12.11.2004

Aus Marokkos Peripherie

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Aus Marokkos Peripherie

George W. Bush, Ariel Scharon und Wladimir Putin schlagen seit Jahren politisches Kapital aus dem „Krieg gegen den Terror“. Als ihre Hauptgegner sehen sie die radikalen Islamisten. Unter den Al-Qaida-Kämpfern, denen die Attentate von Madrid und Casablanca nachgewiesen wurden, waren viele Marokkaner. Sie kommen aus Vorortsiedlungen von Großstädten, wo sie zumeist in äußerster Armut und gesellschaftlicher Isolation heranwuchsen. Die radikalislamische Strömung, der sie angehören, hat auch den muslimischen Staaten den Krieg erklärt. Im salafistischen Islam haben die Marokkaner ein ideologisches Pendant für ihr Misstrauen gegen die Gesellschaft gefunden.

Von SELMA BELAALA *

DIE Anschläge im ägyptischen Taba, bei denen im Oktober dieses Jahres 34 Menschen starben, haben erneut gezeigt, dass der „heilige Krieg“ längst nicht mehr nur an der Peripherie der arabisch-muslimischen Welt – in Afghanistan, Tschetschenien oder dem früheren Jugoslawien – geführt wird, sondern auch Kernländer wie Jordanien, Saudi-Arabien und Marokko erreicht hat. Schon die Selbstmordattentate von Casablanca am 16. Mai 2003 hatten klar gemacht, dass eine der radikalen fundamentalistischen Strömungen, der Takfir (takfir bedeutet: „für ungläubig erklären“), neben den USA und Israel längst auch einigen muslimischen Ländern den Kampf angesagt hat. Die Takfiristen erklären die Führungen dieser Staaten für „nichtmuslimisch“, sie betrachten sie als Apostaten, sprich Abtrünnige, weshalb sie alles in ihrer Macht Stehende tun, jene Länder gewaltsam zur „Rückkehr zu den Gesetzen Gottes und der ursprünglichen islamischen Gesellschaft unter dem Propheten“ zu zwingen. Gemeint ist damit nicht nur der Sturz korrumpierter und verhasster Regime, sondern mehr noch eine Läuterung der gesamten Gesellschaft.

Die Bewegung al-Takfir wal-Hijra, die in den 1970er-Jahren als Abspaltung von den Muslimbrüdern in Ägypten entstand, hat sich, vor allem Anfang der 1990er-Jahre, zu einem der wichtigsten Repräsentanten einer gewaltsamen Ideologie entwickelt. Dieser Takfirismus, den man auch als „takfiristischen Salafismus“ bezeichnete, vollzog außerdem einen Bruch mit den übrigen islamistischen Strömungen, die einen islamischen Staat eher durch legale politische Aktionen und mithilfe von Wahlen durchsetzen wollen. Dieser Bruch wird auch darin deutlich, dass die Doktrin des Takfir innerhalb der terroristischen Gruppierungen des Islam in den Vordergrund rückte. Am Beispiel Marokkos etwa, wo der König nach wie vor als „Nachkomme des Propheten“ gilt, kann man beobachten, dass sich die Kampffront der Dschihadisten in jüngster Zeit deutlich ins Innere der muslimisch geprägten Gesellschaften verschoben hat.

Einige Wochen vor den Anschlägen von Casablanca hatten islamistische Grüppchen in den Moscheen der Vorstädte eine Erklärung verlesen, die Staat und Gesellschaft in Marokko des Abfalls vom Glauben bezichtigte. Der Text stammte wohl aus der Feder von Mohammed Fizazi. Der „theoretische Kopf“ des Takfir in Marokko, ein 57-jähriger Grundschullehrer, wurde im August 2003 wegen Beteiligung am Attentat vom 16. Mai 2003 zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt.1 Ein salafistischer Aktivist meinte dazu: „Das einzige Verbrechen, das Fizazi wirklich begangen hat, ist, dass er das Glaubensbekenntnis auf andere Weise aufgesagt hat.“ Der Satz zeigt, dass die takfiristischen Salafisten eine ganz eigene Auffassung vom Islam entwickelt haben und die übrigen Muslime als Ungläubige ansehen.2

Die Ermittlungen nach den Anschlägen von Casablanca – und den Attentaten von Madrid am 11. März 2004 – erbrachten die Erkenntnis, dass sich die takfiristischen Gruppen aus den Vorstädten von Casablanca, Meknès, Fes und Tanger, aber auch aus den verfallenden Vororten der marokkanischen Kleinstädte rekrutieren.3 Und dass sie lokal stark verwurzelt sind und nicht nur als „Schläferzellen“ von al-Qaida funktionieren, auch wenn Bin Ladens Netzwerk eine wichtige Rolle bei der Bestimmung strategischer Ziele und als logistischer Rückhalt spielt.4

Von den Medien wird das Ausmaß der Gewaltakte in Marokko gern verschwiegen. Allein im Jahr 2002 ermordeten takfiristische Gruppen 166 Menschen, und zwar überwiegend in den Elendsquartieren, wo lokale Bosse das Sagen haben, etwa der selbst ernannte „Emir“ Fikri in Casablanca oder der Milizenchef Rebaa in Meknès und viele andere Anführer kleinerer Banden. Diese Takfiristen gehören zu einer neuen Generation von Fundamentalisten, die aus den städtischen Slums und heruntergekommenen Siedlungen stammt. Ihre Gruppen warten nicht auf Anweisungen aus dem fernen Afghanistan, vielmehr planen sie ihre Aktionen selbst.5

Ihre Hochburgen liegen im so genannten al-Karyan: in den aufgelassenen Steinbrüchen des ehemaligen Industriegürtels von Casablanca. Hier entstanden immer neue Slums als Zuflucht für entwurzelte Dorfbewohner. Die meisten Takfiristen kommen aus Ortschaften wie Sekouila; die Mehrheit der Selbstmordattentäter vom 16. Mai 2003 stammt aus den illegalen Siedlungen Thomas und Lahraouiyine, wo sie in Vierteln ohne Straßennamen in Bretter- und Kartonhütten hausen.

Die primitivsten Formen der Schattenwirtschaft wie Diebstahl und Schmuggel bieten hier oft die einzige Überlebenschance. Vom Zentrum Casablancas liegen diese Ghettos oft nur eine halbe Busstunde entfernt, doch hier gibt es kein fließend Wasser, keinen Strom und keine Kanalisation. In den Gassen steht stinkendes Abwasser, in dem Stechmücken brüten, die gefährliche Krankheiten übertragen. Wie radikal die Bewohner aus dem städtischen, sozialen und kulturellen Zusammenhang herausgefallen sind, lässt der Volksmund erkennen, der sie „Tschetschenen“ nennt.

Von den Islamisten, die sich wie die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) wieder ins politische System integriert haben oder sich wie Scheich Yassines al-Adl wal-Ihsan (Gerechtigkeit und Wohlfahrt) auf wohltätige Aktivitäten beschränken, unterscheiden sich die Takfiristen durch ihre politische Strategie, doch ebenso durch ihre soziale Herkunft. Ihre Basis sind nicht die Jugendlichen aus den ärmeren Vierteln in der Medina, der Altstadt, oder aus den Arbeitervorstädten, die seit zwanzig Jahren von den traditionellen Islamisten kontrolliert werden. Die Takfiristen sind Ausgestoßene, sie gehören zu den untersten Schichten, die nur die schmutzige und brutale Welt der Ghettos kennen und von der übrigen Gesellschaft wie wilde Tiere behandelt werden. Sie halten der Gesellschaft im Namen eines sektiererischen Islamismus den Spiegel vor.

Der Niedergang der Kultur des derb (der traditionellen Armenviertel) hat viel zum Erfolg des takfiristischen Salafismus beigetragen. Anders als in den Vororten können die Ärmsten der Armen in der Altstadt mittels Nachbarschaftshilfe und informeller Geschäfte überleben. In den Slums dagegen versorgen sich die Menschen, da es kaum wirtschaftliche Aktivitäten gibt, mit dem Nötigsten bei ein paar fahrenden Händlern. Hier gibt es keinen Suk und kein Kleingewerbe. Im Vergleich zum geschäftigen Treiben in der Altstadt wirken die Elendsviertel wie ausgestorben. Zwischen diesen Menschen entstehen keine sozialen Bindungen, sie sind von der übrigen Bevölkerung abgekapselt, eben Randgruppen, und so verhalten sie sich auch. Insofern ist der Erfolg des marokkanischen Salafismus nicht Zeichen eines wieder erstarkenden Islam, sondern Produkt des religiösen Zerfalls.

Überdies leben die Slumbewohner fast wie im Gefängnis. Es gibt keine Verkehrsverbindungen, die ihnen Zugang zu Jobs und sozialen Aktivitäten eröffnen könnten. Die meisten ihrer fundamentalistischen Bewohner waren noch nie im Stadtzentrum von Casablanca. Und, so makaber es klingt: Die Attentäter vom 16. Mai 2003 dürften an diesem Tag die Altstadt zum ersten – und letzten – Mal gesehen haben.

Lahraouiyine ist die wichtigste Bastion der Takfiristen im Großraum Casablanca. Die Polizei lässt sich in diesem Slum schon lange nicht mehr sehen; es gibt keine Schule, kein Gesundheitszentrum, kein Postamt, keine Bank. Das einzige Verkehrsmittel sind Holzkarren, gezogen von ausgemergelten Maultieren. Lahraouiyine gilt seit den Attentaten als gefährlichster Ort des Landes. Bevor sich in diese No-go-Area ein Sammeltaxi hineinwagt, verlangt der Fahrer eine „Risikoprämie“.

Die Bewohner des Karyan, aus dem die Selbstmordattentäter kamen, haben sich hinter einer Mauer von Hass verschanzt. Sie machen Front gegen alle anderen, selbst gegen die Bewohner der nahen Neubausiedlungen HLM und Ben M’sik, die in den Volksaufständen der 1980er-Jahre zu Zentren des Widerstands wurden.

Natürlich gibt es auch in der Medina regelmäßig Gewalttaten und rebellisches Verhalten, aber in der Altstadt schotten sich die Menschen nicht ab. Die Bewohner der Vorstadtghettos dagegen haben der marokkanischen Gesellschaft den Krieg erklärt. Ihre Ausgrenzung nährt eine unstillbare Wut, die der Nährboden für die extremistische takfiristische Ideologie ist. Und da es hier keine Meldebehörde gibt, leben die Menschen ohne Ausweise – in der Illegalität.6 Von vielen werden sie folglich nicht als Marokkaner betrachtet. Ein Mieter aus einer der Sozialbauwohnungen für die muwadafin (kleine Staatsbeamte) kommentiert: „Hier leben so viele Sahrauis, Leute von Gott weiß woher. Ich bin anders als die, ich bin Marokkaner!“

Die verbreitete „Illegalität“ bewirkt ebenfalls, dass alle zwischenmenschlichen Beziehungen kaputtgehen. Die Ideologie des Takfir (des „Für-ungläubig-Erklärens“) ist das Gegenstück zu diesem Misstrauen gegen die Umwelt insgesamt. Die Takfiristen holen die Jugendlichen der Elendsquartiere aus ihrer Isolation und rekrutieren sie für einen gewaltsamen Feldzug gegen das restliche Land – und mitunter sogar gegen ihre eigenen Familien. So ließ in Sekouila ein zum „Emir“ einer Miliz aufgestiegener Exkrimineller seinen Onkel hinrichten, weil dieser das „Gesetz“ des Alkoholverbots missachtet hatte. In den von Fundamentalisten beherrschten Karyan-Siedlungen gab es hunderte von Gewaltakten, Überfällen und Hinrichtungen, doch die Polizei lässt sich in diesen rechtsfreien Zonen schon lange nicht mehr blicken.

Das Viertel Salé, eine unübersehbare Ansammlung gemauerter Hütten, gilt als Hochburg von Scheich Hassan Kettani. Der 33-jährige Diplombetriebswirt ist der geistliche Führer der marokkanischen Salafisten. Am Ende einer dunklen Sackgasse steht die Mekka-Moschee, ein Schuppen, in dem sich Kettani mit den militanten Anhängern seiner Bewegung zum Gebet und zur Beratung versammelte. Nach den Anschlägen vom 16. März 2003 wurde die Moschee von den Behörden geschlossen. Doch in den Elendsvierteln sind allenthalben solche geheimen Treffpunkte entstanden, seit sich die Salafisten von den Moscheen der Islamisten und den traditionellen Stätten des Glaubens abgewandt haben. Auch die Moschee Si Larbi in Sidi Moumen bei Casablanca, wo die Attentate vom 16. Mai geplant wurden, ist nur eine weiß gestrichene Hütte aus Zinkblech. Und im Armenquartier von Meknès, wo „Emir“ Rebaa, der Führer der al- Takfir wal-Hijra lebte, befand sich die „Moschee der Terroristen“ auf dem Dach einer steinernen Slumbehausung.

Viele Menschen hier halten heute die salafistischen Kleidungsvorschriften ein, was zeigt, dass die Takfir-Bewegung mehr als nur eine militante Splittergruppe ist. Die takfiristische Miliz ist eine verschworene Gemeinschaft, ihre Mitglieder müssen endgültig mit ihrer Familie wie mit Staat und Gesellschaft brechen. In den Ghettos herrschen sie mit Gewaltmethoden – angeblich um „das Böse zu vertreiben“ und „das Gute zu schaffen“. Sie wollen ihre Anhänger nicht mehr durch „schöne Worte“ überzeugen. Das Volk ist im „Dunkel des Diesseits“ verloren, also setzen sie – statt auf das Mittel der Verführung – auf das Prinzip der Säuberung.

Spätestens seit 1999 erleben diese Stadtrandzonen gnadenlose Säuberungsaktionen. In Fes, Meknès und andernorts begann es mit Übergriffen auf örtliche Würdenträger, Amtspersonen und Ordnungshüter, danach traf es wahllos auch Angehörige anderer Stände und Berufe. Selbst an Verwandten und Nachbarn takfiristischer Kämpfer wurden Todesurteile vollstreckt.

Anders als im algerischen Bürgerkrieg der 1990er-Jahre sind die marokkanischen Takfiristen in kleine, autonome Gruppen aufgeteilt, ein gemeinsames Oberkommando gibt es nicht. Das Vorbild sind die Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) und die Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf (GSPC) in Algerien, doch gibt es in Marokko nicht genügend Aktivisten, um überregional loszuschlagen. 1992, zu Beginn des Konflikts in Algerien, waren im ganzen Land etwa 65 000 salafistische GIA-Kämpfer aktiv.7 In Marokko mag es mehr Anhänger geben, doch die Zahl der Aktivisten wird nur auf ein paar hundert geschätzt. Vor allem auf ideologischer Ebene ist der Vergleich mit Algerien dennoch sinnvoll: Die offizielle islamistische Partei PJD hält mit ihren Koalitions- und Kompromissangeboten dem Königshaus eine politische Alternative offen, mit deren Hilfe sie gegensteuern kann, falls die Salafisten ihre Aktivitäten auf weitere anfällige Armenghettos ausdehnen.

In Algerien hatten das Verbot und die Auflösung der Islamischen Heilsfront (nach den suspendierten Wahlen von 1991) dem Untergrund bis 1992 erheblichen Zulauf beschert. Das Beispiel zeigt, wie die radikalsten Salafisten-Fraktionen von Verbot oder Unterdrückung der Islamisten profitieren. In Marokko ist die takfiristische Bewegung 1999 zur politisch gezielten Gewalt übergegangen. Als der Plan zum Abbau der noch aus der Ära von König Hassan II. stammenden autoritären Sicherheitsverordnungen in Kraft trat, entstanden die Gruppe Sirat Moustakim (Der Rechte Weg) in Casablanca und die Gruppen um „Emir“ Rebaa in Meknès. Nach der Absetzung von Innenminister Driss Basri, der unter dem Regime von Hassan II. 20 Jahre mit harter Hand regiert hatte, meinte der Politologe Mohammed Tozy: „Das hätte das gesamte System in den Grundfesten erschüttern können.“8 Außer Basri wurden damals etliche Provinzgouverneure entlassen, doch wirkliche Reformen erfolgten so wenig wie die nötige Erneuerung des Sicherheitsapparats.

Die Entstehung takfiristischer Gruppen wurde auch dadurch erleichtert, dass sich die Polizei um die problematischen Armenviertel nicht mehr kümmerte. Das war für die Takfir-Anhänger die Aufforderung, bewaffnete Ortsgruppen zu bilden, die Verbindung zu internationalen Terrornetzwerken entwickelten. Die gewaltigen Defizite des Sicherheitsapparats wurden auch durch die Anschläge von Casablanca aufgedeckt: Über keines der Mitglieder der Gruppe von „Emir“ Fikri gab es polizeiliche Unterlagen, obwohl es sich um verurteilte Straftäter handelte. Die Terroristen profitierten von der Abschaffung des unter dem autoritären Regime praktizierten „Überprüfungssystems“, das man durch keine andere wirksame Präventionsstrategie ersetzt hatte.

Mit der Stärkung des „bewaffneten Arms“ der Salafisten stieg auch die Zahl der marokkanischen „Dschihadisten“, die sich nach Afghanistan aufmachten. Nach offiziellen Angaben beteiligten sich am ersten Aghanistankrieg (gegen die Sowjetunion) nur 78 Marokkaner; nach 1999 reisten dagegen mehrere Dutzend pro Woche zu den Lagern Bin Ladens.9 Diese marokkanischen „Afghanen“ waren auch an anderen internationalen Aktionen beteiligt – auch an den Attentaten in Madrid im März 2003. Die Gruppierungen aus den Elendsvierteln beschränken sich dagegen weiterhin auf lokale Aktionen.

Eine ähnliche Entwicklung hatte es auch in Algerien gegeben. Hier war der politische Wandel, der „Übergang zur Demokratie“ in den Jahren 1989 bis 1992, für die salafistischen Gruppen das Startsignal für bewaffnete politische Aktionen. Mit der Schwächung des einst allmächtigen militärischen Sicherheitsapparats, der damals „reformiert“ werden sollte, und den Versäumnissen des Staats- und Verwaltungssystems in der Phase der wirtschaftlichen Liberalisierung gerieten zahlreiche Gemeinden im Großraum um die Hauptstadt Algier unter den Einfluss takfiristischer Fundamentalisten, die damals die GIA gründeten. Allerdings hat es Selbstmordanschläge bislang in Algerien nicht gegeben.

Marokko hätte aktuell nur Grund zur Beunruhigung, wenn es den fundamentalistischen Milizen aus den verschiedenen Armenvierteln gelingen sollte, sich zu einer nationalen Organisation zusammenzuschließen. Aber noch haben diese Gruppen keine gemeinsame Führung. Wie lange noch?

deutsch von Edgar Peinelt

* Soziologin am Institut d‘études politiques in Paris.

Fußnoten: 1 Im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 16. Mai 2003 wurden drei weitere „Theoretiker“ als Verantwortliche identifiziert: Miloudi Zakaria (37), Leiter der Vereinigung Assirat al-Mostaquim, Abdelkrim Chadli (45), Doktor der Philosophie, und Omar Haddouchi (44), Kaufmann. Zakaria erhielt eine lebenslange Haftstrafe, die beiden anderen wurden zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. 2 Zur Geschichte der takfiristischen Strömung in Algerien und ihrer internationalen Verzweigungen siehe die Arbeit von Camille al-Tawil über „Die algerische bewaffnete islamische Bewegung“ (arab.), Beirut (Dar al-Nahar) 1998. Die salafistische Bewegung innerhalb des Islamismus fordert die Rückkehr zum ursprünglichen Islam, zu den Sitten der frommen Vorfahren (al-salaf), also des Propheten Mohammed und seiner Gefolgsleute. Ihr wichtigster Zweig ist in Saudi-Arabien dem Königshaus verbunden; diese Salafisten lehnen Gewaltakte ab. Zur Geschichte der Muslimbrüder s. Gilles Kepel, „Der Prophet und der Pharao“, München; Zürich (Piper) 1995. 3 Ergebnisse einer soziologischen Studie, die von der Autorin 2004 im Auftrag der Forschungswerkstatt der École des hautes études en sciences sociales in Paris (Cadis) und der Direction des affaires stratiques (DAS) durchgeführt wurde. 4 Siehe Olivier Roy, „Markenzeichen al-Qaida“, Le Monde diplomatique, September 2004. 5 Etwa 10 Prozent der städtischen marokkanischen Bevölkerung leben in solchen Elendsvierteln, im Großraum Casablanca sind es fast 300 000 Menschen, 8,6 Prozent der etwa 6 Millionen Einwohner dieses Gebiets. Siehe www.bladi.com (9. September 2003). 6 Im Großraum Casablanca wird die Zahl der Haushalte in den nicht registrierten Siedlungen auf 160 000 geschätzt, das wäre mehr als jede vierte Familie. 7 Ab 1992 spricht man von „der“ Bewaffneten Islamischen Gruppe (GIA) – zuvor von „den“ GIA –, weil sich die Gruppen damals unter dem Kommando Mohamed Allels zusammenschlossen, dessen Nachfolger dann Abdelhak Layada wurde. 8 Mohammed Tozy, „Nouveau règne ou nouveau régime: les enjeux de la succession“, in: Les Cahiers de l‘Orient, 2/2000, S. 63. 9 Le Figaro, 22. März 2004. Andere Quellen korrigieren die Angaben für den ersten Zeitraum: Dort ist von etwa 600 marokkanischen Afghanen im Jahr 1990 die Rede.

Le Monde diplomatique vom 12.11.2004, von SELMA BELAALA