13.03.2009

Einzelkämpfer Haaretz

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Einzelkämpfer Haaretz

Wir müssen [gegen die Hamas] aggressiver vorgehen. […] Ihre Regierung muss gestürzt werden.“ Nein, diese Aussage stammt nicht von einem israelischen Politiker oder einem General – es war Roni Daniel, der Militärexperte des Zweiten Fernsehens, der am 14. Mai 2008 solche Forderungen erhob. Wenn es um den Konflikt mit den arabischen Nachbarn geht, treten israelische Journalisten leider oft wie Sprecher der Militärführung auf.

Monatelang hatten die politischen Führer Zipi Livni (Kadima) und Ehud Barak (falscher Linker) ihre Ziele in Gaza verkündet: Hamas solle vernichtet, dem Feind eine „unvergessliche Lektion“ erteilt werden – auch um den Preis schwerer Zerstörungen und großer Opfer unter der Bevölkerung. Die israelischen Medien unterstützten den begonnenen Feldzug. Die entsetzlichen Bilder der Verwüstung wurden weltweit ausgestrahlt, nur nicht im israelischen Fernsehen. Hier durften die Militärsprecher ihre Erklärungen abgeben. Rechtfertigungen für Bombenangriffe auf Moscheen, Schulen und Krankenhäuser mit dem Argument, dort seien Waffen versteckt oder palästinensische Scharfschützen beherbergt worden, blieben ohne jeden kritischen Kommentar.

Diese Haltung hat Tradition. Immer wenn ein Abkommen scheitert, weisen israelische Medien dem Gegner, den Arabern die Schuld zu. Die letzten Sommer von Ägypten vermittelten indirekten Verhandlungen über eine „Feuerpause“ (Arabisch: tahdi’a) – allgemein als „Waffenstillstandsabkommen“ übersetzt – stießen bei israelischen Journalisten auf heftige Kritik. „Terroristen brechen jedes Abkommen“, hieß es, nur mit militärischen Mitteln könne man sie stoppen. Immerhin siegte die Vernunft, und am 19. Juni 2008 trat der Waffenstillstand in Kraft.

Fünf Tage später feuerte der Islamische Dschihad erneut zwei Raketen auf Sderot ab (die keine Opfer forderten). Die israelischen Medien waren sich sofort einig in der Verurteilung des Dschihad, verschwiegen aber, dass die Organisation in einer Erklärung diesen Beschuss als Vergeltung für eine israelische Kommandoaktion bezeichnet hatte, bei der in Nablus ihr Kommandant Tariq Abu-Ghali und ein weiterer Militanter liquidiert worden waren. Allein die Tageszeitung Ha’aretz widmete diesem Vorfall einige Zeilen und kommentierte, dass „die Militärführung den Racheakt der Palästinenser einkalkuliert hatte“.1

Aber auch Ha’aretz, allgemein als seriöse Zeitung geschätzt, die sich – oft als einziges Blatt – um vollständige und ausgewogene Berichterstattung über den Konflikt bemüht, machte mit der Schlagzeile auf: „Der Dschihad verletzt den Waffenstillstand in Gaza“. Das Abkommen hielt, weil die Hamas seine Bestimmungen achtete und auch die anderen palästinensischen Organisationen darauf verpflichtete. Es war eine israelische Kommandoaktion in Gaza, die am 4. November zur erneuten Eskalation und damit zum Krieg führte.2

Mit einer Auflage von 70 000 Exemplaren ist Ha’aretz die kleinste der israelischen Tageszeitungen. Während der Parlamentsdebatte über die Verlängerung jener (2003 beschlossenen) skandalösen Verordnung, die Palästinensern aus den besetzten Gebieten, die mit einem israelischen Staatsbürger verheiratet sind, einen Wohnsitz in Israel oder die Staatsbürgerschaft versagt, schrieb Ha’aretz-Verleger Amos Schocken einen Leitartikel mit dem Titel: „Wir dürfen nicht zum Apartheidstaat werden“.3 So deutliche Worte hat kein Herausgeber der anderen drei hebräischen Tageszeitungen gefunden.4

Schocken schreibt immer wieder Artikel gegen die Politik der israelischen Regierung in den besetzten Palästinensergebieten. Drei Tage vor den Parlamentswahlen hat er unter der Überschrift „Ich wähle Meretz“ (die Partei der linken Zionisten) eine klare Position bezogen.5

Zur Redaktion von Ha’aretz gehört auch Gideon Levi, ohne Zweifel der beste Kenner der besetzten Gebiete. Er publiziert wöchentlich mindestens einen langen Beitrag über das Elend und Unglück der Palästinenser unter israelischer Besatzung – das gibt es in der israelischen Medienlandschaft wohl kein zweites Mal. Levi ist auch fast der Einzige, der den Krieg gegen Gaza verurteilte. Und er widersprach scharf6 einem Brief des Schriftstellers A. B. Jehoschua (und damit indirekt der Friedensbewegung), in dem dieser die Militäroperation in Gaza gutgeheißen hatte: „Sie, mein sehr geschätzter Autor, sind Opfer einer massiven Gehirnwäsche, die unser Denken überflutet und lähmt. Sie rechtfertigen den brutalsten Krieg, den Israel je geführt hat, und akzeptieren damit indirekt die Vorstellung, Gaza sei nicht mehr besetztes Gebiet. […] Sie urteilen über ein wehrloses Volk, dem man Regierung und Militär verweigert (und zu dem auch eine Bewegung gehört, die mit den falschen Mitteln für eine gerechte Sache kämpft, die Beendigung der Besatzung) nach Kriterien, die auch für eine Regionalmacht gelten sollen, die sich humanitär und demokratisch gibt, aber als brutaler und erbarmungsloser Eroberer auftritt. Ich als Israeli kann der palästinensischen Führung keine Vorhaltungen machen, solange unsere Hände mit Blut befleckt sind.“ Amnon Kapeliouk

Fußnoten: 1 Ha’aretz, 25. Juni 2008. 2 Siehe Dominique Vidal, „Stichworte und Ausreden“, Le Monde diplomatique, Februar 2009. 3 Ha’aretz, 27. Juni 2008. 4 Ma’ariv und Jediot Aharonot sowie das kostenlose Blatt Israel Hajom. Die Jerusalem Post, ein englischsprachiges Blatt mit rechtsnationaler, patriotischer Tendenz wendet sich vor allem an die Ausländer in Israel. Es gibt russischsprachige Zeitungen für die etwa eine Million Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion mit extrem nationalistischer und araberfeindlicher Linie. Die arabischsprachigen Publikationen (als Tageszeitung nur seit 1944 das Zentralorgan der Kommunistischen Partei) befassen sich vor allem mit der Entrechtung von palästinensisch-arabischen Bürgern Israels und Bewohnern der besetzten Gebiete. 5 Ha’aretz, 6. Februar 2009. 6 Ha’aretz, 16. und 17. Januar 2009. Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Amnon Kapeliouk ist Journalist und Autor in Jerusalem.

Le Monde diplomatique vom 13.03.2009, von Amnon Kapeliouk