14.01.2005

Sonne im Aufwind

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Sonne im Aufwind

Weltweit steigt die Nachfrage nach Solarzellen. Vor allem in Asien ist Strom aus Sonnenenergie sehr gefragt. Aber selbst die vermeintlich unerschöpfliche Energieleistung unserer Sonne ist endlich.

Von ROLAND LEHOUCQ *

DIE Erde ist ein geschlossenes, endliches System. Im Alltag merken wir davon jedoch nichts, da unsere Bezugspunkte vollkommen andere sind. So ging der Mensch stets davon aus, zwar nicht aus unbegrenzten, aber doch aus sehr großen Ressourcen schöpfen zu können. Lange Zeit entzog die Menschheit dem terrestrischen Ökosystem nur einen Bruchteil der verfügbaren Rohstoffe. Doch nach 50 Jahren exponentiellen Wirtschaftswachstums ist inzwischen deutlich geworden, dass die Eingriffe des Menschen die Natur überfordern.

Exponentielles Wachstum gerät unvermeidlich – und wesentlich schneller als angenommen – in Widerspruch zur Endlichkeit der Ressourcen. Nehmen wir zum Beispiel eine Bakterienkultur in einer Petrischale. Bakterien reproduzieren sich durch Zellteilung, sodass sich ihre Zahl beispielsweise in weniger als zwanzig Minuten verdoppeln kann. Stellen wir uns vor, dass eine Petrischale, die um 12 Uhr mittags mit einer einzigen Bakterie beimpft wurde, um Mitternacht voll ist und sich die Zahl der Bakterien auf 68 Milliarden vervielfacht hat. Wann war die Petrischale halb voll? Um 23.40 Uhr.

Wenn wir eine dieser Bakterien wären, wann würden wir merken, dass wir bald unter Platzmangel leiden würden? Um 22 Uhr, wenn die Kolonie erst 1,5 Prozent der Schale ausfüllt, erscheint uns der Gedanke an die bevorstehende Katastrophe als völlig abwegig. Nehmen wir an, dass eine besonders hellsichtige Bakterie um 22 Uhr beginnt, sich Sorgen zu machen. Unter Einsatz großer Mittel initiiert sie ein Forschungsprogramm, um neue Lebensräume zu finden. Um 23.40 Uhr werden drei weitere Petrischalen entdeckt, wodurch sich das verfügbare Volumen vervierfacht! Doch so beträchtlich der Ressourcengewinn auch erscheinen mag, er verschafft nur eine Frist von 40 Minuten. Um 0.40 Uhr geht die Kolonie zugrunde.

Bei den gegenwärtigen Wachstumsraten verdoppelt sich der Weltenergieverbrauch knapp alle 50 Jahre. Wie lange stehen uns noch welche Energiereserven zur Verfügung? Wir können die geschätzten Vorräte einer Ressource mit dem gegenwärtigen Jahresverbrauch vergleichen. Die Berechnung ergibt, in wie viel Jahren die fragliche Ressource spätestens erschöpft sein wird – spätestens, denn wir nehmen implizit an, dass der Verbrauch konstant bleibt. Je nachdem ob die nachgewiesenen oder die nicht nachgewiesenen Reserven zugrunde liegen, werden Erdöl, Erdgas und Uran in 40 bis 120 Jahren verbraucht sein. Günstiger sieht es bei Kohle aus, deren Haltbarkeitsdauer zwischen 220 und 850 Jahren variiert.1 Was die fossilen Brennstoffe betrifft, ist es also bereits kurz vor zwölf.

Wie könnten wir den Countdown verlängern? Das Entwicklungstempo kann gesenkt, Nullwachstum oder negatives Wachstum kann angesteuert werden. Daran wird wohl kein Weg vorbeiführen, auch wenn die Umsetzung im Weltmaßstab sehr schwer sein dürfte. Mit jedem Schritt in diese Richtung ließe sich jedoch ein wenig Zeit gewinnen, bevor es endgültig keine fossilen Brennstoffe mehr gibt. Auch die verstärkte Nutzung von Wind- und Wasserkraft, Erd- und Meereswärme, Sonnen-, Wellen- und Gezeitenenergie sowie Biomasse würde die Erschöpfung fossiler Brennstoffe hinauszögern.

Sieht man von der Sonnenenergie einmal ab, so übersteigt das Potenzial der regenerierbaren Energieträger den derzeitigen Verbrauch jedoch nur um ein geringes Vielfaches. Wenn der Weltenergieverbrauch weiterhin so schnell wie bisher wächst, würden diese Energiequellen in absehbarer Zeit an die Grenze ihrer Regenerationsfähigkeit stoßen. Dem Wachstum des menschlichen Energieverbrauchs sind also auch in diesem Fall Grenzen gesetzt, wobei die regenerierbaren Energieträger gegenüber den Petrischalen und den fossilen Brennstoffen immerhin den Vorteil haben, dass sie sich erneuern.

Demgegenüber empfängt die Erde von der Sonne ein Energiequantum, das den derzeitigen Energieverbrauch der Menschheit um das 13 000fache übersteigt. Die Sonne scheint, weil sie heiß ist – die Oberflächentemperatur liegt bei 6 000 °C –, und strahlt in wenig mehr als einer Millionstelsekunde mehr Energie ab, als der Mensch in einem ganzen Jahr erzeugt.2

Nach menschlichem Maß stellt dieser Stern eine schier unerschöpfliche Energiequelle dar. Würde es gelingen, einen nennenswerten Teil dieser Energie aufzufangen, hätten wir es bei unseren Berechnungen mit ganz anderen Zeiträumen zu tun. Doch wie sollen wir das anstellen? Neben den traditionellen Methoden der Photovoltaik und der Solarthermie weisen zwei ehrgeizige Projekte den Weg in die Zukunft. Das eine sieht den Bau eines gigantischen Solarturms vor und befindet sich im Versuchsstadium, das andere, die Platzierung von Solarstationen im erdnahen Weltraum, steckt noch in der Planungsphase.

Im Innern Australiens könnte bis 2008 das höchste Bauwerk der Menschheitsgeschichte entstehen. Das australische Unternehmen EnviroMission plant dort die Errichtung eines gut 1 000 Meter hohen Solarturms mit einer Leistung von 200 Megawatt.3 Der Turm mit einer Grundfläche von knapp der Größe eines Fußballfelds befindet sich im Zentrum eines kreisrunden Solardachs mit einem Durchmesser von 14 Kilometern.

Die Funktionsweise des Aufwindkraftwerks ist simpel. Die Luft unter dem etwas geneigten Glasdach wird durch die Sonneneinstrahlung aufgeheizt und strömt den Turm hinauf. Dabei treibt die aufgeheizte Luft Turbinen an, die rund um die Uhr Strom erzeugen. Da Sonnenenergie nur mit Unterbrechungen zur Verfügung steht, befinden sich unter dem Glasdach schwarz lackierte Wassertanks, die tagsüber aufgeheizt werden und die gespeicherte Energie in der Nacht abgeben. Der australische Turm ist die Megaversion der Pilotanlage, die der deutsche Ingenieur Jörg Schlaich4 1982 nahe Manzanares in Spanien testete.

Fast die gesamte Sonnenenergie verliert sich im Unendlichen. Warum also sollte man die Strahlung nicht vom Weltraum aus auffangen? Im Weltraum fällt der Tag-Nacht-Wechsel weg, sodass wir die Sonne rund um die Uhr anzapfen können, und die Erdatmosphäre filtert nicht sieben Achtel der Energie weg. Mit dem Forschungsprojekt Space Solar Power5 begann die Nasa ab 1995 mit den Vorstudien zu weltraumgestützten Sonnenkraftwerken, die eine Kapazität von mehreren hundert Megawatt bis zu einigen Gigawatt haben sollen. Großflächige Solarmodule würden die Sonnenenergie in Strom umwandeln und als Mikrowellen im Zentimeterbereich zur Erde schicken.

Auf der Insel Réunion im Indischen Ozean wurde das Projekt bereits getestet, um die Bewohner eines unzugänglichen Tals mit Energie zu versorgen.6 Andere Länder haben bereits Interesse angemeldet. Japan gab Anfang 2001 bekannt, das Land wolle bis 2040 ein erdnahes Sonnenkraftwerk in Betrieb nehmen. Der Satellit soll mit zwei 1 x 3 Kilometer messenden Sonnensegeln ausgestattet sein und rund 20 000 Tonnen wiegen.

Wenn das derzeitige Wachstum des Weltenergieverbrauchs auf lange Sicht anhält, wird nur die Sonne die nötigen Mengen zur Verfügung stellen können. Theoretisch stößt freilich auch dieser Ansatz irgendwann einmal an seine Grenzen – wenn der Verbrauch so weit steigt, dass zur Deckung die gesamte von der Sonne ausgestrahlte Energie nötig wäre. Dieser Zeitpunkt liegt gar nicht so weit in der Zukunft, wie man meinen könnte: Bei einem jährlichen Wachstum von einem Prozent wäre er in 3 200 Jahren erreicht. Selbst die Sonne ist ein endliches System.

deutsch von Bodo Schulze

* Astrophysiker, Autor von „L‘univers a-t-il une forme?“, Champs/Flammarion 2004.

Fußnoten: 1 www.industrie.gouv.fr. 2 Die Sonne strahlt die imposante Leistung von 3,9 x 1026 Watt aus, wovon die Erde mit 1,7 x 1017 Watt nur die Hälfte eines Milliardstels empfängt. Zum Vergleich: Die Weltenergieerzeugung liegt bei rund 1,3 x 1013 Watt, einem Tausendstel der auf der Erde eintreffenden Sonnenenergie. 3 www.wentworth.nsw.gov.au/solartower. 4 www.sbp.de. – Schlaichs Arbeiten sind bis zum 4. Februar in der School of Architecture der US-Universität Yale ausgestellt: www.yale.edu/opa/v33.n11/story12.html. 5 spacesolarpower.nasa.gov. 6 Dazu Pierre Barthélemy, „Des micro-ondes pour alimenter une vallée encaissée de la Réunion“, Le Monde, 31. 5. 2001.

Le Monde diplomatique vom 14.01.2005, von ROLAND LEHOUCQ