08.10.2004

Verkauftes Land, gestohlene Zukunft

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Verkauftes Land, gestohlene Zukunft

NACHDEM die politischen Uhren in Phnom Penh ein Jahr lang stillstanden, gibt es seit diesem Sommer wieder eine funktionierende Regierung in Kambodscha. Die muss sich vor dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation (WTO) vor allem mit wirtschaftlichen Reformen beschäftigen. Von dem bevorstehenden Völkermordprozess gegen die Roten Khmer erhoffen sich die Menschenrechtsorganisationen des Landes eine beschleunigte Demokratisierung. Doch die Bauern haben andere Sorgen. Sie leiden unter einer „Landreform“, die ihre kleinen Parzellen großen Grundbesitzern zuschlägt.

Von SÉBASTIEN DE DIANOUS *

Es ist Trockenzeit, und der Nachmittag ist drückend heiß. Raschen Schritts überquert Yam Djé das Feld. So weit das Auge reicht, erstreckt sich diese Landschaft aus gelblicher Erde, von der man den Eindruck hat, hier könne nichts gedeihen. Djés Acker befindet sich einige Kilometer südlich von Siem Reap, wo man einen Flugplatz hingesetzt hat, weil nebenan die Tempelanlage von Angkor liegt – Kambodschas größte Touristenattraktion. Die Reisfelder sind ausgetrocknet, die Landschaft bietet einen trostlosen Anblick. Yam Djé, Vater von neun Kindern, wird auf seinem kleinen Anwesen in einigen Monaten Kartoffeln, Mais und Reis anpflanzen. Kaum vorstellbar. Mangelt es hier nicht an Wasser? Yam Djé lächelt. „Wenn der Regen sich verspätet, ja. Aber irgendwie kommen wir immer durch.“ Tatsächlich gibt es für Yam Djés Existenz noch Bedrohlicheres als die Trockenheit.

In einem so armen Land wie Kambodscha ist Grund und Boden ein wichtiges Handelsobjekt, für die Bauern das einzige. Doch in Siem Reap sind die Grundstückspreise durch den Boom im Hotelbau auf das Zehnfache gestiegen. Das lockte Spekulanten an. Immer weiter wächst die Stadt nach Süden, Osten und Westen ins Umland hinein und überwuchert den Ackerboden, auf dem die Bevölkerung ihre Subsistenzlandwirtschaft betreibt. Den Bauern bleibt keine Wahl: Entweder sie verkaufen ihr Land, oder es wird ihnen weggenommen. „Voriges Jahr kamen Leute aus Phnom Penh und zeigten mir eine Eigentumsurkunde“, erzählt Djé. „Ich sollte ein Stück Land hergeben, und zwar eines, das ziemlich dicht an der Stadt liegt. Ohne mein Wissen hatte es der Bezirksvorsteher an diese Leute verkauft.“

Das Problem ist, dass der Eigentumstitel, den die Leute Yam Djé präsentierten, rechtsgültig ist, während er selbst – wie 90 Prozent der Landwirte hier – keine Urkunde besitzt, die ihn als Eigentümer ausweist. Nur mit seinen Steuerquittungen kann er belegen, dass er das Stück Land seit über 20 Jahren bewirtschaftet. Die Angelegenheit wurde der Gemeindeverwaltung vorgelegt, aber Yam Djé macht sich kaum Hoffnungen: „Wenn sie mir das Land wegnehmen wollen, tun sie es. Und wenn die Stadt weiter wächst, werden sie mir noch mehr Land wegnehmen. Was sollen wir dann machen? Wir haben doch schon immer hier gelebt.“

Yam Djé ist heute noch Grundeigentümer, er hat das Land von seinem Vater geerbt. Doch demnächst wird man ihn zu den Landlosen zählen können, von denen es in Kambodscha heute zwei Millionen gibt – Tendenz steigend. Nach übereinstimmenden Zahlen der NGO Oxfam1 und des Cambodian Development Research Institute (CDRI) stieg der Anteil der Landlosen an der Gesamtbevölkerung von 5 Prozent im Jahr 1984 auf 12 Prozent im Jahr 2000 und 17 Prozent im laufenden Jahr 2004. Nach Ansicht des Agrarexperten Chan Sophal wurde die 20-Prozent-Marke sogar schon überschritten. Er stellte fest, dass sich diese Entwicklung seit den Jahren 1996/1997 beschleunigt hat.

Die Mehrheit (60 Prozent) der Landlosen kommt aus Familien, die zuvor noch nie Land besessen hatten. Die übrigen 40 Prozent haben ihren eigenen Boden bewirtschaftet, bevor sie ihn durch Enteignung oder plötzlichen Verkauf verloren. 60 Prozent aller Fälle, die vor dem Höchsten Gerichtshof verhandelt werden, sind Grundeigentumskonflikte – die zweithäufigste Kategorie von Gerichtsverfahren. Privateigentum an Grund und Boden ist erst seit 1989 ein anerkannt juristischer Tatbestand und wurde gesetzlich im Bodenrecht von 1992 verankert.

Wenn nichts unternommen wird und der Anteil der Landlosen auf 30 Prozent gestiegen sein wird, wird dieses Problem nach Einschätzung von Oxfam zwangsläufig zu einem Politikum. Schon seit einigen Jahren sind die Leute auf dem Land mit der Staatsgewalt nicht mehr zufrieden – aus verschiedenen Gründen: Die Kluft zwischen den Lebensverhältnissen in der Stadt und auf dem Land wächst ständig. Das Wirtschaftswachstum konzentriert sich hauptsächlich in den urbanen Zentren, während 80 Prozent der Bevölkerung noch immer auf dem Land leben, wo die Entwicklung stagniert. Die überall verbreitete Korruption – auf den internationalen Ranglisten der Bestechlichkeit findet man Kambodscha regelmäßig sehr weit oben – wird nicht nur nicht geahndet, sondern von den ausländischen Geldgebern auch noch gefördert, die ungerührt ihre Dollars unter die Leute und besonders unter die Beamten bringen. Das unverantwortliche Verhalten der politischen Führungsfiguren erreichte seinen Gipfelpunkt, als Kambodscha zwischen Juli 2003 und Juli 2004 ein Jahr lang wegen parteipolitischer Rivalitäten weder über eine repräsentative Regierung noch über ein funktionierendes Parlament verfügte. In Verwaltung und Justiz herrscht nicht nur Korruption, sondern aufgrund von Inkompetenz und ineffizienter Arbeit auch das totale Chaos.

Zwei Faktoren haben die Bedingungen im landwirtschaftlichen Sektor von Grund auf verändert. Zum einen verdoppelte sich die Bevölkerung in den 25 Jahren nach Ende der Herrschaft der Roten Khmer im Jahr 1979 auf nunmehr 13 Millionen Einwohner, zum anderen fiel infolge des Bürgerkriegs zwischen 1979 und 1991 ein großer Teil des Nordwestens für die landwirtschaftliche Nutzung aus.

Das Grundeigentum in dieser Region liegt zumeist in den Händen ehemaliger Kriegsherren, in den meisten Fällen der Roten Khmer, aber auch hochrangiger Militärs. Teils aus politischen Gründen (um Konflikte mit der Armee zu vermeiden), teils aus finanziellen Motiven (Bereicherung führender Politiker) verschließen die Behörden die Augen vor der Tatsache, dass diese Grundvermögen während und unmittelbar nach dem Bürgerkrieg auf illegalem Wege zustande kamen. Angeblich weiß man auch nichts von den Zuständen in anderen Regionen, in denen reiche Grundbesitzer – hauptsächlich Lokalgrößen der regierenden Koalitionsparteien CPP (Volkspartei) und Funcinpec (Royalisten) – sich nach wie vor das Land von tausenden von Bauern aneignen, zum Teil unter Anwendung von Gewalt. Am häufigsten verlieren die Bauern ihre Häuser durch Brandanschläge. Jeden Monat wenden sich dutzende von Bauern, die durch Willkürakte ihren Grundbesitz verloren haben, Hilfe suchend an Menschenrechtsorganisationen wie Licadho und Adhoc.

Auf diese Weise sind riesige Latifundien entstanden. Man schätzt, dass die reichsten 7 Prozent der Landwirte 35 bis 40 Prozent der Nutzfläche besitzen, die ärmsten 50 Prozent dagegen weniger als 15 Prozent. Die undurchsichtige Konzessionsvergabe an meist ausländische Forst- und Agrarkonzerne verstärkt in der Bevölkerung das Gefühl, von der Entwicklung abgekoppelt zu sein. Für 5 Millionen Hektar Wald und 1 Million Hektar Ackerland von den insgesamt 18 Millionen Hektar land- und forstwirtschaftlicher Nutzfläche wurden bereits die Konzessionen verkauft.2 Theoretisch sollen dabei auch die Rechte der betroffenen Bevölkerung berücksichtigt werden, praktisch kann davon jedoch keine Rede sein.

Wenn sie ihren Grundbesitz nicht an den Meistbietenden verkaufen oder in den Randbezirken von Siem Reap, Sihanoukville und Battambang mit Immobilien spekulieren, betätigen sich einige Militärs und reiche Grundbesitzer im Anbau von spekulativen Agrargütern wie Gummi oder Pfeffer. Die meisten jedoch verpachten ihr mitunter noch immer minenverseuchtes Land an Kleinbauern und leisten sich den Lebensstil eines absentee landlord. Nur selten verkaufen sie ihr Land an diejenigen, denen sie es weggenommen haben.

Dreizehn Jahre nach dem offiziellen Kriegsende und sechs Jahre nach den letzten bewaffneten Auseinandersetzungen werden in Kambodscha alljährlich noch immer 800 Menschen, vor allem Bauern, von Antipersonenminen getötet; viele werden verletzt, etwa 40 000 Kambodschaner sind für den Rest ihres Lebens zu Krüppeln geworden. Nach Schätzungen von Handicap International wurden zwei Drittel der bisherigen Minenräumarbeiten von Land suchenden Bauern erledigt. Drei bis vier Millionen Minen sollen noch immer vergraben sein.

In der Region von Poipet im äußersten Westen des Landes haben sich einige Generäle dank massenhafter Enteignung der örtlichen Bevölkerung beträchtliche Vermögen angeeignet, als sie auf den ehemaligen Äckern Spielkasinos hochzogen. Da das Glücksspiel in Thailand verboten ist, kommen Tag für Tag scharenweise Thais über die Grenze, um in den kambodschanischen Etablissements enorme Summen aufs Spiel zu setzen. Das Areal, auf dem ein Dutzend Kasinos, luxuriöse Hotelanlagen und ein Golfplatz angelegt wurden, ist nach Macao der zweitgrößte Glücksspielkomplex Asiens und von Bangkok aus in vier Autostunden zu erreichen. In dieser Gegend liegt der Anteil der Landlosen mittlerweile 5 bis 10 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt.

Die wachsende Zahl der Landlosen resultiert weitgehend aus der relativen Abnahme der verfügbaren Anbaufläche. Während die landwirtschaftliche Nutzfläche um durchschnittlich 0,5 Prozent im Jahr zunimmt, wächst die Bevölkerung um jährlich 2,5 Prozent. Jahr für Jahr drängen 200 000 Personen auf den Arbeitsmarkt, vier Fünftel davon auf dem Land. Da die Familien größer geworden sind, werden die weitervererbten Parzellen immer weiter zerstückelt. Viele Kinder von Bauern gehen dabei leer aus, und die Glücklicheren verlieren das Land womöglich schneller als ihre Eltern, denn ein kleines Grundstück reicht kaum aus, um die wachsende Zahl hungriger Münder zu versorgen.

Wer nicht weiß, wie lange er sein Stück Land noch behalten wird, verzichtet auf nötige Investitionen. Wozu soll man auch Geld für Mechanisierung, Bewässerung und Düngemittel ausgeben, wenn beispielsweise die Erkrankung eines Kindes an Tuberkulose in einigen Monaten zum Verkauf nötigen könnte? Die wirtschaftlich prekäre Lage hemmt die Investitionen, was wiederum den Grundbesitz gefährdet.

Nach Schätzungen sind seit Ende der Neunzigerjahre knapp 60 Prozent der Landverkäufe auf Überschuldung infolge von Krankheiten zurückzuführen.3 „Die meisten Landlosen, die zu uns kommen, hatten einen oder mehrere schwere Krankheitsfälle in der Familie. Sie mussten ihr Land verkaufen, um die Arzt- oder Krankenhauskosten bezahlen zu können“, berichten Vertreter der Kambodschanischen Menschenrechtsliga.

Die Aussichten auf Rückkauf des verkauften Besitzes sind gleich null. Wer sein Land in einer kritischen Lebenssituation verloren hat, ist gezwungen, es im nächsten Jahr zu exorbitanten Summen vom Käufer zu pachten.4 In der Gemeinde Kakoh in der Provinz Battambang lag der jährliche Pachtzins im Jahr 2000 bei 60 bis 70 Prozent des Kaufpreises. Mehr als ein, zwei Jahre steht das kein bäuerlicher Haushalt durch. Nach dem Land geht damit auch die Arbeit verloren.

Bei einer ländlichen Erwerbslosenquote von schätzungsweise 40 Prozent können sich nur wenige Landlose anderweitig über Wasser halten, etwa als Fischer oder Tagelöhner. Der Rest wandert ab. Viele versuchen ihr Glück in Thailand, dessen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf das Zwanzigfache des kambodschanischen Niveaus erreicht. Andere ziehen in die Stadt, vor allem nach Phnom Penh, wo das Pro-Kopf-Einkommen bei 1.000 Dollar liegt – auf dem Land sind es nur 250 Dollar. In der Textilindustrie der Hauptstadt kommen alljährlich 20 000 Beschäftigte unter, der Großteil davon Frauen. Oder man stürzt sich auf die kleineren Jobs und wird Motorradtaxifahrer, Straßenhändler oder fliegender Essenverkäufer.

Bislang konnte Phnom Penh den Bevölkerungsüberschuss ohne große Probleme auffangen, da das Bruttosozialprodukt in der Hauptstadt um jährlich rund 15 Prozent wächst. Doch damit könnte mit der Abschaffung der Textilquoten, die den Zugang zum US-amerikanischen Markt regeln, im Januar 2005 Schluss sein. Sollte die Textilproduktion – 240 000 Menschen sind in dieser Branche beschäftigt, aus der 80 Prozent der Ausfuhren kommen – zusammenbrechen, wie verschiedentlich prophezeit, würde sich die Lage der landlosen Bauern in der Stadt rapide verschlechtern. Diese Gefahr wird von offizieller Seite völlig unterschätzt.

An der Spitze des Staates finden unterdessen heftige Auseinandersetzungen statt: Soll man versuchen, die Landflucht zu stoppen, oder ist davon auszugehen, dass die Abwanderung in dem noch schwach urbanisierten Land den Beginn einer „natürlichen“ demografischen Umschichtung zwischen Stadt und Land darstellt? Votieren die einen für massive Investitionen in die ländlichen Gebiete, um den Bauern einen Anreiz zum Bleiben zu bieten, so halten die Befürworter der Urbanisierung diese Strategie für absurd. Viel billiger sei es, die Städte auszubauen, damit sie den Zustrom der deklassierten Landbevölkerung bewältigen können. Außerdem könne sich die Stadt innerhalb kürzester Zeit zu einem starken Wachstumspol entwickeln, während es Jahrzehnte dauern würde, um die Landwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen.

Im Mittelpunkt der Debatte steht dabei die Konzentration des Grundbesitzes. Einige „realistische“ Beobachter sehen in landlosen Bauern ein Symptom der Umstrukturierung der Landwirtschaft, die langfristig überwiegend positive Konsequenzen haben werde. Ihr Argument lautet, dass die vielen kleinen landwirtschaftlichen Betriebe den ländlichen Aufschwung hemmen würden. Sobald die Zersplitterung der Parzellen behoben sei, sobald die Bauern hinreichend große Flächen bearbeiten, um rentabel wirtschaften zu können, werde der landwirtschaftliche Take-off einsetzen. Behindere man hingegen die Grundstückskonzentration, werde die Landwirtschaft auf Jahrzehnte hinaus in archaische Verhältnissen gebannt und werde neue Armut produzieren.

Die Regierung hat das Landlosenproblem zwar zur Kenntnis genommen, aber noch keine adäquate Lösung dafür gefunden. 1999 wurde eigens ein Ministerium für Bodenrechtsfragen gegründet und ein Jahr darauf ein Interministerieller Rat für Bodenpolitik, der in Zusammenarbeit mit der Weltbank eine 15-Jahres-Strategie ausgearbeitet hat. Vor allem aber wurde im August 2001 ein neues Bodenrecht verabschiedet, das erstmals die kostenlose Übereignung von Staatsland an die Ärmsten unter den Bauern vorsieht.5

Bei Nichtsregierungsorganisationen stoßen die „sozialen Landkonzessionen“, die über Pilotprojekte bislang nicht hinausgekommen sind, jedoch auf Skepsis. „Die schriftlich niedergelegte Absicht ist sicher lobenswert. „Doch ‚kostenlose‘ Landverteilung gab es schon in der Vergangenheit, etwa die Wiedernutzbarmachung von vermintem Gelände. Meist endeten solche Projekte mit Günstlingswirtschaft und Korruption. Die eigentliche Zielgruppe hatte davon nichts“, warnt die Menschenrechtsorganisation Licadho.

Das ehrgeizigste, konzeptionell aber auch liberalste Projekt dieser Art – das Land Management and Administration Project (LMAP) – begann im Mai 2002. Von der Weltbank finanziert und mit deutscher und finnischer Hilfe aufgebaut, verfolgt es das Ziel, „sichere Grundbesitzverhältnisse zu schaffen und effiziente Grundstücksmärkte zu entwickeln“. Ein Unterfangen von titanischen Ausmaßen, denn man will innerhalb der nächsten 15 Jahre das gesamte Staatsgebiet katastermäßig erfassen und sämtlichen bäuerlichen Grundeigentümern einen Eigentumstitel ausstellen. Fünf bis acht Millionen Parzellen sind zu vermessen und zu kartografieren. „Der Besitz einer rechtsgültigen Eigentumsurkunde“, so die Weltbank, „wird nicht nur illegale Enteignungen verhindern, sondern die Bauern auch mit einer gesicherten Basis für Kreditaufnahmen und Investitionen ausstatten.“

Gegen dieses Projekt regt sich vielfacher Widerstand. Es verursacht mit voraussichtlich 100 Millionen Dollar hohe Kosten und wird in der gesetzten Frist nicht zu schaffen sein. In Kamerun gelang es der Weltbank trotz mehrfacher Versuche in den vergangenen zwanzig Jahren nicht, ihr Kastasterprojekt zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Die Erfahrungen in Thailand und im Libanon zeigen, dass solch umfangreiche Vorhaben fünfzig Jahre benötigen, um auch nur die Hälfte des Staatsgebiets grundbuchmäßig zu erfassen. Und rein technisch gesehen, ist mehr als zweifelhaft, ob die Bauern zugunsten der neuen Eigentumstitel auf ihre hergebrachten Transaktionsmethoden verzichten werden.

Noch stärker fällt ins Gewicht, dass sich an diesem Projekt neue Konflikte entzünden könnten. In Indonesien etwa führte die katastermäßige Landerfassung regional zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Nicht wenige reiche Grundbesitzer hatten sich im Vorfeld der Katasteranlage auf widerrechtliche Weise Eigentumsansprüche verschafft und die Bauern von ihrem Land vertrieben.

Da die Eliten in Kambodscha Strafverfolgung kaum zu fürchten haben, könnte sich dieses Szenario hier wiederholen. Überdies wird die rechtliche Absicherung des Grundbesitzes „nichts an den prekären Lebensverhältnissen auf dem Land ändern“, meint ein Geldgeber, der lieber anonym bleiben möchte. „Die Landlosen müssen Land bekommen, keine Frage. Aber die Fixierung auf Eigentumstitel verdeckt ein weit drängenderes Problem: die grundlegende Neugestaltung der landwirtschaftlichen Produktionssysteme. Die Produktivität der kambodschanischen Landwirtschaft ist mit die niedrigste der Welt. Mit 100 Millionen Dollar hätte man die bäuerliche Landwirtschaft zum Beispiel auf eine sichere Finanzierungsgrundlagen stellen können.“

Werden die Landlosen in Kambodscha vielleicht schon morgen revoltieren? Wird Yam Djé zu den Waffen greifen, um sich und sein Land gegen die Städter zu verteidigen, die ihn enteignet haben? Etliche Beobachter erinnern daran, dass die Bauernaufstände von Samlaut 1967 Ausgangspunkt einer Entwicklung wurden, die 1970 in den Bürgerkrieg mündete. Doch anders als damals fehlen zwei Faktoren, die als Katalysator einer Bauernrevolution fungieren könnten: Zum einen gibt es keine Einmischung von außen (wie ab 1967 seitens der USA und Südvietnams), zum anderen keine Einheit stiftende, politisch organisierte Ideologie (wie die des kommunistischen Widerstands seit Ende der 1960er-Jahre).

Überdies arbeiten Geldgeber und Regierung eng zusammen, um kritische Proteste im Keim zu ersticken. Die Stabilität des Landes um jeden Preis erhalten, lautet die gemeinsame Devise. Während hunderte von Nichtregierungsorganisationen in allen gesellschaftlichen Bereichen dort aktiv werden, wo der Staat versagt, versorgt das Welternährungsprogramm die Ärmsten der Armen mit Lebensmitteln. Auch die Regierung verteilt alle Jahre wieder kostenlose Reisrationen, um die Zeit bis zur nächsten Ernte zu überbrücken. Für die Volkspartei CPP geht es dabei ums politische Überleben, denn ihre Wählerbasis besteht im Wesentlichen aus Bauern, die weder lesen noch schreiben können.

Mit einem sozialen Aufbegehren dürfte einstweilen also nicht zu rechnen sein, doch ausländische Hilfsmissionen in Kambodscha machen sich ernsthaft Sorgen: „Die unkontrollierte Zunahme der Zahl der Landlosen birgt die Gefahr sozialer und politischer Agitation“, heißt es in einem internen Botschaftspapier. Und es wird daran erinnert, dass es gerade die ausgeprägte Rivalität zwischen Stadt und Land gewesen ist, die den Roten Khmer in den 1970er-Jahren erheblichen Rückhalt in der Bevölkerung gesichert hat.

„Ich will jedenfalls mein Land behalten“, wiederholt Yam Djé. „Von der Regierung halte ich nichts. Und mit Politik habe ich nichts am Hut.“ Wer weiß, ob er seine Meinung nicht ändert, wenn man ihn einmal von seinem Land vertrieben hat.

deutsch von Bodo Schulze

* Journalist

Fußnoten: 1 Siehe Robin Biddulph: „Poverty and Social Impact Assessment of Social Land Concessions in Cambodia: Landlessness Assessment“, Oxfam (Großbritannien, Phnom Penh) Februar 2004. 2 Ende der 1990er-Jahre waren Konzessionen für eine Waldfläche von bereits 7 Millionen Hektar vergeben. Auf Drängen der Geberländer und Nichtregierungsorganisationen hat die Regierung seitdem 12 Konzessionen für insgesamt 2,1 Millionen Hektar wieder rückgängig gemacht. 3 Siehe Robin Biddulph (Anm. 1). 4 Jean-Marie Brun, „Rapport d‘évaluation – Projet de réponse aux inondations dans la province de Battambang“, Dezember 2001, S. 50. 5 Verordnung v. 7. März 2003, ergänzt am 19. Nov. 2003.

Le Monde diplomatique vom 08.10.2004, von SÉBASTIEN DE DIANOUS