03.04.2009

Südafrikas traurige Wahl

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Südafrikas traurige Wahl

Fünfzehn Jahre nach dem Ende der Apartheid wird am 22. April zum dritten Mal ein Parlament gewählt. Das ist vielleicht die letzte Chance, die Erosion der Demokratie mit parlamentarischen Mitteln aufzuhalten von Johann Rossouw

Während der Sommerferien im Dezember und Januar kommt Südafrika regelmäßig zum Stillstand. Die wachsende, aber immer noch kleine Mittelklasse zieht es an die fantastischen Strände, aber auch viele der ärmeren Südafrikaner machen den Exodus aus den Städten mit und besuchen Familienangehörige auf dem Lande.

Als die Südafrikaner dieses Jahr aus den Ferien zurückkehrten, wurden sie schon am Rand der Städte von einem breiten lächelnden Gesicht begrüßt, das ihnen aus gigantischen Plakaten entgegenblickte. Das Gesicht gehört dem Mann, der allen Leuten erzählt, was sie hören wollen, über sein wirkliches Programm aber noch nicht viel verraten hat. Der Mann ist Jacob Zuma, aller Wahrscheinlichkeit nach der nächste Präsident Südafrikas.

Einer der ironischen Aspekte dieser Wahl besteht darin, dass sie nur das Nachspiel zu den eigentlichen Wahlen ist, die bereits im Dezember 2007 stattgefunden haben. Damals wählte der ANC auf seinem nationalem Parteitag Jacob Zuma zum Vorsitzenden – Resultat eines erbitterten Kampfs mit ungewissem Ausgang. Im Gegensatz dazu steht der Sieg des ANC bei den Wahlen im April schon heute so gut wie fest.

Die Wahl Zumas bedeutete das Ende der Amtszeit von Parteichef Thabo Mbeki. Vor allem aber war sie ein Triumph der beiden „linken“ Partner des ANC: des Gewerkschaftsverbands Cosatu (Congress of South African Trade Unions) und der Kommunistischen Partei, der SACP (South African Communist Party). Zumas Sieg war in Wahrheit der Sieg des Cosatu und der SACP. Beide haben Mbeki und seiner ANC-Fraktion nie verziehen, dass sie immer stärker an den Rand gedrängt worden waren.

Seit etwa 1996 hatten der Staatspräsident und sein innerer Machtzirkel unter dem Druck der mächtigsten südafrikanischen Konzerne eine neoliberale Wirtschaftspolitik beschlossen: die sogenannte Gear-Strategie für Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung (Growth, Employment and Redistribution).1 Diese Wende war über die Bühne gegangen, ohne dass die Basis des ANC ein Mitspracherecht gehabt hätte – der Cosatu und die SACP schon gar nicht.

Die Gewerkschaften wie die Kommunisten, beides relativ zentralisierte Organisationen, hatten nie den Mut, sich als unabhängige Kräfte an den Parlamentswahlen zu beteiligen. Sie entschieden sich vielmehr für eine Unterwanderungsstrategie, die den politischen Gegner nicht offen bekämpft, sondern von innen zu erobern versucht. Diese Strategie erwies sich beim ANC-Parteitag vom Dezember 2007 als erfolgreich. Die Mbeki-Fraktion hatte jedes Gespür für die Sorgen der normalen Bürger und der Armen verloren, die noch immer die große Mehrheit der ANC-Mitglieder ausmachen. Cosatu wie SACP dagegen waren klugerweise darauf bedacht, mit den Leuten an der Basis in Fühlung zu bleiben und konnten sie deshalb für die Wahl von Zuma mobilisieren.

Wenn es die größte Schwäche Mbekis war, dass er sich nicht genug um seine Anhänger kümmerte, so ist Zumas große Schwäche eher das Gegenteil: Er kümmert sich zu viel um seine Anhänger und verstrickt sich so immer stärker in ein Geflecht von Abhängigkeiten. Der Erfolg von Zumas innerparteilichen Kampagne beruhte im Grunde darauf, dass er all die unterschiedlichen Fraktionen für sich gewann, die sich von Mbeki im Lauf der Zeit im Stich gelassen fühlten. Das waren, neben dem Cosatu und der SACP, die militante ANC-Jugendliga, die neuen schwarzen Milliardäre, die Mittelschicht und etliche Vertreter der alten Führungsriege. Aber diese lediglich durch das gemeinsame Ressentiment gegen Mbeki zusammengeschweißte Koalition konnte nur halten, wenn Zuma ihr eine neue Vision zu bieten hatte.

Nun mag Zuma alle möglichen Qualitäten haben, aber ein Visionär ist er nicht. Mit der Absetzung Mbekis durch seine eigene Partei – die möglicherweise auf nicht verfassungsgemäße Weise vonstatten ging – standen damit zwei Tatsachen ziemlich unverrückbar fest: Erstens wird Zuma nach den Wahlen im April zum neuen Präsidenten Südafrikas gewählt werden. Und zweitens ist der ANC zu einer durch und durch sklerotischen Partei geworden, die nur durch die Zugriffsmöglichkeit auf staatliche Posten und durch persönliche Patronagebeziehungen zusammengehalten wird. Mit anderen Worten: Von einer Zukunftsvision für Südafrika ist beim ANC – auch unter Zuma – praktisch nichts mehr übrig geblieben.

Schlimme Defizite bei Bildung, Gesundheit und Sicherheit

Während im ANC der Machtkampf tobte, mehrten sich in der Gesellschaft die Indizien für eine tiefgehende Krise. Das erste Alarmzeichen war das beschleunigte Auseinanderdriften von ökonomischem Wachstum und sozialer Entwicklung: Während Südafrika in den meisten Jahren seit 1994 ein Wirtschaftswachstum von drei und mehr Prozent erzielen konnte (das allerdings großenteils auf dem bis 2008 dauernden Ansteigen der Rohstoffpreise beruhte), rutschte das Land zwischen 1998 und 2008 auf der Rangliste des von der UN ermittelten Human Development Index (HDI) von Platz 89 auf Platz 125 ab.2

Im Erziehungs- und Gesundheitswesen, aber auch bei der öffentlichen Strom- und Wasserversorgung entwickelt sich die Krise inzwischen zur Katastrophe. Obwohl Südafrika weltweit zu den Staaten mit den höchsten Bildungsausgaben pro Kopf zählt, hat es eine der niedrigsten Beschulungs- und Alphabetisierungsraten der Welt. Die Absolventen der Schulabschlussexamen des vorigen Jahres waren die ersten, die das volle zwölfjährige Programm der neuen Outcome Based Education (OBE) durchlaufen hatten; dennoch lag die Erfolgsrate kaum höher als 1994, also am Ende der Apartheid-Epoche.

Was den Zustand des Gesundheitswesens betrifft, so haben die meisten der neun Provinzen Schwierigkeiten, Stellen für medizinisches Personal zu besetzen. Über die Zustände in den öffentlichen Krankenhäusern gibt es in den Medien immer wieder kritische Berichte. So über ein Krankenhaus in Bloemfontein, dessen Verwaltung kurz vor dem Besuch des Gesundheitsministers eilends noch Medikamente und Materialien bestellte, die schon seit Monaten ausgegangen waren. Dem neuesten Bericht über Kindersterblichkeit ist zu entnehmen, dass 2007 in den staatlichen Krankenhäusern etwa 8 000 Säuglinge bei der Geburt gestorben sind und dass bei 44 Prozent dieser Fälle der Tod auf unzureichende medizinische Versorgung zurückgeführt werden kann.

Bei der Stromversorgung des Landes kam es im Januar zu einer ganzen Serie von Ausfällen. Das hatte unter anderem zur Folge, dass zum ersten Mal in der Geschichte Südafrikas die gesamte Bergbauindustrie fünf Tage lang stillgelegt werden musste. Schuld an den Problemen mit der Stromversorgung ist zum großen Teil das schlechte Management bei der nationalen Elektrizitätsgesellschaft Esko.

Auch bei der Wasserversorgung spitzt sich die Krise zu. Vor kurzem gestand der Minister für Wasserangelegenheiten öffentlich ein, dass ihm die Qualität des Trinkwassers zunehmend Sorgen bereitet. Im Oktober 2008 wurde Dr. Anthony Turton, ein renommierter Wissenschaftler, beim staatlichen Council for Scientific and Industrial Research von seinem Posten suspendiert, weil er ein warnendes Gutachten verfasst hatte. Darin hieß es unter anderem, dass Südafrika seine Wasservorräte heute schon zu fast hundert Prozent nutzt und dass nur vorausschauendes Planen und ein striktes Wassermanagement eine Katastrophe abwenden könne. In diesen Zusammenhang gehört auch die bedrohliche Tatsache, dass Südafrika erstmals seit über hundert Jahren mehr Nahrungsmittel importiert als exportiert. Die daraus resultierenden Preiserhöhungen bei den Lebensmitteln treffen die armen Südafrikaner natürlich besonders hart.

Auch viele der staatlichen Unternehmen stecken tief in der Krise. Die nationale Fluggesellschaft South African Airways (SAA) musste in den letzten fünf Jahren zweimal mithilfe von Steuergeldern vor dem Konkurs bewahrt werden. Zudem sah sich SAA-Chef Khaya Nqula vor kurzem auf Druck der wichtigsten Branchengewerkschaft zum Rücktritt gezwungen, weil er Teilhaber einer Arbeitsvermittlungsfirma ist, die mit SAA Geschäfte macht.3 Die staatliche Land Bank, die landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte finanzieren soll, ist heute, nach einer Reihe von Korruptionsskandalen, als Folge finanzieller Misswirtschaft so gut wie bankrott. Die nationale Rundfunk- und Fernsehgesellschaft SABC (South African Broadcasting Corporation) hat im abgelaufenen Finanzjahr mehr als 700 Millionen Rand (54 Millionen Euro) Verlust gemacht, obwohl ihr zwischen 40 und 50 Prozent der nationalen Werbeausgaben zufließen. Inzwischen haben die meisten Abteilungsleiter, wie auch der frühere Generaldirektor der SABC, ihre Posten verloren; in der Mehrzahl wurden sie zu Opfern der Fraktionskämpfe innerhalb des ANC.

Die südafrikanische Polizei ist seit nunmehr neun Monaten ohne operative Führung, obwohl sie sich im Dauerkrieg gegen ein kriminelles Milieu befindet, das zu den schlimmsten der Welt gehört. Ihr früherer Chef steht wegen angeblicher Verbindungen zum organisierten Verbrechen vor Gericht. Und die Serie der brutalen Gewaltverbrechen reißt nicht ab. Vor kurzem wurde ein Mann in Rustenberg auf grausame Weise ermordet, als Einbrecher ihn in der Garage an sein Auto fesselten und es in Brand setzten.

Der große Lichtblick: Fußballweltmeisterschaft

Die starke Belastung der Infrastruktur und der öffentlichen Versorgungseinrichtungen hängt auch mit der illegalen Einwanderung zusammen, die wiederum durch lückenhaften Grenzkontrollen erleichtert wird. Während die Regierungen unter Präsident Mbeki und – seit Oktober 2008 – unter dem Interimspräsidenten Kgalema Motlanthe untätig zusahen, wie der Nachbarstaat Simbabwe implodierte, sind 2 bis 3 Millionen Menschen aus Simbabwe nach Südafrika geflohen. Die Schätzungen über die Zahl der illegalen Einwanderer schwanken mangels verlässlicher offizieller Statistiken zwischen 5 und 10 Millionen; die Bevölkerung Südafrikas zählt 45 Millionen. Selbst Vertreter der Regierung haben zugegeben, dass die Kontrolle über die Nordgrenze des Landes, insbesondere zu Mosambik und Simbabwe, völlig unzureichend ist.

Der einzige Lichtblick für die ANC-Regierung ist die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft 2010. Dieses Großereignis ist einer der Gründe, warum der Staat in den letzten Jahren über 600 Milliarden Rand (46 Milliarden Euro) in die Infrastruktur investiert hat, wobei vor allem das Straßennetz verbessert und neue Schulen und Krankenhäuser gebaut wurden. Die entscheidende Frage lautet allerdings, wie all die neuen Einrichtungen gewartet und erhalten werden können. Da der ANC es nicht einmal geschafft hat, die 1994 übernommene Infrastruktur zu erhalten, muss man in dieser Hinsicht Schlimmes befürchten.

Die Misswirtschaft des ANC hat eine weitere, sehr kontrovers diskutierte Folge: Viele qualifizierte Südafrikaner, in der Mehrzahl Weiße, emigrieren, insbesondere nach Australien, Neuseeland, Kanada und USA. Nach Angaben des staatlichen Institute of Race Relations haben seit 1994 mehr als eine Million Weiße das Land verlassen; von den männlichen weißen Staatsbürgern der Altersgruppe zwischen 20 und 40 Jahre lebt inzwischen jeder zweite nicht mehr in Südafrika.

Die Gründe für diese Auswanderung sind vielfältiger und komplizierter Natur. Tatsache ist aber, dass die ANC-Regierung kaum etwas unternimmt, um diese kaum zu verkraftende Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte einzudämmen. Im Gegenteil lässt sie des Öfteren erkennen, dass sie über diese Entwicklung nicht allzu unglücklich ist. Vor achtzehn Monaten äußerte zum Beispiel der damalige Polizeiminister, dass er Leute, die sich über die hohe Kriminalität beklagen, für „weinerliche Typen“ halte, die doch lieber abhauen sollten. Und erst durch juristische Schritte konnte die Regierung gezwungen werden, außer Landes weilenden Bürgern Südafrikas die Teilnahme an den bevorstehenden Wahlen zu gestatten.

Es gibt allerdings auch Hoffnungszeichen. Eines ist die Gründung einer neuen Partei, des Congress of the People (Cope). Zur Führung des Cope gehören prominente einstige ANC-Leute wie der frühere Parteivorsitzende Mosuia „Terror“ Lekota, der frühere Regierungschef der Provinz Gauteng, Mbazima „Sam“ Shilowa und der bekannte Unternehmer Saki Macozoma. Die neue Partei weckte kurz nach ihrer Gründung im Dezember 2008 viel Neugier und große Erwartungen, zumal sie sich zunächst als die Partei darstellte, die Nelson Mandelas Traum einer alle Hautfarben einbeziehenden „Regenbogennation“ wiederbeleben will. Doch es ist ihr nicht gelungen, eine wirksame Organisation aufzubauen, und jüngste Umfragen besagen, dass sie bei den bevorstehenden Wahlen höchstens 8 Prozent der Stimmen bekommen wird.

Die entscheidende Frage lautet allerdings, ob die Oppositionsparteien zusammen so viele Stimmen erhalten werden, dass der ANC im nächsten Parlament über keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit verfügt. Eine der im ANC erwogenen Verfassungsänderungen ist die Bestimmung, dass gegen den Präsidenten während dessen Amtszeit keine Strafverfolgung möglich ist.

Ein solcher Beschluss würde den laufenden Gerichtsverfahren gegen Jacob Zuma ein Ende setzen. Er könnte aber auch das Ende der politischen Stabilität des Landes bedeuten, die ohnehin zunehmend ins Wanken gerät.

Fußnoten: 1 Siehe Johann Rossouw, „Neue Ära für Südafrika“, Le Monde diplomatique, März 2008. 2 Der Human Development Index berücksichtigt neben dem Bruttonationaleinkommen pro Einwohner eines Landes auch die Lebenserwartung und den Bildungsgrad der Bevölkerung. 3 Siehe business.iafrica.com/bews/1543554.htm.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Johann Rossouw ist Politologe und leitete die – inzwischen eingestellte – Afrikaans-Ausgabe von Le Monde diplomatique.

Le Monde diplomatique vom 03.04.2009, von Johann Rossouw