Beispiele
Mit vier Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Sozialdumping in der EU legitimiert.1 Die finnische Reederei Viking wollte eines ihrer Fährschiffe über eine Tochtergesellschaft in Estland registrieren lassen, um das finnische Tarifrecht zu umgehen. Der EuGH wies die Klage der finnischen Gewerkschaft FSU am 11. Dezember 2007 ab. Diese hatte sich gegen das Unterlaufen der gewerkschaftlichen Lohnpolitik zur Wehr gesetzt. Im Fall Laval versuchte eine schwedische Gewerkschaft, mit Streiks und Baustellenblockaden einen lettischen Dienstleister zur Unterzeichnung einer in Schweden üblichen Tarifvereinbarung zu zwingen. Am 18. Dezember 2007 gab der EuGH den Letten recht, die sich auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 43 und Artikel 49 der Römischen Verträge beriefen.
Im Fall Rüffert verurteilte der EuGH am 3. April 2008 das Land Niedersachsen wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit, weil es gegenüber einem polnischen Unternehmen auf der Einhaltung der im deutschen Baugewerbe-Tarifvertrag festgelegten Mindestlöhne bestanden hatte. Das Unternehmen hatte nur halb so hohe Löhne gezahlt. Aus Sicht des EuGH geht die gesetzliche Regelung zu weit. Die Entsenderichtlinie 96/71/EG lege lediglich ein Minimum an Arbeitnehmerschutzvorschriften fest, die die Mitgliedstaaten einhalten müssten, um den freien Wettbewerb nicht zu gefährden.
Im Verfahren der EU-Kommission gegen das Großherzogtum Luxemburg gab der Europäische Gerichtshof am 19. Juni 2008 der Kommission recht. Diese warf Luxemburg vor, die Entsenderichtlinie zu restriktiv in nationales Recht umgesetzt zu haben, und rief als Hüterin der europäischen Verträge den EuGH an. Die Richter bezeichneten in ihrem Urteil die in Luxemburg von ausländischen Unternehmen geforderte zusätzliche Verpflichtung zum Schutz der Arbeitnehmer als „überflüssig“. Unter anderem ging es dabei um die automatische Anpassung der Löhne an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten und um Kontrollmodalitäten bei der Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften.
Die Luxemburger Richter bezeichneten mehrfach die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit als „Grundfreiheiten“ im Sinne der Römischen Verträge. Damit legten sie eine eindeutige Hierarchie der Rechte zugunsten der Unternehmen und zulasten der sozialen Normen fest. Zwar räumt der EuGH gewerkschaftlichen Aktionen den Rang eines „Grundrechts“ ein, was in der sozialen Wüste Europa einen Fortschritt bedeutet. Gleichzeitig höhlt er dieses Recht jedoch aus, indem er es an die Verpflichtung koppelt, nicht gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 des Vertrags von Rom) und die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49) für Unternehmen zu verstoßen.
Insgesamt besagen die wortreichen Ausführungen der Luxemburger Richter: Das Festhalten an Mindestlöhnen ist unvereinbar mit dem EU-Recht, sobald es dazu führt, dass die Bedingungen für Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat „unattraktiv oder gar schwieriger“ werden. Die Tarifvorschriften könnten übermäßige „rechtliche Unsicherheiten“ bewirken (so im Laval-Urteil). Den Streik der finnischen Beschäftigten, die sich dagegen wehrten, unter estnischer Flagge und damit zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten, erklärten die Richtern im Viking-Urteil für „unverhältnismäßig“.2 A.-C. R.
Fußnoten: