12.06.2009

Cremes aus Clichy

zurück

Cremes aus Clichy

Angeschmiert von L’Oréal von Mona Chollet

Es ist schon bemerkenswert, dass alle Diktaturen, linke wie rechte, Kosmetika verbannen oder auf ein Minimum reduzieren. Das sowjetische Make-up zum Beispiel war von entsetzlicher Mittelmäßigkeit.“1 Diese Worte des schneidigen Sir Lindsay Owen-Jones, der 18 Jahre lang dem Kosmetikkonzern L’Oréal vorstand, sollten genügen, um all jene eines Besseren zu belehren, die meinen, der Verkauf von Cremes und Shampoos sei ein harmloses Geschäft. „ ‚OJ‘ hat sehr früh das Potenzial des chinesischen Marktes erkannt“, erzählt eine ehemalige Angestellte. „Er sagte, L’Oréal werde das Rote Buch in der Hand der chinesischen Frau durch einen roten Lippenstift ersetzen.“

Gesagt, getan: 1997 posierte „OJ“ in Peking vor einem riesigen Werbeplakat, auf dem in chinesischen Schriftzeichen „Weil ich es mir wert bin“ prangte. Der weltweit größte Kosmetikhersteller, der im letzten Jahr Filialen in Ägypten, Kasachstan und Pakistan eröffnete, ist mittlerweile in 130 Ländern vertreten. Vertrieben werden die eigene Marke (L’Oréal Paris) und die Produkte der anderen internationalen Firmen, die L’Oréal im Laufe der Jahre aufgekauft hat: Garnier, Dop, Mixa, Vichy, La Roche-Posay, Biotherm, Lancôme, Cacharel, Yves Saint-Laurent Beauté, Maybelline Jade, Kiehl’s, Shu Uemura, Helena Rubinstein, Ralph Lauren, Giorgio Armani, Mininurse, Colorama, SoftSheen Carson, Body Shop und Sanoflore.

Zwar war 2008 Schluss mit dem legendären „zweistelligen Wachstum“, das L’Oréal zwei Jahrzehnte lang jedes Jahr verkünden ließ, doch fuhr das Unternehmen immerhin noch einen Nettogewinn von 2 Milliarden Euro ein. Unter der Ägide von Owen-Jones war der Umsatz des Kosmetikkonzerns von 3,7 auf 14,5 Milliarden Euro und der Börsenwert von 1,5 auf 50 Milliarden Euro gestiegen. Owen-Jones übergab 2006 den Vorstandsvorsitz an Jean-Paul Agon, blieb aber Aufsichtsratsvorsitzender von L’Oréal.

Kurz nachdem der Pariser Chemiker Eugène Schueller ein neues Haarfärbemittel erfunden hatte, gründete er 1907 die Firma Auréale, die zwei Jahre später zu L’Oréal wurde. Die Erbin, seine heute 86-jährige Tochter Liliane Bettencourt2 , ist mit einem geschätzten Vermögen von 13,4 Milliarden Dollar eine der reichsten Frauen der Welt.3

Der Konzern ist so reich wie verschwiegen. Man weiß nur, dass unter den vierzig Unternehmen des Pariser Börsen-Leitindex CAC 40 Lindsay Owen-Jones lange der bestbezahlte Chef war – bis zu 7,2 Millionen Euro Grundgehalt jährlich – und dass sein Nachfolger Jean-Paul Agon laut Wirtschaftsmagazin Challenges im Jahr 2007 der bestbezahlte Chef Europas war (er bezog 13 Millionen Euro, davon 4 Millionen Grundgehalt und 9 Millionen Aktienoptionen).

Auf der Hauptversammlung im April 2009, auf der die Schließung von drei Fabriken in Europa bekannt gegeben wurde, kündigte Agon an, 2009 auf seine Aktienoptionen verzichten zu wollen. Unter allseitigem Beifall sprach ihm Owen-Jones seine Anerkennung aus: „Kein Gesetz wäre in der Lage, die persönliche Entscheidung eines Einzelnen zu ersetzen.“4

Der Sitz von L’Oréal befindet sich in Clichy, in einem Haus aus braunem Klinker. Früher lagen hier die Büros der Seifenfabrik Monsavon, die Schueller 1928 auf- und später an das amerikanische Unternehmen Procter & Gamble weiterverkaufte. Trotz seiner weltweiten Expansion seit Ende der 1970er-Jahre weckt der Name L’Oréal wie ein leichter Duft noch immer Erinnerungen an die Nachkriegszeit Frankreichs, als das Versprechen von wachsendem Wohlstand in der Luft lag und die emanzipierte Frau auf den Nagellack Elnett oder das Deodorant Printil schwörte.

Der paternalistische, 2005 verstorbene François Dalle, der das Unternehmen von 1957 bis 1985 leitete, war überzeugt davon, dass „Kapitalismus nur zu rechtfertigen ist, wenn er zum Wohlstand beitrage“. So habe in ihm der Anblick der US-amerikanischen Soldaten bei der Befreiung von Paris im August 1944 das unwiderstehliche Bedürfnis nach schöpferischen Werten geweckt, das ihn sein ganzes Berufsleben über angetrieben habe.5

Das Unternehmen versteht sich darauf, sein Image mit wissenschaftlicher Autorität aufzupolieren. So erinnern sich ehemalige Angestellte noch immer voller Respekt an „die Labore“ als eine Art von interner Gegenmacht, die für ein unbeugsames Ethos gestanden habe und die sich mit den bunten Hunden aus der Marketingabteilung ein ständiges, aber produktives Kräftemessen geliefert habe. Einer spöttelt allerdings: „Wenn man zynisch wäre, würde man sagen, dass die Grundlagenforschung maßgeblich beim Marketing mitmacht.“6 Die Werbegrafiker kombinieren gern Bilder von makellosen Models mit vermeintlich wissenschaftlichen Zahlen und Grafiken. Allerdings bekam der Konzern in manchen Ländern, wie in Großbritannien und den USA, schon mehrfach Ärger mit der Werbeaufsicht und Verbraucherschutzorganisationen. In Ungarn musste L’Oréal kürzlich 500 000 Euro Bußgeld wegen irreführender Werbung zahlen. Frankreich ist da gnädiger.

Werbung mit Wissenschaftlerinnen

Der Kosmetik-Riese brüstet sich gern mit seinen Beiträgen zur wissenschaftlichen Forschung. So finanzieren die unternehmenseigene Stiftung und die Fondation Bettencourt-Schueller – mit einem Budget von 180 Millionen Euro die größte private wohltätige Stiftung Frankreichs – zahlreiche Forschungsprogramme.7 Jedes Jahr vergibt L’Oréal im Rahmen seines zusammen mit der Unesco ins Leben gerufenen Förderprogramms „For Women in Science“ Stipendien an Forscherinnen aus der ganzen Welt. Die Wissenschaftlerinnen, die L’Oréal in ganzseitigen Anzeigenporträts vorstellt, verkörpern laut Owen-Jones „das erregende Unbekannte der Zukunft sowie das Versprechen von einer besseren Welt, das umso mehr Mut macht, als alles um uns herum so durch und durch düster und schwarzseherisch wirkt“.8

Das britische Marktforschungsinstitut TNS führte kürzlich im Auftrag der Stiftung L’Oréal und der Unesco in zehn Ländern eine Meinungsumfrage über die Wahrnehmung der Wissenschaften durch, die zu einem paradoxen Ergebnis führte: „Zwar ist man im Allgemeinen vom Nutzen der Wissenschaft überzeugt, doch wird diese Wahrnehmung abgeschwächt durch den Mangel an Information, weshalb es eine gewisse Furcht vor ihrer potenziellen Macht gibt.“9 Sollte das wissenschaftliche Argument zunehmend an Wert verlieren?

L’Oréal weiß, wie sprunghaft die öffentliche Meinung ist. François Dalle erklärte 1975 in einem Interview, der Verzicht auf Tierversuche sei für ein engagiertes Unternehmen ein Muss.10 Zwanzig Jahre später bescherte ein Boykottaufruf dem Konzern wegen seiner Tierversuche eine der schlimmsten Krisen in seiner Geschichte. 2003 warf die britische Tageszeitung The Guardian L’Oréal vor, dafür verantwortlich zu sein, dass Frankreich lange Zeit das EU-Verbot von Tierversuchen zur Erprobung von Kosmetika verzögert habe11 , das seit März 2009 in Kraft ist. Heute testet das Unternehmen seine Substanzen an künstlich hergestellter Epidermis. Doch vertreibt es nach wie vor seine Produkte in Ländern, in denen Tierversuche immer noch Vorschrift sind, wie zum Beispiel in China.

Seit einigen Jahren muss der Konzern auf einen anderen Mentalitätswandel reagieren: die Vorliebe für das Natürliche. Wissenschaftler verdächtigen bestimmte chemische Moleküle, die in Kosmetika enthalten sind, vor allem die Parabene, Krebs zu verursachen und das Hormonsystem zu beeinflussen. Dieses Misstrauen löste einen Run auf biologische Produkte aus, die mittlerweile zur Goldgrube für die Kosmetikbranche geworden sind. L’Oréal sprang auf den Zug auf und kaufte 2006 die sehr erfolgreiche englische Kette The Body Shop und danach noch die französische Biomarke Sanoflore auf.

Nun propagiert der Konzern Nachhaltigkeit und hat in der indischen Stadt Poona eine Fabrik eröffnet, die „Regenwürmer und Sonnenkollektoren nutzt, um die Umweltbelastung zu reduzieren“.12 Sehr weit her ist es allerdings nicht mit dem „Greenwashing“, denn das Unternehmen ist vollständig auf Chemie ausgerichtet, und einer seiner Aktionäre ist der Schweizer Lebensmittel-Riese Nestlé, dessen Präsident Peter Brabeck jedem, der es hören will, erklärt, Genprodukte seien sicherer als Bionahrung.13 Die deutsche Journalistin Rita Stiens, Autorin des Erfolgsbuchs „Schön um jeden Preis?“, kritisiert: „L’Oréal Paris überschwemmt den Markt ständig mit vermeintlich neuen Produkten; ich habe aber in ihnen die immer selben Bestandteile gefunden. Einige von ihnen wie Silikone, Acrylate, EDTA14 , UV-Filter oder Quats (Haarconditioner) sind umweltschädlich. Andere könnten gesundheitsschädlich sein, zum Beispiel Konservierungsmittel (Parabene, aber vor allem Formaldehydabspalter oder organohalogene Komponenten), Triethanolamine, Azofarbstoffe et cetera.“15

Auch die Gewerkschafter des Unternehmens weisen auf gesundheitliche Risiken hin. Sie beklagen, dass die Friseurverbände – L’Oréal vertreibt zahlreiche Profi-Produktlinien – vor der Verabschiedung einer neuen europäischen Richtlinie für sichere Kosmetika im vergangenen März nicht zurate gezogen worden seien. Studien belegen, dass das Personal im Friseurgewerbe häufig unter gesundheitlichen Problemen wie Ekzemen, Allergien oder Asthma leidet. Von daher ist die Firmenleitung unter Druck, die Forschung auf die Entwicklung von Produkten auszurichten, die nicht der Gesundheit schaden können.

Doch das ist für das Unternehmen nicht der einzige Grund zur Besorgnis. In der Geschäftswelt ist L’Oréal berühmt für sein Managementmodell, das heißt für seine Kultur der „produktiven Unruhe“; um Owen-Jones hat sich ein wahrer Führerkult entwickelt. Der Druck ist enorm hoch, sowohl bei den Managern als auch bei den Arbeitern.

Der Konzern besitzt vierzig Fabriken weltweit, zwanzig davon in Europa. Im Februar wurde von Agon ein Einstellungsstopp angekündigt. „Zwischen 2004 und 2007 wurden in den zwölf französischen Fabriken 12 Prozent Personal abgebaut, während die Produktivität um 14 Prozent gesteigert wurde“, erklärt Philippe Bodin, Vertreter der Gewerkschaft Confédération française démocratique du travail (CFDT) im europäischen Betriebsrat von L’Oréal. Stress und Muskel-Skelett-Erkrankungen nehmen zu. Die wirtschaftlichen Maßnahmen, die die Firmenleitung mit Hinweis auf die Krise rechtfertigt, kommen schlecht an angesichts eines immer noch recht komfortablen Nettogewinns von 2 Milliarden Euro 2008 und erhöhter Dividenden für die Aktionäre: Sie stiegen 2008 auf 862 Millionen Euro, das sind 19 Millionen mehr als im Vorjahr, als der Nettogewinn bei 2,6 Milliarden lag. 500 Stellen wurden in den USA abgebaut, 275 weitere bei The Body Shop. Die drei Fabriken in Wales, Monaco und Spanien sollen bis 2011 geschlossen werden.

Es bleibt alles in der Familie

Im Februar 2008 kam es unter den 12 000 in Frankreich beschäftigten L’Oréal-Mitarbeitern zum Streik. Sie erreichten die Rückkehr zum Prinzip der allgemeinen Lohnerhöhung, das 2004 zugunsten von individuellen Lohnerhöhungen abgeschafft worden war. Diese wurden als unsinnig kritisiert, weil in den Fabriken der Handlungsspielraum des einzelnen Beschäftigten, auf den sich eine individuelle Mehrzahlung bezieht, sehr gering ist. „Wir haben gewonnen, weil die Firmenleitung Angst um das Image des Unternehmens hatte“, sagt Philippe Bodin. „Das heißt aber, dass wir 2009 nur 1,5 Prozent mehr kriegen werden.“

Währenddessen hat die Firmenleitung – der nach eigener Auskunft „die Kontinuität unserer Dividendenpolitik besonders am Herzen liegt“: die Ausschüttung hat sich seit 2002 verdoppelt – auf der Hauptversammlung im April einen Beschluss vorgelegt, der den treuen Aktionären ab 2012 eine Erhöhung der ausgeschütteten Dividenden um 10 Prozent garantiert. „In einer Phase der Turbulenzen“, schreibt Owen-Jones im Geschäftsbericht 2008, „ist es die Aufgabe eines modernen Unternehmens, im Interesse aller Aktionäre für Stabilität zu sorgen.“

Georges Liarokapis, Vertreter der Gewerkschaft Confédération française de l’encadrement-CGC (CFE-CGC), des bei L’Oréal mächtigen französischen Managerverbands, weist auf eine andere Praktik dieser Begünstigungspolitik hin: Der Konzern kauft eigene Aktien zurück, um sie zu vernichten und damit das Gewicht der Hauptaktionäre, also der Familie Bettencourt, der damit über 30 Prozent am L’Oréal-Kapital gehören, sowie von Nestlé zu stärken. „Ich will gern den Aktionär belohnen, der Risiken eingeht, aber nicht denjenigen, der nichts riskiert“, protestiert Liarokapis. Im Laufe der letzten drei Jahre hat L’Oréal jährlich zwischen 944 Millionen und 1,3 Milliarden Euro in diese Operation investiert und dabei zirka 55 Millionen Aktien vernichtet.

Fußnoten: 1 Le Point, 19. Januar 2007. 2 Ende 2008 hielt die Familie Bettencourt einen Anteil von 30,8 Prozent an L’Oréal, Nestlé 29,6 Prozent. Liliane Bettencourt gehören auch 4 Prozent von Nestlé. 3 Laut der Forbes-Liste von 2009 besitzt sie das zweitgrößte Vermögen Frankreichs, weltweit rangiert sie auf Platz 21. 4 Challenges, 23. April 2009. 5 François Dalle, „L’aventure L’Oréal“, Paris (Odile Jacob) 2001, S. 15. 6 L’Expansion, 1. Juli 2006. 7 Siehe Christian de Montlibert, „Ein Lehrstuhl namens Pernod. Die Großindustrie wird zum Paten der französischen Universitäten“, Le Monde diplomatique, Mai 2006. 8 Le Figaro, 13. März 2009. 9 Communiqué de presse de l’Unesco vom 5. März 2009. www.unesco.org/fr/ev.phpURL_ID=44741& URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html. 10 Le Point, 7. April 1975. 11 The Guardian, 19. August 2003. 12 La Tribune, 4. Februar 2009. 13 The Financial Times, 23. Juni 2008. Bruno Abescat berichtet in seiner Unternehmerbiografie über die einträchtige Beziehung zwischen Nestlé und L’Oréal, denen gemeinsam die Firmen Inneov und Galderma gehören, siehe „La Saga des Bettencourt. L’Oréal, une fortune française“, Paris (Plon) 2002, S. 230. 14 EDTA: Ethylendiaminotetraacetate. 15 Rita Stiens, „Schön um jeden Preis? High Tech oder Naturkosmetik – was Haut und Haaren wirklich gut tut“, München (Südwest Verlag) 2006. Aus dem Französischen von Uta Rüenauver

Le Monde diplomatique vom 12.06.2009, von Mona Chollet