Sieg ist keine Lösung
In Sri Lanka haben sich die letzten Tamil Tigers hinter der Zivilbevölkerung verschanzt von Eric Paul Meyer
Seit Mitte Februar 2009 besteht das von der Separatistenbewegung LTTE (Befreiungstiger von Tamil Eelam) besetzte Gebiet nur noch aus einer Enklave an der Küste Sri Lankas. Auf 150 Quadratkilometern rund um den kleinen Ort Puthukkudiyiruppu drängen sich 100 000 Menschen, zumindest laut Schätzung der Regierung. Das Rote Kreuz hingegen glaubt, dass sogar 250 000 Menschen eingeschlossen sind.
Vom 1. Januar bis zum 5. Februar haben die Tamil Tigers ihre wichtigsten Stützpunkte im Nordosten Sri Lankas verloren: Kilinochchi, den Sitz ihrer Separatistenregierung, Elephant Pass, den strategischen Ort am Zugang zur Halbinsel Jaffna, die Hafenstädte Mullaitivu und Chalai, wo Versorgungsschiffe mit Nachschub ankamen und die bewaffneten Schnellboote der LTTE stationiert waren, die Rollbahnen im Dschungel, die für den Ausbau ihrer Luftwaffe vorgesehen waren, und die Bunker, in denen ihr Führer Vellupillai Prabhakaran die militärischen Operationen plante und lenkte. Ende Februar wurde bereits am Ortsrand von Puthukkudiyiruppu gekämpft, und die LTTE kontrollierte nur noch 60 Quadratkilometer.
Wie konnte es den Streitkräften Sri Lankas in so kurzer Zeit gelingen, diese Bastionen der Tamil Tigers einzunehmen? Die LTTE gilt schließlich als eine der bestorganisierten Rebellenbewegungen der Welt und hatte die Armee mehr als ein Vierteljahrhundert lang in Schach gehalten. Die Gründe sind zahlreich, und die meisten gehen auf die Jahre 2004 und 2005 zurück.
Ein wichtiger Faktor war, dass Vinayagamurthi Muralitharan („Leutnant Karuna“), der Militärchef der Tamil Tigers in der Ostprovinz, sich 2004 von der Organisation lossagte. Dann wurde am 17. November 2005 Mahinda Rajapaksa zum Staatspräsidenten gewählt, nicht zuletzt weil die Tamilen auf Weisung der LTTE der Abstimmung ferngeblieben waren. Auch die Folgen des Tsunamis vom Dezember 2004 spielten eine Rolle.1 Ohne ihren „Chefideologen“ Anton Balasingham, der im Dezember 2006 in London verstorben war, wussten die Strategen der LTTE offenbar die Folgen dieser Veränderungen nicht recht einzuschätzen. Sie brachen das Waffenstillstandsabkommen von 20022 und setzten auf eine neue militärische Konfrontation – aus der sie nun als Verlierer hervorgehen.
Seit 2004, als der abtrünnige Militärchef Karuna keine Rekruten mehr in die vom langjährigen Führer Prabhakaran kontrollierten Hochburgen im Norden schickte, konnten die Tamil Tigers die Zahl ihrer Kämpfer nicht erhöhen. Außerdem gehen nach wie vor viele junge Tamilen – Männer wie Frauen – ins Ausland, obwohl die LTTE einigen Druck ausübt, um sie davon abzuhalten.
Während die Stärke der Tamil Tigers bei 10 000 bis 15 000 Kämpfern stagnierte, erweiterte die Armee ihre Kampfeinheiten von 100 000 auf 160 000 Mann – die zunehmende Überlegenheit ermöglichte ihr, zwischen 2006 und 2008 immer mehr Gebiete zurückzuerobern.
Außerdem hat Colombo inzwischen für eine bessere Ausbildung, Bewaffnung und Führung seiner Militäreinheiten gesorgt. Erfolgreich war auch die neue Strategie, die Küstengebiete zu kontrollieren, um der LTTE die Nachschubwege abzuschneiden: 2008 wurden sieben Schiffe aufgebracht, die Waffen geladen hatten, und es gelang, die Stützpunkte der Tamil Tigers an der Ostküste zu zerstören. Ihr Vorhaben, eine Luftwaffe für Angriffe und Logistik aufzubauen, konnte die LTTE nicht mehr verwirklichen.
Die Machthaber in Colombo knüpften bessere Kontakte zum Militär, nachdem der Bruder des Präsidenten, der pensionierte Berufssoldat Gotabhaya Rajapakse, aus den USA zurückgekehrt und Verteidigungsminister geworden war. Im Übrigen hatten der Überläufer Karuna und seine Gefolgsleute präzise Informationen über Standorte und Zusammensetzung der LTTE-Truppen geliefert, was für den militärischen Geheimdienst natürlich sehr wertvoll war. Colombo erhielt auch verdeckte Unterstützung durch den indischen Geheimdienst, vor allem Informationen über Schiffe. Indien schickte außerdem Ausbilder für Piloten und Radarspezialisten. Moderne Militärtechnologie kam aus Israel und den USA.
Der veränderten militärischen Lage entsprach ein politischer Wandel: Präsident Rajapakse war es dank geschickter Propaganda gelungen, die Unterstützung der Singhalesen für eine kompromisslose militärische Lösung zu gewinnen. Während die ultralinken Nationalisten der singhalesischen Volksbefreiungsfront Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) die Regierung unterstützten, blieb die Opposition stumm. Darüber hinaus hat die Regierung im Umgang mit den LTTE-Dissidenten einiges Geschick bewiesen und dafür gesorgt, dass Karuna3 und andere ehemalige militante Kämpfer heute als Autoritätsfiguren gelten und auf lokaler Ebene sogar als politische Repräsentanten auftreten.
Ein wichtiger Schritt auf internationaler Ebene war die Entscheidung der Europäischen Union vom Mai 2006, die LTTE zur terroristischen Organisation zu erklären. Darauf folgte der Abzug der skandinavischen Waffenstillstandsbeobachter, die von den Tamil Tigers nicht mehr geduldet wurden. Zugleich trafen alle westlichen Staaten, die den Waffenstillstand unterstützt hatten, Maßnahmen gegen die internationalen Aktivitäten der Tamil Tigers (Waffenschmuggel, Beschaffung und Transfer von Geldern der Exiltamilen).
Hinzu kam, dass die Regierungen des südindischen Teilstaats Tamil Nadu schon seit langem den Separatisten die Unterstützung entzogen. So schützte sie niemand mehr vor der feindseligen Haltung der Bundesregierung in Neu-Delhi, die seit 2004 von der Kongresspartei geführt wird. Anders als während des Waffenstillstands konnten die Tamil Tigers nun nicht mehr als diejenigen auftreten, die sich für die Belange der Tamilen starkmachen.
Die Tamilen im Ausland gewährten der LTTE dagegen weiterhin politische und finanzielle Unterstützung. Nach der Tsunami-Katastrophe von 2004 gelang es der (von der LTTE kontrollierten) Tamilischen Wiederaufbauorganisation (ORT), große Summen aus dem Spendenaufkommen zu vereinnahmen. Die Länder, in denen die meisten Exiltamilen leben (Kanada, Großbritannien und Frankreich), konnten diesen Missbrauch nicht verhindern, auch weil die Separatisten dort längst über Einfluss auf lokaler Ebene verfügen – etwa in Gemeinderäten, Kulturverbänden, Sportvereinen und so weiter.
Aktuell sind auf Sri Lanka bis zu 250 000 Menschen in der schrumpfenden „Enklave“ um Puthukkudiyiruppu eingekesselt. Wie ernst die humanitäre Lage dort ist, hat Human Rights Watch bereits in zwei Berichten im Dezember 2008 und einem dritten im Februar 2009 deutlich gemacht.4
Die Separatisten behandeln dort die Bevölkerung wie Geiseln. Sie benutzen sie als menschliche Schutzschilde, hindern sie daran, das Gebiet zu verlassen, und versuchen, Kämpfer und Arbeitskräfte zu rekrutieren. Dabei treten männliche und weibliche Kämpfer in Zivilkleidung auf, damit sie von Gegnern nicht erkannt werden. Die Regierung reagiert mit verstärkten Luftangriffen und Artilleriebeschuss. Wer sich aus der Enklave retten kann, wird in Lagern festgehalten und verhört – man fürchtet offenbar, dass sich LTTE-Leute unter die Flüchtlinge mischen. Viele müssen sich gegen falsche Beschuldigungen zur Wehr setzen oder sogar Folter erdulden – eine Aufforderung zur Versöhnung sieht anders aus.
Die meisten Menschen, die jetzt unter schwierigsten Bedingen (am Ende der Regenzeit) in der Enklave leben, sind Überlebende des Tsunamis von 2004, der dieses Gebiet besonders hart getroffen hatte. Hinzu kommen Binnenvertriebene, die sich den Tamil Tigers schon 1995 mehr oder weniger freiwillig angeschlossen hatten, als diese die Halbinsel Jaffna räumten, sowie jene, die 2008 dazukamen, als sich die Tamil Tigers aus der Region um Puthukkudiyiruppu zurückzogen. Diese Menschen leben in Hüttensiedlungen, die erst in den letzten Jahren aufgebaut worden sind. Die Regierungskräfte halten sie offenbar trotzdem für Sympathisanten der LTTE. Nach Angaben der Armee wurde inzwischen eine Schutzzone eingerichtet, aber die Zivilbevölkerung gerät weiterhin unter Beschuss, sogar Krankenhäuser wurden getroffen. Das Internationale Rote Kreuz beklagt, dass die Evakuierung von Verwundeten auf dem Seeweg sehr schwierig sei und auch die Konvois auf dem Landweg die Frontlinien nicht überqueren dürften.
Sri Lankas Zukunft hängt unter anderem davon ab, wie dieser Konflikt beigelegt wird. Die Staaten, die den Waffenstillstand garantiert und politisch wie finanziell unterstützt haben5 , fordern die Konfliktparteien auf, Zivilisten zu verschonen. Den Aufruf, die Waffen niederzulegen, hat die LTTE abgelehnt. Die Regierung Sri Lankas verlangt von ihnen die bedingungslose Kapitulation.
Die Tamil Tigers – vermutlich etwa 10 000 Männer und Frauen, die sich unter die Zivilbevölkerung mischen – bereiten sich auf einen gnadenlosen Kampf vor, oder darauf, wieder in den Untergrund zu gehen. So muss man befürchten, dass eine blutige Schlacht um die Enklave bevorsteht, dass die Armee mit grausamen Übergriffen den Graben zwischen der tamilischen Minderheit und den singhalesischen Machthabern vertieft. Dies würde zweifellos die Tamilen in Indien und im Ausland radikalisieren und überdies das internationale Ansehen Sri Lankas beschädigen. Seit die Presse und internationale Beobachter keinen Zugang zu dieser Region mehr haben, muss man das Schlimmste befürchten. Im Mai finden in Indien Parlamentswahlen statt – die politische Führung und die Wähler in Tamil Nadu könnten die Gelegenheit nutzen, ihre Solidarität mit den Tamilen auf Sri Lanka zu bekunden und Druck auf die Regierung in Neu-Delhi auszuüben.
Nach einem Sieg über die LTTE wird die Regierung einen Weg zum Frieden finden müssen. Viele Verhandlungspartner bleiben ihr nicht: Die Tamil Tigers haben die meisten unabhängigen Stimmen durch Mordanschläge zum Schweigen gebracht. Geblieben ist Veerasinghham Anandasangaree, der Vorsitzende der Tamil United Liberation Front, der 2006 für seine Verdienste um Toleranz und Gewaltlosigkeit mit dem Unesco-Preis ausgezeichnet wurde. Andere Politiker wie Karuna haben sich in den Augen vieler Tamilen diskreditiert, seit sie mit der Armee und der Regierung zusammenarbeiten. Und die Parlamentsabgeordneten der Tamil National Alliance haben sich schon zu oft hinter die LTTE gestellt, um jetzt einfach von ihrer Position abrücken zu können.
Der endgültige militärische Sieg würde auch den singhalesischen Ultranationalisten Auftrieb geben, die dann erst recht nicht mehr zu politischen Zugeständnissen bereit wären. Ob Präsident Rajapakse unter solchem Druck seine ohnehin wenig konkreten Versprechen einhalten wird, bleibt fraglich.
Immer noch verüben bewaffnete Gruppen, die von der Staatsführung toleriert, wenn nicht gar unterstützt werden, schwere Menschenrechtsverletzungen. Viele fühlen sich heute an die schlimmen Jahre von 1983 bis 1994 erinnert.6 Anfang Januar 2009, kurz nach den ersten militärischen Erfolgen der Armee, wurden die Studios des größten privaten Fernsehsenders (Sirasa TV) überfallen und verwüstet; und der Journalist Lasantha Wickramatunge, der den Brüdern Rajapakse Korruption und Machtmissbrauch vorgeworfen hatte, wurde auf offener Straße ermordet.
Unter Präsidentin Chandrika Kumaratunga (1994 bis 2005) hatte man eine Föderation erwogen, in der die Minderheiten im Norden und Osten Sri Lankas zu ihrem Recht kommen sollten. Aber ist eine solche Lösung heute noch denkbar? Die Forderung nach einem selbstständigen „Eelam“ (Land) für die tamilische Bevölkerung im Norden und Osten Sri Lankas wird kaum Gehör finden, allenfalls könnte es eine Autonomieregelung für die (überwiegend tamilische) Nordprovinz und die (von Muslimen, christlichen und hinduistischen Tamilen und buddhistischen Singhalesen bewohnte) Ostprovinz geben, die den Vertretern dieser Regionen Sonderstimmrechte in Bundesinstitutionen zubilligen und einen gewissen Minderheitenschutz gewährleisten würde. Jede Neuregelung könnte jedoch in Widerspruch mit dem Machtanspruch des gegenwärtigen autoritären Präsidialregimes geraten.
Sollte es nicht zu einer politischen Lösung kommen, ist auch ein Wiedererstarken der Separatisten nicht auszuschließen. Solange die tamilische Guerilla von Vellupillai Prabhakaran geführt wird, kann sie ihre Aktivitäten jederzeit wieder aufnehmen. Selbst ohne ihren Chef wären die Tamil Tigers nicht völlig machtlos. Am 30. Januar 2009 ernannte die LTTE Selvarajah Pathmanathan („KP“) zu ihrem Auslandschef – den Mann, der ihr über Jahre die finanzielle Schlagkraft gesichert hat.
Werdegang eines kriminellen Kämpfers
Pathmanathan, Jahrgang 1955, stammt aus dem Norden der Halbinsel Jaffna. Er wuchs in einer Familie mit langer Kampftradition auf. Den Tamil Tigers trat er erst Anfang 1980 bei, in Madras, wo er für die Organisation Waffengeschäfte mit der indischen Mafia machte. Nach der großen Auswanderungswelle der Tamilen, die durch die Unruhen von 1983 ausgelöst wurde, weitete er seine Aktivitäten auf alle Länder aus, in denen Exiltamilen lebten: Er gründete Organisationen, baute ein Netz zur Schutzgelderpressung auf, sorgte für den Nachschub an Waffen und Munition und knüpfte dabei Kontakte zu den großen internationalen Waffenschmugglern, vor allem in der Ukraine und in Kambodscha. Er legte sich verschiedene Decknamen zu, wurde mehrmals festgenommen und wieder freigelassen – zuletzt in Thailand (im September 2007), wo er sich immer noch häufig aufhält. Erst nach dem Tod der beiden politischen Führungsfiguren Anton Balasingham (1938 bis 2006) und Suppayya Paramu Tamilsevam (1967 bis 2007) rückte er in den Führungskreis der LTTE auf.
Für die Regierung stellt sich auch die Frage, was aus den etwa 200 000 jungen Soldaten und Reservisten werden soll, die in den vergangenen Jahren für die Armee angeworben wurden. Wenn sie das Militär verlassen, werden sie vermutlich das Heer der Arbeitslosen vergrößern, das die vom langen Bürgerkrieg und der Weltwirtschaftskrise geschwächte Nationalökonomie belastet. Oder sie tragen dazu bei, dass die bereits bestehende Tendenz zur Bildung bewaffneter mafiöser Banden sich noch verstärkt.
Die Regierung in Sri Lanka könnte diese jungen Arbeitskräfte allerdings auch beim Wiederaufbau in den vom Bürgerkrieg verwüsteten Regionen einsetzen. Aber solche Vorhaben sind nur denkbar, wenn ein Prozess der Versöhnung innerhalb der Gesellschaft eingeleitet wird. Es fällt schwer, darauf zu hoffen, dass sich die Bevölkerungsmehrheit nach der Erfahrung eines Konflikts, der Angst und Unsicherheit erzeugt hat, auf ihren buddhistischen Glauben besinnt. Dass sie nicht länger den Parolen einer kleinen Schar fundamentalistischer Mönche folgt, sondern die Lehren Buddhas beherzigt: Anteilnahme, Toleranz und Verständnis.
Außerdem bleibt offen, ob die in Sri Lanka und die im Exil lebenden Ta-milen endlich begreifen, dass sie von einer Organisation nichts mehr zu erwarten haben, die ihnen immer nur Opfer abverlangt und wenig Achtung für das Leben und die Zukunft aufgebracht hat.