10.09.2004

Männer am Herd

zurück

Männer am Herd

Ungeachtet der Angriffe religiöser Autoritäten strahlt das staatliche Fernsehen in Saudi-Arabien alljährlich im Ramadan eine Serie aus, die mit Biss und Humor die Miseren des Alltags kommentiert.

Von PASCAL MÉNORET *

IM Dezember 2003, zu Beginn des Fastenmonats Ramadan, erschüttert eine ungewöhnliche Demonstration die Ruhe in Riad. Kurz vor dem iftar, der ersten Mahlzeit am Ende eines Fastentages, sind nur wenige Autos auf den verlassenen Straßen unterwegs. Aber vor dem Gebäude des staatlichen Fernsehens haben sich rund vierzig Personen versammelt, die lautstark die Unterbrechung der laufenden Sendung verlangen. Was da gerade im Fernsehen läuft und derart ihren Zorn erregt, ist eine Folge der beliebten Serie „Tash Ma Tash“1 , die seit elf Jahren allabendlich während des Ramadan läuft. An besagtem Abend geht es um den mahram – den männlichen Vormund, ohne den eine Frau in Saudi-Arabien (theoretisch) weder etwas sagen noch auch nur einen Schritt tun darf.

Die beiden Heldinnen der umstrittenen Folge werden im Park belästigt, in Geschäften nicht bedient und in der Bank abgewiesen, da der Gatte und der Bruder für ein paar Wochen nach Paris gereist sind. Um ihre Bewegungsfreiheit zurückzugewinnen, „leihen“ sie sich deshalb einen schwächlichen Großvater aus; doch der macht alles nur noch schlimmer. Dann kommt ihnen die Idee, Tochter und Nichte als kleine Jungen zu verkleiden. Das ganze funktioniert wie Volkstheater: Mit grotesken Übertreibungen und volksnahem Humor werden die Absurditäten des Alltags vorgeführt und regionale Dialekte durch den Kakao gezogen.

Die zu hundert Prozent saudische Produktion hat längst Kultstatus und wird in der gesamten arabischen Welt ausgestrahlt – in den Ländern der arabischen Halbinsel und in Jordanien ist sie ein echter Straßenfeger. Aber als es an jenem Abend in Riad ausgerechnet um das verborgenste (und symbolisch am stärksten aufgeladene) Element der saudischen Gesellschaft ging – um die Frauen –, war für manche der Spaß offenbar vorbei.

Der Vorfall sagt eine Menge über die Fernsehgewohnheiten der Saudis und ihr Verhältnis zum Staatsfernsehen, das eigentlich eine Unterabteilung des Informationsministeriums ist. Lange Zeit herrschten die beiden Programme des Staatsfernsehens unangefochten über die Medienwüste Saudi-Arabien, in der es einfach nichts anderes gab. Doch das änderte sich im Golfkrieg 1990: Die Zuschauer waren empört, als sich herausstellte, dass ihnen die Nachrichtenredaktion tagelang den Einmarsch des Irak in Kuwait verschwiegen hatte. Seither heißen die beiden Kanäle im Volksmund „Lügner Nr. 1 und Nr. 2“ (kassaba al-ula und kassaba al- thanija).

Seit dem Auftauchen von al-Dschasira hat das saudische Fernsehen schwer um Marktanteile zu kämpfen. Als Maßnahme gegen die sinkenden Zuschauerzahlen entschloss man sich 2003, einen Sportkanal und den 24-Stunden-Nachrichtenkanal al- Ichbarija einzurichten. Beide werden via Satellit ausgestrahlt – ein Eingeständnis, dass Parabolantennen (obwohl durch mehrere Fatwas saudischer Korangelehrter untersagt) aus dem Leben der 23 Millionen Einwohner des Königreichs nicht mehr wegzudenken sind. Die Satellitenschüsseln haben nicht wenig zur Entstehung eines politischen Lebens und einer öffentlichen Meinung beigetragen,2 aber – durch die Religionsprogramme von al-Dschasira, Abu Dhabi TV und Scharjah – auch zur Diversifizierung des religiösen Lebens. Das Fernsehen hat den saudischen Islam „ent-wahhabisiert“.

Als die Serie „Tash Ma Tash“ 1993 gestartet wurde, ging es vor allem darum, das Image des Staatsfernsehens aufzupolieren. Elf Jahre danach scheint die Bilanz positiv, und natürlich will sich das saudische Regime diesen Erfolg ans Revers heften: „Während des Ramadan schaltet man in allen Familien auf unsere Sender um“, erklärt der Verwaltungsdirektor des Bildungsministeriums stolz. „Wenn „Tash Ma Tash“ kommt, interessiert sich niemand mehr für die vielfältigen Ramadan-Programme der Satellitensender.“ Und jedes Jahr bringen die Tageszeitungen ausführliche Glossen zu den neuesten Folgen.

Einprügeln auf Spießbürger

MIT einem solchen Erfolg hatten die beiden Erfinder der Serie gar nicht gerechnet. Abdallah al-Sudhan und Nasser al-Qassabi waren Studenten der Agrarökonomie, doch ihre Begeisterung für das Theater brachte sie vom Kurs ab. Vom studentischen Kabarett kamen sie zum Fernsehen, und Scriptwriting fanden sie viel interessanter als eine langweilige Karriere im Staatsdienst.

Anfang der 1990er-Jahre schickten sie dem damaligen Informationsminister Ali al-Schair ein Exposé für ein Ramadan-Fernsehprogramm – drei Jahre später wurde die erste Folge von „Tash Ma Tash“ produziert. Die erklärte Absicht der beiden ist es, „alltägliche Sitten und Gebräuche ebenso infrage zu stellen wie die ausgetretenen Pfade in Politik und Verwaltung“.

Und sie nehmen sich alle brisanten Themen vor: die religiösen Eiferer, die Diskriminierung der Frauen, den nationalen Wahn in Sport und Kultur, die Korruption und bürokratische Erstarrung im Staatsapparat, die Übergriffe der Polizei, das unausrottbare Stammesdenken … Nur die Herrscherfamilie und ihre Außenpolitik müssen wohl tabu bleiben. Dafür prügeln al-Sudhan und al-Qassabi um so lustvoller auf die Spießbürger, die verklemmten Machos, amerikanisierten Jugendlichen und sogar auf die Hüter der Religion ein.

In einer Folge haben die Frauen in der Familie die Macht übernommen – und die Männer müssen sich um Haushalt und Kinder kümmern. In einer anderen Folge streiten sich zwei alte Männer gewitzt und schamlos um die Gunst der alten Rugaija. Einmal geht es um Geheimdienstmitarbeiter, denen die Anschläge in Riad und die Aktivitäten bewaffneter Gruppen solchen Schrecken einjagen, dass ihnen ein Patzer nach dem anderen unterläuft. Ein andermal wendet sich die Serie gegen den Bekehrungseifer junger Islamisten – mit dem politisch korrekten Verweis darauf, dass politische Opposition in die Ermordung unschuldiger Menschen münden kann.

1996 waren Schauspielerinnen erstmals unverschleiert aufgetreten. Das Fernsehen setzte die Serie ab, aber als Ali al-Farisi das Amt des Informationsministers übernahm, wurde die Zensur wieder aufgehoben. Eine neue Kehrtwende erfolgte 2000: Wegen der Sticheleien gegen die Religion verdammte der Ständige Ausschuss der Groß-Ulema, höchste religiöse Instanz im Staat, „Tash Ma Tash“. Doch die Regierung zeigte sich unbeeindruckt, und der Informationsminister ignorierte das Verdikt. Man war offenbar bereit, sogar die religiöse Führung zu verärgern, nur um die sensationellen Einschaltquoten nicht zu verlieren.

Dass sich die Serie so viel erlauben darf, erklärt ein saudischer Soziologe so: „Tash Ma Tash“ dosiert die Kritik genau so, dass sie toleriert werden kann, nicht zuletzt weil sie mit Leichtigkeit und Witz daherkommt. Jede Folge enthält eine Botschaft, die aber nicht unbedingt ausgesprochen wird, sodass die Zuschauer sich selbst ihren Reim machen müssen. Das ist eine ziemlich elegante Form der Sozialkritik, die den gesellschaftlichen Rahmen nicht sprengt und das System nicht grundsätzlich infrage stellt. Nur so kann sich die Serie sogar politische Themen, wie die Korruption im Staatsapparat, vornehmen.“

Dass „Tash Ma Tash“ die grundlegenden Mängel des Systems ausspart, hat der Sendung das offizielle Wohlwollen des Informationsministeriums eingebracht. Serienautor Abdallah al-Sudhan weiß das zu schätzen: „Wir sind eine unabhängige Firma, aber wir arbeiten zusammen mit dem Staatsfernsehen, das uns immer wieder vor Eseln und Idioten geschützt hat.“ Will sagen: vor den Religiösen. Den Demonstranten vom Dezember 2003 zum Beispiel oder Nasser al-Omar, jenem abtrünnigen Scheich, der dem Verdammungsurteil der offiziellen Ulema folgte. Doch die Macher von „Tash Ma Tash“ wissen auch, was sie an ihren Gegnern haben: „Der Erfolg der Serie lässt sich daran messen, dass junge Leute an den Universitäten, in bestimmten religiösen Zirkeln Pamphlete gegen ‚Tash Ma Tash‘ verfasst und versucht haben, die Serie im Namen des Glaubens verbieten zu lassen.“

Natürlich sind nicht alle einverstanden mit der offenen Kritik an der Religion und ihrem gesellschaftlichen Einfluss. „Man kann die Religiösen nicht als armselige und bornierte Extremisten darstellen“, empört sich Mohammed al-Hudaif, einst Mitglied der islamistischen Opposition von 1991. „Schließlich sind hunderte von ihnen in unserem Land als Ärzte, Ingenieure oder Universitätslehrer tätig und haben eine Ausbildung nach bestem nationalem und internationalem Standard absolviert.“ Er fordert „Minderheitenschutz gegen die Stigmatisierung durch die Medien“, eine Art affirmative action nach dem Vorbild der USA. In gewisser Weise hat er damit eingestanden, dass selbst in Saudi-Arabien die strenggläubigen Muslime bereits eine zu schützende Minderheit darstellen.

Manche stoßen sich an der Art, wie in der Serie die Provinzler lächerlich gemacht werden – vor allem durch Überzeichnung der Dialekte. „Die Leute aus dem Süden oder dem Hedschas können sich in diesen Karikaturen nicht wiedererkennen“, meint ein Linguist von der Universität Dschidda. „Da wird nur vorgeführt, wie sich die Bewohner des Nadschd [der Provinz um die Hauptstadt Riad] die Landbewohner vorstellen.“ Anderen missfällt vor allem, dass „Tash Ma Tash“ letztlich ein Zweckbündnis mit der konservativen Führungsschicht geschlossen hat. In der Tageszeitung al-Riad schreibt der Literaturkritiker Mohammed al-Abbas, die Serie führe nur zu der „traurigen Einsicht, dass unsere Realität ein gewaltiger schlechter Witz ist, an dem wir alle mitgewirkt haben und den zu ändern wir weder das Recht noch die Macht haben. Wir haben nur das Recht, Schauspielern zuzusehen, wie sie unsere Verfehlungen aufführen, und zu hören, wie sie mit unserer Stimme sprechen.“

„Tash Ma Tash“ als ein Stück staatlicher Propaganda zu bezeichnen wäre dennoch übertrieben. Es gibt ein paar Episoden, in denen Vorzeigeprojekte der Regierung, wie der Kampf gegen die Korruption oder die Schaffung von Arbeitsplätzen, besonders gut wegkommen, aber die Absichten der Serie sind ganz andere. „Eine Gesellschaft lacht, wo ihr Unglück groß ist“, schreibt Mohammed al-Abbas. Indem sich die Serie lustig macht über die Schwächen und Missstände einer arabischen Gesellschaft, dient sie der öffentlichen Gesundheit: Sie provoziert Kritik und Widerspruch – in einem Land, dem man Lebendigkeit und Meinungsvielfalt nie recht zugetraut hat.

deutsch von Edgar Peinelt

* Dozent für Philosophie, Autor von „L‘Enigme saoudienne“, Paris (La Découverte) 2003.

Fußnoten: 1 „Hopp oder top“ – in den 1960er-Jahren gab es ein Kinderspiel dieses Namens; es ging darum, eine Flasche mit einem kohlensäurehaltigen Getränk so lange zu schütteln, bis der Kronenkorken wegflog. 2 Siehe Alain Gresh, „Saudi-Arabien riskiert Öffentlichkeit“, Le Monde diplomatique, Mai 2002.

Le Monde diplomatique vom 10.09.2004, von PASCAL MÉNORET