10.07.2009

Die Besitzer der Tour de France

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Die Besitzer der Tour de France

Gewinner des lukrativsten Sportereignisses der Welt ist auch in diesem Jahr die Familie Amaury von David Garcia

Medienrummel, viel Geld und Dopingskandale am laufenden Band: La Grande Boucle, die Große Schleife, wie die Tour de France auch genannt wird, braucht keine Kritiker. Sie schafft es ganz allein, sich jeden Sommer erneut in Verruf zu bringen. Im Ferienmonat Juli ist diese dreiwöchige Kirmes eine einzige gigantische Werbeveranstaltung, und die Großaktionäre verdienen sich eine goldene Nase.

Wer das traditionsreiche Radrennen aber auf seine Funktion als reine Geldmaschine reduziere, sei nichts weiter als ein unternehmerischer Banause, meint Christophe Penot, Biograf der Tour de France und Intimus des ehemaligen Tour-Direktors Jean-Marie Leblanc: „Natürlich ist dieses Fest mit Kosten verbunden. Aber es ist auch immer perfekt organisiert. Die Veranstalter gehen schließlich Risiken ein, und da ist es doch selbstverständlich, dass sie am Gewinn beteiligt sind. So sind nun mal die Spielregeln in einer Wirtschaftsgesellschaft.“ Es ist ein Spiel, bei dem die Familie Amaury, der das Radrennen gehört, dank eines komfortablen Wettbewerbsvorteils jedes Mal gewinnt.

Die Tour de France sichert dem Unternehmen Amaury Sport Organisation (ASO), das alljährlich einen Profit von 20 Prozent erzielt, 70 Prozent der Einkünfte. Von den 39 Millionen Euro Gewinn, den die Amaury-Gruppe 2007 machte, fuhr die ASO 29 Millionen ein. Hauptempfängerin ist die Präsidentin der Gruppe, Marie-Odile Amaury, die laut Challenges 228 Millionen Euro auf der Bank hat.1

Über ihr Privatvermögen gibt die Familie im Allgemeinen nur ungern Auskunft. „Obgleich die Société du Tour de France die Erlöse aus dem Radrennen und die Abgaben von den Etappenstädten einstreicht, weigert sie sich seit 1992, ihre Konten offenzulegen und bei der Geschäftsstelle des Handelsgerichts von Nanterre zu melden“, schrieb Le Canard enchaîné schon 1998.2

Das Gericht von Lille, das zwei Jahre später im Festina-Prozess3 über die bis dahin größte Dopingaffäre der Sportgeschichte zu befinden hatte, verurteilte den systematischen Verstoß der Amaury-Gruppe gegen die Verpflichtung, Gewinne bekannt zu geben. Zuwiderhandlungen gegen diese im Handelsgesetzbuch festgeschriebene Bestimmung werden im Wiederholungsfall mit einer Geldstrafe zwischen 1 500 und 3 000 Euro geahndet. Nicht wirklich abschreckend.

Im Prinzip müsste die öffentliche Hand, die einen Teil der Tour bezahlt, von privaten Partnern wie der ASO Transparenz verlangen. Doch hier verhalten sich die Behörden äußerst zurückhaltend. So behauptet der Präsident der Versammlung der französischen Departements (ADF), Claudy Lebreton, er wisse nichts von der Finanzmacht der Grande Boucle und ließ allen Ernstes verlauten: „Wenn uns auffallen würde, dass der Laden Gewinne macht, hätten wir ja Anlass, von der ASO die Offenlegung ihrer Geschäftsabschlüsse zu verlangen.“

Dass die Tour schwarze Zahlen schreibt, ist jedoch kein Geheimnis, auch nicht im bretonischen Departement Côtes-d’Armor, wo Lebreton dem Bezirksrat vorsitzt. Geld macht eben Freunde. Die ASO zahlt an die Versammlung der französischen Departements für die Straßennutzung eine jährliche Gebühr von 270 000 Euro. Abgesehen von diesem bescheidenen finanziellen Beitrag stellen die Departements der ASO drei Wochen lang kostenfrei Werbeflächen zur Verfügung.

Kommunen geben alles, um Etappenziel zu sein

Der Kommunalpolitiker Lebreton, ein eleganter Sechzigjähriger mit weißem Haar und schmaler Brille, freut sich heute noch über den kommerziellen Erfolg, den die Tour 1995 seinem geliebten Côtes d’Armor einbrachte. „Eine Woche vor Tour-Beginn waren alle Hotels und Restaurants ausgebucht. Eine Karawane von 4 500 Personen, von denen jede durchschnittlich zwischen 150 und 200 Euro ausgibt, rechnen Sie sich das mal aus …“ Kurzum: „Die Tour ist ein erstklassiger Werbeträger. Verglichen mit einer Imagekampagne im Fernsehen sind Preis-Leistungs-Verhältnis und Rentabilität unschlagbar.“ Woraus folgt: „Wir werden nicht darauf verzichten.“ Und deshalb guckt man auch lieber weg, wenn die ASO gegen gesetzliche Regeln verstößt.

Für die diesjährige Tour haben sich 250 Städte als Etappenort bei der ASO beworben. Ein Rekord. Die Umsätze, die das Radrennen 2007 dem Startort London bescherte – 172 Millionen Euro für 1,5 Millionen Euro Abgabe, die an die ASO zu entrichten war – weckt Begehrlichkeiten auch in anderen europäischen Metropolen wie Budapest oder Rotterdam (wo das Radrennen 2010 beginnen wird). Katar, Québec und Japan sind ebenfalls interessiert.

Um 2006 Etappenziel zu werden, zahlte die Stadt Rennes 76 000 Euro an die ASO. Das habe aber nichts mit einer verdeckten Subvention zu tun, versichert der diesjährige Tour-Direktor Christian Prudhomme. „Die Städte kommen auf uns zu und nicht umgekehrt. Wir bieten ihnen eine Dienstleistung an, für die sie uns eine bestimmte Summe zahlen, so einfach ist das.“

Aus Angst, den potenziellen Geldsegen an ihre Konkurrenten zu verlieren, unterschreiben die Gemeinderäte ohne weitere Nachfragen die von der Amaury-Gruppe entworfenen Verträge. Und die ASO achtet darauf, dass die Gemeinden ja nicht auf die Idee kommen, zusätzlich ein paar Krümel vom Festschmaus abgreifen zu wollen. So wird zum Beispiel jede Form von konkurrierender Werbung ausgeschlossen. Ausschließlich Tour-de-France-Produkte (Schirmmützen, T-Shirts, Espadrilles) dürfen an den Start- und Zielorten vertrieben werden.

Vor 25 Jahren übte der sozialistische Bürgermeister von Rennes, Edmond Hervé, noch unverblümt Kritik an „einem kommerziellen Unternehmen, für das die sportliche Seite sekundär ist. 1977 waren wir Gastgeber der Tour. Gesamtkosten: 200 000 Franc, um dann die Fahrer für zehn Minuten zu Gesicht zu bekommen und die Werbekarawane drei Stunden lang.“4 Damals wollte die Linke in der Regierung noch den Sport vom Profitstreben befreien.

Xavier Louy, der zwischen 1975 und 1989 zunächst stellvertretender und dann Direktor der Tour de France war, erzählt in seinen Memoiren5 mit merklichem Schaudern von den Vorstößen der Sozialistin Edwige Avice. Sie wurde im Mai 1981 Ressortchefin für Jugend und Sport und machte den als rechts geltenden Honoratioren der Tour zum Vorwurf, dass die Werbetreibenden bei dem Radrennen so allgegenwärtig waren. Aber man kann beruhigt sein, es kam kein Gesetz zustande, das den Einfluss der Sponsoren begrenzt hätte. Von der Kommunistischen Partei bis zum rechtsextremen Front National, von L’Humanité bis Le Figaro wird der Kult um die Grande Boucle parteiübergreifend gepflegt. Für die heilige Allianz aus Veranstaltern, Medien und politischer Klasse ist die Tour einfach „ein Teil von Frankreich“6 .

Die Amaury-Gruppe brüstet sich sogar damit, der Öffentlichkeit einen Dienst zu erweisen, weil sie andere Radrennen mit Verlust finanziert, wie zum Beispiel Paris–Nizza, der Wallonische Pfeil, Lüttich–Bastogne–Lüttich. Es stimmt tatsächlich, dass außer der Tour de France und Paris–Roubaix die anderen Rennen der Société du Tour de France keinen Cent einbringen. Auf die Frage von L’Humanité, wie viel von den Profiten der ASO in den Radsport fließen, geriet der frühere Tour-Chef Jean-Marie Leblanc sichtlich in Bedrängnis. Zahlen nannte er nicht: „Es ist nicht viel, das gebe ich zu. Jedenfalls mag es so aussehen, als sei es nicht viel. Aber schließlich geht es ja auch nicht darum, Millionen von Euro auf Nimmerwiedersehen für die Junioren zu verplempern! Man muss die Zuständigkeiten schon auseinanderhalten. Wir werden uns nicht darum reißen, die Aufgaben des Verbands zu übernehmen … dann würde man uns doch auch Einflussnahme vorwerfen.“7

Die Beteiligung der ASO an Projekten des französischen Radsport-Verbands (FFC) zur Förderung und Entwicklung des Radsports beträgt dem Journalisten Pierre Ballester zufolge an die 1,2 Millionen Euro.8 Der Verband ist arm wie eine Kirchenmaus und schielt daher auf den großen Kuchen der Tour. Nicolas Chaine war früher Pressechef des Crédit Lyonnais, dem Hauptsponsor des Gelben Trikots. Kurz bevor er die Bank verließ, ließ er sich zum ersten Mal zu einer kritischen Äußerung hinreißen. Bei aller Bewunderung, die er für die ASO empfinde, fände er schon, die Fahrer könnten etwas besser bezahlt und der Nachwuchs mehr gefördert werden.9 Über so viel Aufmüpfigkeit kann sich das ASO-Management natürlich aus dem Stand aufregen.

Die Geschichte der Tour de France begann mit einer Imagekampagne im Jahr 1903. Die Sportzeitung L’Auto war auf der Suche nach einem Alleinstellungsmerkmal, um sich gegenüber dem großen Konkurrenten Le Vélo, der damals den Markt der Sporttageszeitungen beherrschte, zu profilieren. So kam Chefredakteur Henri Desgrange, der selbst Radrennen fuhr, auf die Idee, ein Etappenrennen zu initiieren. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen von Desgrange und Schatzmeister Victor Goddet. Im Juli 1903 hatte sich der Verkauf von Le Vélo bereits von 30 000 auf 65 000 Exemplare mehr als verdoppelt. Kurz darauf wurden Le Vélo und zwei weitere Tageszeitungen, Le Monde sportif und Les Sports, eingestellt und L’Auto blieb als einzige Sportzeitung übrig.

Erbe von L’Auto war nach dem Krieg – zwischen 1940 und 1946 fand die Tour de France nicht statt – die von Victor Goddets Sohn Jacques gegründete Sportzeitung L’Équipe, die mit ähnlichem Erfolg das gleiche Rezept anwandte. L’Équipe hatte allerdings kämpfen müssen, um die Grande Boucle unter ihre Fittiche zu bekommen. Denn mit der Einstellung von L’Auto, die während der Besatzung weitererschienen war, wurde das Unternehmen erst einmal auf Eis gelegt. Doch schon 1946 gab es eine staatliche Ausschreibung, um die sich sowohl L’Équipe als auch die kommunistische Sports bewarben. Um niemanden vor den Kopf zu stoßen, mäßigten die „Roten“ ihre vor dem Krieg geäußerte Kritik an der allseits beliebten Tour. In den 1920er-Jahren hatte L’Humanité in der Rubrik „Unter der Knute der Bosse“ immer wieder die Ausbeutung der „Giganten der Landstraße“ angeprangert, die Hungerlöhne sowie die übermenschlichen Leistungen, die den meist aus dem ländlichen oder Arbeitermilieu stammenden Fahrern abverlangt wurden.

Jacques Goddet kam mit Hilfe von Émilien Amaury an die Spitze. Amaury hatte 1944 das Boulevardblatt Le Parisien libéré gegründet. Er besaß großen Einfluss in gaullistischen Kreisen und verbürgte sich für seinen Schützling Goddet, der unter dem Verdacht stand, während der Besatzungszeit mit den Deutschen kollaboriert zu haben. Der Karriereanschub hatte seinen Preis: Goddet musste 50 Prozent der Anteile an der Tour de France an seinen Retter abtreten. Die andere Hälfte landete 1965 in der Schatulle von Medienmogul Amaury, der zur gleichen Zeit auch L’Équipe erwarb.

Es genügte nun nicht mehr, dafür zu sorgen, dass sich die Sportzeitung während der Sommermonate gut verkaufte. Émilien Amaury wollte, dass sich das Radrennen selbst rentierte. 1973 wurde dafür eine Betreibergesellschaft gegründet, die Société d’exploitation du Tour de France. Das war ein Symbol. Ein etwas zu deutliches, fand Félix Lévitan, Geschäftsführer vom Parisien libéré, und verkürzte den Namen 1980 zu Société du Tour de France. „Die Grande Boucle wäre ohne Lévitan nicht das geworden, was sie heute ist. Er hat das Sponsoring entwickelt, die Vereinbarungen mit den Etappenstädten ausgearbeitet und das wirtschaftliche Potenzial des Fernsehens genutzt“, lobt der frühere Vorsitzende des Weltradsportverbands UCI, Hein Verbruggen. Jacques Goddet, der mehr Sportjournalist als Unternehmer war, hatte noch nicht daran gedacht, die Sender für die Übertragung der Tour zahlen zu lassen. 1979 wurde der erste Vertrag über die Senderechte der Tour unterzeichnet. TF1 bezahlte dafür 2,5 Millionen Franc.

Die Nachfolger von Lévitan, der 1987 wegen einer Finanzaffäre geschasst wurde, setzten die Umgestaltung der Tour fort. In wenigen Jahren stieg das Familienunternehmen zu einem prosperierenden Konzern auf. Der feierliche Impetus der Tour de France verlor sich, an seine Stelle trat eine Profit- und Marketingkultur. Das Siegerpodest wurde relauncht, ein Tour-Dorf erschaffen. Den Passierschein um den Hals, wandelt nun eine Korona aus VIPs und handverlesenen Gästen in einem geschlossenen, durch eine Absperrung vom Pöbel streng separierten Bereich.

Der Sportjournalist Jacques Marchand, 1961 Gründer des Amateurradrennens Tour de l’Avenir („Tour der Zukunft“), geißelt das Abrutschen des Radsports in die pure Geschäftemacherei: „Das Schicksal der Tour wurde in die Hand von Geschäftsleuten gelegt, die kommerziell sicher sehr erfolgreich sind, denen jedoch das Radsportmilieu völlig fremd ist. (…) Diese Leute, die sich für Topexperten halten und sehr viel Geld kosten, sind über den Sport hergefallen und haben ihn verseucht“, schimpft der mit seinen 88 Jahre sehr rüstige Marchand.10

Nach den Fernsehanstalten wurden auch die Sponsoren gebeten, ihren Obulus zu entrichten. Bis 1989 begnügten sich die Autohersteller, die bei der Société du Tour de France unter Vertrag standen, damit, die offiziellen Fahrzeuge für das Rennen zu liefern. „Das kann nicht so weitergehen“, donnerte 1988 der Interimsdirektor der Tour, Jean-Pierre Courcol. Der Sportdirektor von Peugeot, Jean Todt, hielt das Ganze für einen Bluff und weigerte sich, mehr als 500 000 Franc jährlich zu berappen. Zu wenig, beschied der Tour-Chef und wandte sich mit einem Angebot über 6 Millionen Franc an den Vorsitzenden von Fiat France, der umgehend akzeptierte.

Bis zur Festina-Affäre stieg die Gewinnquote der Grande Boucle unaufhörlich. Jean-Pierre Courcol, ein in den 1970er-Jahren bei Havas ausgebildeter Werbekaufmann, wurde 1990 an die Spitze der Amaury-Gruppe berufen. 1992 gründete er für die Organisation von Sportereignissen eine Tochterfirma, die Amaury Sport Organisation (ASO), deren Herzstück die Tour de France wurde. Von nun an war der Leiter der Grande Boucle einem Generaldirektor unterstellt, der aus der Wirtschaft kam. Dem einstigen Chef der Radsport-Rubrik bei L’Équipe, Jean-Marie Leblanc, den Jacques Goddet selbst als seinen legitimen Nachfolger präsentiert hatte, wurde das kaufmännische Schwergewicht Jean-Claude Killy zur Seite gestellt.

Killy, dreifacher Goldmedaillengewinner im alpinen Skisport bei den Olympischen Winterspielen 1968 in Grenoble, verabschiedete sich bereits im Alter von 25 Jahren vom aktiven Sport und wurde zunächst im Auftrag der Werbeagentur International Management Group (IMG) zum Gesicht für Canon, Chevrolet und Rolex. Er war einer der ersten Sportler, die ihr Image erfolgreich vermarkten ließen. Schon 1969/70 hatte er ein Vermögen von 2 Millionen Dollar angehäuft.11 Als Killy zur ASO stieß, betrug das Vermögen des Kaufmannssohns geschätzte 120 Millionen Francs (18,3 Millionen Euro).12 Er war Werbeagent für General Motors, Marketingberater für United Airlines, Gründer der Skibekleidungsfirma Veleda-Killy, Unternehmensberater für Rolex. Vor allem aber besaß der Exvizepräsident des Organisationskomitees der Olympischen Winterspiele 1992 in Albertville ein dickes Adressbuch.

Der in der Schweiz lebende Killy und das neue Tandem Alain Krzentowski und Jean-Claude Blanc als Präsident und Generaldirektor der ASO waren unerbittliche Unterhändler und trieben die Gewinne der Amaury-Gruppe in schwindelerregende Höhen. Sie waren erst ein paar Monate im Einsatz, da hatten sie bei Antenne 2 fast eine Verdoppelung des Preises für die Senderechte durchgesetzt: 60 Millionen Franc (9,1 Millionen Euro) pro Jahr gegenüber den im vorigen Vertrag vereinbarten 32 Millionen.13

Die Kehrseite der Medaille: Der große Offizier der Ehrenlegion teilte nicht gern. „Es war klar, dass die Fahrer an den spektakulären Mehreinnahmen für die Senderechte beteiligt werden mussten, aber Killy wollte das partout nicht“, berichtet Jean-Pierre Carenso, der 1993 nach fünf Jahren Tour-Leitung vor die Tür gesetzt wurde.14 „Einmal hat er sogar zu mir gesagt: ‚Du kannst erzählen, was du willst, mich interessiert nur die Kohle.‘ “

Als die Tour wegen der Festina-Affäre zu platzen drohte, saß Jean-Claude Killy bereits im Flugzeug Richtung USA, um an einer Aufsichtsratssitzung von Coca-Cola in der Firmenzentrale in Atlanta teilzunehmen. Killy, der 2003 von der Zeitschrift L’Entreprise mit dem Prix de l’esprit d’entreprise (einen Preis für Unternehmergeist) ausgezeichnet wurde, überließ es damals Jean-Marie Leblanc, sich der Presse zu stellen. Fand er sich doch einmal zu einer Stellungnahme bereit, dann bezeichnete er eine der größten Dopingaffären in der Geschichte des Sports als „Wendepunkt“.15

Als der Wahlsavoyer sich 2000 freundschaftlich von der Amaury-Gruppe trennte, trug er den Kopf hoch und seine Taschen gefüllt mit einer Abfindung von 50 Millionen Franc (7,5 Millionen Euro). Sein getreuer „KRZ“ – Spitzname von Alain Krzentowski – verließ das Schiff mit nur 32 Millionen. Doch auf Bitten von Madame Amaury traten die beiden Unzertrennlichen im Jahr 2008 noch einmal in die Dienste der Tour de France. Wegen sinkender Zuschauerzahlen trommelte die Chefin eine Truppe zusammen, die verhindern sollte, dass die Popularität der Grande Boucle immer weiter den Bach runterging. 1997 hatten durchschnittlich noch 5,1 Millionen Franzosen die Tour de France am Bildschirm verfolgt, das nach der Fußballweltmeisterschaft und den Olympischen Spielen das weltweit – in 170 Ländern – meistausgestrahlte Sportereignis.16 Zehn Jahre später waren es nur noch 3,6 Millionen. Um den Niedergang der Grande Boucle, die durch die Dopinggeschichten und das nachlassende Interesse der Jugend für den Radsport deutlich schwächelte, aufzuhalten, war die Witwe von Philippe Amaury zu allem bereit und natürlich hoch erfreut, als der Medienstar Lance Armstrong zum Rennen zurückkehrte. Da erschien es auch unwichtig, dass L’Équipe17 dem siebenfachen Tour-Sieger zweifelsfrei Dopingpraktiken nachgewiesen hatte.

Fußnoten: 1 Challenges, Paris, No. 132, 10. Juli 2008. 2 Le Canard enchaîné, Paris, 11. November 1998. 3 In dem Prozess ging es um den Handel mit Dopingmitteln innerhalb des Festina-Teams, der während der Tour de France 1998 aufgeflogen war. 4 „Les Dossiers du Canard enchaîné“, Juni 1982. 5 Xavier Louy, „Sauvons le Tour!“, Issy-les-Moulineaux (Éditions Prolongations) 2007. 6 L’Humanité, 5./6. Juli 2003. 7 Ebenda. 8 Pierre Ballester, „Tempêtes sur le Tour“, Paris (Éditions du Rocher) 2008. 9 Christophe Penot, „Ces messieurs du Tour de France“, Saint-Malo (Éditions Cristel) 2003. 10 Jacques Marchand, „Vélodrame“, Paris (Calmann-Lévy) 2008. 11 Éric Maitrot, „Sport et télé. Les liaisons secrètes“, Paris (Flammarion) 1998. 12 Thierry Dussard, „Jean-Claude Killy“, Paris (Lattes) 1991. 13 2009 werden France Télévisions 23 Millionen Euro für die Senderechte an die ASO überweisen, also im Vergleich zu 1992 mehr als das Doppelte. 14 2009 überwies die ASO den an der Tour beteiligten Mannschaften nachträglich 3 Millionen Euro. 15 France 2, 10. Juli 1998. 16 Pierre Ballester, „Tempête sur le Tour“, siehe Anmerkung 8. 17 „Le mensonge Armstrong“, 23. August 2005.

Aus dem Französischen von Uta Rüenauver

David Garcia ist Journalist und Autor (zusammen mit Jean-Pierre de Mondenard) von „La Grande Imposture“, Paris (Hugo) 2009.

Le Monde diplomatique vom 10.07.2009, von David Garcia