10.09.2004

Drei Rivalen und eine Schutzmacht

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Drei Rivalen und eine Schutzmacht

AM 30. Juli wurde nach anderthalb Jahren ein neuer Friedensvertrag (Accra III) zwischen den Rebellen im Norden des Landes und der Regierung im Süden unterzeichnet. Dieses Gipfeltreffen kam nur zustande, weil sich Präsident Laurent Gbagbo dem internationalen Druck nicht mehr entziehen konnte. Sanktionen wurden bereits angedroht, und die Weltbank hat ihre Finanzhilfe schon eingestellt. Mitte Oktober soll die Entwaffnung der Rebellen beginnen – aber auch die Regierung hat in Accra ein großes Versprechen einzulösen: die Rückkehr zum gemeinsamen Regieren.

Von COLETTE BRAECKMAN *

Zwei Jahre nach dem Beginn der Rebellion muslimischer Militärs im Norden des Landes sind die Menschen in der Elfenbeinküste erschöpft. Auch wenn sich die „Jungen Patrioten“, die Anhänger des Präsidenten Laurent Gbagbo, in den Straßen von Abidjan die Köpfe heiß reden und den Franzosen und überhaupt allen Weißen die Schuld an der desolaten Lage des Landes zuschieben, halten sich die einfachen Leute vorsichtig zurück, seufzen nur und versichern, nicht ganz zu Unrecht: „Diese Leute sind bezahlte Demonstranten.“

Die Lebendigkeit der Wirtschaftsmetropole Abidjan – die manche für ein afrikanisches Manhattan halten – täuscht vielleicht noch über den wahren Zustand des Landes hinweg. Doch auf dem Weg in den Norden wird der Stillstand des Landes unübersehbar. Die Lastwagenkonvois, die im Transithafen von Abidjan starten und in die Nachbarländer Mali und Burkina Faso wollen, werden immer wieder gestoppt. An jeder Straßensperre sind 1 000 CFA-Francs pro Lkw zu entrichten, eineinhalb Euro oder knapp ein Tageslohn. Manchmal erpressen marodierende Bewaffnete auch noch zusätzliches Wegegeld. Dabei befinden wir uns noch im südlichen Landesteil, der von Regierungstruppen kontrolliert wird.

Die Waffenstillstandslinie heißt zone de confiance, „Zone des Vertrauens“. Hier patrouillieren die französischen Soldaten der „Operation Einhorn“, die den Vormarsch der Aufständischen nach Abidjan verhinderten. Direkt dahinter beginnt das Weichbild von Bouaké, der zweitgrößten Stadt der Elfenbeinküste. Hier sind erstmals die Ex-Rebellen zu sehen, die heutigen „Forces nouvelles“1 (Neue Kräfte), die das Gebiet besetzt halten. Sehr junge Männer in verwaschenen T-Shirts und mit Munitionsgürteln über der Schulter halten Wache vor Straßensperren, an denen Maskottchen baumeln. Hier wird noch eifriger durchsucht als auf der Regierungsseite im Süden, und die Abgaben sind deutlich höher. Das ist kaum verwunderlich: Die Truppe muss sich ihren Lebensunterhalt von den Einwohnern und den Reisenden erpressen. Die Offiziere sind höflich, aber die einfachen Kämpfer mit ihren dunklen Sonnenbrillen und Amuletten erinnern an die Banden in Liberia oder Sierra Leone.

In Bouaké sind die Kanalisation, die Wasserleitungen und die Stromnetze dem langsamen Verfall überlassen. Niemand repariert die Straßen, nachts knallen Schüsse. Dennoch herrscht reger Verkehr. Denn die Staatsangestellten, darunter auch die Lehrer, die in den besetzten Gebieten geblieben sind, müssen nach Abidjan oder Yamoussoukro fahren, um sich ihr Gehalt, persönlich bei der Zentralregierung abzuholen. Die Fahrt durch Bouaké ist jedes Mal ein gefährliches und kostspieliges Unterfangen.

Wie groß die Enttäuschung unter den Leuten ist, die in dem von den Forces nouvelles kontrollierten Teil des Landes leben, zeigt sich bei einem spontanen Halt in einem kleinen Dorf. Marabadiassa ist ein Ort, an dem nur Malinké leben. Er liegt mitten in einem Siedlungsgebiet der Baoulé, zu denen auch Félix Houphouët-Boigny gehörte, der erste Präsident der Elfenbeinküste. Die Malinké, die mehrheitlich vom Baumwollanbau leben, fühlten sich zunächst mit ihren aufständischen Landsleuten aus dem „hohen Norden“ solidarisch. Der Politiker Alassane Dramane Ouattara, genannt ADO, galt bei ihnen lange Zeit als Held. Sie waren wütend, als Ouattara im Oktober 2000 vom Obersten Gericht das Recht verwehrt wurde, für das Präsidentenamt zu kandidieren – weil angeblich seine Staatsangehörigkeit unklar war. Und sie empörten sich darüber, dass Landsleute aus dem Norden von Polizisten und Angehörigen der Gendarmerie in Abidjan misshandelt und wie Arbeitsmigranten aus Burkina Faso oder Mali behandelt wurden.

Tatsächlich kommt fast ein Drittel der Bevölkerung der Elfenbeinküste aus dem westafrikanischen Ausland, aus Burkina Faso, Mali und Ghana. Als Arbeiter auf den Kaffee- und Kakaoplantagen haben sie maßgeblich zu der Entwicklung und dem Wohlstand des Landes in den goldenen 70er-Jahren beigetragen. Houphouët-Boigny hatte die Arbeitsmigranten ins Land geholt und danach seine schützende Hand über sie gehalten. Er verteilte so großzügig Personalausweise, dass Laurent Gbagbo, damals der wichtigste Vertreter der Opposition, von „Stimmvieh“ sprach.

Doch als die Ressourcen allmählich knapper wurden, waren die Migranten irgendwann nicht mehr willkommen. Andererseits kehrten die durch Reformen arbeitslos gewordenen Staatsbediensteten in ihre Dörfer zurück und mussten feststellen, dass der Boden ihrer Vorfahren nun von Fremden bebaut wurde, die sich als seine rechtmäßige Eigentümer empfanden, weil sie das Land gekauft und urbar gemacht hatten.

Die Menschen von Marabadiassa wandten sich von der Regierung ab, als Fotos von dem Blutbad in Yopougon im Dorf herumgereicht wurden. Wie es heißt, war dies die Rache einer dem Staatschef ergebene Gendarmerieeinheit für den Tod eines ihrer Mitglieder. Yopougon ist ein von einfachen Leuten bewohntes Stadtviertel von Abidjan, dem Massaker fielen mindestens 57 Menschen zum Opfer,2 die alle Ouattaras Partei RDR nahe standen. Ibrahima, der Direktor der Baumwollproduktionsgenossenschaft, erinnert sich, wie er die Rebellen gegen die Zentralgewalt unterstützte: „Ich habe die Miete für die Mehrzweckhalle bezahlt, in der damals der MPCI3 seine erste Versammlung abgehalten hat.“ Ein Mann mittleren Alters, der sich Bébé nennt, erzählt, dass er sich aus Protest dem Vormarsch der Rebellen angeschlossen habe: „Ich wollte gegen die Fremdenfeindlichkeit und gegen die Ungleichbehandlung der Leute aus dem Norden kämpfen.“

Doch heute hört man nur bittere Kommentare über die Aufständischen und ihr Anliegen. „Bébé“ ist ins Dorf zurückgekehrt, aber er hat nur eine Anstellung als Wächter gefunden. „Ich bin übers Ohr gehauen worden“, erklärt er seinen Nachbarn, die sich über ihn lustig machen. „Wir haben gekämpft, während die aus Mali und Burkina, die in unseren Augen nur verbündete Söldner waren, unsere Häuser plünderten und die Beute in ihre Heimat abschleppten.“ Auch die Mitglieder der Baumwollgenossenschaft sind unzufrieden: „Die Ernte 2003 war schlecht, weil die Rebellen unseren ganzen Dünger und unsere Pestizide geplündert und auf den Märkten in Burkina Faso verkauft haben. Auch vom Geld für die Ernte des vergangenen Jahres haben wir noch nichts gesehen. Es muss irgendwo zwischen Bouaké und Abidjan hängen geblieben sein.“

Die politischen Führer der Forces nouvelles behaupten zwar, die Hälfte des Landes unter Kontrolle zu haben, wobei sie immer wieder mit einer Abspaltung drohen. Doch in den nördlichen Provinzen scheint das Leben seit zwei Jahren stillzustehen. Öffentliche Dienstleistungen gibt es nicht mehr. Viele Lehrer, die nach Abidjan geflohen waren, sind nicht zurückgekehrt. Der einzige Arzt in Marabadiassa ist ein Pensionär, der ursprünglich aus dem Dorf stammt und nur zurückgekommen ist, um den Menschen unentgeltlich Hilfe zu leisten. Er ist darauf angewiesen, dass sich Reisende finden, die ihm Medikamente aus der Stadt mitbringen.

In der Bevölkerung ist Präsident Gbagbo zwar nicht gerade beliebt, doch die Führer der Forces nouvelles sieht man als regelrechte Abenteurer: „Sie haben versprochen, gegen Fremdenfeindlichkeit und Ungleichbehandlung zu kämpfen. Aber jetzt wissen wir, dass sie nur für sich selbst kämpfen“, erklärt der alte Suleiman Touré, der nicht mehr an den Versammlungen teilnehmen will und voll Empörung auf die großen schwarzen Limousinen schaut, in denen sich die Führer herumkutschieren lassen. Nur ein einziger Mann, dessen vergilbtes Porträt in allen Häusern hängt, findet einhellige Zustimmung: Félix Houphouët-Boigny.

Als der Präsident im Dezember 1993 starb, trauerte die ganze Elfenbeinküste nicht nur um den Begründer ihrer Unabhängigkeit von 1960, sondern auch um einen Landesvater, der sich nach dem Vorbild des Papstes gern als Primus inter Pares aufführte. So ist auch die Basilika Notre-Dame de la Paix eine Kopie des Petersdoms in Rom. Diesen gigantischen Kirchenkomplex ließ sich der erste Präsident des Landes in seinem 81. Lebensjahr in seinem Geburtsort Yamoussoukro erbauen, den er kurz zuvor auch zur Hauptstadt erklärt hatte.

Beim Tod von Houphouët-Boigny wussten alle, dass eine Epoche zu Ende ging, eine Entwicklungsperiode, die man lange wie ein „Wunder“ empfunden hatte. Die Wirtschaft der Elfenbeinküste basierte auf so engen, ja symbiotischen Beziehungen zu Frankreich – der Präsident war einst Minister in der französischen Regierung gewesen –, dass man den Eindruck gewinnen konnte, die Entkolonisierung habe gar nicht stattgefunden. Vor allem aber markierte der Tod des „Vaters der Nation“ den Beginn des Kriegs um die Nachfolge, eines Kriegs der Anführer, der ethnische Empfindlichkeiten berührte und in den Nachbarländern Unruhe auslöste, da die Elfenbeinküste bis dahin als „Insel der Stabilität“ in Westafrika gegolten hatte.

Ein Papst ohne legitimen Nachfolger

DREI Männer aus drei verschiedenen Regionen des Landes symbolisieren diesen Kampf. Da ist zunächst Houphouëts Kronprinz Konan Bedié, ein Baoulé wie sein Mentor, im Landesinnern aufgewachsen und gestützt von der Parti démocratique de Côte d’Ivoire (PDCI).

Da ist zweitens Alassane Ouattara, der liberale Technokrat aus dem Norden. Er stand den internationalen Finanzinstitutionen nahe. Jahrelang arbeitete er als Afrikaexperte für den Internationalen Währungsfonds. 1990 rief ihn Houphouët als wirtschaftlichen Sonderberater ins Land. Als die Schlacht um den Kakao verloren war – die Elfenbeinküste, die 43 Prozent des Weltbedarfs an Kakao produziert, hatte vergeblich versucht, die Weltmarktpreise durch das Horten ihrer Ernte wieder in die Höhe zu treiben –, setzte Ouattara eine rigide Sparpolitik durch. So ließ er etwa eine Beamtenzählung durchführen, um aus den 100 000 Personen auf der staatlichen Gehaltsliste die Phantomnamen herauszufiltern. Auf ihn geht auch eine Meldepflicht für Ausländer zurück, um die schwarze Privatwirtschaft unter Kontrolle zu bekommen. Schließlich ernannte Houphouët ihn zum Ministerpräsidenten, der er bis zum Tod des Präsidenten blieb.

Von 1994 bis 1999 war er stellvertretender geschäftsführender Direktor des IWF und kehrte dann wieder in die ivoirische Politik zurück. Der Gründer des Rassemblement démocratique républicain (RDR) hat immer noch Kontakte zu mächtigen internationalen Netzwerken und zu einflussreichen französischen Freunden, etwa dem französischen Wirtschaftsminister Nicolas Sarkozy und dem Vizechef der Sozialistischen Partei, Laurent Fabius. Dritter im Bunde ist Laurent Gbagbo. Der in armen Verhältnissen aufgewachsene studierte Historiker, der zur Volksgruppe der Bété im Westen des Landes gehört, rühmt sich gern, dass er seit dreißig Jahren in der Opposition aktiv ist. Politisch hat er enge Verbindungen zu der Sozialistischen Internationale, dem seine Partei, der Front Populaire Ivoirien (FPI), angehört.

Das Verhältnis zwischen diesen drei Männern ist durch ehrgeizige Konkurrenz, persönliche Bitterkeit und Zweckbündnisse geprägt. Gbagbo hat nicht vergessen, dass Outtara ihn mit 300 anderen Oppositionellen im Februar 1992 nach einer Demonstration verhaften ließ. Doch er verbündete sich mit ihm gegen Bédié, als dieser Ouattara von der Präsidentschaftswahl im Herbst 2000 auszuschließen versuchte, weil Ouattara zu Beginn seiner Karriere noch einen burkinischen Pass besaß. Bédiés Regierungspartei PDCI entwickelt das Konzept der Ivoirité: Die Elfenbeinküste den (einheimischen) Bürgern der Elfenbeinküste! Allerdings: Unter Bédié bedeutete Ivorisierung, dass die Angehörigen der Baoulé bevorzugt werden.

Auch wenn Gbagbo das fremdenfeindliche Konzept der Ivoirité nicht explizit gutheißt, wird es doch von der Basis seines FPI weitgehend akzeptiert, der ansonsten nur gelegentlich mit Bédiés PDCI gemeinsame Sache macht. Am 24. Dezember 1999 fanden diese politischen Spielchen jedoch ein jähes Ende. Ein Tabu wurde gebrochen: Armeechef General Robert Guéi putscht sich am Heiligabend an die Macht. Zehn Monate später zwang man diesen „Weihnachtsmann in Uniform“, demokratische Wahlen auszurichten, und da er Geschmack an der Politik gefunden hatte, bemüht er sich, die Wahl auch zu gewinnen. Dafür hatte er entsprechende Vorkehrungen getroffen: Der Oberste Gerichtshof verwarf die Kandidatur zweier gewichtiger Bewerber: die von Konan Bédié wegen Korruption4 und die von Outtara wegen der ungeklärten Staatsangehörigkeit. So blieb nur Gbagbo im Rennen, der am 22. Oktober 2000 über General Robert Guéi siegte.

Als der General sich weigerte, die Macht zu übergeben, setzte Gbagbo eine Waffe ein, die bald sein bestes Machtmittel wurde: Die Studenten und Anhänger des FPI demonstrierten in Massen, sodass Guéi schließlich der Macht der Straße nachgeben musste. Obgleich Gbagbo selbst die Wahlumstände als „katastrophal“ bezeichnete, nahm er die Wahl zum Präsidenten an. Er beharrte darauf, rechtmäßig gewählt worden zu sein, und lehnte es kategorisch ab, die Wahl unter Einschluss seiner abgewiesenen Konkurrenten zu wiederholen. Trotz des Schocks, den das Massaker von Yopougon auslöste, ließ sich Gbagbo vereidigen und tat sein Programm kund: Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung, Sorge für ein Recht auf Wohnung und Schulausbildung für alle.

Frankreich droht der Verlust eines Reviers

DAMIT das Land politisch zur Ruhe kam, ließ der neue Präsident seinem Widersacher Ouattara einen ivorischen Pass ausstellen und initiierte ein Forum für nationale Versöhnung, dessen Empfehlungen auszuführen er sich jedoch weigerte. Bei den Kommunalwahlen 2001 gewann schließlich Outtaras RDR. Die wirtschaftlichen Aussichten wurden von der Weltbank als gut eingeschätzt, die neue Kredite in Aussicht stellte. Das Land schien sich zu erholen. In dieser Situation beschloss Gbagbo, einen Schritt weiter zu gehen und den Binnenmarkt zu öffnen, da er meinte, sein Land dürfe nicht das exklusive wirtschaftliche Revier Frankreichs bleiben.

Derartige Vorhaben sorgen in Paris für Unruhe. In der Elfenbeinküste repräsentieren französische Interessen ein Drittel der ausländischen Investitionen und 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In jedem Ministerium wacht ein französischer Berater über die Einhaltung französischer Interessen, und die Großunternehmen vom Baukonzern Bouygues über den Mischkonzern Bolloré und den Stromerzeuger EDF bis hin zum Wasserversorger Saur sind es gewohnt, Aufträge zu erhalten, ohne sich gegen internationale Konkurrenz durchsetzen zu müssen. Der Bankensektor wiederum wird uneingeschränkt von der Société générale, von der BNP und der Crédit Lyonnais beherrscht.

Zu Houphouëts Zeiten erhielten die Kaffee- und Kakaoproduzenten Garantiepreise, die die Stabilisierungskasse (Caistab) auszahlte. Sie war auf allen Ebenen der Handelskette von der Ernte über den Ankauf bis zum Export präsent, und ihre Gewinne waren die „Milchkuh“ des Regimes. Sie dienten der Finanzierung von Entwicklungsprojekten und eröffneten dem „Alten“ auch den nötigen Handlungsspielraum, um seine Freundschaften im einstigen Mutterland zu festigen. Die Auflösung der Caistab und ihre Aufspaltung in drei Institutionen für Regulierung, Handelsorganisation und Finanzierung hat diesen „Rückfluss“ tatsächlich nie beeinträchtigt.

Präsident Gbagbo jedoch hält sich nicht mehr an die ungeschriebenen Regeln dieses Spiels. Er öffnet die Kakaowirtschaft für die US-Konzerne Cargill und ADM. Beim Bau der dritten Brücke in Abidjan sorgtr er für eine Konkurrenz zwischen französischen und den nur halb so teuren chinesischen Angeboten. Bouygues drohtr er mit dem Entzug der Konzessionen im Bereich der Wasser- und Stromversorgung. Doch diese Politik einer echten ökonomischen Entkolonisierung ließ außer Acht, dass die Gegenleistung für die finanziellen Vorteile des einstigen Mutterlandes die Sicherung der Stabilität darstellte: ein Verteidigungsabkommen zwischen Frankreich und Elfenbeinküste als Basis für die Stationierung des 43. Marineinfanterieregiments in Port-Bouët, das den Auftrag hat, das Land vor äußeren Bedrohungen zu schützen. Über Jahrzehnte gab dieses Abkommen dem Land die Möglichkeit, mehr Geld in seine Entwicklung zu investieren als in das Militär.

Deshalb kamen die ersten Erfolge der Rebellion am 20. September 2002 für alle Welt überraschend. In Abidjan spielte man den Staatsstreich herunter, doch Verteidigungsminister Emile Boga Doudou wurde ermordet, und General Guéis Leiche wurde nicht weit von seiner Wohnung aufgefunden. Im Norden kam die Rebellenbewegung MPCI rasch voran und bedrohte die Hauptstadt. Ihr Vormarsch kam erst auf der Höhe von Bouaké zum Stillstand, als Frankreich schließlich die „Operation Einhorn“ begann. Die erfolgte nach französischer Auffassung allerdings nicht im Rahmen des Verteidigungsabkommens, da dieser Vertrag nur im Fall einer äußeren Aggression in Kraft treten soll. 4 000 französische Soldaten wurden an die Front geschickt, die damit eingefroren wurde. Seither ist das Land zweigeteilt.

Diese Intervention verhinderte zwar, dass die Elfenbeinküste in einem Bürgerkrieg versinkt, wurde aber von den Kontrahenten heftig kritisiert. Die Forces nouvelles behaupteten, das Eingreifen der Franzosen habe sie gehindert, die Macht in Abidjan zu ergreifen. Und Gbagbos Regierung verzieh Frankreich nie, dass es die Regionalmacht Nigeria davon abhielt, ihr zu Hilfe zu kommen, und Angola daran hinderte, seine (aus Frankreich stammenden) Jagdflugzeuge in den Kampf zu schicken. Außerdem bezweifelte Gbagbo, dass die in der Region und vor allem in Burkina Faso allgegenwärtigen französischen Geheimdienste nichts davon gewusst haben, dass in den Vororten von Ouagadougou ivorische Militärs, die sich dort illegal aufhielten, eine Invasion der Elfenbeinküste vorbereiteten und Einwohner der Nordprovinzen, aber auch Kämpfer aus Burkina Faso und Mali rekrutierten.

Im Rückblick zeigt sich, dass die französische Position von Anfang an zwiespältig war. Frankreich wollte Präsident Gbagbo nicht nachhaltig unterstützen. Doch zugleich galt es, Rücksicht darauf zu nehmen, dass in der Elfenbeinküste 15 000 Bürger mit ivorischer und französischer Staatsangehörigkeit und weitere 20 000 französische Staatsbürger lebten. Heute sind es nur noch 8 000.

Nach mehreren gescheiterten afrikanischen Vermittlungsversuchen, in die sich unter anderen der togolesische Präsident Eyadéma eingeschaltet hatte, fand im Januar 2003 ein Gipfeltreffen in einer Turnhalle in Linas-Marcoussis bei Paris statt. Hier trafen hinter verschlossenen Türen alle Akteure der Krise zusammen. Unter dem Druck französischer Vermittler kam es zu einem Kompromiss: Gbagbo blieb Präsident, doch als Ministerpräsident wurde ihm der aus dem Norden stammende Seydou Diarra zur Seite gestellt, der Gbagbos einstige „Forum für nationale Versöhnung“ geleitet hatte und von allen Konfliktparteien als ein Mann des Dialogs akzeptiert wurde. Die Rebellen der Forces nouvelles traten in die Regierung ein, und auf einem Minigipfel, der zuletzt in Paris stattfand, erhielten sie mit Zustimmung des französischen Außenministers Dominique de Villepin die Ämter des Sicherheits- und des Verteidigungsministers.

Das Marcoussis-Verfahren, das bei vielen Ivorern auf Kritik stieß, ist keineswegs originell. Es war schon mehrfach und mit unterschiedlichem Erfolg in Zentralafrika angewandt worden. 2002 hatten die im südafrikanischen Sun City getroffenen Vereinbarungen die Grundlagen für die Beilegung des Konflikts in der Demokratischen Republik Kongo gelegt. Nach dem Vorbild des 1999 in Lusaka geschlossenen Waffenstillstands wurden darin alle Krieg führenden Parteien auf eine Ebene gestellt, sowohl die aus dem Ausland (Ruanda und Uganda) unterstützten Rebellen als auch die Vertreter der Zentralregierung. Und ein Vizepräsident, der aus einer mit Ruanda liierten Konfliktpartei kam, erhielt zugleich das Amt des Ministers für Verteidigung und Sicherheit.

Der Friedensvertrag von Linas-Marcoussis scheint auf den ersten Blick die Ivorer zu belohnen, die mit burkinischer und malischer Unterstützung zu den Waffen gegriffen hatten. Obgleich es sich um einen gefährlichen Präzedenzfall handelt, insofernsich potenzielle Rebellen ermutigt fühlen könnten, wurde das Abkommen von der internationalen Gemeinschaft gutgeheißen und als unvermeidbar dargestellt. Zwar schwächte es die Macht von Präsident Gbagbo, doch wurde hier immerhin auf grundlegende Probleme reagiert. So wurde das Staatsbürgerschaftsrecht und das Eigentumsrecht in ländlichen Gebieten neu geregelt. Außerdem sah das Abkommen die Entwaffnung der Rebellen vor.

Trotz „Marcoussis“ stehen sich aber in der Elfenbeinküste nun zwei Legitimitätskonzepte gegenüber. Auf der einen Seite das des Präsidenten, der auf die Verfassung verweist und erklärt, dass er seine Macht durch Wahlen erworben habe und daher vor Ablauf seiner Amtszeit im Oktober 2005 keine vorzeitigen Neuwahlen ansetzen werde. Auf der anderen Seite das Konzept der Kräfte, die sich auf das unter starkem französischem Druck abgeschlossene internationale Abkommen stützen, das sich im Lande selbst aber nur schwer umsetzen lässt.

Zwei Jahre nach dem Ende der Rebellion und anderthalb Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens muss man zugeben, dass es Präsident Gbagbo gegen alle Erwartungen gelungen ist, sich an der Macht zu halten und seine Position sogar wieder etwas zu verbessern. Doch um dies zu erreichen, nutzte er alle verfügbaren Mittel - auch solche, die im Grunde unverantwortlich sind. So mobilisiert der einstige Oppositionspolitiker die Straße und lässt seine Anhänger, die „Patrioten“, zu zahllosen Demonstrationen aufmarschieren. Und dabei tragen sie T-Shirts mit der Aufschrift: „Fremdenfeindlich, na und?“

Ständig gibt es Schlägereien und Tumulte auf den Straßen. Und aus dem Dunstkreis des Präsidenten und seiner Frau Simone tönen Schlachtrufe, die die Stimmung noch zusätzlich anheizen, wie von dem Führer der Jungen Patrioten, Charles Blé Goudé, auch „General der Jugend“ oder „die Machete“ genannt. Ihm werden mehr Gelder aus dem Präsidentenamt zugeschustert, als vielen Ministerien zur Verfügung stehen. Oder von Geneviève Bro Grébé, die die „patriotischen Frauen“ oder „eine Million Töchter für Gbagbo“ ins Feld führt. Deren Gefolgschaft radikalisiert sich seit Monaten, sie bedroht die Menschen aus dem Norden. Auch Ausländer und Gegner von Gbagbo werden angegriffen, Fahrzeuge der Vereinten Nationen angezündet. Und die als „Todesschwadronen“ berüchtigten Milizen können ungestraft Verbrechen begehen.5

Ein Klima des Hasses und der Fremdenfeindlichkeit ist entstanden, das auch verantwortlich zu machen ist für den Tod des Journalisten Jean Hélène von Radio France International, der am 21. Oktober 2003 vor einer Polizeiwache von einem Polizisten aus nächster Nähe durch einen gezielten Kopfschuss getötet wurde. Inzwischen haben alle großen Presseagenturen und mehrere internationale Organisationen wie die Afrikanische Entwicklungsbank und Unicef Abidjan verlassen.

Rohstoffe als Trumpf für die Zukunft

ANGESICHTS der Unruhe auf den Straßen greift der Staatschef zu der bekannten Taktik des „Ich oder das Chaos“ und präsentiert sich als der Einzige, der in der Lage sei, die Geister wieder in die Flasche zu bannen. Gbagbo setzt außerdem ganz einfach auf Zeit. Denn die Rebellen sind erschöpft, ihre Unterstützung schwindet, und zwischen ihren Führern kommt es zu Streitigkeiten. Außerdem spielt der Präsident mit der Karte „internationale Beziehungen“. Obwohl er im Kielwasser der französischen Sozialisten groß geworden ist, unter denen er auch seine besten Freunde hat, zögert er nicht, sich den Vereinigten Staaten anzunähern, die ihm unter dem Deckmantel der von Präsident Bush zur Aids-Bekämpfung bereitgestellten Mittel großzügig Hilfe leisten. Seine christliche Konfession und der Einfluss seines bevorzugten Predigers Pastor Koné verschafften ihm auch Zugang zu einflussreichen religiösen Milieus in den USA. Durch Vermittlung der Sahel-Sahara-Gemeinschaft (Communauté des Etats sahélo-saharien, Cen-Sad)6 konnte er sich außerdem mit Libyen versöhnen, das bislang Burkina Faso unterstützte.

In erste Linie jedoch setzt der Präsident und gewiefte Vollblutpolitiker Gbagbo auf seinen wichtigsten Trumpf, die Rohstoffe des Landes. Ihr Wert hat zwar abgenommen, sichert aber immer noch sein Überleben. Es ist allgemein bekannt, dass die Einkünfte aus dem Kaffee- und Kakaogeschäft in die Verstärkung der Armee und den Kauf von Waffen fließen. Bei seiner Recherche über diese Zusammenhänge wurde der frankokanadische Journalist Guy-André Kieffer am 16. April entführt und wahrscheinlich ermordet. Im Zentralgefängnis von Abidjan haben wir mit einem Gefangenen gesprochen, der früher zur Präsidentengarde gehörte und gesehen haben will, wie ein gewisser Tony Oulai, Pilot des Präsidentenhubschraubers, die Leiche des Journalisten irgendwo neben der Nordautobahn verscharrte.

Außerdem hat sich der Präsident in einem zentralen Punkt, nämlich den ökonomischen Interessen, um eine Versöhnung mit Frankreich bemüht. Auch wenn die französischen Großunternehmen sich aus der eigentlichen Produktion zurückgezogen haben – Bolloré zum Beispiel aus dem Kakaogeschäft –, kontrollieren sie doch immer noch andere Bereiche wie das Verkehrswesen, die Wasser- und Stromversorgung sowie das Kommunikationssystem.

So ging die Trinkwasserkonzession bis 2007 an eine Firma, an der Saur 47 Prozent hält. Die Stromversorgung liegt bis 2005 in den Händen eines Unternehmens, dessen Kapital sich zu 51 Prozent im Besitz von Saur und EDF befindet. Das Mobiltelefonnetz mit seinen 1,4 Millionen Abonnenten wird von Orange und Telecel betrieben, während das Festnetz einer 51-Prozent-Tochter von France Cable Radio gehört.

Weitere Verträge werden diesen Goldregen schon bald vermehren. Der Containerterminal im Hafen von Abidjan, in dem jährlich 15 Millionen Tonnen umgeschlagen werden, soll privatisiert werden und an Bouygues gehen. Von der teuren Verlagerung einiger Institutionen wie des Präsidialamtes und des Abgeordnetenhauses nach Yamoussoukro werden zur Hälfte französische Unternehmen profitieren. Ein hoher Beamter meint dazu: „Im Glauben an die Globalisierung wollten wir unsere Partner diversifizieren und unsere Märkte öffnen. Doch wir wurden gewissermaßen mit vorgehaltener Waffe gezwungen, eine Pause einzulegen und die Entkolonisierung unserer Wirtschaft aufzuschieben.“

Im Blick auf die Wahlen 2005, die Gbagbo leicht gewinnen zu können glaubt, hat er auf seine Art die Initiative ergriffen. Nach einem Gipfeltreffen vom Juli 2004 in der ghanaischen Hauptstadt Accra erklärte er sich bereit, die Rebellen wieder in den Ministerrat aufzunehmen und dem Abkommen von Marcoussis vom Januar 2003 durch den neuen Friedensvertrag („Accra III“) noch einmal eine Chance zu geben. Die Nationalversammlung wird wohl das Staatsangehörigkeitsgesetz in der Weise ändern, dass es für eine Kandidatur ausreicht, wenn der Vater oder die Mutter aus der Elfenbeinküste stammt. Dann könnte auch Ouattara für das höchste Staatsamt kandidieren.

Im Gegenzug für Gbagbos Selbstverpflichtung, diese Reformen durchzusetzen, sichern die Rebellen zu, spätestens am 15. Oktober mit ihrer Entwaffnung und Demobilisierung zu beginnen. Daran werden sich neben den 4 000 französischen Soldaten der Operation Einhorn auch die 6 420 Soldaten der UN-Truppe Unoci beteiligen. In den Nordprovinzen hofft die Bevölkerung nun, dass die öffentlichen Dienste wieder in Gang kommen, also etwa Wasserversorgung, Gesundheitswesen und Schulen.

Doch dieser Krieg wird tiefe Spuren hinterlassen. Der Westen des Landes ist immer noch den Plünderungen durch liberianische Söldner ausgeliefert, die gemeinsame Sache mit einer weiteren Rebellengruppe machen. Die Wirtschaft im Norden ist ruiniert, und das Zusammenleben unterschiedlicher Volksgruppen wird für lange Zeit gestört sein. Vor allem aber gibt es unter den Anhängern des Präsidenten Gbagbo ebenso wie bei den Forces nouvelles tausende junge Leute, die für ein wenig Geld – weniger aus Idealismus – demonstrieren gehen, sich auf den Straßen prügeln und ihre Mitmenschen terrorisieren. Wem wird es gelingen, sie wieder in die Normalität zurückzuführen und die Erinnerung an diese Gewalt gegen Bezahlung zu verarbeiten?

Auf beiden Seiten spürt man die Verbitterung über Frankreich. Die Sympathisanten der Forces nouvelles fragen sich, ob sie nicht geopfert worden sind, während der Gbagbo-Klan nicht so bald vergessen wird, welche Demütigung er hinnehmen und welchen Preis er zahlen musste. Damit die Basis nicht allzu schnell bemerkt, dass die Würfel längst gefallen sind, und weil es so einfach ist, führen die Jungen Patrioten auch weiterhin demonstrativ vor, wie sehr sie die Symbole Frankreichs verachten.

deutsch von Michael Bischoff

* Journalistin, Le Soir (Brüssel), Autorin von „Les Nouveaux prédateurs“ (Die neuen Räuber), Paris 2003.

Fußnoten: 1 Diese Bezeichnung tragen die Rebellen seit dem Friedensvertrag von Linas-Marcoussis im Januar 2003. 2 Das Massaker vom Oktober 2000 wurde international beachtet. 2001 sprach ein Militärtribunal die acht Polizisten frei, die unter Mordanklage standen. Nach dem Untersuchungsbericht einer UN-Kommission stand die Täterschaft der Gendarmerie beim Tod der 57 „außer Frage“; vgl. http://www.un.org/french/hr/ivory.htm. 3 MPCI, Mouvement patriotique de Côte d‘Ivoire, war die erste Rebellengruppe des Landes. Sie fand Rückhalt vor allem im Norden. 4 Die Europäische Union warf den Behörden vor, 18 Millarden CFA (27 Millionen Euro), die für ein Gesundheitsprojekt bestimmt waren, veruntreut zu haben. 5 Siehe die Berichte von amnesty international und Human Rights Watch sowie den UN-Bericht vom 29. 4. 2004 zu den Ereignissen vom 25. 3. 2004. An diesem Tag führte eine verbotene Demonstration gegen die Verzögerungen bei der Umsetzung des Marcoussis-Abkommens zu einem Blutbad mit offiziell 37, nach Oppositionsangaben bis zu 500 Toten; www.state.gov/r/pa/ei/bgn/2846.htm. 6 Die am 4. Februar 1998 in Tripolis gegründete Communauté des Etats sahélo-sahariens (Cen-Sad) besteht aus den Gründungsmitgliedern Libyen, Burkina Faso, Mali, Niger, Tschad und Sudan sowie den später hinzugekommenen Mitgliedern Benin, Elfenbeinküste, Dschibuti, Ägypten, Eritrea, Gambia, Guinea-Bissau, Liberia, Marokko, Nigeria, Zentralafrikanische Republik, Senegal, Somalia, Togo und Tunesien.

Le Monde diplomatique vom 10.09.2004, von COLETTE BRAECKMAN