Suchtgefahr, die Kolumbien-Lektion
NIRGENDS sonst außer im Irak betreiben die USA eine so facettenreiche Söldnerpolitik wie in Kolumbien. Weil der hauseigene Terror durch paramilitärische Gruppen nicht ausreichte, um die immer mächtiger werdende Guerilla einzudämmen, beschloss Washington den milliardenschweren „Kolumbienplan“. Seither wird eine Vielzahl von US-Firmen im Kampf gegen den Drogenhandel eingesetzt. Dass dabei die Grenzen zur Aufstandsbekämpfung überschritten werden, ist von beiden Regierungen erwünscht. Indes erliegen die aus dem Norden finanzierten Söldner häufig dem Rausch der Macht – und der Macht des Rausches.
Von HERNANDO CALVO OSPINA *
Bei der Tour de France 2004 errang das CSC-Team mit Ivan Basso in der Einzel- wie auch in der Mannschaftswertung den dritten Platz. Nur wenige Radsportfans dürften wissen, dass das Initial CSC die „Computer Science Corporation“ bezeichnet. Das internationale Unternehmen arbeitet mit den US-Streitkräften zusammen und erwarb im März 2003 das private Militärunternehmen DynCorp, das in Washington und in vielen Ländern der Welt gut im Geschäft ist.
DynCorp ist seit Ende 1993 auch in Kolumbien präsent. Angeblich nur am Kampf gegen den Drogenhandel beteiligt, ist die Firma auch – neben über 30 anderen privaten Militärunternehmen (PMC) – in Militäraktionen gegen die Guerilla der Bewaffneten Revolutionskräfte von Kolumbien (Farc) und der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) involviert. Die PMCs agieren im Auftrag des US-Außenministeriums, des Pentagons oder der US-Agentur für internationale Entwicklung (USAid)1 und verteidigen in Kolumbien die Interessen der USA – im derzeit umfassendsten „privatisierten“ Konflikt jenseits des Irak.
Am 23. September 1999 brachte Kolumbiens Staatschef Andrés Pastrana von einem Staatsbesuch in Washington die Zusage des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton mit, den „Kolumbienplan“ zur Drogenbekämpfung mit 1,7 Milliarden Dollar zu finanzieren. Um die Öffentlichkeit zu beruhigen und die in Lateinamerika immer negativen psychologischen Folgen einer allzu sichtbaren US-Intervention zu vermeiden, beschränkte man die Mitwirkung des US-Militärs auf 400 Soldaten. Sosehr die US-Administration jedoch darauf bedacht war, eine offene Intervention wie in Grenada 1983 oder in Panama 1989 zu vermeiden, so sehr war ihr daran gelegen, die Regierung in Bogotá durch leistungsfähige Informations-, Ausbildungs- und Trainingsprogramme zu unterstützen. Als der US-Kongress den Plan im Juli 2000 absegnete, genehmigte er daher neben der Präsenz regulärer Soldaten auch die Entsendung von 400 Mitarbeitern privater Militärunternehmen. Die Beschränkung ließ sich freilich leicht umgehen, da in dem Beschluss nur von „Amerikanern“ die Rede ist. Das US-Außenministerium und Unternehmen wie DynCorp konnten die festgelegte Höchstgrenze völlig legal überschreiten, indem sie Personal aus Guatemala, Honduras oder Peru einstellten.
Der Kolumbienplan schuf nur eine Rechtsgrundlage für die Aktivitäten privater Militärfirmen, die in Kolumbien beileibe nichts Neues sind, wenn sich auch ihre Bedeutung vor allem durch die Qualität ihrer Leistungen in letzter Zeit erhöht hat. Bereits 1987 beauftragten Großgrundbesitzer und Drogenhändler, die Verbindungen mit dem Drogenkartell von Medellín unterhielten, das israelische Sicherheitsunternehmen Hod He’hanitin (Spearhead Ltd.) mit der Ausbildung paramilitärischer Einheiten. Die erfolgte unter den wohlwollenden Augen der kolumbianischen Regierung auf dem Gelände der Texas Petroleum Company, und zwar unter Leitung von Exoffizieren der israelischen Armee und des Geheimdienstes Mossad – darunter Reserveoberst a. D. Yair Klein2 – sowie ehemaligen Führungskräften der britischen Luftwaffen-Spezialeinheit SAS. Das Ausbildungsprogramm umfasste Methoden der „Subversionsbekämpfung“, die anschließend in den Bananenanbaugebieten und auf den Ölfeldern gegen mutmaßliche Guerillera-Unterstützer zum Einsatz kamen. Nutzbringende Anwendung fand solches Know-how auch bei der Ermordung von Präsidentschaftskandidaten, die von 1987 bis 1992 gegen das Establishment antraten: Jaime Pardo Leal und Bernardo Jaramillo von der Patriotischen Union, Carlos Pizarro von der Bewegung M-19 und Luis Carlos Galán von der Liberalen Partei.
Laut einem Bericht des UN-Sonderberichterstatters an die UN-Menschenrechtskommission aus dem Jahr 1990 operierten in Kolumbien damals über 140 paramilitärische Gruppen mit engen Kontakten zu Armee und Polizei. Neben vielen Guerilleros fielen den Milizen auch tausende von Arbeitern, Gewerkschaftern und Bauern zum Opfer.3 Die euphemistische Rede von „Paramilitärs“ diente dabei zuallererst dem Zweck, die eigentlichen Drahtzieher der Vernichtungspolitik – die Armee und interessierte Politiker – aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken.4 Die „Paramilitärs“ erledigten die „Drecksarbeit“, Armee und Politik konnten ihr Image aufbessern und trotz massiver Menschenrechtsverletzungen ihren Anspruch auf US-Hilfe geltend machen.
Doch der hauseigene Terror reichte nicht aus, um die Aufständischen in den Griff zu bekommen. Also schaltete sich Washington durch die Hintertür in den Konflikt ein. Die Lobbyisten der in Kolumbien tätigen Ölgesellschaften, der Rüstungsindustrie und der PMCs brachten 6 Millionen Dollar Kampagnengelder auf, um den US-Kongress zur Verabschiedung des Kolumbienplans zu bewegen – eine bescheidene Investition angesichts der in Kolumbien winkenden Geschäfte. Von den 1,3 Milliarden Dollar, die der Plan vorsah, flossen 1,13 Milliarden an US-Unternehmen. Und auch die Weltbank-Zuschüsse wurden von Washington in die Kassen der PMCs umgeleitet.
Mit den ersten 30 Millionen Dollar erstand das Pentagon ein Spionageflugzeug vom Typ RC-7. Es diente als Ersatz für eine ähnliche Maschine, die bei einem Aufklärungsflug gegen die Farc nahe der ecuadorianischen Grenze 1999 zerschellt war. Damals waren fünf US-Drogenbekämpfer ums Leben gekommen. Der Vorfall hatte schlagartig gezeigt, wie weit sich Washington bereits eingemischt hatte.5 Das neue Flugzeug wurde an die Northrop Grumman Corporation verliehen; die für Überwachungstechnik zuständige Sparte des Rüstungskonzerns erhielt den Auftrag, die einmal begonnene Arbeit fortzusetzen.
Auch auf den im südlichen Landesteil gelegenen Stützpunkten der US-Spezialeinheiten – in Tres Esquinas und in Larandia – richteten sich private Militärtrupps ein, die ihren Proviant und technisches Material komplett aus den Vereinigten Staaten importierten. Auf diesen Militärbasen wurde die meisten militärischen und paramilitärischen Gruppen ausgebildet, die die Region Caguán zurückeroberten, wo die Regierung Pastrana Verhandlungen mit der Farc aufgenommen hatte.
Als Verbindungsmann der PMCs fungiert „jemand“ in der US-Botschaft. Und keine kolumbische Behörde war befugt, die Flugzeuge, Mannschaften und das eingeflogene Gerät der PMCs zu kontrollieren. Die Privatsoldaten reisen mit einem Touristenvisum ein, genießen aber diplomatische „Protektion“. In den seltenen Fällen, in denen die kolumbianischen Behörden zu protestieren wagten, drohte Washington mit sofortiger Einstellung der Wirtschaftshilfe.
Die in Kolumbien tätigen PMCs haben eine breite Angebotspalette, die DynCorp vermittelt sogar Köche. Die meisten Dienstleistungen sind beeindruckender. Arinc baut Flugzeugbetankungsanlagen für Landepisten. Die Rendon Group lehrt Polizei- und Armeeoffiziere, wie man den Kolumbienplan der Öffentlichkeit verkauft. ACS Defense liefert logistische Unterstützung und berät das US-Botschaftspersonal, das mit der Umsetzung des Plans betraut ist. Lockheed-Martin liefert Support für Kampfhubschrauber und Truppentransportflugzeuge. Northrop baute und betreibt sieben leistungsstarke Radaranlagen, die an ein luftgestütztes Aufklärungssystem angebunden sind. Des Weiteren bildet Northrop militärische und paramilitärische Kräfte für Sondereinsätze aus.6 ManTech, TRW, Matcom und Alion fotografieren das Gebiet mit hochauflösenden satellitengestützten Kameras und sind für das Abfangen und Auswerten der elektronischen Kommunikation zuständig. Die Informationen werden anschließend an das Südkommando der US-Streitkräfte (Southcom) und die CIA übermittelt, die das Material auswerten und das Ergebnis an ausgewählte Adressaten weiterleiten – wobei die kolumbianischen Streitkräfte als Letzte informiert werden.
Sowohl das Pentagon als auch das US-Außenministerium und die USAid lassen keinen Zweifel daran, dass die meisten militärischen, logistischen und nachrichtendienstlichen Teilprogramme so schnell nicht in die Hände kolumbianischer Behörden übergehen werden. Die Begründung lautet, diese verfügten nicht über die nötigen „technischen Fähigkeiten“7 – was die Frage aufwirft, wozu dann Ausbilder überhaupt benötigt wurden.
Seit 1998 sind in Kolumbien mehr als zwanzig Söldner ums Leben gekommen, die meisten unter „merkwürdigen“ Umständen, über die nichts Genaueres bekannt wurde. Die ersten beiden Toten, von denen man erfuhr, hatte im Juli 1998 die Eagle Aviation Service and Technology (East) zu beklagen. East ist ein Tochterunternehmen von DynCorp, das vor Jahren in den Irangate-Skandal verwickelt war und damals im Auftrag der CIA agiert hatte.8 Nach offiziellen Angaben stürzte ihr Flugzeug ab, als sie Kokaplantagen mit Pflanzengiften besprühten. Nach anders lautenden Informationen jedoch wurde die Maschine von der Guerilla abgeschossen.
Drogenkonsum im rechtsfreien Raum
EIN weiterer Söldner, Michael Demons von der DynCorp, starb im August 2000 kurz vor seiner Einlieferung ins Krankenhaus von Florencia. Wie die Autopsie ergab, erlag er einem Herzschlag infolge einer Überdosis von Heroin und Morphium. Er war auf dem Militärstützpunkt von Larandia beschäftigt. Alexander W. Ross, auch er in Diensten von DynCorp, kam im August 2002 nach offizieller Version bei einem Umfall ums Leben. Angeblich wurde er von einem Flugzeugpropeller zerfetzt. Seiner Mutter kam jedoch zu Ohren, er sei ermordet worden, weil er zu viel über die Verwicklung einiger Kameraden in Drogengeschäfte wusste.
Alles Gerüchte? Als sich die Wochenzeitschrift Semana mit dem Thema befasste – lange nach der US-amerikanischen Presse –, schrieb sie: „Die Gringos, die im Rahmen des Kolumbienplans die Kokaplantagen mit Gift besprühen, sind eine Bande gott- und vaterlandsloser Rambos, die in einen Fall von Heroinschmuggel verwickelt sind.“9 Tatsache ist, dass die Flughafenpolizei in Bogotá im Mai 2000 zwei Flaschen mit jeweils 250 Gramm einer Flüssigkeit fand, die sich bei der Analyse als ein Gemisch aus Öl und dem Harz von Schlafmohn herausstellte – einem Ausgangsprodukt für die Heroinherstellung. Zum Leidwesen von DynCorp hatten ihre Angestellten ein Fremdunternehmen, nämlich Federal Express beauftragt, die wertvolle Sendung zur DynCorp-Niederlassung auf dem Luftwaffenstützpunkt Patrick in Florida zu transferieren – brav mit Angabe des Absenders und des Empfängers.
Die kolumbianische Polizei wurde zum Stillschweigen verdonnert, bis die US-Medien ein Jahr später einen Bericht der US-Drogenbekämpfer veröffentlichten. Weitere zehn Angestellte der DynCorp waren 2000 in einen Amphetaminschmuggel verwickelt. Untersuchungsergebnisse des kolumbianischen Justizministeriums verschwanden auf mysteriöse Weise, während DynCorp sich damit begnügte, die Beschuldigten zu entlassen beziehungsweise zu versetzen.
Washington unternimmt alles, um solche Skandale im Keim zu ersticken. Keinesfalls darf die in mehreren Ländern, zumal im Irak, äußerst fruchtbare Zusammenarbeit mit DynCorp gefährdet werden. Als die Farc letztes Jahr drei Beschäftigte der California Microwave Systems gefangen nahm, die im Süden des Landes „nachrichtendienstliche Operationen durchführten“10 , brachten die Medien nur eine knappe Meldung.
Vor dem 11. September galten die kolumbianischen Guerillagruppen offiziell als Kriegsparteien; seither bezeichnet das US-Außenministerium sie nur noch als „terroristische“ Organisationen. 2002 beschloss der US-Kongress, die Obergrenze der in Kolumbien eingesetzten Mitglieder von Spezialeinheiten auf 500 heraufzusetzen und diese Höchstgrenze bei Auftragnehmern aufzuheben. Seitdem ist es auch erlaubt, die zur Bekämpfung des Drogenhandels vorgesehene Militärhilfe für die Aufstandsbekämpfung zu verwenden, wobei ebenfalls private Militärunternehmen mitmischen dürfen. Im Grunde hat Washington damit nur zur offiziellen Politik erklärt, was schon immer praktiziert wurde. Diese Kontinuität im Wandel läuft unter dem Etikett „Patriot Plan“.
Die Guerilla behindert die Förderung und den Transport von Erdöl, weil sie der Ansicht ist, dass die damit erwirtschafteten Profite nur den transnationalen Unternehmen und einer Hand voll Kolumbianern zugute kommen. Die erste Ölgesellschaft, die zum Schutz ihrer Anlagen Söldner einsetzte, war Texaco. 1997/98 bildete die britische Gesellschaft Defense Systems gemeinsam mit der Armee paramilitärische Einheiten für British Petroleum, Total und Triton aus. Die nötigen Waffen lieferte die israelische Firma Silver Shadow.
Am 13. Dezember 1998 beschossen Kampfhubschrauber eine Reihe schäbiger Häuser in Santo Domingo, einem kleinen Dorf in der Nähe der venezolanischen Grenze. Nach Angaben der Streitkräfte hielten sich dort Mitglieder einer Guerillakolonne auf. Bei dem Angriff wurden 18 Personen getötet. Das Ziel war von Söldnern der Occidental Petroleum ausgemacht worden, auf deren Gelände ein Teil der Operation vorbereitet wurde. Von dort starteten auch Flugzeuge der Florida Air Scan, mit drei US-Bürgern als Besatzung, darunter ein aktiver US-Soldat. Diese drei sind seither aus Kolumbien verschwunden; die Regierung in Washington weigert sich, sie an die kolumbianische Justiz auszuliefern.11
Im September 2003 unterzeichnete die kolumbianische Regierung ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten, in dem sich Bogotá verpflichtet, US-Bürger, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt werden, nur mit Erlaubnis Washingtons an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) auszuliefern. Wer wird sich also um die Bestrafung von Verbrechen und Vergehen der PMC-Söldner kümmern? Und es stellt sich noch eine Frage: Die „demokratische Sicherheitspolitik“ von Staatspräsident Alvaro Uribe sieht die Schaffung eines Kontingents von 25 000 „Bauernsoldaten“ und ein Netz von einer Million „Informanten“ vor. Wer wird diese neuen Akteure kontrollieren, wenn dieser „Krieg“ mit jedem Tag noch ein Stück mehr „privatisiert“ wird?
Ob Paramilitärs, „Bauernsoldaten“ oder PMCs – sie alle sind Instrumente, eine Strategie zu verfeinern, deren theoretische Grundlage ein anonymer kolumbianischer Militärautor 1976 so formulierte: „Wenn ein begrenzter Krieg konventioneller Art zu viele Risiken birgt, bieten sich paramilitärische Techniken als ein sicheres und nützliches Mittel an, um durch Gewaltanwendung politische Ziele zu erreichen.“12
deutsch von Bodo Schulze
* Journalist