Napalm über Nordkorea
WÄHREND in den Augen von US-Präsident Bush Nordkorea mit seinem Atomwaffenprogramm zur „Achse des Bösen“ gehört, hat sich Amerika wie selbstverständlich die Rolle des unschuldigen Riesen zu Eigen gemacht. Dabei waren es gerade die Vereinigten Staaten, die seit den 1940er-Jahren in Nordostasien immer wieder Massenvernichtungswaffen eingesetzt haben. In welchem Ausmaß die US Air Force Nordkorea zerstört hat, zeigt ein Blick in die Archive.
Von BRUCE CUMINGS *
Der von 1950 bis 1953 dauernde Koreakrieg wird oft als der vergessene Krieg bezeichnet, aber man sollte wohl eher von einem unbekannten Krieg sprechen. Als Historiker, der über diesen Krieg geforscht hat, empfinde ich es immer noch als das eindrücklichste Faktum, wie verheerend die Wirkung der Luftangriffe war, mit denen die US Air Force damals Nordkorea überzog. Sie beschränkte sich nicht auf das großflächige Dauerbombardement mit Brandbomben, sondern drohte auch mit dem Einsatz atomarer und chemischer Waffen.1 Noch in der Endphase des Krieges, von der weder unter Historikern noch in aktuellen Analysen kaum je die Rede ist, wurden die riesigen Staudämme Nordkoreas zerstört.
Überhaupt wird der Koreakrieg im Rückblick lediglich als eine begrenzte militärische Auseinandersetzung wahrgenommen. Tatsächlich gleicht seine Durchführung aber dem Luftkrieg 1943–1945, der gegen das kaiserliche Japan geführt wurde – viele US-Befehlshaber im Koreakrieg waren noch dieselben wie im Krieg gegen Japan. Während aber die Atomwaffenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki vom 6. und 9. August 1945 mittlerweile aus ganz verschiedenen Perspektiven untersucht wurden, haben die Brandbombenangriffe auf japanische und koreanische Städte weit weniger Beachtung gefunden. Und noch weniger bekannt ist, dass die USA auch noch nach dem Koreakrieg in Nordostasien auf ihre überlegene Luftwaffe und auf Nuklearwaffen setzten. Damit haben sie die politischen Optionen Nordkoreas definiert und die nationale Sicherheitsstrategie Pjöngjangs beeinflusst.
Napalm – eine brennbare gelatinöse Masse, die zu 33 Prozent aus Benzin, zu 21 Prozent aus Benzol und zu 46 Prozent aus Polystyren besteht – wurde schon 1942 an der Harvard-Universität entwickelt. Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Napalmbomben erstmals über japanischen Städten abgeworfen. Erst dreißig Jahre später, während des Vietnamkriegs, wurde Napalm für die Öffentlichkeit zum Begriff – als das Foto des späteren Pulitzerpreisträgers Nick Ut, der bei dem Napalmangriff auf Trang Bang in Nordvietnam vom 8. Juni 1972 dabei gewesen war, um die Welt ging: Die neunjährige, nackte Phan Thi Kim Phuc und andere Kinder laufen weinend auf den Fotografen (und Betrachter) zu. Im Bildhintergrund sieht man das Land in Flammen aufgehen.
In Korea wurden viel mehr Napalmbomben abgeworfen als in Vietnam, und ihre Wirkung war verheerender, weil es in der Demokratischen Volksrepublik Korea (DPRK) mehr Ballungszentren mit einer größeren Bevölkerungsdichte und mehr innerstädtische Industrieanlagen gab als in Nordvietnam. 2003 – auf einer Konferenz mit US-Veteranen – meldete sich ein US-Soldat zu Wort, der beim Kampf um den Changjin-Staudamm ein Auge verloren hatte. Napalm sei bestimmt eine scheußliche Waffe gewesen, aber sie habe „die richtigen Leute“ getroffen, so sein nüchterner Kommentar.
Natürlich gab es auch Opfer im Friendly Fire, an die sich ein Überlebender erinnert: „Um mich herum hatte das Napalm die Männer verbrannt. Sie wälzten sich im Schnee. Männer, die ich kannte, mit denen ich marschiert war und gekämpft hatte, flehten mich an, sie zu erschießen. Es war grauenhaft. Die verbrannte Haut pellte sich augenblicklich ab, vom Gesicht, von den Armen und Beinen.“2
Im Februar 1951 wurde der New-York-Times-Reporter George Barrett in einem Dorf nördlich von Anyang in Südkorea Zeuge einer Szene, die er später als „makabres Sinnbild für die Totalität des modernen Krieges“ bezeichnete: „Im Dorf und auf den Feldern waren die Dorfbewohner getroffen und getötet worden, und alle waren in der Bewegung erstarrt, die sie ausführten, als sie der Napalmangriff traf: Ein Mann stieg gerade auf sein Fahrrad, in einem Waisenhaus spielten fünfzig Jungen und Mädchen, eine Hausfrau, der man merkwürdig wenig ansah, hielt eine aus dem Sears-Roebuck-Katalog herausgerissene verkohlte Seite in der Hand, auf der sie den Artikel Nr. 3 811 294 angekreuzt hatte, eine ‚bezaubernde rosa Bettjacke‘ für 2,98 Dollar.“ Außenminister Dean Acheson ordnete damals an, derartige Sensationsberichte seien den Zensurbehörden zu melden – um ihre Veröffentlichung zu verhindern.3
Einer der ersten Befehle zum Niederbrennen von Städten und Dörfern, die ich in den Archiven fand, datiert vom August 1950, als in der Umgebung von Pusan, im äußersten Südosten Koreas, heftig gekämpft wurde. Am 6. August beantragte ein Offizier der US-Armee bei seiner Luftwaffe, „die folgenden Städte auszulöschen: Chongsong, Chinbo und Kusu-dong“. Damals wurden auch Langstreckenbomber vom Typ B-29 angefordert, die taktische Ziele angreifen sollten. Am 16. August bombardierten fünf B-29-Geschwader ein Gebiet in Frontnähe, in dem viele Städte und Dörfer lagen, die unter hunderten von Tonnen Napalm in einem Flammenmeer zerstört wurden. Ein weiterer derartiger Angriff folgte am 20. August. Und am 26. August meldete die Luftwaffeneinheit: „Elf Dörfer in Brand gesetzt“.4
Zwar hatten die Piloten Anweisung, ihre Ziele nur auf Sicht anzufliegen, damit keine Zivilisten getroffen werden, aber häufig bombardierten sie größere Bevölkerungszentren nur mit Hilfe von Radarbildern, oder sie warfen riesige Mengen von Napalm auf „Zweitziele“ ab, wenn sie ihr Erstziel nicht erreichen konnten. Bei einem großen Luftangriff auf die Industriestadt Hungnam am 31. Juli 1950 wurden 500 Tonnen Sprengstoff durch eine geschlossene Wolkendecke abgeworfen, also nur durch Radar gelenkt. Sie erzeugten eine Flammenwand, die bis zu hundert Meter in die Höhe schoss. Allein am 12. August 1950 warf die US Air Force über Nordkorea eine Bombenlast von 625 Tonnen ab. Ende August waren es pro Tag bereits 800 Tonnen, ein Großteil davon reines Napalm.5 Zwischen Juni und Ende Oktober 1950 warf die B-29-Bomberflotte über Korea insgesamt 866 914 Gallonen (3 281 270 Liter) Napalm ab. Vertreter der Luftwaffe waren begeistert von den Eigenschaften der relativ neuen Waffe. Man witzelte über die Proteste der kommunistischen Seite, und der Presse servierte man die Lüge vom Präzisionsbombardement. So ließ man auch gern verkünden, dass die Zivilbevölkerung außerdem durch Flugblätter über anfliegende Bomber im Vorfeld informiert werde. Ein wie sinnloses Unterfangen das war, wussten die Piloten.6
Auf den Kriegseintritt Chinas folgte die Zerstörung der meisten großen und kleineren Städte in Nordkorea. Anfang November 1950 befahl US-Oberbefehlshaber General MacArthur, tausende Quadratkilometer nordkoreanisches Territorium aus der Luft zu zerstören und dadurch eine Art verbrannte Zone zwischen der chinesischen Grenze und der militärischen Front zu schaffen. Wie der gut informierte britische Militärattaché damals aus MacArthurs Hauptquartier berichtete, ordnete dieser an, „alle Kommunikations- und Versorgungseinrichtungen und alle Fabriken und Städte und Dörfer zu zerstören“. Das Bombardement sollte an der Grenze zur Mandschurei beginnen und dann Richtung Süden fortgeführt werden. Nur die Stadt Najin an der sowjetischen Grenze und die Staudämme am Yalu-Fluss wollte man verschonen, um Moskau und Peking nicht zu sehr zu provozieren. Am 8. November 1950 warfen 79 B-29-Bomber über Sinuiju 550 Tonnen Brandbomben ab, die Stadt wurde „ausradiert“. Eine Woche später ließ man Napalm auf Hoeryong niederregnen, um die Stadt „restlos niederzubrennen“. Bis zum 25. November standen weite Teile der Nordwestregion zwischen dem Yalu und den feindlichen Linien im Süden in Flammen. Wenn es so weitergehe, hieß es in dem britischen Bericht, werde die Region bald zu einer „Wildnis aus verbrannter Erde“.7
Das alles geschah noch vor der großen chinesisch-nordkoreanischen Offensive, mit der die UN-Streitkräfte aus dem Norden Koreas gedrängt wurden. Gleich nach Beginn dieser Offensive ließ die US-Luftwaffe am 14. und 15. Dezember 1950 die Hauptstadt Pjöngjang mit 700 Fünfzentnerbomben angreifen. Die Mustang-Kampfflugzeuge hatten nicht nur Napalm geladen, sondern auch 175 Tonnen Sprengbomben mit Verzögerungszündern – sie explodierten erst in dem Moment, als die Menschen versuchten, die Toten aus den Napalmbränden zu bergen. Anfang Januar befahl der Chef der 8. US-Armee, Matthew Ridgway, eine neue Angriffswelle auf Pjöngjang zu starten, „mit dem Ziel, die Stadt mit Brandbomben in Schutt und Asche zu legen“ – was dann auch nach zwei Luftangriffen geschah. Als sich die US-Streitkräfte hinter den 38. Breitengrad zurückzogen, wurde die Verbrannte-Erde-Strategie fortgesetzt: Uijongbu, Wonju und andere kleine Städte im Süden wurden „abgefackelt“, sobald ihnen der Feind näher rückte.8
Die US-Luftwaffe versuchte auch, die politische Führung Nordkoreas auszuschalten. Kim Il Sung und seine engsten Vertrauten hatten sich während des eisigen Winters 1950/51 in den Tiefbunkern von Kanggye in der Nähe der mandschurischen Grenze regelrecht eingegraben. Als die Amerikaner sich nach der Landung bei Inch-on drei Monate lang vergeblich bemüht hatten, die nordkoreanische Führung aufzuspüren, warfen B-29-Bomber so genannte Tarzanbomben auf Kanggye ab – gewaltige, neu entwickelte 12 000-Pfund-Bomben, die hier erstmals zum Einsatz kamen.9 Eine noch stärkere Bombe gab es erst wieder 2003 im Irakkrieg: die berühmte „Mutter aller Bomben“ mit einem Gewicht von 21 500 Pfund und einer Explosivkraft von 18 000 Pfund TNT.10
Am 9. Juli 1950, zwei Wochen nach Kriegsbeginn, sandte General MacArthur eine „dringende Botschaft“ an General Ridgway, die den Vereinigten Generalstab veranlasste, „zu überlegen, ob MacArthur nicht Atombomben zur Verfügung gestellt werden sollten“. Der Operationschef General Charles Bolte wurde aufgefordert, mit MacArthur den Einsatz von Atombomben als „direkte Unterstützung von Bodentruppen“ zu erörtern. Bolte ging damals davon aus, dass man zehn bis zwanzig dieser Bomben für den koreanischen Kriegsschauplatz abzweigen könne, ohne die Fähigkeit der USA zu globaler Kriegführung „über Gebühr“ zu gefährden. MacArthur machte Bolte zunächst den Vorschlag, Atomwaffen zu taktischen Zwecken einzusetzen, die unter anderem darauf hinausliefen, den Norden Koreas zu besetzen, um bei einer potenziellen Intervention chinesischer und sowjetischer Truppen diesen auf nordkoreanischem Boden den Rückzug abzuschneiden. MacArthur wörtlich: „Korea ist in meinen Augen eine Sackgasse. Die einzigen Straßen, die von der Mandschurei und Wladiwostok nach Korea führen, laufen über viele Tunnel und Brücken. Hier sehe ich eine einmalige Einsatzchance für die Atombombe, denn damit könnte man diese Strecke blockieren; die Reparatur würde sechs Monate dauern. Und meine B-29-Flotte kann sich erholen.“
Zu diesem Zeitpunkt lehnte der Vereinigte Generalstab den Einsatz der Atombombe jedoch aus drei Gründen ab: Erstens gab es keine Ziele, die für Nuklearwaffen groß genug gewesen wären; zweitens war nicht absehbar, wie die Weltöffentlichkeit darauf reagieren würde – nur fünf Jahre nach Hiroshima; drittens gingen die obersten Militärs davon aus, dass ein Sieg auch mit konventionellen militärischen Mitteln noch zu erreichen sei.11 Dieses letzte Kalkül stellte sich jedoch als Fehleinschätzung heraus, als im Oktober und November 1950 große chinesische Truppenverbände in den Krieg eingriffen.
Als Präsident Truman auf seiner berühmten Pressekonferenz vom 30. November damit drohte, die USA würden womöglich sämtliche Waffen ihres Arsenals zum Einsatz bringen, war klar, was gemeint war.12 Die Drohung war nicht etwa ein Fauxpas, wie damals weithin angenommen, sie beruhte vielmehr auf einem Plan, der den Einsatz der Atombombe als letzte Eventualität vorsah. Am selben Tag schickte Luftwaffengeneral Stratemeyer an General Hoyt Vandenberg den Befehl, er solle das Strategic Air Command (SAC) anweisen, sich in Bereitschaft zu halten, „unverzüglich Bomben mittleren Kalibers in den Fernen Osten zu entsenden – diese Aufstockung (des Arsenals) sollte auch atomare Waffen einbeziehen“. Der Chef des SAC, General Curtis LeMay, hatte allerdings richtig in Erinnerung, dass der Vereinigte Generalstab zuvor der Ansicht gewesen war, Atomwaffen seien in Korea wahrscheinlich nicht von Nutzen, es sei denn als Teil eines „umfassenden atomaren Feldzugs gegen Rotchina“. Sollte sich diese Order nun ändern, weil chinesische Truppen eingegriffen hatten, dann wolle LeMay das Kommando übernehmen: Er teilte Stratemeyer mit, das SAC-Hauptquartier sei das einzige, das über die Erfahrung und technische Ausbildung wie auch über „intime Kenntnisse“ hinsichtlich der Trägerwaffen verfüge. Der Mann, der im März 1945 den Abwurf von Feuerbomben auf Tokio befehligt und 1948 die Luftbrücke nach Westberlin organisiert hatte, war jetzt erneut bereit, das Kommando über die Bomberangriffe im Fernen Osten zu übernehmen.13 Damals sorgte man sich kaum darüber, dass die Russen mit atomaren Waffen zurückschlagen könnten, weil die USA über mindestens 450 Bomben verfügten, die Sowjetunion aber nur 25 Bomben hatte.
Am 9. Dezember 1950 erklärte MacArthur, jedem Kommandeur auf dem koreanischen Kriegsschauplatz sei es freigestellt, Atomwaffen einzusetzen. Am 24. Dezember legte er eine Liste von Zielen vor, für die er 26 Atombomben einkalkulierte. Vier weitere wollte er auf die „Invasionstruppen“ abwerfen, und noch einmal vier auf „bedrohliche Konzentrationspunkte der feindlichen Luftwaffe“.
In postum veröffentlichten Interviews behauptete MacArthur, einen Plan ausgearbeitet zu haben, mit dem er den Krieg innerhalb von zehn Tagen gewonnen hätte: „Ich hätte mehr als 30 Atombomben über das gesamte Grenzgebiet zur Mandschurei abgeworfen.“ Anschließend hätte er am Yalu, dem Grenzfluss zwischen Nordkorea und China, eine halbe Million nationalchinesischer Soldaten – die sich nach ihrer Niederlage 1949 aus dem kommunistischen China nach Taiwan abgesetzt hatten – eingesetzt und dann zwischen dem Japanischen und dem Gelben Meer einen mit radioaktivem Kobalt verseuchten Landgürtel geschaffen. Da Kobalt zwischen 60 und 120 Jahre aktiv bleibt, wäre dann „mindestens 60 Jahre lang keine Invasion über Land nach Südkorea von Norden aus möglich gewesen“. MacArthur war überzeugt davon, dass die Russen angesichts dieser extremen Strategie nichts unternommen hätten: „Mein Plan war bombensicher.“14
Kobalt 60 hat eine 320-mal stärkere Radioaktivität als Radium. Eine 400-Tonnen-Kobalt-Wasserstoffbombe könnte alles menschliche und tierische Leben auf der Erde auslöschen. In den zitierten Interviews wirkt MacArthur wie ein kriegsversessener Irrer, aber er ist nicht der Einzige, der diesen Eindruck hinterlässt. Schon vor der Offensive der Chinesen und Nordkoreaner waren die Mitglieder eines Ausschusses des Vereinigten Generalstabs zu der Meinung gekommen, Atombomben könnten der „entscheidende Faktor“ sein, um einen chinesischen Einmarsch in Korea zu unterbinden: Mit ihrer Hilfe könne man einen Cordon sanitaire auf mandschurischem Gebiet, unmittelbar nördlich der Grenze zu Korea schaffen.
Ein Strahlengürtel als Grenze
DER demokratische Kongressabgeordnete Albert Gore, der später entschlossen gegen den Vietnamkrieg opponierte, klagte damals: „In Korea werden amerikanische Männer durch den Fleischwolf gedreht.“ Um dem Krieg ein Ende zu bereiten, schlug er vor, müsse man „etwas ganz Verheerendes“ einsetzen, zum Beispiel den Landgürtel zwischen Nord und Süd verstrahlen, sodass die koreanische Halbinsel für immer in zwei Hälften geteilt sein würde. Und obwohl General Ridgway, nachdem er MacArthur als Kommandeur der US-Truppen in Korea abgelöst hatte, die Idee mit den Kobaltbomben nicht wieder aufgriff, wiederholte er im Mai 1951 die Forderung seines Vorgängers und verlangte jetzt 38 Atombomben. Die wurden allerdings nicht bewilligt.
Anfang April 1951, also exakt in den Tagen, als MacArthur von Truman entlassen wurde, standen die USA kurz davor, doch atomare Waffen einzusetzen. Obwohl viele diesbezügliche Informationen noch immer unter Verschluss sind, ist mittlerweile unstrittig, dass der Präsident seinen Oberbefehlshaber in Korea nicht einfach wegen seiner wiederholten Widersetzlichkeit abgeschoben hat, sondern weil er einen verlässlichen Oberbefehlshaber vor Ort haben wollte, falls man den Einsatz von Atomwaffen beschließen sollte. Mit anderen Worten: MacArthur erhielt den Laufpass gerade wegen Trumans nuklearer Politik. Am 10. März 1951 hatte MacArthur eine „atomare Kapazität für einen D-Day“ angefordert, um die Lufthoheit über Korea behaupten zu können. Denn inzwischen hatte Peking seine Truppen an der koreanischen Grenze massiv verstärkt, und die Sowjets hatten 200 Bomber auf Luftstützpunkte in der Mandschurei verlegt, die von dort nicht nur Korea, sondern auch die US-Basen in Japan angreifen konnten.15 Am 16. März schrieb General Vandenberg: „Finletter und Lovett sind wegen der Diskussionen über Atomwaffen alarmiert. Denke, alles ist einsatzbereit.“ Ende März berichtete Stratemeyer, dass die Bestückungsanlagen für Atombomben in der Luftwaffenbasis Kadena auf Okinawa wieder funktionierten und dass man nur noch auf die eigentliche atomare Ladung warte. Am 8. April befahl der Vereinigte Generalstab einen sofortigen atomaren Vergeltungsschlag gegen die Militärbasen in der Mandschurei für den Fall, dass neue Truppen in großer Zahl in die Kämpfe eingreifen sollten oder dass von dort aus Bomber gegen US-Ziele eingesetzt würden. Am selben Tag begann Gordon Dean, der Leiter der US-Atomenergiekommission, mit den Vorbereitungen für die Auslieferung von neun Mark-IV-Atomkapseln an die Neunte Bombergruppe der US Air Force, die als Träger der Atombomben ausersehen war.
Am 6. April 1950 erhielt General Omar Bradley, der damalige Chef des Vereinigten Generalstabs, Trumans Zustimmung, die Mark-IV-Bomben „von der AEC (Atomenergiebehörde) unter die Aufsicht des Militärs“ zu verlagern. Zur selben Zeit unterzeichnete der Präsident einen Befehl zum Einsatz der Bomben gegen Ziele in China und in Nordkorea. Die Neunte Bombergruppe der US-Luftwaffe wurde nach Guam verlegt. Doch „in der Konfusion, die nach der Entlassung von General MacArthur entstand“, wurde Trumans Befehl nie abgeschickt. Dafür gab es zwei Gründe: Erstens benutzte der Präsident die Krise, um vom Vereinigten Generalstab die Zustimmung zur Absetzung von MacArthur zu erlangen. Und zweitens verhielten sich die Chinesen in diesem Krieg eher zurückhaltend. Deshalb kamen die Bomben nicht zum Einsatz. Doch die neun Mark-IV-Bomben wurden nicht an die AEC zurückgeliefert, sondern blieben nach ihrem Transfer am 11. April unter Obhut der US-Luftwaffe. Die Neunte Bombergruppe blieb zwar in Guam stationiert, wurde aber nicht auf den Stützpunkt Kadena in Okinawa verlegt, wo die Ladevorrichtungen für die Mark IV installiert waren.
Im Juni 1951 fasste der Vereinigte Generalstab erneut den Einsatz von Atomwaffen ins Auge, dieses Mal als taktische Gefechtswaffe16 . Bis zum Ende des Koreakrieges 1953 gab es noch viele Vorschläge dieser Art. Robert Oppenheimer, der frühere Leiter des Manhattan-Projekts, war auch an dem „Project Vista“ beteiligt, das untersuchen sollte, ob sich atomare Waffen auch für den taktischen Gebrauch eignen. Anfang 1951 wurde ein junger Mann, Samuel Cohen, in geheimer Mission vom US-Verteidigungsministerium als Kriegsbeobachter nach Seoul geschickt, das ein zweites Mal von den Alliierten erobert wurde. Seine Aufgabe war es, eine Methode zu entwickeln, mit der man den Feind vernichten kann, ohne die Stadt zu zerstören. Cohen wurde der Vater der Neutronenbombe.17
Das grässlichste Atomprojekt, das die USA in Korea verfolgten, war vermutlich die Operation Hudson Harbor. Sie gehörte offenbar zu einem größeren Projekt, das auch die Kooperation von Pentagon und CIA bei der Untersuchung des „möglichen Einsatzes von neuartigen Waffen“ vorsah – ein euphemistischer Ausdruck für das, was heute Massenvernichtungswaffen heißt.
Selbst ohne den Einsatz solch „neuartiger Waffen“ – dabei war auch Napalm damals noch ziemlich neu – wurde Nordkorea durch diesen Luftkrieg, dem Millionen Menschen zum Opfer fielen, dem Erdboden gleichgemacht. Die Überlebenden hausten in Höhlen. Drei Jahre lang hatten die Menschen mit der täglichen Angst gelebt, von Napalm verbrannt zu werden. „Es gab einfach kein Entrinnen“, erzählte mir ein Nordkoreaner dreißig Jahre später.
Am 20. Juni 1953 meldete die New York Times in einer Schlagzeile die Hinrichtung von Julius und Ethel Rosenberg18 im New Yorker Gefängnis Sing Sing – in seiner Urteilsverkündung hatte der Richter das Ehepaar auch mittelbar für den Tod von 50 000 amerikanischen Soldaten im Koreakrieg verantwortlich gemacht. Die kleiner gedruckten Kriegsberichte vom Tage enthielten die Mitteilung der US-Luftwaffe, dass ihre Flugzeuge die Staudämme von Kusong und Toksan in Nordkorea bombardiert hatten, und wie nebenbei die Meldung, dass der nordkoreanische Rundfunk „große Schäden“ an den beiden Wasserreservoiren zugegeben habe. Zu diesem Zeitpunkt war die Landwirtschaft der einzige Wirtschaftsbereich, der in Korea noch einigermaßen funktionierte. Die Angriffe auf die Staudämme erfolgten im Frühjahr 1953 – kurz nachdem die Bauern die mühsame Arbeit des Reiseinpflanzens hinter sich gebracht hatten.
Viele Dörfer versanken in der Flutwelle oder wurden „flussabwärts mitgerissen“, und selbst Pjöngjang, das 27 Meilen südlich des einen Dammes liegt, stand halb unter Wasser. In der offiziellen Geschichte der US Air Force kann man nachlesen, dass die Flut, die durch den Zusammenbruch der Staumauer des Reservoirs von Toksan ausgelöst wurde, sechs Kilometer Bahngleise, fünf Brücken, zwei Meilen Straße und fünf Quadratmeilen Reisfelder zerstörte. In 200 000 Arbeitstagen wurde das Reservoir nach dem Krieg wiederhergestellt. Auch der 1932 errichtete Damm am Pujon-Fluss, der mit seiner Staukapazität von 670 Millionen Kubikmetern nicht nur ein 200.000-Kilowatt-Kraftwerk antrieb, sondern auch die Reisfelder unterhalb der Staumauer mit Wasser versorgte, wurde getroffen.19
Über die Zahl der Bauern, die bei den Angriffen auf diese und andere Dämme ihr Leben verloren, gibt es keine offiziellen Zahlen. Man unterstellte allerdings, dass sich diese Bauern „loyal“ zum Feind verhielten und „den kommunistischen Streitkräften direkte Hilfe leisteten“. Ihr Zerstörungswerk lehrte die US-Luftwaffe: „Dem Feind wurde exemplarisch die Totalität des Krieges demonstriert, der sich auf die gesamte Wirtschaft und sämtliche Menschen einer Nation erstreckt.“20
Im Verlauf des Koreakriegs „richtete die US-Luftwaffe schreckliche Zerstörungen in ganz Nordkorea an“, resümiert Conrad Crane. „Die Bilanz der Bombenschäden, die den Waffenstillstandsverhandlungen zugrunde lag, besagt, dass 18 der 22 größten Städte zumindest zur Hälfte zerstört worden waren.“21 So wurden beispielsweise die beiden großen Industriestädte Hamhung und Hungnam zu etwa 80 Prozent zerstört, Sinajnu zu 100 Prozent und Pjöngjang zu 75 Prozent. Ein britischer Reporter, der eines von tausenden zerstörten Dörfern besucht hatte, fand nur noch „einen niedrigen, ausgedehnten Wall von violetter Asche“ vor. Und General William Dean, der nach der Schlacht von Taejon im Juli 1950 in nordkoreanische Gefangenschaft geraten war, berichtete später, die meisten Städte und Dörfer im Norden seien „Ruinen oder verschneite, leere Flächen“ gewesen. Nahezu jeder Koreaner, dem er damals begegnet sei, habe Angehörige durch Bombenangriffe verloren.22 Selbst Winston Churchill war erschüttert und erklärte gegenüber Washington, dass sich am Ende des Zweiten Weltkriegs, als das Napalm als Waffe erfunden wurde, niemand vorgestellt hat, dass man damit kurze Zeit später die Zivilbevölkerung eines ganzen Landes „überschütten“ würde.23
So sah er aus, der „begrenzte Krieg“ in Korea. Als Nachruf auf diesen entfesselten Luftkrieg sei noch die Schilderung seines Erfinders, General Curtis LeMay, zitiert. Über den Beginn des Krieges sagte er 1966 in einem Interview: „Wir schoben beim Pentagon sozusagen eine Mitteilung unter der Tür durch, die in etwa lautete: ‚Lasst uns doch […] fünf der größten Städte in Nordkorea niederbrennen – sie sind nicht besonders groß –, und damit dürfte die Angelegenheit dann beendet sein.‘ Nun, als Antwort kam das empörte Geschrei von vier, fünf Leuten: ‚Ihr werdet eine Menge Nichtkombattanten töten‘, und: ‚Nein, das ist zu schrecklich.‘ Doch dann haben wir innerhalb von etwa drei Jahren jede Stadt in Nordkorea und auch in Südkorea niedergebrannt. […] Tja, über einen Zeitraum von drei Jahren kann man das offenbar goutieren, aber ein paar Menschen zu töten, damit das gar nicht erst passiert, das können viele Leute eben nicht verkraften.“24
deutsch von Niels Kadritzke
* University of Chicago (emer.); zuletzt: „North Korea. Another Country“, New York (New Press) 2003.