12.11.2004

Eine wenig hilfreiche Partnerschaft für Afrikas Entwicklung

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Eine wenig hilfreiche Partnerschaft für Afrikas Entwicklung

MIT vielen gegenseitigen Versprechungen und der Unterstützung der westlichen Industrieländer haben sich 53 afrikanische Länder auf die „Nepad“ geeinigt, einen gemeinsamen Entwicklungsplan. Doch das Vorhaben muss scheitern: Es beruht auf den neoliberalen Konzepten der Marktöffnung, übergeht die afrikanischen Besonderheiten und verfügt nur über schwache Institutionen. Vor allem benennt die Nepad nicht, was in den letzten zwanzig Jahren auf dem Kontinent falsch gelaufen ist und wer die Misere zu verantworten hat.

Von TOM AMADOU SECK *

Im Juli 2001 verabschiedete die Afrikanische Union in der sambischen Hauptstadt Lusaka die Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (Nepad). Das Programm soll für die kommenden Jahrzehnte die Strategie der 53 afrikanischen Staaten gegenüber der Globalisierung festlegen. Der Plan, der in keiner Ansprache über den wirtschaftlichen Aufschwung des Schwarzen Kontinents fehlt, wurde von den fünf „Schwergewichten“ der afrikanischen Politik ausgearbeitet – den Staatspräsidenten Thabo M’Beki (Südafrika), Olusegun Obasanjo (Nigeria), Abdelasis Bouteflika (Algerien), Husni Mubarak (Ägypten) und Abdoulaye Wade (Senegal). Auf den Weltwirtschaftsgipfeln im kanadischen Kananaski 2002 und im Folgejahr im französischen Evian erhielt die Nepad die formelle Unterstützung der Industrieländer, die in der Gruppe der Acht zusammengeschlossen sind.

Doch ungeachtet enthusiastischer Prognosen beruht die Neue Partnerschaft auf strategischen Irrtümern, die Zweifel an der Effizienz der Initiative begründen. In „Partnerschaft“ mit den internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen – dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Welthandelsorganisation (WTO) strebt der Entwicklungsplan – übrigens durchaus nicht der erste seiner Art – für die kommenden fünfzehn Jahre jährliche Wachstumsraten von 7 Prozent und die Verringerung der Armut um die Hälfte bis zum Jahre 2015 an. Ein ehrgeiziges und durchaus lobenswertes Ziel, das jedoch wegen der geringen Finanzressourcen der Nepad und ihres Bekenntnisses zu neoliberalen Rezepten schwer erreichbar sein dürfte.

Als Hauptfinanzierungsquelle kalkuliert die Nepad mit wachsenden Auslandsdirektinvestionen. Doch im Jahre 2001 floss mit 17 Milliarden Dollar nur 1 Prozent der weltweiten Investitionen nach Afrika, 10 Prozent hingegen gingen nach Lateinamerika und 20 Prozent nach Asien. Als Hauptursache für diese dürftige Bilanz benennt die UN-Handels- und Entwicklungskonferenz (Unctad) die „wenig attraktiven“ wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen: politische Instabilität, häufige Bürgerkriege, mangelnde institutionelle Transparenz und unterentwickelte Vertragstreue. Auch die öffentliche Entwicklungshilfe kann die privaten Finanzierungslücken nicht ausfüllen, da sie seit Jahren rückläufig ist.1 Und die von den G 8 in Aussicht gestellten Finanzhilfen sind bislang leere Versprechungen geblieben.

Realistisch wären also allein Süd-Süd-Zuflüsse aus Südafrika, den Erdölstaaten und asiatischen Ländern; hinzu kommt die Mobilisierung der lokalen Ersparnisse. Doch 40 Prozent der Inlandsersparnisse Afrikas haben sich auf Auslandskonten verflüchtigt; die Kapitalflucht aus Afrika ist viel bedeutender als in den Ländern Asiens mit 3 Prozent und denen Lateinamerikas mit 17 Prozent. Und die von afrikanischen und westlichen Unternehmen in Afrika erwirtschafteten Gewinne werden überwiegend im Norden investiert.

Man müsste also die Binnenersparnisse sichern und die Kapitalflucht bremsen. Geeignete Maßnahmen hierfür wären der Aufbau von Investitionsbanken für langfristige Kredite und dezentralisierte Finanzierungsmöglichkeiten für mittlere, kleine und Kleinstunternehmen, also einschließlich des informellen Sektors, sowie für die Subsistenzlandwirtschaft, also für bäuerliche Familienbetriebe. Könnte Afrika die Kapitalflucht im gleichen Maß verringern wie Asien, würde das Kapitalvermögen Afrikas, so das Ergebnis verschiedener Studien, um 50 Prozent anwachsen.2

Als gesichert kann jedenfalls gelten, dass sich Entwicklung nur durch lokale Ersparnisse finanzieren lässt; Auslandsdirektinvestitionen spielen in dieser Hinsicht nur eine untergeordnete Rolle. Die öffentliche Entwicklungshilfe muss genau diesen Prozess befördern. Wie aus einer Unctad-Studie hervorgeht, ziehen öffentliche Investitionen Privatinvestitionen nach sich, denn Letztere fließen nicht etwa „wie von selbst“ dahin, wo der größte Bedarf herrscht.3 Diese Tatsache lässt die Nepad völlig außer Acht.

Als wichtigste Handlungsfelder werden in der Nepad folgende Bereiche identifiziert: Infrastrukturbauten wie Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien oder Häfen, die Energieversorgung, moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, die Öffnung westlicher Märkte für afrikanische Exporte, die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen einschließlich der Bekämpfung epidemischer Krankheiten sowie Bildung. Diese Ziele dürfte die Nepad jedoch schon allein deshalb verfehlen, weil sie sich an den Rahmen der neoliberalen Vorschriften von IWF und Weltbank, der Welthandelsorganisation und der Europäischen Union mit dem System von Bevorzugungen gemäß dem Cotonou-Abkommen hält.4 Die Nepad entwirft kein gesellschaftliches Projekt für den Schwarzen Kontinent. Ihre große theoretische Schwäche liegt darin, dass sie eine triftige Kritik der seit den 1980er-Jahren aufgelegten Strukturanpassungsprogramme vermissen lässt und die wirtschaftspolitischen Grundsätze der letzten zwanzig Jahre fortschreibt, obwohl diese ganz offenkundig gescheitert sind.5

Privatisierung, Weltmarktintegration, Abbau der Zollschranken und eine umfassende Liberalisierung aller Wirtschaftssektoren haben nicht nur die erwarteten Ergebnisse nicht gebracht, sie haben vielmehr das ohnehin zerschlissene soziale Gewebe vollends zerstört. Nach Angaben des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) sank das Pro-Kopf-Einkommen zwischen 1990 und 2002 um jährlich 0,4 Prozent, während die Zahl der Armen Jahr für Jahr um 74 Millionen zugenommen hat.6 Im Zuge der Strukturanpassungsprogramme wurden die öffentlichen Investitionen, die für die Konsolidierung grundlegender Infrastrukturen unentbehrlich sind, radikal reduziert, die Privatisierung lebenswichtiger Sektoren wie Energie- und Wasserversorgung sowie Bildung dagegen wurde weiter vorangetrieben.

Während die lebensnotwendigen Infrastrukturbauten mehr und mehr verfielen, erwirtschafteten die meist westlichen Unternehmen, die sich die Konkursmasse aneignen konnten, enorme Profite.7 Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kommt zu dem Schluss: „Das subsaharische Afrika dürfte weltweit die einzige Region sein, in der die Zahl der Armen bis 2015 weiter ansteigt, mithin auch die einzige Region, in der die anlässlich der Jahrtausendwende festgeschriebenen Entwicklungsziele gewiss nicht erreicht werden.“ Das von der Nepad anvisierte Wachstum werde daher nur dann positive Auswirkungen haben, wenn es zur Sicherung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung beiträgt.

Doch statt dieses Ziel zu verfolgen, begünstigt die Nepad Prestigeprojekte wie kontinentale Autostraßen oder Telekommunikationsnetze, die zudem auch noch die technologische und finanzielle Abhängigkeit von den Multis der Industrieländer verstärken. Die mittelständischen und Kleinunternehmen, vor allem aber die Kleinstunternehmen des informellen Sektors, die den Kern der afrikanischen Wirtschaftsstruktur ausmachen, genießen hingegen keine Priorität – und dies, obwohl in diesem Bereich seit 25 Jahren die meisten Arbeitsplätze entstehen.

In Senegal zum Beispiel erbringen der informelle Sektor und die bäuerlichen Familienbetriebe über 70 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung – ein deutliches Zeichen, dass der Staat seinem Versorgungsauftrag nicht nachkommt. Adama Sow, die in Senegal als Beraterin tätig ist, vertritt daher die Ansicht, dass nicht der informelle Sektor reformiert werden müsse, sondern der Staat: „Sobald die Steuern in den Bau von Schulen und Krankenhäusern fließen, wird sich damit auch die Attraktivität des Staats erhöhen.“ Stattdessen verschwinden die Staatseinnahmen in den Taschen der Führungselite – ein Missstand, den die Nepad nicht genügend berücksichtigt.

Die Bekämpfung von Armut und Landflucht kann auch und gerade südlich der Sahara nur erfolgreich sein, wenn die Ernährung gewährleistet ist. Dies ist nur durch die Förderung landwirtschaftlicher Familienbetriebe zu erreichen. Die Nepad jedoch favorisiert den Großgrundbesitz und die kapitalistische Intensivlandwirtschaft, die hauptsächlich in Südafrika und in Kenia vorkommt. Für andere Regionen Afrikas scheint diese Wirtschaftsweise wenig geeignet, weil sie den Einsatz von Maschinen erfordert, was negative Auswirkungen auf die Beschäftigungslage und die ländliche Sozialstruktur haben würde.

Industrielle Intensivlandwirtschaft zerstört das Kollektiveigentum an Grund und Boden, setzt auf nicht nachhaltige Ertragssteigerungen und erfordert den Einsatz von Chemiedünger, was automatisch zur privaten Verschuldung führt. Eine demokratische „grüne“ Revolution mit der Anwendung fortschrittlicher Agrartechniken und dem verstärkten Einsatz von Arbeitstieren, in Verbindung mit einer Agrarreform, die diesen Namen verdient, sieht die Nepad nicht vor. Vernünftiger wäre gerechte Landverteilung mit angemessenen Entschädigungszahlungen, anders als die Zwangsenteignungen und Sanktionen in Simbabwe. Nur so könnte man Hungersnöte bekämpfen und die Abhängigkeit im Lebensmittelsektor einschränken.

Die Nepad präsentiert sich als Partnerschaft mit den G 8-Ländern und den multilateralen Institutionen Weltbank, IWF, WTO. Um den Letzteren und auch den möglichen Investoren die gewünschte „Sicherheit“ zu bieten, wurde im Rahmen der Nepad eine „Institution zur gegenseitigen Überwachung der Mitgliedstaaten“ gegründet. Dieser Mechanismus sieht vor, dass sich jedes Nepad-Mitglied der Kontrolle durch die anderen Mitglieder unterstellt und sich an den Prinzipien verantwortungsvoller Staatsführung orientiert: Achtung der Menschenrechte, unabhängige Gerichtsbarkeit, die Bekämpfung der Korruption.8

Von den 53 Nepad-Unterzeichnern haben sich jedoch nur 13 Länder bereit erklärt, einen solchen Schritt zu vollziehen, wobei es sich ausschließlich um Staaten handelt, die erst vor kurzem eine Hinwendung zu demokratischen Verhältnissen erlebt haben; dazu gehören Senegal, Ghana, Nigeria, Kenia und Südafrika. Unbestreitbar ist, dass eine solche Institution die „innerafrikanische“ Selbstkontrolle mobilisieren kann. Doch es bleibt die Frage, ob damit nicht auch die Unterwerfung unter neoliberale Wirtschaftsprinzipien verstärkt wird. Hinzu kommt, dass eine Institution, die auf dem unverbindlichen Prinzip der Freiwilligkeit beruht, kein glaubwürdiges Instrument darstellt.

Als Gegengewicht und Stimme derer, die keine politische Stimme haben, käme nur die „Zivilgesellschaft“ in Betracht. Die Nepad verfolgt jedoch einen ganz und gar technokratischen Ansatz. Auf ihrem Regionaltreffen im Februar 2003 in Dakar bedauerten die 15 anwesenden westafrikanischen Bürgervereinigungen in ihrem Schlusskommuniqué, dass sie „bei der Planung, Durchführung und Bekanntmachung der Nepad nicht hinzugezogen wurden“9 . Vertreten waren auch der „Nationale Verband der ländlichen Bevölkerung“ (CNCR), ein Zusammenschluss senegalesischer Kleinproduzenten, und die „Nationale Union der Händler des informellen Sektors“, die zu den repräsentativsten Bürgervereinigungen Westafrikas gehören.

Insgesamt beseitigt die Nepad nicht eine der Ambivalenzen, die einer Partnerschaft mit den Industrieländern nun einmal innewohnen. Die Verschuldung der afrikanischen Ländern findet ebenso wenig Erwähnung wie die Tatsache, dass Globalisierung bislang ausschließlich nach dem Prinzip der Konkurrenz untereinander funktioniert. Allein schon deshalb müssen sich die afrikanischen Länder darauf einigen, ihre Binnenmärkte selektiv nach außen zu schützen und sich gegen die Agrarsubventionen in den USA und der EU zu wehren. Nur eine wirklich aufgeklärte Öffentlichkeit, die Presse- und Meinungsfreiheit voraussetzt, kann ein Entwicklungsprojekt anstoßen, das den Bedürfnissen der Afrikaner gerecht wird. Wie der afrikanische Weise Keba M’Baye lehrt, „muss sich Afrika in erster Linie auf sich selbst verlassen“.

deutsch von Bodo Schulze

* Ökonom, Autor von „La Banque Mondiale et l‘Afrique de l‘Ouest. L‘exemple du Sénégal“, Paris (Publisud) 1997.

Fußnoten: 1 Dazu David Sogge, „Entwicklungshilfe: Der unselige Zustand des Gebens und Nehmens“, Le Monde diplomatique, September 2004. 2 Haut Conseil de la Coopération Internationale, „Les Priorités de la coopération pour l‘Afrique Subsaharienne et le nouveau partenariat pour le développement de l‘Afrique“, Paris, April 2002. 3 UNDP, Les flux de capitaux en Afrique, Genf, 2000. 4 Das Cotonou-Abkommen regelt den Handel der EU mit rund 80 „AKP“-Ländern aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik, meist ehemaligen Kolonien. 5 Dazu Demba Moussa Dembélé, „Mauvais comptes du franc CFA“, Le Monde diplomatique, Juni 2004. 6 UNDP, Bericht über die menschliche Entwicklung 2003, Bonn (UNO-Verlag) 2003. 7 Dazu Sanou M‘Baye, „Aktionsplan für Schwarzafrika“, Le Monde diplomatique, Juli 2002. 8 Bernard Cassen, „Le piège de la gouvernance“, in: Manière de voir 61, „L‘Euro sans L‘Europe“, Februar 2002. 9 Alain Agboton (Hrsg.), „Pour comprendre le Nepad“, Les cahiers de l‘alternance, Cesti/Konrad-Adenauer-Stiftung, Dakar (Senegal), Mai 2003.

Le Monde diplomatique vom 12.11.2004, von TOM AMADOU SECK