14.11.2003

Der Autor und der Schauspieler

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Der Autor und der Schauspieler

WARUM jemand wie Arnold Schwarzenegger Gouverneur eines amerikanischen Bundesstaates von 35 Millionen Einwohnern werden kann, ist vielen Menschen ein Rätsel. Der Mann hat politisch weder eine Botschaft noch viel Ahnung. Sein Wahlkampf kostete schlappe 80 Millionen Dollar. Das Geheimnis seines Erfolgs besteht genau darin: ein politisch desinteressierter Politiker für ein politisch desillusioniertes und desinteressiertes Volk, für den eines sprach: die Aufmerksamkeit der Medien für eine Hollywood-Berühmtheit.

Von SERGE HALIMI und LOÏC WACQUANT *

Berühmtheit vermag viel, aber sie ist nicht alles. Bei einer chaotischen Regierung kann der Zorn der Wählerschaft eben für Überraschungen sorgen. Ein hoch im Kurs stehender Herausforderer schlug einen als blass und inkompetent geltenden Amtsvorgänger. Der umgekehrte Fall ist auch schon einmal vorgekommen. Arnold Schwarzenegger wird Gouverneur. Upton Sinclair wurde es nicht. Dessen Scheitern vor fast siebzig Jahren illustriert auf lehrreiche Weise den Unterschied zwischen zwei Epochen – mehr als die neueste Folge der Serie „Wahlzirkus“, die Amerika in der Tradition des Fiaskos von Florida vor drei Jahren der Welt vorführte.1

Von Populismus war schon 1934, zu Upton Sinclairs Zeiten, viel die Rede. Sinclair praktizierte einen investigativen Journalismus, der sich gegen die Mächtigen richtete. Sein 1906 erschienener Roman „Der Dschungel“, der die Ausbeutung der Arbeiter in Chigago schildert, erreichte Millionenauflagen.2 Er produzierte einen Film von Sergej Eisenstein, verteidigte Sacco und Vanzetti und machte mehr Amerikaner zu Sozialisten als irgendein anderer. 1934 gewann diese celebrity die demokratischen Vorwahlen haushoch, mit mehr Stimmen als alle anderen Kandidaten zusammen. Der Titel seines Wahlprogramms ist so lang wie unbescheiden: „Ich, Gouverneur von Kalifornien, und wie ich die Armut abschaffte. Die wirkliche Geschichte der Zukunft.“

Damals, mitten in der Weltwirtschaftskrise, ging es Kalifornien genauso schlecht wie dem Rest des Landes. Der Staat, so Sinclairs Vorschlag, solle die stillstehenden Fabriken von ihren Eigentümern pachten und in die Hände der Arbeiter legen, damit Letztere besitzen, was sie produzieren. Der Staat braucht dafür Geld? Eine neue Steuer auf die großen Filmstudios wird es beschaffen. Die werden sich das nicht gefallen lassen? Der Staat wird sie zwingen, überdies die gewerkschaftlichen Rechte zu respektieren, und andernfalls die ganze Filmindustrie kollektivieren. MGM und Warner drohten damit, nach Florida abzuwandern, sollte Sinclair die Wahlen gewinnen.3

Sinclair wurde von keiner einzigen Tageszeitung unterstützt. Über 700 Blätter griffen ihn frontal an. Körperlich ähnelte er in nichts einem Arnold Schwarzenegger. Die Los Angeles Times mockierte sich über den „weibischen Mann mit blassem Lächeln“. Doch das war nur eine Nebensache. Die Besitzenden malten den Weltuntergang an die Wand. Ein Wahlsieg Sinclairs würde Millionen von Hungerleidern aus allen Landesteilen an die Westküste spülen. Die New York Times log schamlos: „Ein merklicher Zustrom von Arbeitslosen“ sei in Südkalifornien zu verzeichnen, „eine organisierte Verschwörung, um Not leidende Neuankömmlinge in die Wählerlisten einzutragen“. King Vidor und Joseph Mankiewicz fanden für ihren Film „Unser täglich Brot“, der Sinclair nützlich hätte sein können, bezeichnenderweise keinen Produzenten. Dann wurde der Vertrieb in Kalifornien verzögert, so dass der Film erst nach den Wahlen ins Kino kam.

Die Großbrauereien, Southern Pacific, Standard Oil und die Elektrizitätsgesellschaft PG & E finanzierten eine Verleumdungskampagne gegen den Kandidaten der Demokraten. Flugblätter präsentierten ihn als „Zerstörer aller Kirchen und christlichen Institutionen, als kommunistischen Agitator“. Der kalifornische Arbeitgeberverband empfahl seinen Mitgliedern „jedem Beschäftigten persönlich (am besten durch den Chef selbst) Anti-Sinclair-Broschüren auszuhändigen, um sie auf die Gefährdung ihres Arbeitsplatzes im Fall seiner Wahl aufmerksam zu machen“.

Vom „Populisten“ Schwarzenegger droht den Arbeitgebern keinerlei Gefahr dieser Art. Im Wall Street Journal verkündete er zu ihrer Beruhigung: „Die neuen Steuern, die [seine demokratischen Gegenspieler] Davis und Bustamente4 fordern, erinnern mich an diese Androiden, die ich immer in meinen Terminator-Filmen bekämpfe. Ich töte sie, aber sie erwachen andauernd wieder zu neuem Leben. Mein Plan, um der Wirtschaft zu helfen, basiert auf den entgegengesetzten Werten. Ich will die Regulierungen abbauen, die die Unternehmen belasten und das Wachstum ersticken. Ich will, dass in drei Jahren Kalifornien einer der besten Plätze im Land fürs Geschäftemachen ist.“

Upton Sinclair zog aus seiner knappen Niederlage die Schlussfolgerung: „Man sieht daran, was Geld in der amerikanischen Politik alles bewirken kann, vor allem wenn Privilegien bedroht sind.“ Auf Betreiben der Firma Whitaker & Baxter liefen während der Wahlkampagne 1934 in allen Kinos als Nachrichten aufgemachte Kurzfilme, in denen Sinclairs Anhänger als zerlumpte Galgenvögel vorgeführt wurden, die von einer Revolution sowjetischen Typs träumen. Die politischen Berater der Firma zogen aus der erfolgreichen Kampagne die zynische Lehre: „Der Durchschnittsamerikaner will keine Bildung, er will seine geistigen Fähigkeiten nicht entwickeln, er will sich nicht anstrengen, ein guter Bürger zu sein. Fast jeder Amerikaner möchte sich lieber unterhalten lassen. Er mag Filme, er mag Feuerwerke und Paraden. Wenn Sie nicht kämpfen wollen, ziehen Sie einfach eine Show ab.“5 Sinclair verließ Kalifornien 1966. Im selben Jahr wurde ein Schauspieler namens Ronald Reagan zum Gouverneur gewählt.

Zurück in die Jetztzeit. Kalifornien gehört mit seinen 35 Millionen Einwohnern – 1934 waren es 7 Millionen – zu den zehn wirtschaftsstärksten Regionen der Welt. Arnold Schwarzenegger ist Schauspieler, Republikaner und steinreich: Sein Vermögen wird grob auf eine halbe Milliarde Dollar geschätzt. Vor einigen Monaten versprach der Terminator den frisch gewählten und doch schon für tausend Übel verantwortlich gemachten Gouverneur Gray Davis zu „terminieren“. Vorgeworfen wurde Davis vor allem das Haushaltsdefizit, das infolge steigender Ausgaben und sinkender Steuereinnahmen nach dem Zusammenbruch der New Economy gigantische Ausmaße angenommen hatte.

Mehr als alle anderen hatten die Kalifornier die Chimären der New Economy für bare Münze genommen. Wachstum und Wohlstand schienen auf der Straße zu liegen. Bös war daher das Erwachen, als mit einem Mal zurückkehrte, was man für gänzlich überwunden gehalten hatte: Rezession, Arbeitslosigkeit und Verschuldung. Irgend jemand musste für die plötzliche Desillusionierung bezahlen, und dieser Jemand hieß Davis.

Davis, der seit dreißig Jahren ohne Unterbrechung wiedergewählt worden war und das „System“ bis zur Karikatur verkörperte, ist der zweite Gouverneur in der Geschichte des Landes, der aus dem Amt gejagt wurde. An Charisma mangelte es dem Berufspolitiker ebenso wie an Ideen. Legendär jedoch war seine Fähigkeit, Wahlkampfgelder lockerzumachen und seine Gegenspieler mit aggressiver Polemik zu überziehen. Schwarzenegger ist das genaue Gegenteil. Der gelernte Fitnesstrainer, einstige „Mister Universum“ und Erfinder der Bodybuilding-Industrie, reussierte als Held von Actionfilmen mit viel dicken Muskeln und Metzeleien ohne Sinn und Verstand. Nie strebte er ein politisches Amt an oder war auch nur Mitglied irgendeiner politischen Organistion. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen ging er ebenso wenig wählen wie bei zwölf anderen der letzten zwanzig Abstimmungen. Das Box Office machte ihn zum Millionär. Mit einem Wort: Schwarzenegger besaß das ideale Profil, um die weitgehend entpolitisierte Wählerschaft Kaliforniens zu bezirzen und den Amtsinhaber, den sie zehn Monate zuvor ohne viel Aufhebens wiedergewählt hatte, zu entfernen.

Schwarzenegger hat sich aus ärmlichen Verhältnissen nach oben gearbeitet – sollen die anderen es einfach auch so machen wie er. Sein Projekt? Den Augiasstall von Sacramento ausmisten. Über diese Reinigungsarbeiten würde man gern mehr erfahren. Auf entsprechende Fragen erwidert er, er habe in seinen Actionfilmen hundertmal das Unmögliche geschafft, er sei „Unternehmer“ und wolle „sich Kalifornien, das ihm so viel gegeben hat, erkenntlich zeigen“, will sagen: deregulieren, Reformstau abbauen und den Sozialstaat zurückdrängen, um „den Menschen“ zurückzugeben, was die Steuern ihnen gestohlen haben.

Seine Entscheidung, gegen Davis anzutreten, verdankte sich keineswegs einem plötzlichen Einfall, auch wenn sie erst im August dieses Jahres in der Show des Fernsehkomikers Jay Leno als „Überraschung“ bekannt gegeben wurde. Bereits im Juni war im progressiven San Francisco und im konservativen San Fernando Valley an repräsentaiven Gruppen getestet worden, ob die fehlende Programmatik des Schauspielers Erfolg verspricht. Die Strategie bestand darin, die traditionellen Printmedien zu umgehen und sich via Talk-Radios und Talkshows direkt „ans Volk“ zu wenden. Nicht mehr war dafür nötig als die ständige Wiederholung einiger Sprüche aus Schwarzeneggers bekanntesten Filmen, nicht mehr als die Vermeidung von Situationen, in denen „Arnold“ (auch die Verwendung seines Vornamens wurde vorher getestet) politisch hätte Stellung beziehen müssen. Der Kandidat, der versprach, „den Politikern in Sacramento in den Hintern zu treten“, war also nicht greifbar. Alle Angestellten seines Wahlbüros mussten eine „Vertraulichkeitserklärung“ unterschreiben, die ihnen bei Androhung aberwitziger Geldstrafen untersagt, auch nur die geringste Information über ihren Chef nach draußen zu geben.

So kam es, dass „Arnold“ alle seriöseren Fernsehsendungen mied, keine Pressekonferenzen gab und mit einer Ausnahme, bei der die Diskussionsteilnehmer ihre Fragen vorher vorlegen mussten, an keiner öffentlichen Debatte mit anderen Kandidaten teilnahm. Doch so wenig er in politischen Wahlkampfsendungen gesehen ward, so allgegenwärtig war er in den schmierigsten Talkshows: schnurrend bei Oprah Winfrey, polternd in der David Letterman Show, lächelnd und frisch in der Today Show, väterlich bei Larry King auf CNN. Denn das war die zweite Methode seines Nicht-Wahlkampfs: die kalifornischen Medien umgehen und die nationalen Medien einspannen – was bei seiner Berühmtheit nicht schwer war.

Abgerundet wurde die „systematische Vermeidung des Politischen“ durch den Starkult um Schwarzeneggers Frau Maria Shriver. Die zur Kennedy-Familie gehörende NBC-Journalistin wirkte vertrauensbildend. Ihre Küsschen vor laufender Kamera und ihre lobenden Worte über „Arnolds Achtung für die Frauen“ ließen alle Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung, die als Begleitmusik der Nicht-Wahlkampage auf ihren virilen Gatten niedergingen, als unbegründet erscheinen.

„Sie kommen in immer größerer Zahl“, erklärte 1994 der republikanische Exgouverneur Pete Wilson, der Schwarzenegger das richtige Profil verpasste. „Sie“, das waren die Mexikaner, die sich in den öffentlichen Schulen und Krankenhäusern breit machen, potenzielle Kriminelle und Sozialhilfeverprasser, die dem Steuerzahler das Geld aus der Tasche ziehen. Der neue Gouverneur machte sich diesen Diskurs nicht zu Eigen. Im Gegenteil, immer wieder spielte er seine Vergangenheit als Ausländer aus und trug seinen österreichischen Akzent dick auf. Allerdings versprach er die laxe Ausländergesetzgebung rückgängig zu machen. Mehr brauchte er nicht zu sagen, sein demokratischer Konkurrent heißt Cruz Bustamente.

Schwarzenegger sprach sich dafür aus, illegalen Einwanderern und deren Kindern den Zugang zu Schulen und Krankenhäusern zu untersagen – ein selektiver Humanismus, der auch so manchen liberal gesonnenen Europäer nicht an der Parteinahme für ihn hinderte. Der ausgesprochen sanftmütige Europaabgeordnete der französischen Liberalen (UDF), Jean-Louis Bourlanges, mutierte gar zum begeisterten Groupie des Terminator: „Er ist nur dem Anschein nach ein Konservativer. In Großbritannien würde er zu den Liberaldemokraten, in Frankreich zur UDF gehören […]. Er ist die Verkörperung des amerikanischen Traums. Elia Kazan ist tot, doch der amerikanische Traum lebt fort.“6

Nur dass der Einwanderer aus Österreich kein Kämpfer gegen soziale und ethnische Diskriminierung ist, sondern als Kandidat der Besitzenden antritt, der in kaum sieben Wochen 22 Millionen Dollar auftreiben konnte, um sich sein neuestes Spielzeug zu leisten: eine Gouverneursresidenz in Sacramento. 10 Millionen stammten aus eigenem Vermögen, der Rest von großzügigen Privatspendern, eben jenen „Gruppeninteressen“, gegen die Schwarzenegger so unerschrocken kämpfen will wie Conan der Barbar.

Mit 80 Millionen Dollar schlug der 70-tägige Wahlkampf in Kalifornien wieder einmal alle Rekorde. Glaubt man dem ehemaligen Sprecher von George W. Bush, Ari Fleischer, so spricht daraus nichts anderes als der ausgeprägte Bürgersinn des amerikanischen Volks. Fleischer im Juli 2003: „Das Geld, das die Kandidaten für unsere Demokratie auftreiben, spiegelt die Unterstützung wider, die sie landesweit finden.“ So gesehen, ist die Demokratie in den Vereinigten Staaten putzmunter wie nie.

deutsch von Bodo Schulze

* Loïc Wacquant, Professor an der Univerität von Berkeley. Verfasser von „Leben für den Ring. Boxen im amerikanischen Getto“, Konstanz (UVK) 2003.

Fußnoten: 1 Dazu Serge Halimi u. Loïc Wacquant, „Demokratie in Amerika“, Le Monde diplomatique, Dezember 2000. 2 Upton Sinclair, „Der Dschungel“, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 1997. 3 Dazu Greg Michell, „The Campaign of the Century. Upton Sinclair’s Race for Governor of California and the Birth of Media Politics“, New York (Random House) 1992. 4 Schwarzeneggers demokratische Gegenspieler. Zitiert nach: „Arnie Speaks“, Wall Street Journal, 24. September 2003. 5 Greg Mitchell, siehe Anm. 3. 6 „L’esprit public“, France Culture, 12. Oktober 2003.

Le Monde diplomatique vom 14.11.2003, von SERGE HALIMI und LOÏC WACQUANT