11.03.2005

Nicht nur eine Frage des Geldes

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Nicht nur eine Frage des Geldes

Am 28. Januar endete das Weltwirtschaftsforum von Davos mit einem spektakulären Auftritt von Sharon Stone, die dem Präsidenten von Tansania 10 000 Dollar als Spende für den Kampf gegen die Malaria versprach. Innerhalb von fünf Minuten sagten weitere Zuhörer insgesamt eine Million Dollar zu.

Von BARBARA VIGNAUX *

JAHR für Jahr sterben in Afrika ein bis zwei Millionen Menschen an Malaria tropica. Neben Aids zählt diese lebensgefährliche Infektionskrankheit zu einer der häufigsten Todesursachen auf dem Kontinent. Die Krankheit, auch „Schwarzwasserfieber“ genannt, ist seit 7 000 Jahren, der Erreger seit 100 Jahren bekannt. 3,5 Milliarden Menschen – die Hälfte der Weltbevölkerung – werden bis Ende dieses Jahrzehnts in Malariagebieten leben.1

Auf dem afrikanischen Kontinent konzentrieren sich 95 Prozent der Parasiten der tödlich verlaufenden Malaria tropica (Infektion mit Plasmodium falciparum), die durch die weibliche Anophelesmücke übertragen wird. Die Mücken leben hier länger als anderswo – bis zu einem Monat –, sie stechen häufiger und bevorzugen menschliches, nicht tierisches Blut. „In manchen afrikanischen Dörfern wird die Krankheit 1 000-mal im Jahr übertragen, in jeder Nacht also durchschnittlich dreimal“, berichtet Didier Fontenille, medizinischer Entomologe am Institut de Recherche sur le Développement (IRD).

Die in den Sechzigerjahren von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgelegten Präventionsprogramme, die auf den – inzwischen umstrittenen – Einsatz von Insektiziden setzten, wurden von den örtlichen Gesundheitsbehörden aufgrund ihrer oft schlechten Ausstattung nur unzureichend umgesetzt. Schlimmer noch: Die Verschreibung von Malariamedikamenten ohne sichere Diagnose führte zu einer erhöhten Resistenz des Erregers gegen herkömmliche Arzneimittel wie Chloroquin. In den Dörfern Senegals ist die Kindersterblichkeit infolge der Chloroquinresistenz auf das Elffache gestiegen.2

Der Fall Burundi ist beispielhaft. Am Ende der schwersten Epidemie, im Herbst 2000, war die Hälfte der Einwohner erkrankt. In dem hügeligen Land trat Malaria bis in Höhen von 1 600 bis 1 800 Meter auf und traf dort auf Bevölkerungsgruppen, die sich zuvor noch nie mit dem Erreger auseinander setzen mussten. (Leider erwirbt der Mensch auf natürliche Art nach Infektion nur eine Teilimmunisierung, die nach wiederholten Infektionen erlahmen kann.) Für die Ausbreitung des Parasiten sind viele Faktoren verantwortlich: starke Niederschläge, der Reisanbau und natürlich eine hohe Resistenz der Erreger gegen herkömmliche Medikamente. Deshalb plädierten die Vertreter von Médécins Sans Frontières (MSF) bereits im Jahr 2000 für die Einfuhr von Medikamenten auf Basis von Artemisinin3 , einem pflanzlichen Wirkstoff. Artemisininderivate wirken bei der Malariabehandlung schneller und schlagen 5- bis 10-mal besser an als herkömmliche Substanzen. Und sie haben keinerlei Nebenwirkungen.

Die WHO favorisiert seit April 2001 in den von Malaria tropica betroffenen Ländern die Artemisinin-Kombinationstherapie (ACT), in der neben einem Artemisininderivat auch klassische Antimalariamittel eingesetzt werden.4 Organisatorische und finanzielle Probleme behindern jedoch die Anwendung von ACT-Präparaten. „Eine kafkaeske Geschichte“, meint Jean-Marie Kindermans, Leiter der Abteilung Malaria der internationalen MSF-Kampage „Besserer Zugang zu unentbehrlichen Medikamenten“. „Das altbekannte Artemisinin durchlief nicht das übliche Verfahren, also erst die Zulassung durch eine europäische oder amerikanische Regulierungsbehörde und dann die Anmeldung zum Patent über einen Pharmahersteller. Aus einem ganz einfachen Grund: Es gibt dafür keinen kaufkräftigen Markt.“ Deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation für geförderte Medikamente ein eigenes Zulassungsverfahren entwickelt, das in absehbarer Zeit jeder Pharmahersteller durchlaufen muss, der auf Zuschüsse aus dem Weltfonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hofft, der im Januar 2002 als Schweizer Stiftung gegründet wurde.

Derzeit hat nur das Novartis-Produkt Coartem die Vorabzulassung der WHO erhalten – ein Mitbewerber sprach ironisch von „Schweizer Protektionismus“. Das ACT-Präparat wird seit 2001 im südafrikanischen KwaZulu-Natal eingesetzt und erwies sich als einfach zu verabreichendes Medikament von hoher Wirksamkeit (der Patient gesundet innerhalb von drei Tagen). Doch die Kosten sind hoch: Eine Erwachsenendosis kostet 2,40 Dollar, eine Kinderdosis 0,90 Dollar (herkömmliche Medikamente kosteten 0,30 bzw. 0,10 Dollar). Auf dem privaten Markt kostet Coartem zwischen 6 und 10 Dollar.5

Für den französischen Pharmakonzern Sanofi-Aventis hat sich die erhoffte Vorabzulassung bereits zweimal verzögert. Die „Komplexität des WHO-Verfahrens“ hat laut Dr. Abdel El Abassi, WHO-Vertreter in Bujumbura, einen einfachen Grund: „Wir müssen nicht nur die Wirksamkeit der Erzeugnisse testen, sondern auch ihre Toxizität und Stabilität.“ Angesichts des dringenden Medikamentenbedarfs finden Pharmahersteller und humanitäre Helfer die Übergenauigkeit der WHO unverhältnismäßig. Mit der Verfügbarkeit weiterer ACT-Präparate müsste ihr Preis jedenfalls fallen: „Wenn mehr Länder ihr Zulassungsverfahren ändern würden, würden die Pharmahersteller nachziehen, größere Mengen produzieren und den Preis senken“, meint El Abassi. „Preise von unter einem Dollar in drei bis fünf Jahren sind keine Utopie.“ Laut Kindermans würde die Versorgung Afrikas mit ACT-Präparaten 300 bis 500 Millionen Dollar im Jahr kosten (100 bis 200 Millionen für die am stärksten betroffenen Länder).

Die nötigen Summen repräsentieren einen Bruchteil der 3 Milliarden Dollar, die bei der vierten „Runde“ im Juni 2004 für die folgenden zwei Jahre bewilligt wurden, wobei 160 Millionen Dollar für ACT-Präparate und 108 Millionen Dollar für insektizidbehandelte Moskitonetze vorgesehen sind. Bei den ersten drei „Runden“ wurden den afrikanischen Ländern dagegen nur 41 Millionen Dollar für den Kauf von ACT-Medikamenten zur Verfügung gestellt, sodass von den 15 Ländern Afrikas, die die ACT-Behandlung offiziell eingeführt hatten, nur fünf die Therapie überhaupt umsetzen konnten. Sogar die Weltgesundheitsorganisation räumt ein, dass „die Kosten des ACT-Bedarfs die Kapazitäten des Weltfonds weit übersteigen. Dringend erforderlich ist also eine Konsolidierung seiner Finanzressourcen.“ Eine seltsam anmutende Stellungnahme, wenn man bedenkt, dass die beiden internationalen Organisationen offenbar selbst verspätet gehandelt haben. Anfang 2004 erschien in der globalen Fachzeitschrift für Medizin The Lancet ein Sammelbeitrag von 13 Gesundheitsexperten, die der WHO und dem Weltfonds vorwerfen, im Jahr 2003 mehr Geld für „billige, aber unwirksame“ Medikamente bewilligt zu haben als für ACT, und dies auch in Malariagebieten mit bekannter Medikamentenresistenz.6 Dadurch würden „zumindest wertvolle internationale Fördergelder verschwendet, im schlimmsten Fall malariakranke Patienten getötet“.

So wichtig es auch ist, wirksame Medikamente zur Verfügung zu haben, damit allein kannman Malaria nicht ausrotten. Auch gegen Artemisininderivate könnte der Malariaerreger in absehbarer Zeit Resistenzen entwickeln. Der laut Didier Fontenille „genetisch sehr polymorphe“ Organismus der Parasiten hat sich bislang noch an jedes Medikament angepasst, mit Ausnahme von Chinin.

Vor allem muss man die Verteilung von Artemisininderivaten verbessern. „Für den Medikamentenkauf erhalten bedürftige Länder Hilfsgelder in erheblicher Höhe, aber es hapert an der Unterstützung durch die lokalen Gesundheitsbehörden“, meint Don de Savigny, Forschungsleiter am Centre de Recherches Canadien pour le Développement International (CRDI). „Auch bei ausreichenden Medikamentenmengen bleibt damit ein Engpass bestehen.“ In Burundi zum Beispiel gibt es, abgesehen von den gut funktionierenden Strukturen der humanitären Organisationen, einen chronischen Mangel an geschultem medizinischem Personal. In einem Land, in dem der Staat einen Teil der Behandlungskosten erstattet, verschreiben manche Ärzte in den Gesundheitszentren lieber das teure Chinin als die subventionierten ACT-Präparate.

Außerdem „sind von einer Maßnahme allein keine Wunder zu erwarten“, meint Fontenille. „Die Bekämpfung der Krankheit erfordert die Mobilisierung aller verfügbaren Mittel.“ Deshalb wird in letzter Zeit verstärkt an ökosystemischen Ansätzen gearbeitet, die „die Wechselwirkung sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und ökologischer Faktoren sowie deren Auswirkung auf die menschliche Gesundheit“ berücksichtigen, wie es in einem CRDI-Papier heißt.7 Für die Bewertung des Gesamtzusammenhangs bedarf es der Teamarbeit von Ingenieuren, Ärzten, Biologen, Politologen, Anthropologen und Soziologen. Sämtliche die Ausbreitung der Krankheit begünstigenden Faktoren müssen berücksichtigt werden: In Sumpfgebieten müssten regelmäßig die Algen entfernt werden, in denen die Anopheleslarven leben. Stehende Gewässer sind mit natürlichen Bakterien anzureichern, die die Mückenlarven vernichten. In der Landwirtschaft sollten Nasskulturen (Reis) mit Trockenkulturen (Soja) abwechseln und nichttoxische Insektizide eingesetzt werden. Ganz wichtig sind außerdem Kampagnen zur Aufklärung über Symptome und Ursachen der Krankheit.

In der Ausgabe vom 16. Oktober 2004 begrüßte The Lancet die Zwischenergebnisse einer Forschergruppe, die an einem Impfstoff gegen Malaria arbeitet. Bei einer Testgruppe von 2 000 mosambikanischen Kindern im Alter zwischen einem und vier Jahren sank die Wahrscheinlichkeit einer klinischen Erkrankung in den ersten sechs Monaten des Tests um 30 Prozent, bei schweren Malariaformen um 58 Prozent. Bis die Forschungsergebnisse gegengeprüft sind, der Impfstoff gegebenenfalls auf den Markt kommt und die afrikanischen Kinder damit geimpft sind, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Es wird zwar schon seit vielen Jahren daran gearbeitet, aber noch gibt es keinen sicheren Impfstoff. Nach WHO-Angaben befinden sich derzeit 25 Malaria-Impfstoffe in der klinischen Testphase.

Die kommenden Treffen des Weltfonds werden zeigen, wie man in Zukunft mit Artesemininpräparaten umgeht. Ohne den festen politischen Willen, Malaria weltweit auszurotten, besteht die Gefahr, dass die Krankheit – eine typische Folge von Unterentwicklung, die anders als Aids daher weniger Medienaufmerksamkeit findet – schnell wieder in Vergessenheit gerät.

deutsch von Bodo Schulze

* Journalistin

Fußnoten: 1 „Promising Results for Malaria Vaccine Trial“, The Lancet, 16. Oktober 2004. www.thelancet.de/artikel/761963. 2 „Viewpoint – WHO, the Global Fund, and Medical Malpractice in Malaria Treatment“, The Lancet, 17. Januar 2004 (vgl. www.thelancet.de/artikel/697626.) Bereits 1999 äußerte sich The Lancet beunruhigt über die wachsende Resistenz des Malariaerregers, siehe: „Averting a Malaria Disaster“, The Lancet, 5. Oktober 1999. 3 Die Umstellung der Therapiepläne erfolgte erst im November 2003. 4 Dies ist das Mittel der Wahl bei einfacher Malaria. Bei schwerer Malaria verspricht nach wie vor allein Chinin Erfolg. Eine Chininbehandlung ist aber erstens kostspielig und setzt zweitens ein Minimum an Infrastruktur voraus, da das Mittel eine Woche lang dreimal am Tag per Infusion verabreicht wird. Als letzte Behandlungsmöglichkeit muss es jedoch weiterhin verfügbar sein. 5 Nach Informationen der Genfer Tageszeitung Le Temps wird Novartis der WHO im laufenden Jahr nicht die zugesagten 10 Millionen Tagesdosen liefern (23. November 2004). 6 Siehe Fn. 3. Zur besseren Malariabekämpfung schlagen die Autoren folgende Maßnahmen vor: Die WHO soll detaillierte und fachlich anerkannte Behandlungsnormen aufstellen, der Weltfonds nur wirksame Medikamente fördern, ein unabhängiger Sachverständigenausschuss die Therapiepläne prüfen (wie bei Tuberkulose schon heute der Fall); www.theglobalfund.org/en/media_center/mala ria_treatments/default.asp. 7 Jean Lebel, „La santé, une approche systémique“, CRDI, Ottawa, 2003. http://web.idrc.ca.

Le Monde diplomatique vom 11.03.2005, von BARBARA VIGNAUX