Umwerben, einkreisen, isolieren
Hinter den Attentaten im Irak sieht das Verteidigungsministerium in Bagdad die Regierungen der Nachbarstaaten Iran und Syrien. Solche Anschuldigungen fügen sich in die Pläne, die in der Bush-Administration gegen den „Schurkenstaat“ Iran entwickelt wurden. Die neokonservativen Strategen im Pentagon wollen nicht nur – wie die meisten EU-Staaten – die atomare Aufrüstung Teherans stoppen. Langfristig verfolgen sie immer noch den Plan, das Regime dort zu Fall zu bringen.
Von WALID CHARARA *
IN ihrem Feldzug gegen den Terrorismus hat sich die US-Regierung unter George W. Bush die Neugestaltung des Nahen Ostens auf ihre Fahne geschrieben.1 Dass die Besetzung des Irak bislang ein gewaltiger Fehlschlag ist, scheint diesem Plan keinen Abbruch zu tun. Nun konzentriert man sich auf den Iran; und die vorgelegten „Beweise“ für die Bedrohung, die angeblich von der Islamischen Republik ausgeht, gleichen den einstigen Vorwürfen gegen das Regime von Saddam Hussein aufs Haar: Herstellung von Massenvernichtungswaffen, Unterstützung des Terrorismus, Verbindungen zu al-Qaida.
Im Unterschied zu den gestürzten Machthabern im Irak hat der Iran tatsächlich ein Atomprogramm betrieben, in dessen Rahmen auch die Erzeugung von waffenfähigem Uran möglich war. Dies führen die USA nun als Beleg für die kriegerischen Absichten Teherans ins Feld. Condoleezza Rice, die derzeitige Sicherheitsberaterin und künftige Außenministerin von Präsident Bush, hat seit langem angekündigt, Washington werde alles tun, um den Iran zur Aufgabe seiner nuklearen Projekte zu zwingen.
Eine ähnliche Position nimmt Israel ein. Meir Dagan, Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, erklärte das iranische Atomprogramm zur „größten Bedrohung für die Existenz des Staates Israel seit seiner Gründung“. Anfang 2003, vor dem Einmarsch in den Irak, hatte der israelische Generalstab darauf gedrängt, den Iran zum Hauptfeind zu erklären. Jane’s Defense Weekly berichtete schon im Juni 2002, dass Israel Pläne für einen „Präventivschlag“ gegen iranische Forschungszentren und Nukleareinrichtungen in der Schublade habe und lediglich auf grünes Licht aus Washington warte.2
Damals verweigerten die USA ihre Zustimmung, doch inzwischen gelten andere Bedingungen. Auch wenn im Augenblick die Zügelung der nuklearen Ambitionen des Iran Vorrang hat – langfristig bleibt das Hauptziel der US-Politik in der Region das gleiche wie 1979: das Ende der Islamischen Republik.
Die Feindschaft gegen den Iran gehört seit einem Vierteljahrhundert – in schwankender Intensität – zu den Konstanten der US-Außenpolitik. Daran konnte auch die merkliche Veränderung in der Haltung der iranischen Führung nichts ändern. Seit Anfang der 1990er-Jahre bemühte sich Teheran um die Normalisierung der Beziehungen zu den Nachbarstaaten in der Region – vor allem zu Saudi-Arabien – und um den Ausbau politischer und wirtschaftlicher Kontakte zur Europäischen Union, zu Russland, China und Indien. Internationale Experten haben diese Anstrengungen wiederholt gewürdigt. Emmanuel Todd etwa konstatierte vor zwei Jahren, dass der Iran „sich eindeutig auf dem Weg der innen- und außenpolitischen Befriedung befindet“.3
Erstaunlicherweise hat sich die Islamische Republik in manchen außenpolitischen Fragen den Positionen der USA angenähert und dabei sogar Grenzen überschritten, die zuvor als unantastbar galten. So unterstützte Teheran 2001 den US-amerikanischen Feldzug gegen Afghanistan, und auch 2003 zeigte sich die iranische Regierung ausgesprochen kooperativ: Schiitische Organisationen im Irak wurden mobilisiert, um den US-Einmarsch zu unterstützen. An der iranfeindlichen Haltung der USA konnten diese deutlichen Gesten nicht viel ändern. Zu stark war der Einfluss neokonservativer Berater um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Vor wie nach der Irakinvasion betonten die USA immer wieder, das „demokratische Beispiel“ müsse nun rasch auch im Iran Schule machen und zum Sturz des Regimes führen.
Heute versuchen die USA, diesen Plänen durch eine Politik der Einkreisung Nachdruck zu verleihen: Sie verstärken ihre militärische Präsenz in den Nachbarstaaten. Zugleich versuchen sie, den politische Einfluss der Islamischen Republik außerhalb ihres Territoriums zu beschneiden und das Land außenpolitisch zu isolieren. Damit verfolgen sie letztlich eine Strategie der direkten und indirekten Destabilisierung des Regimes in Teheran.
Für die Hartnäckigkeit der Regierung Bush in dieser Frage gibt es – hinter dem ideologischen Rauchvorhang des neuen demokratischen Messianismus – zwei handfeste Gründe. Der eine ist die geostrategische Bedeutung des Iran: Ein unabhängiger und wirtschaftlich bedeutender Staat mit 70 Millionen Einwohnern, der Militärabkommen mit Russland und China geschlossen hat und eine Rolle als Regionalmacht beansprucht, muss den USA wie die letzte Bastion gegen ihre dauerhafte Vormachtstellung im Nahen Osten erscheinen. Als Atommacht wäre der Iran ein attraktiver Partner für Europa, China, Russland und Indien – für Mächte also, die in den Analysen des Pentagons bereits als künftige „gleichrangige Konkurrenten“ der USA ausgewiesen werden.
Zudem tritt Teheran als der letzte regionale Verbündete von Staaten und Organisationen auf, die nach wie vor den Kampf gegen Israel führen. Libanon und Syrien, die Hisbollah und einige palästinensische Gruppen haben alle regionale und internationale Rückendeckung verloren und würden ohne Beistand aus dem Iran gegen die Militärmacht Israel praktisch auf verlorenem Posten stehen.
In der gegenwärtigen Situation findet der Iran Gründe genug, auf Atomwaffen zu setzen. Die Lage ist zunehmend brisant, und man ist entschlossen, das Land zur „heiligen Erde“ zu erklären, die es um jeden Preis gegen Angriffe der USA oder Israels zu verteidigen gilt. Nach Ansicht mancher Experten geht es dabei allein um nukleare Abschreckung. „Es kann ja nicht um einen Angriff gehen“, meint zum Beispiel der amerikanische Publizist Michael Mann. „Wer es wagt, Raketen gegen die USA zu starten, hat sein Todesurteil unterschrieben. Eine Bedrohung Amerikas können diese Waffen also keinesfalls darstellen. Aber auch die üblichen Anlässe für Konflikte zwischen Nachbarstaaten können den Einsatz von Atomwaffen nicht rechtfertigen, schon weil der radioaktive Fallout über beiden Konfliktparteien niedergehen würde. Dennoch versuchen alle Länder, die einen Angriff der USA oder eines übermächtigen Nachbarn fürchten, mit allen Mitteln, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen, und berufen sich auf die Legitimität der Selbstverteidigung.“4
In der Absicht, den Eintritt des Iran in den Kreis der Atommächte zu verhindern, ist sich Europa mit den USA einig – eine strategische Allianz, die an das Bündnis gegen den Irak von 1990, nach dem Einmarsch in Kuwait, erinnert. Damals wie heute ging es darum, die Entstehung einer islamischen Regionalmacht zu verhindern, die sich gegen Israel stellt und das bestehende Kräfteverhältnis zuungunsten des jüdischen Staates verändern könnte. Trotz solcher gemeinsamer Interessen besteht Uneinigkeit über die aktuellen Ziele der Politik. Die Europäer wären bereit, die Beziehungen zum Iran zu normalisieren, wenn Teheran das militärische Atomprogramm aufgäbe. Die USA sähen ein solches Einlenken nur als Ermutigung für die „internationale Gemeinschaft“, den Druck auf den Iran zu verstärken und das Regime zu stürzen.
Um die iranischen Pläne zur atomaren Bewaffnung zu vereiteln, scheint es derzeit nur zwei Möglichkeiten zu geben: Entweder man verstärkt die diplomatischen Bemühungen, um Teheran zum Verzicht zu bewegen, oder man setzt militärische Mittel ein, um die Atomanlagen zu zerstören. Dass in Tel Aviv und Washington keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine gewaltsame Lösung bestehen, hat sich bereits 1980 bei der Bombardierung des iranischen Atomreaktors Osirak durch die israelische Luftwaffe gezeigt. Heute allerdings stehen einer solchen Aktion sowohl aus technischen wie aus militärisch-politischen Gründen Hindernisse entgegen, die den Einsatz von Gewalt wenig wahrscheinlich machen.
Technisch gesehen ist es kaum möglich, sämtliche iranischen Atomanlagen zu zerstören, da sie überall im Land verteilt sind. Politisch-militärisch ist davon auszugehen, dass der Iran auf einen US-amerikanischen oder einen israelischen Angriff mit Gegenschlägen reagieren würde – entweder mit seinen Langstreckenraketen, die Israel erreichen können, oder indem er die libanesische Hisbollah zu Attacken aus dem Südlibanon aufruft. In jedem Fall wäre die Folge ein regionaler Konflikt, in den zumindest Syrien und der Libanon involviert würden. Zudem verfügt Teheran über genügend Einfluss auf die schiitische Bevölkerung im Irak und in Afghanistan, um dort Offensiven gegen die US-amerikanischen Besatzungstruppen zu starten.
Offensichtlich muss man sich also auf diplomatische und wirtschaftliche Druckmittel verlassen. Als flankierende Maßnahme ist es unverzichtbar, das Regime in Teheran von seinen Verbündeten in der Region zu isolieren, um es anfälliger für Druck von außen zu machen und um sich selbst die militärische Option offen zu halten. Die USA haben sich zu diesem Zweck eine Dreifrontenstrategie ausgedacht. An der syrisch-libanesischen Front erhöhen sie, unterstützt durch Frankreich, den Druck auf Damaskus. Ein erstes Resultat war die UN-Sicherheitsrats-Resolution 1559, mit der Syrien aufgefordert wird, seine Truppen aus dem Libanon abzuziehen und für die Entwaffnung der palästinensischen und libanesischen Hisbollah sowie den Abzug der libanesischen Armee von der Grenze zu Israel zu sorgen.
Die eigentliche Botschaft lautet: Wenn Syrien seine Allianz mit dem Iran nicht aufkündigt und auf Distanz zu der von Teheran gestützten Hisbollah geht, wird es zum Rückzug aus dem Libanon gezwungen. Mit der Resolution 1559 soll vor allem ein Signal für die gesamte Region gesetzt werden. Das erklärt im Übrigen auch die überraschende Haltung Frankreichs in dieser Angelegenheit, die für die Pariser Nahostpolitik eigentlich untypisch ist. Über die Libanonpolitik und Handelsfragen gab es zwar schon seit langem Streit zwischen Paris und Damaskus, und hinzu kommen die persönlichen Verbindungen von Präsident Jacques Chirac zum libanesischen Expremier Rafik Hariri (der inzwischen gegen Syrien Front macht). Doch die derzeitige französische Position bedeutet eine Kurskorrektur, die sich nicht aus diesen Differenzen, sondern nur daraus erklären lässt, dass man gemeinsam mit den USA die syrisch-iranische Allianz zerschlagen will.
Eine weitere Front gegen den iranischen Einfluss haben die USA im Irak eröffnet. Der Feldzug, den britische und US-amerikanische Truppen ab April 2004 gegen die Milizen des Imams Muktada al-Sadr führten, sollte nicht nur dessen Widerstand gegen die Besatzung beenden. Es ging auch darum, eine von Teheran gestützte politische Kraft auszuschalten. Die guten Beziehungen der USA zu anderen Fraktionen der irakischen Schiiten, der Dawa-Partei oder dem Obersten Rat der Islamischen Revolution (die beide in der Übergangsregierung unter Präsident Allawi vertreten sind) sind Ausdruck der „Teile und herrsche“-Strategie Washingtons: Man beteiligt einige Fraktionen an der Macht und erhöht damit den Druck auf die notorisch proiranischen Gruppen.
Außerdem erhielten 4 000 Kämpfer der „Iranischen Volksmudschaheddin“ – die offiziell auf der US-Liste terroristischer Organisationen stehen – im Irak politisches Asyl. Offenbar hat man mit ihnen Frieden geschlossen, um sie gegen den Iran einsetzen zu können. Einige MKO-Mitglieder haben bereits Enthüllungen über die geheimen Nuklearprogramme des Iran zu Protokoll gegeben. In ähnlicher Weise hatten die US-Geheimdienste vor dem Einmarsch den Irakischen Nationalkongress unter Ahmed Chalabi für ihre Zwecke eingespannt.
Die dritte antiiranische Front verläuft in Afghanistan. Unter dem Vorwand, die Stellung staatlicher Institutionen gegen die regionalen Kriegsherren zu stärken, wurde Präsident Hamid Karsai als Verbündeter der USA ermutigt, den legendären Mudschaheddin-Führer Ismail Khan in Herat zu entmachten, der seit je gute Beziehungen zum Iran pflegt. Ismail Khan ist allerdings nicht der einzige Verbündete des Iran in der Region. Teheran unterhält auch beste Verbindungen zu verschiedenen Gruppierungen der einstigen Nordallianz. So leicht werden die USA den Einfluss des Iran also nicht zurückdrängen können.
Noch ist es zwischen Teheran und Washington nicht zum offenen Konflikt gekommen. Doch die US-Regierung hat das Projekt der Umgestaltung des Nahen Ostens nicht aufgegeben. Das bedeutet Kollisionskurs gegen den Iran und zwangsläufig weitere Interessenkonflikte mit wichtigen Staaten der Region. Sollten die USA stur auf Konfrontation setzen, werden sie einen regionalen Konflikt auslösen, der den gesamten Nahen Osten in Brand setzen könnte.
deutsch von Edgar Peinelt
* Journalist, Autor (gemeinsam mit Frédéric Domont) von: „Hezbollah. Un mouvement islamo-nationaliste“, Paris (Fayard) 2004.