11.03.2005

Der Emir ist kein Demokrat

zurück

Der Emir ist kein Demokrat

Eine neue Verfassung hatte der Emir von Bahrain seinem Volk in Aussicht gestellt, demokratische Rechte und ein neues Parlament. Eine neue Verfassung gab es auch, aber die erließ der Emir per Dekret und machte sich nebenbei auch noch zum König. Der kleine Golfstaat ist zwar in die Demokratisierungspläne der USA für die Region eingeschlossen, aber die alte Garde dort will keine Veränderung.

Von MARC PELLAS *

SIE haben den Premierminister der Korruption bezichtigt. Sie werden der Aufwiegelung gegen die Staatsführung und der Verbreitung von Falschinformationen angeklagt. Sie sind verhaftet.“ Abdulhadi al-Chauadscha, Vizepräsident und Leiter des Bahrain Center for Human Rights (BCHR), war mitten in der Nacht auf eine streng bewachte Polizeistation gebracht worden. Nun hörte er den leitenden Polizeioffizier die Anklage herunterleiern, und er wusste, was ihm womöglich blühte: einige Jahre Gefängnis.

Es ging um seinen Auftritt bei einem Symposium über „Armut und wirtschaftliche Rechte“, zwei Tage zuvor, am 24. September 2004. Al-Chauadscha hatte eine Erklärung verlesen, in der ein direkter Zusammenhang hergestellt wurde zwischen dem wirtschaftlichen Niedergang des Landes, der zunehmend ungleichen Verteilung der Reichtümer, der Korruption im Regierungsapparat und der Tatsache, dass etwa 80 000 Bahrainer unterhalb der Armutsgrenze leben.

Dabei hatte das neue Jahrtausend in Bahrain so viel versprechend begonnen. Scheich Hamad Ben Isa al-Chalifa, Herrscher über das Emirat seit März 1999, ließ das Volk am 15. Februar 2001 über eine Nationalcharta abstimmen, die den demokratischen Charakter des politischen Systems sowie Volkssouveränität und Gewaltenteilung festschrieb. Die bleierne Zeit unter dem Regime seines Vaters schien damit vorbei.1 Fünfundzwanzig Jahre lang war Bahrain ein Despotenstaat gewesen, in dem Kinder und Erwachsene gefoltert und Demonstranten erschossen wurden, hunderte von Intellektuellen und Führungskräften ins Exil gezwungen wurden und ein Prozent der Staatsbürger im Gefängnis saß. 1975 hatte Emir Scheich Isa Ben Salman das erste gewählte Parlament des Landes aufgelöst und alle Verfassungsrechte suspendiert.

Inhalt und Form der neuen Nationalcharta waren das Resultat von Gesprächen zwischen dem neuen Herrscher und der Opposition: Die Erbmonarchie der Al- Chalifa-Dynastie mit ihrer weit reichenden Exekutivgewalt blieb erhalten, aber im Gegenzug garantierte das Herrscherhaus die Rückkehr zu demokratischen Formen der Legislative. Das Ergebnis des Referendums fiel dann überraschend deutlich aus: Mit 98,4 Prozent der 198 000 Stimmen wurde die Charta angenommen.

Die politische Öffnung zog einen Prozess der sozialen und institutionellen Erneuerung nach sich, der auch der Wirtschaft neuen Auftrieb verlieh. Ausländische Investoren fassten Vertrauen, im lange vor sich hin dümpelnden Dienstleistungssektor fanden 15 Prozent der Arbeitslosen aus der Mittel- und Unterschicht wieder Beschäftigung. Bei der Rückkehr zu einer verfassungsmäßigen Ordnung wird es jedoch vor allem darauf ankommen, wie mit den in den Händen der herrschenden Oberschicht2 befindlichen Reichtümern, insbesondere dem Grundbesitz, und mit der verbreiteten Korruption umgegangen wird. Mehr als zwei Jahrhunderte nach der Eroberung durch den Clan der Chalifa (1783) betrachten vielen Bürger Bahrains – und vor allem die Schiiten, die 65 bis 70 Prozent der Bevölkerung ausmachen – das Land noch immer als „besetzt“ und „ausgeplündert“.

Als die erste Begeisterung über die Befreiung der politischen Gefangenen, die triumphale Rückkehr exilierter Politiker, die Aufhebung der Staatssicherheitsgesetze3 und die offizielle Abschaffung der Folter verflogen war, begannen schwierige Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition. Es galt, die Rolle künftiger politischer Parteien auf der eingeschränkten, aber immerhin allseits akzeptierten Grundlage der Verfassung von 1973 zu definieren.

Auf die Opposition, die schon darauf eingestimmt war, den ersten Jahrestag der Nationalcharta gebührend zu feiern, wirkte es wie eine kalte Dusche, als der Emir sich am 14. Februar 2002 zum König erklärte und eine entsprechende Verfassung erließ. Die Einzelheiten durften die Bürger tags darauf den Zeitungen entnehmen. Es handelte sich nicht mehr um einen „Gesellschaftsvertrag zwischen dem Monarchen und dem souveränen Volk“, sondern um einen Erlass. Ein Zweikammerparlament wurde eingerichtet; vierzig der insgesamt achtzig Parlamentarier werden als Abgeordnete gewählt, die anderen sind Mitglieder des seit 1992 bestehenden Konsultativrats und werden vom König berufen. Die Ernennung des Ministerpräsidenten, der Minister, der Mitglieder des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofs sowie aller Richter obliegt wie bisher Scheich Hamad Ben Isa al-Chalifa.

Im Konfliktfall haben Beschlüsse im Abgeordnetenhaus keine bindende Wirkung, und selbst Gesetze, die mit einer Zweidrittelmehrheit beider Kammern verabschiedet wurden, kann der König außer Kraft setzen. Zudem sieht diese Verfassung vor, dass der Monarch sie per Erlass ändern kann.

In den Monaten nach dem „Verfassungsstaatsstreich“ erging eine Reihe königlicher Erlasse, die sämtliche Regeln für die „demokratischen“ Verfahrensweisen festlegten: von der Einteilung der Wahlkreise bis zum ausdrücklichen Verbot für die Abgeordneten, sich mit früheren Regierungsbeschlüssen zu befassen. Dazu gehörte auch die Anweisung, allen Angehörigen der Polizei und der Geheimdienste, die zwischen 1975 bis 1999 für Folterungen verantwortlich waren, Straffreiheit zu gewähren und sie auch gegen alle zivilrechtlichen Ansprüche der Opfer oder ihrer Familien zu schützen – ein klarer Verstoß gegen die auch von Bahrain ratifizierte Genfer Konvention gegen die Folter.

Die Opposition kritisierte auch die Praxis, bahrainischen Richtern, Polizisten und Staatsdienern, die aus Jordanien, Syrien, Ägypten oder Pakistan stammen, sowie Staatsangehörigen von Ländern des Golf-Kooperationsrats (GCC) die Staatsbürgerschaft – und damit das Wahlrecht – anzutragen. Wenn Pässe an tausende von sunnitischen und dem Regime ergebenen künftigen Untertanen verteilt und anderen vorenthalten würden, bedeute das einen schweren Eingriff in die sozialen und demografischen Verhältnisse des Landes.4

So konnte es nicht überraschen, dass die beiden wichtigsten oppositionellen Bewegungen, die (überwiegend schiitische) Vereinigung für ein Islamisches Nationales Bündnis und die (laizistische) Vereinigung für Nationale Demokratische Aktion, ihren Boykott der Parlamentswahlen im Oktober 2002 erklärten. Ihnen schlossen sich das Nationale Demokratische Bündnis und die Vereinigung für Islamische Aktion an. Damit war die „Verfassungskrise“ offensichtlich und eine geringe Wahlbeteiligung vorgezeichnet.5

Der betrügerische Konkurs zweier unter staatliche Aufsicht gestellter Pensionskassen führte im April 2003 zur Bildung eines Untersuchungsausschusses, der in seinem Bericht die Anhörung der drei direkt betroffenen Minister vor dem Parlament forderte. Damit geriet allerdings auch der seit der Unabhängigkeit 1971 amtierende Ministerpräsident Scheich Chalifa al-Chalifa, ein Onkel des Königs, in die Kritik – die Staatsführung löste das Problem, indem sie die beiden Pensionskassen durch Einlagen in Höhe von 16 Millionen Dinar (35 Millionen Euro) und die Übereignung mehrerer Grundstücke in der Hauptstadt sanierte. Zuvor hatte Parlamentspräsident Chalifa al-Dharani den Abgeordneten nahe gelegt, „das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten“ – eine deutliche Anspielung auf das Schicksal des ersten Parlaments, das aufgelöst wurde, weil es die Staatssicherheitsgesetze nicht absegnen wollte.6 Die staatliche Kontrolle aller demokratischen Aktivitäten blieb weiterhin unverändert: strenge Pressezensur, Einschränkung der Versammlungsfreiheit und so weiter.

Nachdem sie positive Signale von ihren Kontaktleuten im Palast erhalten hatten, wagten die vier wichtigsten Oppositionsbewegungen des Landes am 14. Februar 2004 die Einberufung einer Konferenz, auf der arabische und europäische Verfassungsexperten ihre Kritik an den Positionen der Staatsführung vortragen sollten. Mit internationaler Unterstützung sollte ein neuer Anlauf zum Dialog mit dem Regime über die Lösung der „Verfassungskrise“ genommen werden.

Doch es kam anders als geplant: Nur Stunden vor der geplanten Eröffnung wurde die „Verfassungskonferenz“ verboten, die ausländischen Gäste wurden am Flughafen von Manama von Agenten des berüchtigten Amts für Nationale Sicherheit abgefangen und auf der Stelle nach Hause geschickt. Der Tagungsort stand ebenfalls nicht mehr zu Verfügung. Und so beschlossen die etwa dreihundert bahrainischen Teilnehmer spontan, in den „Club Oruba“ umzuziehen – seit sechzig Jahren ein Zentrum kultureller und zivilgesellschaftlicher Aktivitäten. Dort verfassten sie nach zweitägigen Beratungen eine Erklärung, die mit deutlichen Worten beschrieb, wie es um das politische Leben in Bahrain seit dem 14. Februar 2002 bestellt ist.

Die Verhaftung von Abdulhadi al-Chauadscha und das Verbot der Menschenrechtsorganisation BCHR, die vorübergehende Schließung des Club Oruba, neue Verhaftungen nach Protestdemonstrationen – im politischen Leben des Inselstaates brach ungewohnte Hektik aus. Am 21. November wurde al-Chauadscha zu einem Jahr Gefängnis verurteilt – und noch am selben Tag durch „königlichen Gnadenerlass“ wieder auf freien Fuß gesetzt. Mitte Dezember fand in Bahrain das Gipfeltreffen der Staaten des Golf-Kooperationsrats statt. Dass der saudische Kronprinz Abdallah fehlte, machte die Konferenz zu einem Fehlschlag: Die Saudis waren verärgert über die Senkung der Einfuhrzölle, die Manama praktizierte, und mochten sich wohl auch nicht gern von den al-Chalifa die korrekte proamerikanische Haltung erklären lassen.7 Ende Januar schließlich, nachdem das neue Kabinett vereidigt war – 10 der 21 Mitglieder, darunter der Ministerpräsident, gehörten dem Chalifa-Clan an –, wurde sogar das traditionelle Recht auf Eingaben beim Herrscher in Frage gestellt.

Eine Petition für die Rückkehr zu den Prinzipien der Verfassung von 1973 fand keine Gnade bei Hof, sie wurde zurückgewiesen, obwohl sie 70 000 Unterschriften trug – von rund einem Drittel der registrierten Wähler. Für den 10. Februar wurde erneut eine Konferenz zu Verfassungsfragen einberufen, außerdem erklärte die Opposition, angesichts der Verfassungskrise und der Neugliederung der Wahlkreise an den Parlamentswahlen nicht teilnehmen zu wollen. Die regierungstreue Presse zeigte sich beleidigt und sprach von „systematischer Verweigerungshaltung“ und „Anarchismus“.

Heute geht es zwischen Staatsführung und Opposition nur noch um ein Thema: ein neues Gesetz, das die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit und die Zulassung von Parteien regeln soll – bislang werden politische Vereinigungen lediglich geduldet. Die Zivilgesellschaft erhofft sich von solchen Bestimmungen die Stärkung der individuellen und kollektiven Bürgerrechte, manche Beobachter befürchten jedoch, dass die alte Garde des Regimes nur auf eine Gelegenheit wartet, den Bekenntnissen von König Hamad zur Demokratie jede Grundlage zu entziehen.

Angesichts der schwierigen Situation im Irak folgte die US-Regierung dem Rat neokonservativer Think-Tanks und erklärte die Demokratisierung der arabischen Regime zur strategischen Notwendigkeit, um im „Greater Middle East“ ein System befriedeter, mit den USA und Israel verbündeter Staaten zu schaffen. Man sollte meinen, dass die Emirate, Sultanate und Königreiche am Golf nun aufgerufen wären, ihr System der Verteilung von Grundbesitz und die staatliche wie private Investitions- und Beschäftigungspolitik nicht länger nach Prinzipien des Tribalismus, des Sektierertums und der Günstlingswirtschaft zu betreiben. Bahrain wäre das ideale Versuchsfeld für solch einen Wandel – ein Staat, in dem die bisherige „Demokratisierung“ den gewählten Volksvertretern keinerlei Machtbefugnisse eingebracht hat. Müsste Washingtons demokratisches Sendungsbewusstsein nicht hier den entscheidenden Umschwung bewirken?

Dass die USA das „traditionelle komplizierte Herrschaftsgefüge“ antasten und damit riskieren, Nationalisten, Kommunisten oder Fundamentalisten an die Macht zu bringen, ist jedoch kaum zu erwarten. Die Herrscherfamilie in Bahrain musste sich keine Sorgen machen – schließlich hatte sie den Luft- und Seestreitkräften und Sondereinsatztruppen der USA das Land als wichtigen Stützpunkt angeboten. Und das amerikanische Central Command8 hat sich, im Einklang mit der neuen Militärdoktrin, nicht weniger vorgenommen, als „diese zentrale Region für den Eintritt ins 21. Jahrhundert vorzubereiten“9 .

Jüngst gab allerdings ein Gutachten aus dem Pentagon Anlass, diese Gewissheiten zu überdenken. Man könne „die muslimischen Massen nicht mit den Unterdrückten der Sowjetunion“ vergleichen, heißt es in dem Report, sie „verabscheuen nicht die Freiheiten, wohl aber die Politik [der USA]“. Das entscheidende Problem der US-Politik bestehe in ihrer „völligen Unglaubwürdigkeit“. Die Visionen der USA seien nicht zu vermitteln in einer muslimischen Welt, die tagtäglich in den Medien verfolgen könne, wie „das amerikanische Besatzungsregime in Afghanistan oder Irak neues Chaos und Leid erzeugt und keineswegs die Einführung der Demokratie bewirkt“10 .

Solange die US-Regierung von ihren Verbündeten auf der Arabischen Halbinsel oder in Ägypten, im Irak oder denen der palästinensischen Autonomieverwaltung die Demokratisierung nicht massiv einfordert, werden sich die Völker des Nahen Ostens kaum von der Ernsthaftigkeit und Realisierbarkeit der US-Pläne für die Demokratie in der Region überzeugen lassen.

Laut dem Sprecher des US-Außenministeriums hat im Zentrum der Gespräche zwischen Außenminister Colin Powell und dem bahrainischen König Hamad Ende November letzten Jahres „die Bedeutung weiterer Reformen und der bessere Schutz persönlicher Freiheitsrechte“ gestanden. Nimmt man diese Worte ernst, dann müssten die Tage der Ewiggestrigen gezählt sein.

deutsch von Edgar Peinelt

* Experte für die Golfregion und die Arabische Halbinsel.

Fußnoten: 1 Siehe David Hirst, „Ein König für die Demokratie“, Le Monde diplomatique, Mai 2001. 2 Die Bevölkerung (670 000 Einwohner, davon ein Drittel Ausländer) lebt auf 117 km2 des Staatsgebiets, die übrige Fläche, 594 km2, ist zu einem Viertel von militärischen Einrichtungen und Ölförderanlagen belegt, die anderen drei Viertel sind im Privatbesitz der fast 4 000 Mitglieder des Al-Chalifa-Clans. 3 Diese Gesetze erlaubten es, Staatsbürger drei Jahre lang in Haft zu halten, ohne sie einem Richter vorzuführen. 4 Siehe Voice of Bahrain, September 2002; www.vob.org. 5 Nach Regierungsangaben 56 Prozent, nach Oppositionsangaben 49 Prozent; beim Referendum im Februar 2002 waren es offiziell 97 Prozent. 6 Siehe Abdulhadi Chalaf: „Bahrain’s Parliament: The Quest for a Role“, Arab Reform Bulletin, Vol. 2, Nr. 5, Mai 2004. 7 Bahrain erhielt im Oktober 2001 den Status eines „wichtigen Verbündeten“ der USA und hat kürzlich mit Washington ein Freihandelsabkommen geschlossen. Zwischen den sechs Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrates ist jedoch ein gemeinsamer Einfuhrzoll von 5 Prozent vereinbart – „Sonderbedingungen“ für Drittländer sind nicht erlaubt. 8 Auf dem Marinestützpunkt Juffair residieren der Generalstab der 5. US-Flotte, die Nachschub- und Verwaltungseinheit „Süd-West-Asien“ und der Führungsstab der „Special Forces“ der Marine. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Scheich Issa befindet sich außerdem der regionale Führungsstab der US-Luftwaffe (Centaf). 9 Diese „Zentralregion“ reicht von Kenia bis Kasachstan, eine Spanne von mehr als 8 000 km, und umfasst 27 Staaten mit rund 430 Millionen Einwohnern. 10 Zit. n. Thom Shanker, The New York Times, 24. November 2004.

Le Monde diplomatique vom 11.03.2005, von MARC PELLAS