Präsident Bongo und seine Franzosen
Der Staatschef von Gabun war eine Schlüsselfigur des Postkolonialismus von Boubacar Boris Diop
Wie konnte ein kleiner Postangestellter aus Brazzaville zu einem der bedeutendsten Politiker Afrikas aufsteigen und sich über 40 Jahre an der Macht halten? In den Reden zu Ehren des Anfang Juni verstorbenen Staatspräsidenten von Gabun wird häufig Omar Bongos klares Urteilsvermögen und sein Pragmatismus hervorgehoben. Gemeint ist mit diesem geschliffen formulierten Lob, dass für Bongo stets der Zweck die Mittel heiligte. Dass er den Eindruck hinterließ, er habe mehrere Leben auf einmal gelebt, lag daran, dass er zu jedem französischen Präsidenten – von de Gaulle bis Sarkozy – einen besseren Draht hatte als jeder andere seiner afrikanischen Amtskollegen und stets sein Fähnchen nach dem Wind zu hängen wusste.
Für ihn schien es außerdem vollkommen normal zu sein, die Religion oder Freimaurerloge und zweimal sogar den Namen zu wechseln. Noch am Ende seine Lebens sorgte er für allgemeine Verwirrung: Als er in Barcelona im Krankenhaus lag, hieß es abwechselnd, er sei tot, dann wieder, er lebe noch. Mit Bongos von Gerüchten begleitetem Sterben endete ein besonders undurchsichtiges Regime.
In den Nachrufen erinnert man sich mit warmen Worten an einen offenen, spontanen, liebenswürdigen und großzügigen Menschen. So etwas wie wahnsinniger oder gar mörderischer Personenkult lag ihm fern. Bongo spielte lieber den Gutmütigen und gab sich gern als etwas grantiger, im Grunde wohlwollender Dorfhäuptling. Dieser Ruf war ihm außerordentlich von Nutzen, denn das Image eines Staatschefs kann heutzutage ein komplettes Regierungsprogramm ersetzen. Mit Bongo konnte man sich immer sehen lassen, denn er hatte sich nie zu so bestialischen Grausamkeiten hinreißen lassen wie ein Idi Amin oder ein Joseph Mobutu. Das genügte schon, um vergessen zu lassen, dass sich hinter der gutmütigen Fassade ein mitleidloser Herrscher verbarg, wie die gewaltsame Unterdrückung der Unruhen nach den Wahlen von 1993 und mancher nicht aufgeklärte politische Mord belegen.
Denkwürdige Zerwürfnisse mit Paris verschafften ihm den Ruf eines Enfant terrible im afrikanischen Hinterhof Frankreichs. Obgleich es ihm gelang, die Entlassung zweier französischer Kooperationsminister zu erwirken – von Jean-Pierre Cot im Jahre 1982 und Jean-Marie Bockel im März 2008 –, war Bongo der Liebling des sogenannten Françafrique, jenem undurchsichtigen Geflecht französisch-afrikanischer Wirtschaftsbeziehungen, die unter de Gaulle nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien angebahnt wurden. Der Herr von Libreville, der stets Meister in seinem eigenen Spiel blieb, wusste, wie weit er gehen konnte. Über etliche französische Politiker hatte er genügend belastendes Material in der Hinterhand, dennoch ist ihm diese Macht nie zu Kopf gestiegen. Er kannte die Regeln nur zu genau: Seine Gegenspieler konnten ihn noch mehr unter Druck setzen als er sie.
Keiner war so abhängig von seinen französischen Paten wie Bongo. Idriss Déby im Tschad, Denis Sassou-Nguesso in Kongo-Brazzaville und Blaise Compaoré in Burkina Faso konnten sich nur nach heftigen politischen und militärischen Kämpfen als Staatschefs durchsetzen. Der ehemalige Geheimdienstler und Luftwaffenoffizier Bongo wusste dagegen den kolonialen Königsmachern zu gefallen. Schon in jungen Jahren war sein Aufstieg beschlossene Sache. Es begann mit einer Audienz bei General de Gaulle und einem Abendessen bei der Symbolfigur von Françafrique, Jacques Foccart, der zwischen 1960 und 1974 für den Élyséepalast Berater in afrikanischen und madegassischen Angelegenheiten war. Danach ernannte Paris Bongo praktisch zum Regierungschef des launenhaften gabunischen Präsidenten Léon M’ba und machte ihn später zu dessen Nachfolger. Die Umstände erinnern an eine Farce: Als M’ba – damals übrigens in einem Pariser Krankenhaus – im Sterben lag, ließ ihn Foccart eine Verfassungsänderung unterzeichnen, mit der das auf Bongo zugeschnittene Amt des Vizepräsidenten eingeführt wurde.
So schuf man praktisch aus dem Nichts einen Autokraten, der sein Land Jahrzehnte lang fest im Griff hatte. Die Bedingungen des Vertrags sind nach wie vor die gleichen: Im Tausch gegen die großzügige Unterstützung aus Paris, wo man ihn jeden Augenblick fallen lassen konnte, gab Bongo Gabuns Reichtümer, vor allem die strategischen Ressourcen Öl und Uran, die in den Augen de Gaulles für Frankreichs Unabhängigkeit unabdingbar waren. Wie die meisten anderen Länder des ehemaligen Kolonialreichs stimmte auch Gabun bei den Vereinten Nationen stets im Sinne Frankreichs ab.
Im Kalten Krieg ließ sich Bongo von den regierenden Gaullisten nicht lange bitten, sein Land als logistische Basis für die blutige Sezession Biafras zur Verfügung zu stellen. Auch die Söldner des berüchtigten französisch-komorischen Söldnerführers Bob Denard stürzten sich 1977 von Libreville aus in das unheilvolle Abenteuer eines Angriffs auf das marxistisch-leninistische Benin.
Nach dem Fall der Berliner Mauer entdeckte die Welt einen neuen Bongo: einen Mann, der voller guten Willens war und als Konfliktlotse unermüdlich im Einsatz, vor allem im Tschad und in Zentralafrika. Die Show flog auf, als er sich im kongolesischen Bürgerkrieg von 1997 als Vermittler ausgab, aber unter der Hand seinem Schwiegervater Denis Sassou-Nguesso, einem Partner des Erdölriesen Elf, half, Präsident Pascal Lissouba zu stürzen.
Eine kleiner lukrativer Staat
Bongo hat sich von dem vielbeschworenen demokratischen Frühling in Afrika nicht ins Bockshorn jagen lassen. Sein Regime gehörte zwar zu denjenigen, über die François Mitterrand 1990 in seiner berühmten Rede in La Baule ein hartes Urteil fällte.1 Doch der gabunische Staatschef kannte Mitterrand gut und fühlte sich in Wahrheit niemals bedroht. Wahrscheinlich hat er sich sogar im Stillen über das ganze Theater amüsiert. Sein alter Komplize war ganz sicher nicht in der Position, irgendjemandem Moralpredigten zu halten.
Man weiß, dass Präsident M’ba, der gegen die Unabhängigkeit seines Landes war, Frankreich vorgeschlagen hatte, aus Gabun ein überseeisches Departement zu machen. De Gaulle hatte dieses Angebot in weiser Voraussicht abgelehnt. Es war weitaus profitabler, mit afrikanischen Staaten zu verhandeln, die nach außen hin als souverän galten, tatsächlich aber an der französischen Leine lagen. Heute, ein paar Jahrzehnte später, muss man zugeben: Die Strategie des Generals hat sich weit über seine Erwartungen hinaus bezahlt gemacht. In Anbetracht dieses geradezu unverschämten Erfolgs sollten die französischen Abgeordneten vielleicht eines Tages ein Gesetz über die positiven Aspekte der Dekolonisierung verabschieden.
Es ist bezeichnend, dass Bongos Tod in Afrika – wo man keinen Anlass hat, stolz auf ihn zu sein – weitaus weniger Interesse hervorrief als in Frankreich. Die französischen Medien berichten vor allem über die großen Geldsummen, die Bongo an Politiker des rechten wie des linken Lagers verteilt hatte.2 Gar nicht mehr erwähnt wird der große Schmiergeldprozess um den französischen Erdölriesen Elf-Aquitaine3 , bei dem herauskam, dass – nach den Worten von Elf-Lobbyistin Christine Deviers-Joncour – die Millionen „wie Bonbons“ verteilt wurden.
Da sollte es eigentlich niemanden mehr verwundern, dass von den vielen Schätzen dieses kleinen Landes – Öl, Mangan, Uran und kostbare Hölzer – niemand außer Bongo und seiner Entourage etwas hatte. Der Präsident und seine Familie haben enorme Reichtümer angehäuft. Anstatt Straßen, Krankenhäuser und Schulen zu bauen, wurde das Geld für Protz und Prunk verschwendet. So wurde bei vielen der Elan, mit dem sie die Lebensbedingungen für alle verbessern wollten, bereits im Keim erstickt.
Im Dezember 2008 hat Transparency International gegen Bongo und andere afrikanische Staatschefs Anklage wegen Veruntreuung erhoben. Es stellt sich die Frage, ob man dieses Verfahren nicht auch auf die französischen Politiker ausweiten sollte, die von dem System der illegalen Bereicherung gewaltig profitiert haben. Das könnte auch der französischen Öffentlichkeit helfen, das Offensichtliche anzuerkennen: Françafrique ist ein Monster mit zwei Köpfen. Die afrikanischen Staatenlenker ruinieren ihre Volkswirtschaften nicht als Einzeltäter, sondern als Komplizen französischer Bürger. Beiden ist anzulasten, dass die Kinder in Gabun oder im Tschad nur mangelhaft versorgt und schlecht ausgebildet sind.
Was kann eine Bevölkerung, die mit ihrer Regierung unzufrieden ist, anderes tun, als dafür zu kämpfen, dass sie durch eine neue ersetzt wird? Die Bürger von Gabun haben dies auf vielfältige Weise versucht, durch Wahlen oder auch mit weniger friedlichen Mitteln. Jedes Mal scheiterten sie am unnachgiebigen Widerstand Frankreichs. Diese Tradition der direkten Einmischung geht auf den Februar 1964 zurück, als der gestürzte Präsident M’ba mit Hilfe der französischen Armee wieder in sein Amt eingesetzt wurde. Als die Einwohner Librevilles im Jahre 1990 nach dem Tod eines Oppositionspolitikers auf die Straße gingen, entsandte Mitterrand seine Fallschirmjäger, um die Ordnung wiederherzustellen. Noch schlimmer war es, als Bongo die Präsidentschaftswahl von 1998 verlor und französische Beobachter – darunter mehrere Richter und Staatsanwälte – gegen klingende Münze die Manipulation des Wahlergebnisses beglaubigten.
Man muss schon sehr naiv sein, um zu glauben, dass ausgerechnet in Libreville das Ende von Françafrique eingeläutet wird, auch wenn die Beziehungen zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien in Zukunft kritischer gesehen und vor allem von jungen Afrikanern mit Hohn und Spott kommentiert werden. Dies macht im Übrigen die aktuelle Periode des Übergangs so heikel und unsicher. Denn es braucht nur einen Hauch, um die so lange unterdrückten Energien freizusetzen und gegen diejenigen zu richten, die im Stillen ihre Macht und Privilegien zu erhalten suchen.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Boubacar Boris Diop ist senegalesischer Schriftsteller, er schrieb unter anderem den Ruanda-Roman „Murambi, le livre des ossements“, Paris (Edition Stock) 2000.