Milch in der Wüste
Das Königreich Saudi-Arabien und seine erstaunliche Landwirtschaft von Alain Gresh
Die Straße von Riad nach al-Chardsch führt durch die Wüste. Fabriken zur Dattelverarbeitung säumen den Weg – Saudi-Arabien ist weltweit der größte Exporteur der süßen nährstoffreichen Frucht. Hinter der Stadtgrenze von al-Chardsch kommen wir an einem großen Hinweisschild der Luftwaffenbasis „Prince Sultan“ vorbei. Hier waren bis 2003 US-amerikanische Truppen stationiert. Einige Kilometer stadtauswärts biegen wir ab; die Nebenstraße endet vor einem bewachten Eingang. Über dem Portal die Inschrift: „Al-Safi, größte Milchfarm der Welt“.
Unser Wagen muss desinfiziert werden, bevor wir weiterfahren können. In der Empfangshalle der Molkerei hängt eine Fotokopie aus dem Guinness-Buch der Rekorde: Bereits 1998 stand der Betrieb mit 3 500 Hektar und 24 000 Rindern an der Spitze; heute sind es 37 000 Tiere, aus Kanada eingeführten schwarz gefleckte Holstein-Friesian-Milchkühe.
Das Wüstenklima stellt natürlich ein Problem dar. Kühlanlagen sorgen für eine konstante Temperatur von 27°C in den Ställen, bewegliche Wandelemente schützen die Tiere vor starker Sonneneinstrahlung. Gemolken wird vollautomatisch und computergesteuert. Auch die Weiterverarbeitung erfolgt vor Ort, in einer ebenfalls automatisierten Anlage, die dem französischen Unternehmen Danone gehört. Danone hat sich Anfang 2001 mit 50,1 Prozent in die Milchfarm eingekauft. 220 Millionen Liter produziert Al-Safi im Jahr und deckt damit etwa ein Drittel des Bedarfs in Saudi-Arabien ab.
Das Unternehmen war ein Projekt von Prinz Abdallah al-Faisal, dem vor zwei Jahren verstorbenen älteren Bruder des heutigen Außenministers. Abdallah, der unter anderem davon träumte, für den Wasserbedarf seines Landes die Eisberge am Nordpol abzutragen, wollte das Königreich zum Selbstversorger bei Milchprodukten machen.
„Wir erzielen etwa 33 Liter pro Rind täglich“, sagt Karim Mansur, der junge Geschäftsführer von Al-Safi-Danone. „das liegt über dem internationalen Durchschnitt. Wir unterhalten 30 000 Verkaufsstellen und 25 Lagerräume im arabischen Raum, davon 5 am Golf. In Jordanien und im Jemen haben wir Tochterunternehmen, weitere sind im Libanon und in Syrien geplant. Al-Safi-Danone beschäftigt 2 500 Mitarbeiter, hinzu kommen 1 000 Beschäftigte in der Rinderzucht, an der Danone nicht beteiligt ist; ein Viertel davon sind Saudis, ein Viertel Inder. Wir würden zwar gern mehr saudische Arbeitskräfte einstellen, aber es ist schwierig, Landsleute für einfache Tätigkeiten zu bekommen.“
Aus einem Holzschuppen steigen Dampfschwaden auf. Hier wird 70°C heißes Wasser aus dem Boden gepumpt. Anfangs stieß man nach 200 Metern auf Grundwasser, inzwischen muss 2 000 Meter in die Tiefe gebohrt werden. „Anfangs haben wir das Futtermittel noch vor Ort angebaut. Um das Grundwasser zu schonen, wurden die Felder dann in 200 Kilometer Entfernung angelegt. Und wir haben außerdem noch eine Wiederaufbereitungsanlage“, erzählt der Geschäftsführer und fügt hinzu, dass in der Viehzucht sowieso nur 3 bis 4 Prozent der landesweiten Wasservorräte verbraucht würden, in der Landwirtschaft dagegen 80 Prozent.
Es ist kaum bekannt, dass sich Saudi-Arabien seit den 1980er-Jahren zu einem wichtigen Getreideproduzenten entwickelt hat. Der Staat garantierte den Bauern einen Verkaufspreis über Weltmarktniveau. Bereits 1984 konnte das Königreich seinen Bedarf aus eigener Produktion decken. Zwischen 1980 und 1992 wurden die Anbauflächen von 67 000 auf 907 000 Hektar ausgedehnt. Auch die Ernte wurde ertragreicher: Waren es 1980 noch 2,12 Tonnen pro Hektar, konnte der Ertrag acht Jahre später mehr als verdoppelt werden (4,7 Tonnen), bis er 2005 auf rund 5,2 Tonnen pro Hektar anstieg. Nur zum Vergleich: In Frankreich waren es vor vier Jahren 6,9 Tonnen, in Österreich 5 und in China 4,2 Tonnen.
Damals wurden mehrere Privatunternehmen gegründet, die ins Getreidegeschäft einstiegen und gute Gewinne erzielten. Als die Erträge 1993 mit 5,3 Millionen Tonnen ihren Höchststand erreichten, wurden bereits mehr als 2 Millionen Tonnen exportiert. Und die Welternährungsorganisation (FAO) war voll des Lobes.
Getreide mitten in der Wüste? Auch wenn Saudi-Arabien keineswegs nur aus ariden Zonen besteht und im Norden und Süden auch fruchtbare Regionen liegen, wurden die riesigen Getreidefelder dem sandigen Grund regelrecht abgetrotzt. Um das Ganze zu begreifen, muss man in die 1970er-Jahre zurückgehen, insbesondere in das Jahr des Erdölbooms 1973. Die Dritte Welt träumte damals von einer „neuen Weltwirtschaftsordnung“, doch der Westen drohte mit der „Nahrungsmittelwaffe“ – der Kürzung von Getreide- und Milchexporten. Zahlreiche erdölexportierende Länder – der Fortschrittlichkeit eher unverdächtig – bekundeten daraufhin ihren Willen zur Ernährungsautarkie. So auch Saudi-Arabien: Die staatliche Propaganda klang damals nicht viel anders als im sozialistischen Algerien;1 mit dem steigenden Ölpreis war alles möglich, sogar eine Getreide- und Milchwirtschaft im ganz großen Stil.
Wasser oder Getreide für den Wüstenstaat
„Beim Wasserexport kann uns niemand das Wasser reichen“, behauptet ein Agraringenieur, der lieber anonym bleiben will. „Wir verkaufen Getreide und Gemüse an die Nachbarländer, und für den Anbau brauchen wir unsere ganzen Wasservorräte auf.“ Gemeinsam mit anderen Experten versucht der Ingenieur seit Jahren die staatlichen Stellen auf das Problem aufmerksam zu machen. Zwischen den Verfechtern der Ernährungssicherheit und den Experten, die sich um die landeseigenen Wasserressourcen sorgen, ist ein heftiger Streit entbrannt. Kürzlich entschied die Regierung im Sinne der Letzteren: Subventionen für die nationale Erzeugung von Getreide sollen zurückgefahren und bis 2016 völlig eingestellt werden. Dann wird Saudi-Arabien zum ersten Mal seit 25 Jahren 300 000 Tonnen Getreide auf dem Weltmarkt kaufen müssen.
Abdullah al-Obeid, der stellvertretende Landwirtschaftsminister, war Mitglied der saudischen Delegation, die im Jahr 2005 den Beitritt seines Landes zur Welthandelsorganisation (WTO) erwirkte. „Im Ministerium halten wir die Fortführung des Getreideanbaus für wünschenswert. Wir erzielen hohe Erträge, vor allem im Norden: 80 bis 100 Zentner pro Hektar. In dieser Region gibt es auch keine großen Wasserprobleme.“
Turki Faisal al-Raschid leitet die Golden Grass Inc., ein bedeutendes saudisches Agrarunternehmen. Während er sich zu einem der fünf täglichen Gebete zurückzieht, dürfen wir in seiner Pressemappe blättern. Al-Raschid war zum Beispiel einer der Wahlbeobachter bei den jüngsten Parlamentswahlen in Kuwait, und er befürwortet für Saudi-Arabien die Einführung des parlamentarischen Systems.
In der Wasserfrage vertritt er die gleiche Position wie Abdullah al-Obeid: „Alle Länder haben doch Probleme mit der Wasserversorgung, sogar die USA. Wir müssen die Landwirtschaft ausbauen, allein um den armen Regionen helfen zu können. Es gibt doch Möglichkeiten zur Wassereinsparung in der Landwirtschaft. Solche Techniken müssen wir uns aneignen. Außerdem wäre es viel besser gewesen, wenn man die Unternehmen, die die Subventionen bekommen haben, dazu verpflichtet hätte, saudische Arbeitskräfte einzustellen.“ Die Folgen der Streichung von Getreidesubventionen werden demnächst viele Getreidehändler zu spüren bekommen – der alljährlichen saudischen Landwirtschaftsmesse blieben sie im vergangenen November demonstrativ fern.
Für die saudische Regierung ist die Selbstversorgung nach wie vor ein zentrales Thema. „Die Versorgungskrise im Frühjahr 2008 war ein Alarmsignal“, meint Abdullah al-Obeid. „Saudi-Arabien ist Nettoimporteur von landwirtschaftlichen Produkten, vor allem von Reis, Mais und Soja. Darum müssen wir im Ausland investieren. Wir haben bereits in viele Länder Vertreter aus der Regierung und der Privatwirtschaft geschickt – in die Türkei, die Ukraine und den Sudan, nach Ägypten, Thailand, Vietnam, Usbekistan, Äthiopien und auf die Philippinen. Und wir sind überall sehr freundlich empfangen worden.“
Er beklagt sich darüber, dass seinem Land in der internationalen Presse vorgeworfen werde, es trete wie eine Kolonialmacht auf: „Wir investieren in die Landwirtschaft anderer Länder, aber nicht, um den gesamten Ertrag für uns zu beanspruchen. Im Gegenteil: Es geht darum, dort die Nutzflächen zu erweitern, und wir garantieren, dass ein Teil der Ernten im Land bleibt.“
In der Presse war die Furcht vor massiven Investitionen der Golfstaaten in die Landwirtschaft der Länder des Südens in den vergangenen Monaten ein großes Thema. Le Monde machte am 13. Dezember 2008 mit der Schlagzeile „Begehrtes Ackerland“ auf und zeigte eine Karte der internationalen NGO Grain (Grain.org), der man unter anderem entnehmen konnte, Saudi-Arabien habe schon 1 610 117 Hektar Land aufgekauft. Und auf Afrik.com, einer unabhängigen französischsprachigen Nachrichtenwebsite, hieß es ebenfalls im Dezember 2008 anklagend: „Diese Staaten rauben Afrika das Ackerland.“
Wenn eine Meinung in allen Medien gleichlautend verbreitet wird, ist Skepsis geboten. Man höre sich an, was saudische Getreidehändler dazu zu sagen haben: „Zum Beispiel ist immer wieder die Rede von den Investitionen im Sudan“, sagt der Unternehmer al-Raschid, der zu diesem Thema einige Beiträge für die Lokalpresse verfasst hat. „Das Land bietet tatsächlich viele Vorteile: Nur 20 Prozent seiner ausgedehnten landwirtschaftlichen Nutzflächen werden bestellt, das Klima ist günstig, und die Regenfälle und der Nil sorgen für reichliche Wasservorräte.“
Schon in den 1970er-Jahren galt der Sudan als die Kornkammer der arabischen Welt. „Es gäbe allerdings viele Hindernisse zu überwinden. Die Landwirtschaft ist rückständig, sie wird von armen Bauern in traditioneller Weise betrieben. Außerdem sind die Eigentumsverhältnisse unklar, viele der zum Verkauf stehenden Grundstücke liegen in Erdölfördergebieten – sie könnten schon bald enteignet werden. Und es fehlt an Infrastruktur. Erst wenn das alles geregelt ist, können wir investieren. Da ist vor allem die Regierung in Khartum gefordert, aber das kann dauern“, meint al-Raschid.
Im Februar kündigte das saudische Unternehmen Hadco an, im Sudan Land zu kaufen – um den Getreide- und Maisanbau erst einmal nur zu testen. Auch über Ägypten, das als Eldorado für Investoren gilt, äußert al-Raschid die gleichen Vorbehalte. Und Asien werde noch lange kein Thema sein.
Zweifellos hat 2008 der kurzzeitige Anstieg der Preise für Agrarerzeugnisse neue Begehrlichkeiten geweckt, aber zwischen Plan und Ausführung liegt immer ein langer Weg, und so scheint es doch etwas abwegig, nun den Golfstaaten zu unterstellen, sie wollten sich in kolonialer Absicht der weltweiten Ackerflächen bemächtigen.2 Schließlich handelt es sich hier um Privatunternehmen, die den Ertrag ihres Reis- oder Getreideanbaus wohl nicht ausschließlich ins eigene Land liefern, sondern mit möglichst hohem Gewinn auf dem Weltmarkt verkaufen wollen.
Die NGO Grain hat für das Jahr 2008 eine Liste der Investitionsvorhaben im Getreideanbau verschiedener Länder zusammengestellt. Über Saudi-Arabien und die Golfstaaten tauchen eine Reihe von Absichtserklärungen, Delegationsbesuchen und Deklarationen auf, doch kaum ein Vertragsabschluss ist vermerkt. Sogar das aufgeführte Abkommen der Bin-Laden-Gruppe mit Indonesien scheint bisher über die Planungsphase nicht hinausgekommen zu sein – 4,3 Milliarden Dollar zur Erschließung von 500 000 Hektar Land für den Anbau von Basmatireis, der in Saudi-Arabien besonders geschätzt wird. Zudem dürften die Finanzkrise und der, wenn auch zeitweilige, Preisverfall bei Agrarerzeugnissen solche Vorhaben eher abbremsen.
Die Bevölkerung der arabischen Halbinsel wächst, die Grundwasservorräte sind erschöpft oder schadstoffverseucht: Auch wenn für Saudi-Arabien bisher kein detailliertes Szenario entworfen wurde, steht doch außer Zweifel, dass Einsparungen beim Wasserverbrauch und der Bau neuer Meerwasser-Entsalzungsanlagen nicht ausreichen werden, um den Wasserbedarf des Landes langfristig zu decken.3 Niemand spricht mehr davon, Eisberge am Nordpol abzutragen, aber für die Ernährungssicherheit seiner Untertanen muss sich der saudische Monarch noch etwas einfallen lassen.
Aus dem Französischen von Edgar Peinelt