11.03.2005

Schwacher Dollar, starker Bush

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Schwacher Dollar, starker Bush

Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bush-Administration wird vom Rest der Welt finanziert. Zentralbanken und Privatanleger kaufen Dollar-Staatspapiere auf und stopfen damit die Löcher im US-Haushalt und in der Handelsbilanz. Lange haben Europa und Japan diese Rolle wahrgenommen, aber neuerdings ist Washington auch auf die Chinesen angewiesen. Dabei steht man gegenüber Peking vor einem Dilemma: Der Yuan wäre bei Aufgabe der Dollarbindung um etwa 40 Prozent teurer; ein „marktgerechter“ Yuankurs würde die Importe aus China verteuern und die US-Handelsbilanz entlasten. Doch Peking beharrt auf einem billigen Yuan, weil man keine Rezession riskieren und die eigenen Dollarguthaben nicht entwerten will. Und die Bush-Regierung weigert sich, ihren Haushalt zu sanieren.

Von IBRAHIM WARDE *

DER Dollar ist unser Geld, aber euer Problem“, meinte Nixons Finanzminister John Connally 1971. Der Ausspruch trifft ebenso gut auf die Dollarpolitik der ersten Bush-Administration zu. Bis heute zeigt die Führung in Washington, in erster Linie mit der Terrorismusbekämpfung und dem Irakkrieg befasst, kaum Interesse an internationalen Wirtschaftsproblemen. Zwar legte sie nach eigenem Bekunden weiterhin Wert auf einen starken Dollar, setzte aber trotzdem auf einen fallenden Wechselkurs. Nur er vermag das rasch ansteigende „Zwillingsdefizit“ in Staatshaushalt und Handelsbilanz einigermaßen zu verhüllen.

Was den Staatshaushalt betrifft, so hatten Bush und seine Regierung von ihren Vorgängern Überschüsse in Höhe von knapp 240 Milliarden Dollar geerbt. Doch dann kam die Rezession von 2001 mit geringeren Steuereinnahmen. Es folgten die vom republikanisch dominierten Kongress beschlossenen Steuererleichterungen, die angesichts vermeintlich struktureller Überschüsse unbedenklich erschienen. Und schließlich stiegen in der Folge der Anschläge vom 11. September auch noch die Ausgaben für Verteidigung und innere Sicherheit deutlich an.

Damit verwandelten sich die beträchtlichen Überschüsse in noch erheblichere Defizite. Im Haushaltsjahr 2004 lagen sie trotz wieder anziehender Konjunktur bei 412 Milliarden Dollar oder 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im selben Jahr erreichte das Handelsbilanzdefizit nach drei Jahren ständiger Zunahme den historischen Höchststand von 618 Milliarden Dollar (5,3 Prozent des BIP). Allein gegenüber 2003 wuchs es um ein Viertel.

Das „Zwillingsdefizit“ gehört in letzter Zeit zu den wichtigsten Themen bei internationalen Zusammenkünften und vor allem auf den Gipfeltreffen der G 7 (die Industrieländer der „Gruppe der Sieben“ sind die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und Italien). Die Lösungsvorschläge der anderen erfordern von den USA schmerzhafte Maßnahmen, etwa höhere Steuern, weniger Militärausgaben oder Sparanreize für private Haushalte. Dies aber läuft den politischen Vorgaben der Bush-Administration zuwider. Die Kosten des Defizits haben also andere zu tragen – alle anderen.

Die Abwälzung der Kosten des Handelsbilanzdefizits geschieht recht einfach. Die Vereinigten Staaten führen 50 Prozent mehr ein, als sie ausführen. Die Rechnung dafür bezahlen die internationalen Anleger, die mit dem Erwerb von US-Schatztiteln den Lebenswandel der weltweit führenden Wirtschaftsmacht finanzieren. Dieser Mechanismus funktioniert auf Kosten von Wachstum, Beschäftigung und Ersparnis der anderen Volkswirtschaften. Denn ein anämischer Dollar stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der US-Erzeugnisse, macht den Kauf amerikanischer Vermögenswerte für ausländische Investoren attraktiver und wertet die auf 3 000 Milliarden Dollar geschätzten Auslandsschulden im gleichen Maße ab, wie der Dollarkurs fällt.

In der Geschichte ist es nicht eben häufig vorgekommen, dass der Hüter der weltweit wichtigsten Währung zugleich das Land mit der höchsten Verschuldung ist. Großbritannien etwa war auf dem Höhepunkt seiner imperialen Macht 1913 der weltweit wichtigste Gläubiger. In den folgenden 50 Jahren suchte das Land vergeblich, den Außenwert des Pfund Sterling zu stabilisieren – auch wenn das starke Pfund die exportorientierte Industriestruktur nachhaltig schwächte.

Heute erleben wir eine Neuauflage dessen, was General de Gaulle einst als das „exorbitante Privileg“ der Vereinigten Staaten bezeichnet hat: nämlich Geld zu drucken, für das die anderen Länder keinen Gegenwert verlangten, weil ihre Zentralbanken es „in Zahlung nahmen“. Auf dieselbe Weise soll heute ein schwacher Dollar dafür sorgen, das amerikanische Budget- und Außenhandelsdefizit schmerzlos auszugleichen – so zumindest die theoretische Annahme.

Parteipolitische Erwägungen spielten ebenfalls eine Rolle. Nach den Umfragen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen vom November 2004 hielt eine Mehrheit der Wähler den demokratischen Senator John Kerry eher für fähig, die Wirtschaft des Landes wieder in Schwung zu bringen. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zeichnete sich ab. Bush brauchte also unbedingt gute Wachstums- und Beschäftigungszahlen – und die schienen nur bei einem unterbewerteten Dollar möglich.

Die bereits begonnene Abwärtsbewegung des Dollars kam dann aber erst in den Wochen nach Bushs Wiederwahl richtig in Fahrt. Im Dezember 2004 verzeichnete die US-Währung fast jeden Tag neue Abwertungsrekorde und war am Vorweihnachtstag auf dem historischen Tiefststand von 1,35 Dollar für den Euro angelangt. Insgesamt verlor der Greenback von 2002 bis 2004 20 Prozent seines Werts gegenüber dem Euro. Die rituellen, aber nicht immer zutreffenden Prognosen der Banker und Ökonomen zum Jahresende gehen übereinstimmend davon aus, das sich der spektakuläre Niedergang der US-Währung in diesem Jahr noch beschleunigen wird.

Die Prognose fußt auf mehreren Überlegungen. Bushs Wiederwahl lässt eine Fortsetzung des außenpolitischen Abenteurertums und der laxen Budgetpolitik erwarten. Denn der US-Präsident sieht sich ungeachtet seines bescheidenden Vorsprungs von nur 3 Prozent der Wählerstimmen mit einem „Mandat“ ausgestattet, das ihm ebenso kühne wie kostspielige Reformen ermöglicht. Schon hat Bush seine Bereitschaft erklärt, „sein politisches Kapital“ dafür einzusetzen, höchst umstrittene Maßnahmen durchzuboxen, beispielsweise eine Teilprivatisierung des Rentensystems, die den Staatshaushalt zunächst mit mehreren hundert Milliarden Dollar belasten dürfte.1

Das Misstrauen gegenüber dem Dollar erklärt sich aber auch aus der Tatsache, dass der wirtschaftspolitische Versuch, die Reduzierung des Außenhandelsdefizits dem Markt zu überlassen, als gescheitert anzusehen ist. Ein schwacher Dollar, so das Kalkül, würde die US-Exporte begünstigen und die Importe verteuern. Doch anstatt die Außenwirtschaftsbilanz auszugleichen, hat diese Politik die Defizite, die von den strukturellen Schwächen der US-Wirtschaft zeugen, nur noch weiter verschlimmert. Daraus schlossen die Finanzoperateure haarscharf, dass der Dollar noch nicht genug gesunken war. Manche Stimmen meinten sogar, eine Halbierung des Handelsbilanzdefizits setze eine weitere Abwertung von 30 Prozent voraus, womit der Dollar nur noch 0,55 Euro wert wäre.

Bei den großen Dollarhaltern und vor allem bei den Zentralbanken, die bislang die US-Währung gern im Portfolio hatten, löste das verständliche Unruhe aus. Immerhin hatten die Zentralbanken das US-Leistungsbilanzdefizit 2003 zu 83 Prozent finanziert, was bedeutet: Sie hatten die Greenbacks, mit denen die Vereinigten Staaten ihre Importe bezahlten, nicht in andere Währungen umgetauscht. Deshalb belaufen sich die Dollarreserven der asiatischen Zentralbanken gegenwärtig auf schätzungsweise 2 000 Milliarden Dollar.

Doch warum blieben China, Japan und andere Länder der Region bislang auf einer Währung sitzen, deren Wert zusehends erodiert? Die Antwort lautet: Sie wollten unbedingt eine Aufwertung ihrer eigenen Währung verhindern, die unvermeidlich eingetreten wäre, hätten sie die überzähligen Greenbacks abgestoßen und damit ihr eigenes Geld nachgefragt. Mit anderen Worten: Als Exportnationen mussten sie vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der Erzeugnisse ihres eigenen Landes schützen.

Und indem sie ihre Dollar flugs in US-Schatztiteln anlegten, sorgten sie dafür, dass das Zinsniveau in den Vereinigten Staaten auf niedrigem Niveau verharrt. Denn wenn andere Währungen stärker nachgefragt würden, müssten die US-Zinsen steigen, um den Dollar konkurrenzfähig zu halten. Nur dann sind genügend US-Schuldpapiere in der Welt unterzubringen. In diesem merkwürdigen Kreislauf finanziert das Außenhandelsdefizit der USA im Endeffekt ihre Staatsverschuldung und die geringe Sparneigung der US-Bürger.

Indes beschlossen einige Zentralbanken als Reaktion auf den fortlaufenden Verfall des Dollarpreises dann doch, einen Teil ihrer Reserven lieber in anderen Währungen zu halten, vor allem in Euro. Und dies mit gutem Grund: Es ist eine Sache, einige Verluste in Kauf zunehmen, um die eigene Exportwirtschaft zu stärken; eine ganz andere Sache ist es aber, die Kosten eines ständigen Wertverlusts zu tragen. Am 19. November äußerte US-Zentralbankchef Alan Greenspan die Besorgnis, die ausländischen Anleger könnten angesichts der ständig neu auflaufenden US-Defizite die Geduld verlieren und damit zwangsläufig auch den „Appetit auf Dollarreserven“.2 Einige Tage später wies Yu Yongding, Mitglied des Währungsausschusses der chinesischen Zentralbank, darauf hin, China habe „zwar nicht das absolute Volumen, wohl aber den Anteil der US-Schatztitel an seinen Währungsreserven verringert, um sich gegen die Dollarschwäche zu wappnen“.

Die Zinsen beginnen schon zu steigen

BESTÄTIGT wird diese Tendenz durch eine Umfrage, die das Fachorgan Central Banking Publications bei 67 Zentralbanken durchführte: Mehr als zwei Drittel der Emissionsinstitute haben im letzten Drittel des Jahres 2004 den Dollaranteil an ihren Währungsreserven verringert. Dieser Anteil lag mit 70 Prozent zwar noch immer sehr hoch, doch immerhin 10 Prozent niedriger als noch vor dreißig Jahren. Nick Carver, einer der Verfasser dieser Studie, gelangt daher zu dem Schluss: „Die Begeisterung der Zentralbanken für den Dollar ist offenbar abgekühlt. Auf deren bedingungslose Unterstützung sollte sich Amerika nicht mehr verlassen.“3

Auch die Erdöl produzierenden Länder, die einen gut Teil ihrer Auslandseinkäufe in der Eurozone tätigen, sind nicht gerade begeistert davon, dass der Preisanstieg ihres Rohstoffs durch den Wertverfall der Rechnungswährung weitgehend zunichte gemacht wird. Überdies befürchten einige arabische Staaten, ihre US-Guthaben könnten eines Tages im Rahmen der Terrorismusbekämpfung eingefroren werden.

Die Währungspolitik ist eine inexakte Wissenschaft, die immer wieder mit unerwarteten Wendungen aufwartet. Bei einem Abwertungskurs werden die Vorteile ab einem bestimmten Schwellenwert durch die negativen Folgen aufgezehrt. Angesichts ihrer Ohnmacht, den Wertverfall ihrer Währung zu bremsen, entdeckt die US-Führung derzeit, dass sich die Dollarwaffe auch gegen sie selbst wenden könnte.

Um den Wert des Dollars auf gegebenem Niveau stabilisieren zu können, brauchen die Vereinigten Staaten einen täglichen Devisenzufluss von 1,8 Milliarden Dollar. Ist die Kreditwürdigkeit erst einmal angekratzt, ist der Dollar nicht mehr nur „für andere ein Problem“. Die Antizipation künftiger Wertverluste kann eine Kettenreaktion auslösen. Schlüsselfunktion haben die Zinsen. Zuerst verlangen ausländische Anleger höhere Renditen für ihre Bereitschaft, Dollars zu erwerben oder zu halten oder US-Schatztitel zu zeichnen. Je größer das Risiko eines Wertverlusts, umso höher die Prämienerwartung in Form höherer Zinsen. Steigende Zinsen aber drücken auf die Investitions- und Konsumbereitschaft, vor allem in den USA, wo viel mehr auf Pump gekauft wird als in anderen Teilen der Welt. So könnte zum Beispiel der Immobilienmarkt einbrechen, der bislang von historisch einmalig niedrigen Zinsen profitiert. Überdies würde eine Rezession in den Vereinigten Staaten angesichts der starken Verflechtung von Weltwirtschaft und Devisenmärkten unweigerlich auf die Weltkonjunktur durchschlagen.

Europa und in geringerem Maße auch Japan haben den Preis des Dollarverfalls fast allein zu schultern. In Europa war kaum jemand über die starke Euroaufwertung glücklich, auch wenn der erste Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, die Devise „Ein starker Euro für ein starkes Europa“4 auf seine Fahne geschrieben hatte. Der erste Teil seines Wunschs ging zwar in Erfüllung, doch nun klagt sein Nachfolger Jean-Claude Trichet, die „abrupte“ Dollartalfahrt habe die industrielle Wettbewerbsfähigkeit des Alten Kontinents schwer beeinträchtigt. Die Eurozone gehörte im vorigen Jahr zu den Wirtschaftsregionen mit den niedrigsten Wachstumsraten. Unverbesserliche Optimisten entdeckten an der Euroaufwertung aber dennoch etwas Gutes: einen milderen Anstieg der in Dollar fakturierten Erdölrechnung. Der französische Exfinanzminister Nicolas Sarkozy meinte daher im November 2004, die Überbewertung der Unionswährung sei „nicht nur ein Unglück“.

Seit China 1994 den Yuan (der offiziell als Renminbi, „Volksgeld“, bezeichnet wird) an den Dollar gekoppelt hat, liegt das Land mit den Vereinigten Staaten währungspolitisch auf einem gemeinsamen Kurs. Mit dem Verfall des Dollars konnte es seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Amerika wahren und zugleich gegenüber der übrigen Welt stärken. Dabei sticht vor allem die Asymmetrie in den chinesisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen ins Auge: Mehr als ein Drittel des US-Handelsbilanzdefizits (207 Milliarden Dollar) fällt allein im Handel mit China an.5 Dabei ist der Zustrom von konkurrenzlos billigen Erzeugnissen aus China einigen Importeuren höchst willkommen. Die Handelskette Wal-Mart zum Beispiel, der größter Arbeitgeber der USA, führt bis zu 70 Prozent seines Warensortiments aus dem Reich der Mitte ein. Doch immer mehr Unternehmen, aber auch Gewerkschaften und Politiker sehen in solchen Billigimporten einen Fall von unlauterem Wettbewerb und fordern, dass Washington die chinesische Regierung veranlasst, den Yuan frei floaten zu lassen.

Offiziell betont die US-Administration immer wieder, die chinesische Währung sei um 40 Prozent unterbewertet, weshalb die chinesische Zentralbank ihre massiven Devisenmarktinterventionen zugunsten des Yuan einstellen solle. Die Antwort aus Peking ist ambivalent: In Regierungskreisen wird heftig debattiert, doch was an Signalen durchdringt, bleibt widersprüchlich. Ab und zu versichern führende Politiker, China strebe eine Flexibilisierung der eigenen Kapitalmärkte an, um die Dollarbindung des Yuan zu lockern, vielleicht sogar abzuschaffen. Laut Vizeministerpräsident Huang Ju will Peking bei der „Reform des Yuan-Wechselkursregimes“ etappenweise vorgehen. Einen genauen Zeitplan nannte Huang jedoch nicht. Schließlich gehe es vor allem um die Schaffung „stabiler makroökonomischer Rahmenbedingungen für die künftige Einführung von Marktmechanismen und ein gesundes, funktionstüchtiges System“6 .

Andere Stimmen aus China hingegen schließen jeden Politikwechsel kategorisch aus. Glaubt man dem Direktor der Abteilung Wirtschaftspolitik des Emissionsinstituts, Yi Gang, wird Peking an seinem „geldpolitischen Regime einheitlicher Wechselkurse und kontrollierten Floatens“ festhalten, um „stabile Wirtschaftsverhältnisse zu gewährleisten und das Wachstum der chinesischen Wirtschaft zu fördern“. Auf dem G-7-Gipfel der Finanzminister vom 4. Februar hat sich Chinas Zentralbankchef Zhou Xiaochuan jedenfalls geweigert, die Frage zu beantworten, die die Märkte nun schon seit geraumer Zeit in Atem hält.

Peking will sich seine geldpolitische Souveränität offenbar optimal zunutze machen. Mit außergewöhnlich hohen Wachstumsraten von durchschnittlich 9,5 Prozent im Zeitraum von 1997 bis 2004 und einem gigantischen Binnenmarkt von 1,3 Milliarden Verbrauchern ist China heute das Eldorado für multinationale Konzerne. Nach Schätzungen sollen bereits im Jahr 2020 rund 15 Prozent der Welterzeugung auf das Reich der Mitte entfallen.

China sieht sich jedoch weniger als Werkstatt der Welt denn als Lokomotive der Weltwirtschaft, ja als künftige technologische und wissenschaftliche Großmacht. Schon heute spielt der Faktor China für alle wichtigen Entwicklungen der Weltwirtschaft eine entscheidende Rolle; das gilt für die Verlagerung von Produktionsstandorten wie für die steigenden Rohstoffpreise oder für die Wiederbelebung der japanischen Wirtschaft. Dass die chinesische Unternehmensgruppe Lenovo die PC-Abteilung von IBM aufgekauft hat, demonstriert die Ambitionen eines Staates, der bereits 40 Satelliten in die Erdumlaufbahn geschossen hat, bemannte Raumflüge plant und ein Mondfahrtprogramm vorbereitet.

Die chinesische Führung weiß, dass ein währungspolitischer Kurswechsel erhebliche wirtschaftliche Risiken bedeutet. Anzeichen für Instabilität gibt es genug; Inflation, Immobilienspekulation, strukturelle Schwächen des Bankensystems, unterentwickelte Kapitalmärkte. Und wenn man die wachsenden Einkommensunterschiede und das Fehlen demokratischer Verhältnisse dazunimmt, erscheint die politische Lage noch explosiver.7 Von daher kann man die Vorsicht der chinesischen Eliten verstehen, die vor allem darauf bedacht sind, eine plötzliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums zu vermeiden. Denn eine solche Entwicklung hätte in wirtschaftlicher wie in politischer Hinsicht unkalkulierbare Konsequenzen – auch und gerade für die Beziehungen mit den USA. Denn in vielen sensiblen Bereichen der Außenpolitik, vom Iran über Nordkorea bis hin zu Taiwan, verfolgt China – und dies wird allzu oft vergessen – andere Ziele als Washington.

Mit Ausnahme einiger Spekulanten ist sich alle Welt darin einig, dass eine konzertierte Währungspolitik besser ist als nationale Alleingänge. Und dennoch gehen die meisten Analysen der internationalen Währungssituation von einer Logik der Konfrontation aus. Da ist die Rede von einem „Gleichgewicht des geldpolitischen Terrors“, von einem Bündnis Europa/Japan für gemeinsame Devisenmarktinterventionen, ja von einer gegen den Rest der Welt gerichteten „Großallianz“ zwischen China und den Vereinigten Staaten, die so funktioniert, dass die USA chinesische Produkte kaufen und die Chinesen als Gegenleistung die US-Defizite finanzieren.8 Dass das ein oder andere Land seine Drohungen wahr machen könnte – indem etwa Japan einen bedeutenden Teil seiner US-Schatztitel abstößt oder die USA Vergeltungsmaßnahmen gegen China ergreifen –, ist eine Angst, die so realistisch erscheint, dass sie in unregelmäßigen Abständen die Finanzmärkte erschüttert.

Haushaltsdefizit als Konjunkturprogramm

NUN gibt es ein Mittel, mit dem sich diese Spekulationen und Turbulenzen dämpfen ließen: eine konzertierte Intervention der „vier Großmächte“ (Vereinigte Staaten, Europäische Union bzw. Euroland, China und Japan). Vorbild dafür ist das Plaza-Abkommen, das vor zwanzig Jahren eine Wende in den internationalen Währungsbeziehungen herbeiführte. Am 22. September 1985 setzten sich die Finanzminister und Zentralbankchefs der damaligen G 5 („Gruppe der Fünf“ aus USA, Japan, Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland) im New Yorker Plaza Hotel zusammen und kamen überein, dass eine „kontrollierte Aufwertung von Nicht-Dollar-Devisen wünschenswert“ sei, der Dollarkurs also fallen solle. Des Weiteren ließen sie wissen, sie seien „im Bedarfsfall bereit, in diesem Punkt enger zusammenzuarbeiten“. Die kodierte Verlautbarung war das Vorspiel zu einer koordinierten Abwertung des Dollars unter Federführung von Reagans Finanzminister James Baker.9

Ein Abkommen dieser Art ist heute jedoch wenig wahrscheinlich. Der Unilateralismus der USA und diverse „ideologische“ Erwägungen gegen eine solche staatliche Intervention würden jede Art konzertierter Aktion von vornherein blockieren.

Vor allem aber ist keiner der heutigen Wirtschaftspolitiker in der Lage, die Rolle zu übernehmen, die einst James Baker spielte. Denn die Ausstrahlungskraft, die das US-Finanzministerium vor zwanzig Jahren besaß, die gibt es nicht mehr. Bushs erster Finanzminister Paul O’Neill musste gehen, weil er von den Steuersenkungen des Präsidenten nichts hielt. In einem Buch über seine Zeit in Washington beschreibt er den derzeitigen Präsidenten als einen Mann, der von Wirtschaft keine Ahnung hat und mit seinem Kabinett umgeht wie ein „Blinder mit Gehörlosen“10 . Seit dem Irakkrieg habe Bush nur noch seinen Kreuzzug für die Freiheit im Kopf und interessiere sich noch weniger als früher für die laufenden Geschäfte.

Im Übrigen neigt Bush seit seiner Wiederwahl im November vorigen Jahres verstärkt dazu, sich nur noch mit Jasagern zu umgeben. Wer unter Bush ein politisches Amt anstrebt, muss vor allem loyal sein; Kompetenz ist offenbar nicht so wichtig. Finanzminister John Snow hat im Unterschied zu Bushs Beratern nicht sonderlich viel zu melden. Der 79-jährige Zentralbankchef Alan Greenspan wird nächstes Jahr abtreten, und der Kampf um seine Nachfolge hat bereits begonnen. Wer als Kandidat eine Chance haben will, muss das fast Unmögliche schaffen, nämlich zum einen das Vertrauen der „Märkte“, zum anderen das absolute Vertrauen des Präsidenten gewinnen, der von Greenspans Nachfolger – den allein er bestimmt – Entscheidungen erwartet, die nur schwer zu rechtfertigen sind.11 Unterdessen versuchen die politischen Kreise, die der Öffentlichkeit den Irakkrieg „verkauft“ und für Bushs Wiederwahl gesorgt haben, seine budget- und finanzpolitischen Entscheidungen in einem möglichst günstigen Licht zu präsentieren.

Seit dem offiziellen Amtsantritt der neuen Bush-Administration am 20. Januar 2005 steht das Zwillingsdefizit im Zentrum eines neuen Diskurses und einer neuen Strategie. Die Gefahr eines abrupten Kursverfalls ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Jetzt sollen die Defizite nicht durch weitere Abwertung, sondern durch starkes Wirtschaftswachstum verringert werden. Die Konjunktur soll vor allem mit weiteren Steuererleichterungen angeregt werden. Originalton Bush: „Der beste Weg zum Abbau des Defizits ist langfristig eine Ankurbelung der Wirtschaft. Wir werden daher alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft zu stärken.“

Das Außenhandelsdefizit, das man auch als Nachfrage verstehen kann, gilt damit neuerdings als Anzeichen für den relativ robusten Zustand der US-amerikanischen Wirtschaft, die deshalb keine besondere Aufmerksamkeit erfordere. Nun sei es an den anderen, vor allem an den Europäern, durch Steuererleichterungen und andere investitionsfreundliche Maßnahmen für mehr internes Wachstum zu sorgen. Laut John Snow spiegelt das Handelsbilanzdefizit zwei Entwicklungen wider: „Unsere Wirtschaft wächst schnell, viel schneller als die unserer Handelspartner. Das Einkommen der Privathaushalte steigt, die Beschäftigung nimmt zu, also haben wir mehr verfügbares Einkommen, wovon ein Teil in Auslandskäufe bei unseren Handelspartnern fließt.“12 Selbst Alan Greenspan, der sich mit den hohen Defiziten nicht recht anfreunden wollte, hat sich eines „Besseren“ besonnen und versucht, den Dollar gesundzureden: „Die zunehmende Flexibilität der amerikanischen Wirtschaft wird ohne Frage Anpassungsprozesse erleichtern, die für die Wirtschaftstätigkeit insgesamt ohne schwer wiegende Folgen bleiben werden.“

Am offiziellen Diskurs über die Notwendigkeit einer starken Währung hat sich seit Bushs erster Amtszeit zwar nichts geändert, doch gegenwärtig verfolgt die Wirtschaftspolitik tatsächlich das Ziel, eine abermalige Talfahrt des Dollars zu verhindern. Am 2. Februar 2005 setzte der geldpolitische Ausschuss der US-Zentralbank die Leitzinsen auf 2,5 Prozent herauf. Die höhere Rendite von US-Anlagen stützt den Dollar gegenüber dem Euro, zumal der Gouverneursrat der Europäischen Zentralbank zur gleichen Zeit beschloss, die Leitzinsen bei 2 Prozent zu belassen.

Budgetpolitisch bekräftigte Bush seine Absicht, das „Defizit zu halbieren“. Von den hierfür ins Auge gefassten „sparpolitischen“ Maßnahmen seien sämtliche Ressorts betroffen, ausgenommen würden nur die Ausgaben für innere Sicherheit und Verteidigung, für die 19 Milliarden Dollar mehr als im Vorjahr eingeplant sind. Für fünfzig Bundesprogramme, die der Regierung als „ineffizient, überflüssig oder nicht vordringlich“ erscheinen, sieht der Haushaltsentwurf 2006 drastische Einschnitte oder eine gänzliche Abschaffung vor. In erster Linie betroffen sind natürlich die Sozialprogramme und vor allem solche, die Kindern und Not Leidenden zugute kommen. Die hierfür aufgewendeten Mittel sollen sogar absolut schrumpfen.

Und dennoch beruht die Budgetplanung des Weißen Hauses auf unrealistischen Annahmen und lässt einige der kostspieligsten Ausgaben völlig außer Acht. Das gilt nicht nur für die immensen Kosten der Militäroperationen im Irak und in Afghanistan13 , sondern auch für die in den nächsten zehn Jahren für die Teilprivatisierung des Rentensystems anfallenden Kosten, die mit mindestens 754 Milliarden Dollar veranschlagt werden.

Überdies gehen die Bush-Administration und ihre parlamentarischen Claqueure von drastisch steigenden Einnahmen aus, die sie ausgerechnet mittels Steuererleichterungen erzielen wollen. Dabei sanken die Fiskaleinnahmen bereits 2004 auf den tiefsten Stand seit 1959: Sie entsprachen nur noch 16,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während sie vor vier Jahren, als der Staatshaushalt schwarze Zahlen aufwies, noch 21 Prozent ausmachten. Für einige Spitzenpolitiker in Washington haben Steuererleichterungen ohnehin stets Priorität vor dem Abbau des Budgetdefizits. US-Vizepräsident Richard Cheney zum Beispiel, der in den nächsten Jahren weit reichende innenpolitische Reformen durchboxen will, verkündet voll Überzeugung: „Wie schon Ronald Reagan gezeigt hat, haben Defizite keinerlei Bedeutung.“14

deutsch von Bodo Schulze

* Assistenzprofessor an der Fletcher School of Law and Diplomacy (Medford, Massachusetts), Autor v. „The Financial War on Terror“, London (I. B. Tauris) 2005.

Fußnoten: 1 Arbeitnehmer sollen einen Teil ihrer Renteneinzahlungen für eine kapitalbasierte Rente verwenden. Dem Staat entstünden entsprechende Mindereinnahmen, sodass er die derzeitigen Rentenzahlungen kreditfinanzieren müsste. In den kommenden zehn Jahre sollen dadurch Kosten in Höhe von 754 Milliarden Dollar entstehen. 2 Larry Elliott, „US risks a downhill dollar disaster“, The Guardian, London, 22. 11. 2004. 3 Mark Tran, „Move to euro hits US finances“, The Guardian, 24. 1. 2005. 4 Willem F. Duisenberg, „The first lustrum of the ECB“, Rede auf dem International Frankfurt Banking Event, Frankfurt, 16. 6. 2003, www.ecb.int/press/key/date/2003/html/sp030616.en.html. 5 David E. Sanger, „U.S. Faces More Tensions Abroad Ass Dollar Slides“, The New York Times, 25. 1. 2005. 6 William Pesek Jr., „Dollar skeptics in Asia have prominent company“, International Herald Tribune, 3. 2. 2005. 7 China-Dossier, Le Monde diplomatique, Sept. 2004. 8 Eric Le Boucher, „La très grand alliance entre les États-Unis et la Chine contre le reste du monde“, Le Monde, 25. 1. 2004; Pierre-Antoine Delhommais, „L‘équilibre de la terreur monétaire“, Le Monde, 5. 1. 2005. 9 Der Wechselkurs des Dollars stieg vom 1. Quartal 1980 bis zum 1. Quartal 1985 von 4,15 Franc auf 9,96 Franc, sank in den folgenden zwei Jahren wieder auf 7,21 Franc und 6,13 Franc. Gegenüber der D-Mark stieg er im gleichen Zeitraum von 1,77 DM auf 3,26 DM, um wieder auf 2,35 DM und 1,84 DM zu sinken. Daten bei Jean-Marcel Jeanneney u. Georges Pujals (Hrsg.), „Les économies de l‘Europa occidentale et leur environnement international de 1972 à nos jours“, Paris (Fayard) 2005. 10 Ron Suskind, „The Price of Loyalty: George W. Bush, the White House, and the Education of Paul O’Neill“, New York (Simon and Schuster) 2004. 11 Paul Krugman, „The Greenspan Succession“, New York Times, 25. 1. 2005. 12 Elizabeth Becker, „Trade Deficit At New High, Reinforcing Risk to Dollar“, New York Times, 13. 1. 2003. 13 Entsprechende Haushaltsänderungsgesetze werden dem Kongress dieses Jahr vorgelegt. Die jüngste Korrektur in Höhe von 81 Mill. Dollar wurde notwendig, um die im regulären Haushalt nicht berücksichtigten Kosten der US-Präsenz im Irak und in Afghanistan zu decken. 14 Siehe Ron Suskind (Fußnote 10).

Le Monde diplomatique vom 11.03.2005, von IBRAHIM WARDE