Reichlich Zündstoff unter Wasser
Zuerst einigten sich die Besatzungsmacht Indonesien und das rohstoffhungrige Australien über die Ausbeutung der Gas- und Ölvorkommen Osttimors. Als das kleine Land unabhängig wurde, hatte sich das Seerecht zu seinen Gunsten gewandelt. Doch Australien stellt sich stur.
Von JEAN-PIERRE CATRY *
UN-GENERALSEKRETÄR Kofi Annan hat das größte wirtschaftliche Problem der jungen Republik Osttimor deutlich angesprochen. „Die Armut in vielen Landesteilen und die zu geringen Staatseinnahmen behindern in hohem Maße die wirtschaftliche und soziale Entwicklung“, schrieb Annan in einem Bericht an den Sicherheitsrat. Er benannte auch die Hauptursache: Die Nutzung der Öl- und Gasvorkommen des Landes gehe „langsamer als erhofft voran“.1 Mit Blick auf diese Ressourcen bietet allerdings die internationale Gemeinschaft dem Land neue Kredite an – eine Verschuldung, die nötig geworden ist, weil Australien, das reichste Land der Region, sich nach wie vor die Ressourcen Osttimors aneignet.
Als sich Australien 1972 mit Indonesien über die Aufteilung der Seerechte einigte, folgten die Verhandler dem Prinzip des Kontinentalsockels2 – einer damals gängigen Methode zur Festlegung der Seegrenzen. Weil der australische Festlandssockel sich aber weit nach Osttimor hinausstreckt, schlug die Vereinbarung 85 Prozent des Ozeans zwischen den beiden Staaten Australien zu. Portugal, damals noch Kolonialmacht in Osttimor, protestierte gegen diese Festlegung der Grenze. Es entstand eine umstrittene Zone, der so genannte Timor-Gap.
Auf den Rückzug Portugals aus seinen Kolonialgebieten reagierte Indonesien 1975 mit der Invasion in Osttimor und dessen Annexion. Richard Woolcott, der damalige australische Botschafter in Djakarta, wies seine Regierung in einem ursprünglich vertraulichen Telegramm darauf hin, es werde wohl „einfacher sein, mit Indonesien über die Schließung der bestehenden ‚Lücke‘ in den maritimen Hoheitsrechten zu verhandeln, als mit Portugal oder einem unabhängigen Osttimor“. Australien wahrte noch eine Schamfrist, bevor es 1979 Verhandlungen mit der Besatzungsmacht begann – immerhin war der Einmarsch Indonesiens von der Vollversammlung und vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilt worden. Inzwischen hatte sich aber international das Prinzip der 200-Meilen-Zone für die nationalen Hoheitsrechte auf See durchgesetzt, und da die Zone zwischen den beiden Staaten weniger als 400 Meilen maß, einigte man sich 1981 auf die Mitte als Seegrenze. Australien akzeptierte diese Regelung allerdings nur in Bezug auf die Fischereirechte, nicht bezüglich der Meeresbodenschätze.
1982 wurde die „Mittellinie“ auch in der Internationalen Seerechtskonvention festgeschrieben (die 1994 nach Ratifizierung durch sechzig Staaten in Kraft trat). Indonesien hatte auf diese vorteilhafte Bestimmung nicht warten wollen und bereits 1989 einen Vertrag über den Timor-Gap geschlossen. Danach erhielt Australien weitgehende Ausbeutungsrechte an den Bodenschätzen in dem Gebiet. Im Gegenzug erkannte die Regierung in Canberra die Souveränität Indonesiens über Osttimor an – ein klarer Verstoß gegen die UN-Resolutionen.
Portugal reagierte mit einer Klage gegen Australien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Der IGH erklärte sich zwar letztlich für unzuständig, wies aber Australien darauf hin, dass der Vertrag für ein unabhängiges Osttimor keine bindende Wirkung haben werde. Indonesien war dem Verfahren, das von 1991 bis 1995 lief, ferngeblieben, weil es den IGH nicht anerkannte. In dem umstrittenen Vertrag von 1989 hatten Australien und Indonesien zudem eine Kooperationszone innerhalb des Timor-Gap definiert. Die Erträge aus diesem Gebiet – auf die, da es nördlich der definierten Mittellinie liegt, eigentlich allein Osttimor Anspruch hätte – wurden zu halbwegs gleichen Teilen zwischen den beiden Vertragspartnern aufgeteilt.
Mit dem Sturz des indonesischen Präsidenten Suharto 1998 verbesserten sich die Chancen für die Unabhängigkeit Osttimors, und damit stellten sich neue völkerrechtliche Fragen. Ein Staat Osttimor als Rechtsnachfolger Indonesiens würde die Rechte der Besatzer aus Abkommen übernehmen, die er nicht geschlossen hatte. Würde dagegen – wie der IGH nahe gelegt hatte – der Vertrag insgesamt für ungültig erklärt, dann müsste über alles, auch den Verlauf der Seegrenzen, neu verhandelt werden.
Osttimors Präsident Xanana Gusmão und Ministerpräsident Mari Alkatiri zeigten sich entschlossen, die Grenzfragen zu klären. Im Januar 2000 handelte die UN-Übergangsverwaltung Untaed ein Abkommen mit der australischen Regierung aus. Osttimor galt demnach nicht als Rechtsnachfolger Indonesiens: „Wir wollen nicht legalisieren, was illegal ist“3 , hieß es zur Begründung. Sobald Osttimor formell unabhängig sein würde, sollte der Vertrag von 1989 neu verhandelt werden.
Am 19. Mai 2002 war es so weit: Nach 24 Jahren Widerstand gegen das indonesische Besatzungsregime und einer von den Vereinten Nationen organisierten Volksabstimmung erlangte die Demokratische Republik Osttimor ihre staatliche Unabhängigkeit. Doch das indonesische Militär und seine Milizen hatten vor dem Rückzug schwer gewütet und die Infrastruktur weitgehend zerstört. Der neue Staat war der ärmste in ganz Asien.
Mehrere Ölkonsortien – die beiden bekanntesten unter Führung von ConocoPhilipps4 und Woodside5 – drängten auf einen Vertrag über die Bayu-Undan-Lagerstätten, die sich vollständig innerhalb der Kooperationszone befinden. Nur dann sei die Fortführung der Erschließungsprojekte möglich. Und auch die Geberländer machten Druck, weil die internationale Hilfe ab 2005 reduziert werden könnte, falls Osttimor die erhofften Einnahmen von 50 Prozent aus einem Vertrag mit Australien erhält.
Die australische Regierung gab sich nach außen hin großzügig, ließ aber den Vertretern Osttimors gegenüber durchblicken, dass sie am Ende mit leeren Händen dastehen könnten, wenn sie zu hohe Forderungen stellten. „Wir sind durchaus bereit, uns zu einigen“, erklärte Daryl Manzie, Minister für den australischen Bundesstaat Northern Territory, „vielleicht auf halbe-halbe oder auf 60 zu 40, das wird sich zeigen.“6 Allerdings sei Australien auf die Gasvorkommen von Bayu-Undan gar nicht angewiesen, weil man über zehnfach größere Vorkommen außerhalb der Zone verfüge.7 Man könne sich auch der Erschließung anderer Felder zuwenden, falls es zu keiner Einigung komme. Und Außenminister Alexander Downer drohte, eine Neuaufteilung der Erträge werde „Auswirkungen auf sämtliche australischen Hilfen für Osttimor haben“.8
Erst nachdem Untaed-Vertreter Peter Galbright, Verhandlungsführer für die osttimoresische Seite, Australien mit der erneuten Anrufung des IGH drohte, war Canberra bereit, Osttimor 90 Prozent der Erträge aus dem Bayu-Undan-Fördergebiet zuzugestehen. Neben den übrigen 10 Prozent sicherte sich Australien das Geschäft mit der Abwicklung von Transport und Export über den Hafen von Darwin.
Die Führung in Dili konnte kaum Nein sagen, schließlich versprach ihr der Vertrag jährliche Einnahmen von rund 100 Millionen US-Dollar über zwanzig Jahre – zu diesem Zeitpunkt belief sich der osttimoresische Staatshaushalt auf nur 75 Millionen, 40 Prozent davon kamen aus internationalen Hilfszahlungen. Und von dem wenigen Geld musste das Land völlig neu aufgebaut werden: von der Verwaltung über die Kommunikation bis hin zum Bildungs- und Gesundheitswesen.
Dieser 90-Prozent-Vertrag bezog sich jedoch lediglich auf das in der Kooperationszone gelegene Erdgasfeld Bayu-Undan, das inzwischen Gemeinsame Erdöl-Entwicklungszone (Joint Petroleum Development Area, JPDA) heißt. Verliefen die Grenzen entsprechend den osttimoresischen Forderungen und der Ansicht der meisten Völkerrechtsexperten, dann stünden auch die Lagerstätten von Laminaria/Corralina im Westen der JPDA (hier fördert Australien 150 000 Barrel täglich) und Greater Sunrise im Osten den Osttimorern zu. Deren Ressourcen würden sich so verdreifachen.9
Australien hat diese Ansprüche unter Berufung auf das Prinzip des Kontinentalsockels zurückgewiesen. Doch so recht schien man in Canberra auf die eigenen Positionen nicht zu vertrauen: Schon im Jahr 2000 sprach sich William Campbell, Chef der Abteilung für internationales Recht beim Justizministerium, für eine Verhandlungslösung aus, weil eine rechtliche Klärung „die Staaten entmündigen“ und ihnen die Regelung der Streitfragen entziehen würde.10 Im März 2003, zwei Monate vor der Unabhängigkeit Osttimors, erklärte die australische Regierung, sie wolle den Weisungen des IGH nicht folgen und werde eine schiedsgerichtliche Entscheidung des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg (ISGH) nicht akzeptieren. Man setzte auf das Recht des Stärkeren in direkten Verhandlungen.
Die neue Regierung von Osttimor wartete achtzehn Monate, bis Australien auf ihre Aufforderung zu Grenzverhandlungen einging. Erst im April 2004 kam es zu einem ersten Delegiertentreffen. Osttimor forderte monatliche Zusammenkünfte, aber Australien setzte mit Verweis auf Zeit- und Personalprobleme halbjährliche Termine durch. Eine lohnende Verzögerung: Einstweilen fließt allein aus dem Fördergebiet Laminaria/Catalina täglich eine Million US-Dollar in die Taschen der australischen Vertragspartner.
Die Konsortien forderten eine Regelung bis Ende 2004, um in die Ausbeutung der Lagerstätte Greater Sunrise investieren zu können. Dieses Fördergebiet liegt beidseits der Ostgrenze der JPDA, 95 Meilen vor der Insel Timor und 250 Meilen von Australien entfernt – auf der timoresischen Seite eben, sofern die Mittellinie gilt. Hier wäre also eine gemeinsame Nutzung geboten. Solange die Grenzen nicht neu ausgehandelt sind, bleibt Australien der Ertrag aus den Ressourcen außerhalb der JPDA – das sind 80 Prozent dieser Vorkommen –, während Timor den Erlös aus 90 Prozent der restlichen 20 Prozent des Gebiets für sich beanspruchen kann – insgesamt nur 18 Prozent des Gesamtertrags.
Kein Fairplay an der Mittellinie
ZU Beginn einer internationalen Geberkonferenz im April 2004 richtete Osttimors Präsident Gusmão einen verzweifelten Appell an die Weltöffentlichkeit: „Wir werden unsere Schulden nicht tilgen können, solange uns ein großer, mächtiger Nachbar die dafür nötigen Einnahmen wegnimmt. Nur deshalb bleiben wir auf der internationalen Liste der Schuldnerländer.“ Australiens Außenminister Downer zeigte sich empört und warf Osttimor Rufschädigung vor: Man habe dem Land immerhin 170 Millionen US-Dollar Entwicklungshilfe zukommen lassen und außerdem großzügig 90 Prozent der Erlöse von Bayu-Undan abgetreten. Nach Schätzungen der australischen Sektion der britischen NGO Oxfam hat Australien allerdings bislang mehr als eine Milliarde US-Dollar allein am Fördergebiet Laminaria/Corralina verdient.
Die im Januar 2004 gegründete Timor Sea Justice Campaign, ein Zusammenschluss von Gegnern der australischen Regierungspolitik, hat vorgeschlagen, bis zur Regelung der Grenzstreitigkeiten alle Erträge aus den umstrittenen Gebieten auf Sperrkonten zu deponieren. Davon will die australische Regierung natürlich nichts wissen. Sie hatte sich bereits taub gestellt, als die Kirchen mahnende Aufrufe veröffentlichten, und sogar einen Bericht der Senatskommission für auswärtige Angelegenheiten, Handel und Verteidigung ignoriert.
Dort hieß es im Dezember 2000: „Wenn die australische Regierung sich anständig verhält und geltende Grundsätze des internationalen Rechts beachtet, könnte die australische Regierung sowohl mit Osttimor als auch mit anderen Konfliktparteien eine Einigung erzielen und überdies Osttimor dabei helfen, seine wirtschaftliche Abhängigkeit von internationaler Hilfe abzubauen.“
Die Ölkonzerne haben angekündigt, keine weiteren Investitionen in Greater Sunrise tätigen zu wollen, falls Osttimor und Australien nicht bis Ende 2004 zu einer Übereinkunft gelangt sind. Von beiden Seiten sind indes wieder moderatere Töne zu hören. José Ramos Horta, der osttimoresische Außenminister und Friedensnobelpreisträger von 1996, hatte im Mai darauf hingewiesen, dass Osttimor seine Unabhängigkeit nicht zuletzt Australien verdanke. Auf die Unterstützung des mächtigen Nachbarn, der 1999 in Osttimor den Oberbefehl über die UN-Truppen übernahm, könne man auch in Zukunft nicht verzichten. Australiens Außenminister Downer schlug in die gleiche Kerbe: „Timor riskiert, seinen wichtigsten internationalen Partner zu verlieren.“11 Jüngster Vorschlag: eine Übergangslösung, die ohne Änderung des Grenzverlaufes mehr Einnahmen für Osttimor erlaubte. Horta ließ sein Interesse durchblicken, „sich auf die Aufteilung der Ressourcen zu konzentrieren und alle Souveränitätsfragen für die nächsten zehn oder zwanzig Jahre zurückzustellen“12 . Dies sei freilich ein persönlicher Vorschlag – das letzte Wort habe das Parlament.
deutsch von Edgar Peinelt
* Journalist in Lissabon und Gründer der Osttimor-Initiative „Frieden ist möglich“.