Spanier wollten dabei zuallererst eins: kämpfen – für sie kündigte die Freiheit Frankreichs die Freiheit Spaniens an.
Nach der Befreiung von Paris begaben sich die verschiedenen spanischen Untergrundeinheiten (MOI, UNE und PCE) in die Kaserne von Reuilly – wo die ausländischen Brigaden zu einem Bataillon mit dem Namen „Liberté“ zusammengelegt wurden. Es bestand außerdem aus Italienern, Polen, Armeniern und auch sowjetischen Flüchtlingen, doch die Spanier stellten auch hier das stärkste Kontingent: mindestens fünfhundert Spanier, die in Frankreich im Untergrund überlebt hatten, hatten insgesamt vor der Befreiung in den Straßen von Paris gekämpft: auf der Place de la Concorde und vor der Assemblée nationale, auf der Place de l’Étoile, im Hotel Majestic, dem Sitz der Gestapo, auf der Place Saint-Michel, in der Rue des Archives, auf der Place de la République. Einige Dutzend hatten während der Kämpfe um Paris den Tod gefunden – darunter der bereits genannte Spanier José Baron, der 1944 die Zusammenlegung der Guerilleros organisiert hatte; er fiel auf der Place de la Concorde.
Leclercs 2. Panzerdivision setzte nach der Befreiung von Paris die Offensive gegen die Deutschen fort, mitsamt der spanischen 9. Panzerkompanie. An der Befreiung von Straßburg etwa waren Spanier beteiligt, und einige wenige drangen sogar bis nach Berchtesgaden vor, wo Hitler einst Mussolini und Laval empfangen hatte. Doch nur wenige Spanier konnten den Adlerhorst des Nazi-Diktators noch in Augenschein nehmen. Der Traum, der die Spanier beseelt hatte: mit Hilfe der Alliierten als Sieger nach Spanien zurückzukehren, blieb ihnen bis 1975, bis zu Francos Tod versagt. Der Traum des französischen Widerstands von einer Fortsetzung der Internationalen Brigaden wurde in gewissem Maße durch die Ereignisse von 1944 realisiert.
deutsch von Elisabeth Edl
* Journalist und Schriftsteller, Autor u. a. von „Matière“, Paris (Le Temps des cerises) 2002.