10.12.2004

Eine zweite Erde für die Menschheit

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Eine zweite Erde für die Menschheit

RUSSISCHE Wissenschaftler haben soeben eine Atemluft entwickelt, die auch aus der Atmosphäre des Mars gewonnen werden könnte. Im Langzeiteinsatz soll die Kunstluft ab 2006 getestet und später einmal in Weltraumsiedlungen eingesetzt werden. Statt Stickstoff enthält sie das für Menschen unschädliche Edelgas Argon. Ausgeschlossen sind damit Brandgefahr und Unterdruckschocks, wie sie beim Tauchen drohen. Damit ist ein gigantisches Projekt ein winziges Stück realisierbarer geworden: Terraforming, die Umgestaltung des Mars zu einem erdähnlichen Planeten.

Von ROLAND LEHOUCQ *

Die großen Projekte zur Kolonisierung des Weltraums oder der Planeten des Sonnensystems stehen alle vor demselben technischen Problem. Soll menschliches Leben außerhalb der Erde dauerhaft möglich sein, muss man dort eine Miniaturform des irdischen Ökosystems schaffen, die sich trotz der äußeren Bedingungen selbst weiterzuentwickeln und zu reproduzieren vermag. Das Fehlen einer Atmosphäre, von Wasser und Vegetation, zu niedrige oder zu hohe Temperaturen, zu starke Ultraviolett-, Röntgen- oder radioaktive Strahlung, all das sind Hindernisse für den Aufbau einer menschlichen Kolonie außerhalb der Erde, ob nun auf dem Mond, auf dem Mars oder auf riesigen, im Weltall schwebenden Raumstationen. Im Fall der Kolonisierung eines Planeten gibt es nun eine ehrgeizige Lösung: Man verändert die auf dem Planeten herrschenden Bedingungen so, dass sie für menschliches Leben geeignet sind. Dieses gewaltige technische Unternehmen planetaren Ausmaßes hat einen Namen: Terraforming.

Die Idee, die Bedingungen auf dem Mars an die menschlichen Erfordernisse anzupassen, findet sich bereits in dem 1917 erschienenen Roman „A Princess of Mars“1 von Edgar Rice Burroughs, dem ersten einer Serie von elf Romanen, in denen eine „Atmosphärenfabrik“ den Mars bewohnbar macht. Ebenso in Olaf Stapledons Roman von 1930, „Last and First Men“2 , einem monumentalen Gemälde, das die Geschichte der Menschheit in den nächsten zwei Milliarden Jahren schildert. Darin wird die Atmosphäre des Neptun durch die Ansiedlung genetisch veränderter Pflanzen, die schädliche Gase absorbieren und Sauerstoff produzieren, an menschliche Bedürfnisse angepasst.

Der Ausdruck „Terraforming“ wird gemeinhin dem amerikanischen Science-Fiction-Autor Jack Williamson zugeschrieben, der ihn erstmals 1951 in seinem Roman „Seetee Ship“3 benutzte. Der Ausdruck bezeichnet die Gesamtheit der Operationen, mit deren Hilfe man einen Planeten für Menschen bewohnbar macht. Seither haben sich zahlreiche Science-Fiction- Autoren mit diesem Thema beschäftigt. So machte Arthur C. Clarke 1952 in seinem Roman „The Sands of Mars“4 den Vorschlag, den Mars durch eine thermonuklear ausgelöste Verbrennung des Marsmondes Phobos zu erwärmen. In Frank Herberts Roman „Dune“5 aus dem Jahr 1965 fassen die Fremen, unterstützt von dem kaiserlichen Planetologen Liet Kynes, den Plan, die riesigen Wüstenflächen ihres Planeten Arrakis zu begrünen. Doch das wichtigste Werk zum Thema bleibt Kim Stanley Robinsons 1993 bis 1996 erschienene Mars-Trilogie „Red Mars“, „Green Mars“ und „Blue Mars“6 , in der sich der Autor mit der Umwandlung des Mars in einen bewohnbaren Planeten und mit den menschlichen, sozialen und politischen Folgen solch eines Projekts beschäftigt.

Die Idee des Terraforming findet aber auch das Interesse von Wissenschaftlern. Der Erste, der sich mit dem Thema befasste, war der US-Astrophysiker Carl Sagan. Er machte 1961 einen Vorschlag, wie man die Bedingungen auf der Venus etwas milder gestalten könne.7 Sie besitzt bereits eine Atmosphäre und hat etwa die Größe der Erde. Aber an der Oberfläche herrschen höllische Zustände. Die Temperaturen erreichen 480 Grad Celsius, und der atmosphärische Druck ist 92-mal so hoch wie auf der Erde. Die sowjetischen „Venera“-Sonden, die zwischen 1975 und 1982 auf der Venus abgesetzt wurden, hielten nicht einmal eine Stunde durch. Einer der auf dem Gebiet des Terraforming aktivsten Forscher ist Christopher McKay vom Ames Research Center der Nasa in Kalifornien, wo er bemannte Missionen zum Mars entwirft.8

Terraforming ist ein langwieriger Prozess. Der betreffende Planet muss mehrere Stadien durchlaufen, bis er bewohnbar ist. Zum Glück können zahlreiche Veränderungen die Besiedlung eines Planeten erleichtern, noch bevor das Terraforming vollständig abgeschlossen ist. So bietet eine dichtere, wenn auch noch nicht atembare Atmosphäre immerhin Schutz vor kosmischen Teilchen und hochenergetischer Strahlung. Sie erleichtert die Landung von Raumfahrzeugen, weil die Atmosphäre die Fahrzeuge abbremst. Sie erlaubt den Einsatz von Flugzeugen und den Bau von Unterkünften, in denen kein Druck aufgebaut werden muss. Und schließlich kann man sich darin ohne Raumanzug und nur mit einer einfachen Sauerstoffmaske bewegen.

Die erste Etappe eines gelungenen Terraforming besteht in der von dem kanadischen Biologen Robert Haynes so genannten Ökopoiesis. Dabei wird ein unfruchtbarer Planet so verändert, dass er Leben und ein vollständiges Ökosystem aufzunehmen vermag. Man könnte meinen, dazu brauche man dort lediglich eine hinreichende Zahl sorgfältig ausgewählter oder gentechnisch veränderter Bakterien anzusiedeln. Aber ganz so einfach sind die Dinge nicht. Sehen wir uns den Mars an. Die Oberflächentemperatur schwankt dort am Tag zwischen –140 und +20 Grad, wobei das Mittel deutlich unter null bleibt. Der atmosphärische Druck ist extrem niedrig, und es gibt keine Ozonschicht, die Schutz vor dem UV-Licht der Sonne böte.

Sollen irdische Bakterien und selbst die zähesten unter ihnen eine Überlebenschance haben, wären auf dem Mars einige Veränderungen vorzunehmen. Die Bodentemperatur müsste um mindestens 60 Grad steigen. Man müsste dafür sorgen, dass am Boden Wasser zur Verfügung steht. Und man müsste die UV-Strahlung und den Einfall kosmischer Teilchen in Bodenhöhe beträchtlich verringern. Das ist leicht gesagt, aber sehr schwer realisierbar. Erleichtert wird diese Aufgabe allerdings durch zwei Phänomene. Erstens besteht zwischen den genannten Veränderungen ein enger Zusammenhang. Wird eine dieser Bedingungen in der gewünschten Richtung verändert, dann verändern sich auch die anderen in der gewünschten Richtung. Erhöht man etwa den atmosphärischen Druck, steigt damit auch der Schutz vor harter Strahlung und erzeugt zugleich einen Treibhauseffekt, der für Erwärmung sorgt.

Zweitens ist das System mit einer „positiven Rückkopplung“ ausgestattet. Hinter diesem technischen Begriff verbirgt sich ein günstiger Kreislaufprozess: Eine Verbesserung des Zustands schafft die Voraussetzungen für eine weitere Verbesserung. So ist es gar nicht erforderlich, Gas auf den Mars zu transportieren, um eine dichtere Atmosphäre zu schaffen, oder riesige Heizöfen zu bauen, um ihn zu erwärmen. Eine kräftige Initialzündung genügt, um eine spontane Entwicklung hin zu höheren und, wie man hofft, stabilen Temperaturen auf dem Mars einzuleiten. Dieser Vorgang hat eine höllische Ähnlichkeit mit dem, was die Menschen gegenwärtig auf der Erde tun – hier allerdings mit unerwünschten Folgen.

Dank zahlreicher Beobachtungen vor allem der Bodenprofile kann es inzwischen als gesichert gelten, dass früher einmal Flüssigkeiten, vor allem Wasser, über den Marsboden geflossen sind. Außerdem besaß der Mars eine dichte Atmosphäre, die höchstwahrscheinlich in der Hauptsache aus Kohlendioxid (CO2) bestand. Die Szenarien für eine Ökopoiesis des Mars basieren auf dem Gedanken, dass es möglich ist, diese alten Umweltbedingungen wiederherzustellen. Die Grundannahme besagt, dass ein großer Teil des CO2 noch auf dem Mars ist, in Reservoiren, die sich an der Oberfläche befinden und aus denen es wieder freigesetzt werden könnte.

Diese Freisetzung hätte zwei Folgen. Erstens erhöht sich der Druck, und es entsteht eine rudimentäre Atmosphäre. Zweitens ist CO2 ein Treibhausgas, weil es Infrarotstrahlung absorbiert. Je mehr CO2 die Atmosphäre enthält, desto stärker erwärmt sie sich. Höhere Temperaturen begünstigen die Freisetzung des Gases. Sie erfolgt entweder durch Sublimation des Eises der Polkappen, also den direkten Übergang vom festen in den gasförmigen Zustand, oder durch Ausgasung aus dem Regolith, einem Mineral aus zermahlenem, zerbrochenem und teilweise verschmolzenem Gestein im Marsboden. Diese zusätzliche Gasproduktion erhöht den Druck und die Temperatur in der Atmosphäre. Dadurch wird mehr CO2 freigesetzt, was wiederum den Druck und die Temperatur erhöht, und so weiter.

Die Nutzung der Polkappen und des Regoliths für die Freisetzung von CO2 ist kein bloßes Gedankenspiel. Während eines Marsjahres9 kann der Druck in der Atmosphäre um 20 Prozent ansteigen, wenn im Frühjahr die Polkappen unter Einwirkung der Sonnenstrahlung sublimieren. Im Winter verringert sich der Druck, wenn das gasförmige CO2 wieder in den festen Zustand übergeht. Schätzungen zufolge enthalten die Polkappen genug CO2, um den Druck in der Atmosphäre um den Faktor 10 oder 20 zu erhöhen. Die im Regolith gebundene Menge könnte nochmals den Faktor 4 oder 5 beisteuern, sodass am Ende der Druck in der Marsatmosphäre etwa der Hälfte des irdischen Luftdrucks entspräche. Allerdings sind auch Enttäuschungen zu befürchten, denn das Omega-Spektrometer der europäischen Marssonde „Mars Express“10 hat im Januar 2004 festgestellt, dass die Eiskappe am Südpol des Planeten entgegen bisherigen Annahmen hauptsächlich aus Wasser besteht.

Möglicherweise ist das benötigte CO2 auch wie auf der Erde in Karbonaten gebunden. Auf unserem Planeten kehrt das in den marinen Karbonaten auf dem Meeresboden abgelagerte CO2 nach einem Umweg über das Erdinnere durch Vulkanausbrüche in die Atmosphäre zurück. Auf dem Mars müsste man die Karbonate durch äußerst brutale Mittel zum Verdunsten bringen: durch die Explosion von Atombomben, durch Asteroideneinschläge oder durch starke Laserstrahlen.

Nach einer Studie von Christopher McKay und Robert Zubrin11 genügte eine Temperaturerhöhung der südlichen Polarkappe um 4 Grad, um den Prozess in Gang zu bringen. Dabei bietet die natürliche Verstärkung die Möglichkeit, den für die Klimaveränderung auf dem Mars erforderlichen Aufwand an Zeit, Energie und technischen Mitteln in Grenzen zu halten. Dazu machen die Autoren den Vorschlag, die Polkappe mit Hilfe eines riesigen, im Weltall stationierten Spiegels zu erwärmen, der das Licht der Sonne bündelt. Er müsste mit einem Durchmesser von gut 200 Kilometern sehr groß und zugleich sehr leicht sein und in einer gegenüber der zu bestrahlenden Fläche stationären Position platziert werden. Ein Vorbild für diesen Spiegel könnte der riesige russische Orbitalspiegel „Znamya“ sein, der im Februar 1999 in den Weltraum geschossen wurde und aus einem Mylarsegel von 5000stel Millimeter Dicke und 25 Meter Durchmesser besteht.

Eine weitere Möglichkeit, die Temperatur der Polkappen zu erhöhen, besteht darin, das Eis mit Kohlenstaub oder einer anderen schwarzen Substanz zu bestreuen, die das Sonnenlicht stärker absorbiert und dadurch eine Erwärmung herbeiführt. Nach einer Nasa-Studie könnten die Polkappen auf diese Weise innerhalb eines Jahrhunderts zum Abschmelzen gebracht werden. Ein Problem ist hier möglicherweise der Wind, der auf dem Mars zwar nur schwach ist, aber die Aufbringung der schwarzen Substanz durchaus behindern und das Material in andere Regionen verfrachten könnte.

Bei Regolith liegen die Dinge noch komplizierter. Das an der Oberfläche des Minerals gebundene Kohlendioxid lässt sich weit schwerer herauslösen. Zu diesem Zweck müsste nicht nur die Oberfläche, sondern eine 200 Meter dicke Schicht erwärmt werden. Um dieses Hindernis zu umgehen, könnte man versuchen, wirksamere Treibhausgase als das Kohlendioxid in die Marsatmosphäre einzubringen. Große Fabriken nach dem Vorbild der „Atmosphärenerzeuger“, die James Cameron uns in seinem Film „Alien 2“ von 1986 vorgeführt hat, könnten viele Milliarden Tonnen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) produzieren, die zehntausendmal so viel zum Treibhauseffekt beitragen wie Kohlendioxid. Auf der Erde haben die durch industrielle Prozesse freigesetzten FCKWs eine große Rolle bei der Erwärmung des Klimas gespielt, weil sie die Ozonschicht zerstören. Dieses Problem stellt sich auf dem Mars nicht, weil der Mars keine Ozonschicht besitzt.

Sobald die Bedingungen auf dem Mars sich etwas verbessert haben, könnte man daran denken, Mikroorganismen dort anzusiedeln. Falls sie Ammoniak und Methan, zwei gute Treibhausgase, erzeugen, könnten sie gleichfalls zur weiteren Erwärmung des Klimas beitragen. Doch auch dann wird der Planet noch lange kein Paradies sein. Die ausgewählten Mikroorganismen müssen sich als Überlebenskünstler in extremen Umwelten erweisen.

Hat die Marsatmosphäre eine größere Dichte erreicht, wird die Temperatur in einigen Gebieten so hoch sein, dass dort an der Oberfläche Wasser in flüssiger Form vorkommt. Auch dann wird man die Atmosphäre noch nicht atmen können, aber Mikroorganismen oder auch Flechten werden darin überleben. Menschen werden sich darin ohne Raumanzug bewegen können, brauchten aber immer noch Kälteschutzkleidung und Sauerstoffmasken.

Die Erwärmung und Verdichtung der Atmosphäre kann mit erstaunlich bescheidenen Mittel erreicht werden, doch die nächste Phase braucht sehr viel mehr Zeit. Es geht darum, die Hydrosphäre des Planeten zu reaktivieren und wieder einen vollständigen Wasserkreislauf herzustellen, wie er vor einigen Milliarden Jahren dort schon einmal existiert hat. Das nächstliegende Reservoir bilden natürlich die Polkappen. Nach Daten, die von der amerikanischen Marssonde „Odyssey“ gesammelt wurden, findet sich auch im Marsboden viel Wasser in Form von Eis.12

Außerdem könnte auch im Regolith und anderen Mineralien des Marsbodens Wasser gespeichert sein. Falls die Wasservorräte auf dem Mars zu klein sind, wird man Wasser importieren müssen. Einen Kometenkern oder einen riesigen Eisblock in den Saturnringen einzufangen und auf dem Mars niedergehen zu lassen wären quantitativ durchaus zufrieden stellende Lösungen. Auch dies ein Bombardement, allerdings zu einem guten Zweck.

An manchen Stellen wird das verdunstete Wasser zu Wolken kondensieren. Dann wird es zum ersten Mal seit mehreren Milliarden Jahren auf dem Mars wieder regnen. Seen, Ströme, Flüsse und Bäche bilden sich, Wasserläufe schlängeln sich wieder durch die roten Felslandschaften. Die Valles Marineris werden überflutet und verwandeln sich in einen gewaltigen Strom von ungeheurer Breite, der sich zwischen steilen Felswänden hindurchzieht. Aus den Tiefebenen auf der Nordhalbkugel wird ein Ozean, der den Nordpol umgibt.

Um den Sauerstoffgehalt der Marsatmosphäre zu erhöhen, wird man Cyanobakterien ansiedeln müssen, die unter extremen Bedingungen leben können. Bei der Photosynthese fangen sie Kohlendioxid ein und setzen dafür Sauerstoff frei. Milliarden Jahre waren diese Mikroorganismen die Herren der Erde. Ausgewählte Cyanobakterien werden in einem ersten Schritt den Partialdruck für Sauerstoff über den Schwellenwert von 1 Hektopascal heben müssen,13 damit Pflanzen sich entwickeln können. Möglicherweise wird man diese Pflanzen gentechnisch verändern, damit sie den rauen Bedingungen auf dem Mars gewachsen sind und größere Mengen an Sauerstoff produzieren. Wenn der Druck 120 Hektopascal überschreitet, werden sich die ersten Kolonisten ohne Sauerstoffmaske zu einem kurzen Spaziergang ins Freie wagen können.

Terraforming erfordert einen langen Atem. Für den Mars ergeben sich mehrere Phasen, die erste Phase, die Ökopoiesis, wird mehrere hundert Jahre dauern. Einige tausend Jahre später wird es möglich sein, auf dem Mars Pflanzen anzubauen. Und es wird nochmals mehrere tausend oder sogar mehrere zehntausend Jahre dauern, bis die Marsatmosphäre so viel Sauerstoff enthält, dass wir uns ganz ohne Hilfsmittel darin aufhalten können.

Beenden möchte ich die Beschreibung der großen Linien dieses Szenarios mit einer eher pessimistischen Einschätzung der Erfolgsaussichten. Der Rote Planet ist mit zwei Handikaps behaftet, die jeden Versuch zur Herstellung erdähnlicher Verhältnisse vereiteln könnten. Erstens ist der Mars kleiner und weniger dicht als die Erde, sodass die Schwerkraft dort geringer ist. Sie ist sogar so gering, dass sie nicht verhindern konnte, dass der größte Teil der Uratmosphäre sich in den Weltraum verflüchtigte. Wenn nun eine neue, künstliche Atmosphäre geschaffen wird, liegt die Annahme nahe, dass auch die dabei freigesetzten oder herbeigeschafften Gase sich in den interplanetaren Raum verflüchtigen und alle Anstrengungen vergebens waren.

Zweitens besitzt der Mars kein Magnetfeld. Die dafür verantwortlichen Mechanismen sind mit dem Erkalten des Kerns verschwunden, was letztlich wiederum auf die geringe Größe des Planeten zurückzuführen ist. Auf der Erde bildet das Magnetfeld einen Schutzschild, der die Erdoberfläche gemeinsam mit der Atmosphäre vor hochenergetischen Teilchen von der Sonne oder aus dem Kosmos schützt. Das Magnetfeld des Mars werden wir ganz gewiss nicht reaktivieren können. Darum kann der Planet nicht mit diesem großartigen natürlichen Schirm rechnen, der die Oberfläche schützt und dafür sorgt, dass die Atmosphäre sich nicht so leicht verflüchtigt.

Das Terraforming des Mars ist ein grandioses Projekt. Man kann ihm vorwerfen, es sei absurd oder arrogant.

Zwei radikal gegensätzliche Vorstellungswelten prallen in Kim Stanley Robinsons Mars-Roman aufeinander. Für die Grünen ist Terraforming nur die logische Folge der Eroberung des Weltraums. Für die Roten ist der Mars ein geologisches Heiligtum, das die Geschichte unseres Sonnensystems erzählt und daher unter allen Umständen erhalten bleiben muss. Letztlich geht es um den Gegensatz von einem Anthropozentrismus, der die Ansicht vertritt, die Menschheit müsse sich in alle ihr zugänglichen Regionen ausbreiten, und einem Biozentrismus, der der Natur einen inneren Wert zugesteht und sie um jeden Preis zu schützen sucht.

Womöglich ist die Kolonisierung des Mars unvermeidlich, denn die Erde ist ein gefährdeter und isolierter Planet. Ein Asteroid kann die Menschheit in wenigen Augenblicken vernichten. Wenn wir auf dem Mars erdähnliche Bedingungen schaffen, verbessern wir damit vielleicht langfristig die Überlebenschancen unserer Gattung. Sicher ist: Ein Terraforming des Mars ist vorstellbar und könnte mit den heute vorhandenen Technologien begonnen werden. Allerdings bedarf es dazu noch einiger theoretischer Vertiefungen und einer gewaltigen technischen Anstrengung.

Eine „Vererdung“ als mögliches Ziel der Raumfahrt ist jedoch nur einer von vielen Aspekten. Daneben stellt die Erforschung des natürlichen oder künstlichen Terraforming eine intellektuelle Herausforderung dar, die interdisziplinäre Arbeit, den Austausch von Wissen und eine Reflexion über das Handeln einer zum „Planeteningenieur“ gewordenen Menschheit notwendig macht. Denn so wie es vielleicht menschenmöglich ist, den Mars bewohnbar zu machen, so ist es ganz bestimmt menschenmöglich, die irdische Biosphäre ein für alle Mal zu beschädigen.

deutsch von Michael Bischoff

* Astrophysiker am Centre de l‘énergie atomique (CEA) in Saclay (siehe auch seinen Artikel in der Science-Fiction-Zeitschrift Bifrost, Nr. 35, Aug. 2004. www.belial.fr).

Fußnoten: 1 Dt.: „Die Prinzessin vom Mars“, Leipzig (Kranichborn) 1996. 2 Dt.: „Die letzten und die ersten Menschen“, München (Heyne) 1983. 3 Dt.: „Antimaterie-Bombe“, München (Heyne) 1970. 4 Dt.: „Projekt Morgenröte“, München (Goldmann) 1963. 5 Dt.: „Der Wüstenplanet“, München (Heyne) 2001. 6 Dt.: „Roter Mars“, „Grüner Mars“, „Blauer Mars“, München (Heyne) 1997 und 1999. Die Übersetzung der Bände ist stark kritisiert worden. 7 Carl Sagan, „The Planet Venus“, Science, 133 (1961), S. 849–858, und mit Kellogg, W. W., „The Atmospheres of Mars and Venus“, Washington, D. C., 1961. 8 http://ic.arc.nasa.gov/projects/sigma/mckay.html. 9 Der Mars dreht sich mit ähnlicher Geschwindigkeit um seine Achse wie die Erde. Der Marstag dauert 24 Stunden und 39,6 Minuten. Für einen Umlauf um die Sonne braucht er jedoch doppelt so lang wie die Erde. Das Marsjahr dauert 669 Marstage oder 687 Erdttage. 10 www.esa.int. 11 http://mars.nw.net/docs/terrafrm.pdf. 12 http://mars.jpl.nasa.gov/odyssey. 13 Auf dem Mars schwankt der atmosphärische Druck am Boden je nach Jahreszeit zwischen 6 und 10 Hektopascal. Zum Vergleich: Auf der Erde erreicht der Luftdruck am Boden 1015 Hektopascal.

Le Monde diplomatique vom 10.12.2004, von ROLAND LEHOUCQ