Chinas Energiewende, Europas Chance
Im Kampf um die Begrenzung der Erderwärmung haben China und Europa gemeinsame Interessen. Auch auf ökonomischer Ebene bietet sich ein Bündnis mit Peking an. Die Europäer sollten sich entschließen, die günstigen „grünen“ Technologien aus China zu nutzen, statt mit LNG-Importen aus den USA den Klimaleugner Trump zu belohnen.
von Arnaud Bertrand

Der Gegensatz zwischen den zwei Rivalen könnte kaum größer sein: China mit seinen Windparks, Solarfeldern und hell erleuchteten Megastädten wird mitunter schon als „Electrostate“ gefeiert. Ganz anders die USA, die schon jetzt weltweit der größte Produzent fossiler Energieträger sind. Präsident Donald Trump bestritt seinen Wahlkampfs vor gut einem Jahr mit der Parole: „Drill, baby, drill!“ Die Botschaft lautet: In den USA kann ungehemmt Erdöl und Erdgas gefördert werden.
Erneuerbare Energien versus fossile Brennstoffe, Strom gegen Öl – die Konfrontation zwischen Peking und Washington spiegelt sich offenbar auch in den energiepolitischen Strategien der beiden Supermächte. Bei der UN-Generalversammlung im September 2025 erklärte der US-Präsident den Klimawandel zum „größten Betrug, der jemals an der Welt begangen wurde“. Gefolgt von der Warnung an die Delegierten: „Wenn Sie auf diesen Betrug namens grüne Energie hereinfallen, werden Ihre Länder untergehen.“
Das genaue Gegenteil formulierte der chinesische Präsident Xi Jinping in seiner Videobotschaft an die Teilnehmer des Klimagipfels am Rande der UN-Vollversammlung: „Der Umstieg auf grüne und kohlenstoffarme Energie ist der grundlegende Trend unserer Zeit. Auch wenn sich ihm einige Länder widersetzen, sollte die internationale Gemeinschaft an ihrem Kurs festhalten.“
Doch wie sieht es jenseits der offiziellen Bekundungen vor der UNO aus? Was bedeuten die lärmend inszenierten, diametral entgegengesetzten energiepolitischen Ansätze der beiden geopolitischen Rivalen für die konkrete Politik. Und welche Konsequenzen könnte das für Europa haben, das zu dieser Kontroverse eher schweigt?

Elektrifizierung bedeutet Unabhängigkeit
Nach offizieller Darstellung ist die Energiewende in China eine ökologische Entscheidung. Tatsächlich folgt die chinesische Führung aber auch einem Gebot der nationalen Souveränität. Das Reich der Mitte verfügt zwar über große Kohlevorkommen, muss die anderen fossilen Energieträger aber größtenteils importieren. Peking betrachtet dies als strategische Schwachstelle. Denn die Seewege, über die Erdöl nach China transportiert wird, führen unter anderem durch die Meerengen von Hormus und Malakka, die im Falle eines Konflikts blockiert werden könnten.
Die Elektrifizierung der Wirtschaft auf Grundlage selbst produzierter Energie ist daher vor allem eine Möglichkeit, sich von jeglicher Abhängigkeit zu befreien. In dieser Hinsicht sind die Fortschritte Chinas beeindruckend (siehe Kasten auf Seite 4). Zwar stammen nach wie vor 80 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs aus fossilen Brennstoffen (gegenüber 84 Prozent in den Vereinigten Staaten). Doch mehr als ein Drittel des Stroms (35 Prozent) wird bereits mit erneuerbaren Energien erzeugt, die 2024 den Zuwachs bei der Stromnachfrage zu 83 Prozent abdeckten.1
In einer groß angelegten Studie des Centre for Research on Energy and Clean Air (Crea) von 2024 äußerten knapp die Hälfte der befragten Experten die Einschätzung, dass China den Höchststand seiner CO₂-Emissionen bereits erreicht habe oder bis Ende 2025 erreichen werde. Das wäre fünf Jahre früher als das offiziell angezielte Jahr 2030.2
Dieses Wachstum im Bereich der erneuerbaren Energien beruht auf einer ganzen Reihe technologischer Durchbrüche. Diese rapide Entwicklung lässt sich unter anderem an der Entwicklung hochwertiger wissenschaftlicher Publikationen ablesen: In China werden in allen acht Technologiebereichen, die als für das 21. Jahrhundert entscheidend gelten, inzwischen mehr Studien veröffentlicht als in den USA.3
Besonders deutlich ist der Vorsprung in den Bereichen Energie und Umwelt. Hier publizieren chinesische Autorinnen und Autoren 46 Prozent aller hochwertigen Forschungsartikel, ihre amerikanischen Kolleg:innen hingegen nur 10 Prozent. Diese Entwicklung ist nicht zufällig: Die chinesischen Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind zwischen 1990 und 2023 von
0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf über 2,2 Prozent angewachsen.
Das bedeutet in absoluten Zahlen eine Steigerung um das 200-Fache, da das chinesische BIP in diesem Zeitraum explosionsartig angewachsen ist. Dieses enorme Wachstum ist auch Resultat einer interventionistischen Wirtschaftspolitik. Nach einer Schätzung des Kiel Instituts für Weltwirtschaft gibt China 1,73 Prozent seines BIPs für die Wirtschaftsförderung aus; das ist drei- bis viermal so viel wie die Europäische Union oder die USA.4
Im Westen setzt man nach wie vor oft auf traditionelle Subventionsmaßnahmen wie die Förderung „nationaler Champions“. In China dagegen geht die staatliche Unterstützung mit gnadenlosem Wettbewerb einher. So konkurrierten auf dem chinesischen Markt für Elektroautos zeitweise mehr als 100 Unternehmen, während es im Westen erst ein einziges gab.
Dieses Modell des ungebremsten Wettbewerbs fördert zweifellos die internationale Konkurrenzfähigkeit, führt allerdings auch zu erheblichen Defiziten in puncto Effizienz, was in China unter dem Stichwort „Involution“ thematisiert wird (siehe den nebenstehenden Artikel).
Im Bereich grüne Energie hat sich das Modell jedenfalls bewährt. Heute dominieren chinesische Unternehmen fast in allen Sparten: Bei der Solartechnik kontrollieren chinesische Firmen mehr als 80 Prozent der Fertigungsschritte; vier der sechs größten Hersteller von Windkraftanlagen kommen aus China (Goldwind, Envision, Mingyang und Windey); und mehr als 80 Prozent der Batterien sowie 70 Prozent der weltweit produzierten Elektrofahrzeuge werden in China gefertigt.5
Auf den ersten Blick marschieren die USA genau in die entgegengesetzte Richtung. Trump denunziert erneuerbare Energien als „Betrug“ oder „Fake News“; er hat den Naturschutz für große Teile der Staatsforste aufgehoben und viele Umweltvorschriften gestrichen, um die Förderung von Erdöl und Erdgas zu erleichtern.
Dass Trump die Notwendigkeit einer Energiewende bestreitet, zeugt von derselben Art Pragmatismus, der wohl auch China leitet, wenn es die Energiewende vorantreibt. Die USA sind inzwischen zum weltweit größten Öl- und Gas-Produzenten aufgestiegen und liegen heute bei der Förderung wie beim Export fossiler Energieträger vor Russland und Saudi-Arabien. Washington macht Reklame für diese Energiequellen, weil sie in den USA kräftig sprudeln; China hingegen wendet sich von Öl und Gas ab, weil es über keine eigenen Vorkommen verfügt.
Im Reich von Trump verläuft die Entwicklung allerdings weit differenzierter, als die Sprüche des Präsidenten vor der UN-Vollversammlung vermuten lassen. Auch in den USA sind Wind- und Solaranlagen die am schnellsten wachsenden Energiequellen; die meisten Versorgungs- und Technologieunternehmen setzen ebenfalls auf erneuerbare Energien, um die stark steigende Stromnachfrage zu decken.
Ein schlagendes Beispiel für diesen Widerspruch ist Texas, eine Hochburg der Republikaner wie der Ölförderung. Doch Texas liegt inzwischen bei der installierten Windkraftleistung unter allen Bundesstaaten an der Spitze und verzeichnet auch bei der Solarenergie eine explosive Zunahme. Das liegt schlicht daran, dass selbst in den ölreichen US-Bundesstaaten der Strom aus Erneuerbaren kostengünstiger ist.
Chinas Strompreise seit fünf Jahren stabil
Die Energiepreise haben auch Folgen für die gesamte Wirtschaftsstruktur. Für den Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) erläuterte OpenAI-Chef Sam Altman bei einer Anhörung im US-Kongress im Mai 2025: „Am Ende werden die Kosten für KI den Energiekosten entsprechen.“ Für die USA sei „nichts wichtiger“ als strategische Investitionen in den Energiesektor.6
Länder, die nicht in großer Menge günstigen Strom produzieren können, werden in den Hochtechnologiesektoren kaum wettbewerbsfähig sein können. Und am preisgünstigsten sind schon heute die erneuerbaren Energien.7 Angeführt wird die Rangliste von der Onshore-Windenergie (30 bis 37 US-Dollar Kosten pro Megawattstunde in den USA), gefolgt von Photovoltaik (32 bis 38 US-Dollar) und Erdgas für Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke (48 bis 59 US-Dollar). Zwischen 2010 und 2023 sind die Kosten für Solarenergie um 90 Prozent und für Windenergie um 69 Prozent gesunken, während die Kosten bei Erdgas stabil geblieben sind. Alles deutet darauf hin, dass sich dieser Trend fortsetzt.
In China hat der Einsatz grüner Technologien maßgeblich dazu beigetragen, dass die Strompreise für Industriekunden seit fünf Jahren unverändert bei etwa 8 Eurocent pro Kilowattstunde geblieben sind – und das trotz eines beispiellosen Nachfragebooms: Von 2015 bis 2024 stieg der Stromverbrauch des Landes von 5600 Terawattstunden (TWh) auf fast 10 000 TWh. Ähnlich ist die Situation in den USA, wo der Preis für die Kilowattstunde dank der Investitionen in erneuerbare Energien auf einem ähnlich niedrigen Niveau stabilisiert wurde.
Alles deutet also darauf hin, dass die US-Regierung keineswegs an die Überlegenheit fossiler Energieträger glaubt, sondern schlicht und einfach die Nachfrage stützen will. Ganz offensichtlich geht es ihr darum, die energiepolitischen Entscheidungen insbesondere der europäischen Partner so zu beeinflussen, dass sie die US-Reserven zu einem guten Preis verkaufen kann.
Und sie hat damit Erfolg: Trump hat der EU bereits die Zusage abgepresst, innerhalb der nächsten drei Jahre (bis Ende 2028) US-Energie im Wert von 750 Milliarden US-Dollar zu importieren, und zwar hauptsächlich Flüssigerdgas (LNG), aber auch Erdöl und Kernbrennstoffe. Diesen Deal hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende Juli im Rahmen des Handelsabkommens zwischen den USA und Europa verabredet.
Diese Forderungen umstands- und diskussionslos zu erfüllen, ist für die EU keine gute Strategie. Schließlich liegen die Strompreise für Industriekunden in Europa etwa doppelt so hoch wie in China und den USA.
In anderen Regionen der Welt folgt man einer anderen Logik. Im Globalen Süden fließen 87 Prozent der Investitionen für die Stromerzeugung mittlerweile in erneuerbare Energien und den Kauf chinesischer Technologien.8 Dabei handelt es sich um Ausgaben, die viele Jahre lang Unabhängigkeit garantieren, wogegen der Bezug von fossilen Brennstoffen dauerhafte Abhängigkeiten bedeutet.
Wäre es nicht Zeit, dass die Europäische Union genauso agiert? In Brüssel würde man die Idee wahrscheinlich abtun, doch die Logik, der sie folgt, ist unwiderlegbar. Sie verweist darauf, dass die chinesischen Firmen – unter den erdrückenden Bedingungen der „Involution“ – sich derzeit gezwungen sehen, die Produktionstechniken für alternative Energien zu Schleuderpreisen an den Rest der Welt zu verkaufen. Ihre Gewinnmargen gehen dabei nahe null. Das könnte man sich zunutze machen.
Europas teure LNG-Importe aus den USA
Genau das schlägt der Deutsch-Französische Rat der Wirtschaftsexpert:innen vor, den die Regierungen beider Länder berufen haben. Sein im Sommer veröffentlichter Bericht enthält den politischen Rat, „die europäischen Käuferinnen und Käufer von den niedrigen Preisen in China profitieren zu lassen.“9 Die Empfehlung bezieht sich auf Produktionsbereiche, die entweder keine strategische Bedeutung haben oder in denen Europa nicht wettbewerbsfähig ist, also etwa auf Solarmodule oder E-Ladesäulen.
Dieser Vorschlag geht implizit davon aus, dass der eigentliche Erfolg Chinas – angesichts der mageren Gewinnmargen seiner Unternehmen – nicht das riesige Wachstum beim Export erneuerbarer Energien ist, sondern die Versorgung der eigenen Industrie mit billiger Energie. Die wahren Nutznießer des Wandels in China sind also nicht die Green-Tech-Unternehmen selbst, sondern Produzenten, die dank der neuen Technologien billigen Strom beziehen.
Vor diesem Hintergrund könnte Europa mit massiven Käufen chinesischer Technologien den ökologischen Wandel beschleunigen, die Energiekosten senken und die europäische Industrie wieder konkurrenzfähiger machen. Damit könnte man auch die Abhängigkeit des Alten Kontinents vom Rest der Welt verringern.
Aber wäre nicht denkbar, dass China „den Hahn zudreht“, um widerspenstige Partner zu bestrafen? Die Gefahr ist eher gering. Denn zum einen haben Solar- und Windkraftanlagen eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten. Und zum anderen wird der produzierte Strom nicht aus Peking geliefert, sondern mit heimischer Sonnen- oder Windenergie erzeugt.
Die EU kann das Rennen um die Spitzentechnologie zur Erzeugung erneuerbarer Energien nicht mehr gewinnen. Sie kann aber versuchen, den durch die Energiewende ausgelösten Industriekrieg wenigstens nicht zu verlieren. Sie kann zeitweilig auf billige chinesische Produkte setzen und einen Aufholprozess starten, indem sie sich auf Investitionen in neue Technologien und in die eigene Infrastruktur konzentriert. Doch in Brüssel zieht man es immer noch vor, auf die transatlantische Karte zu setzen. Und einen dreimal höheren Strompreis zu zahlen, um sich bei Trump anzubiedern.
8 Vikram Singh, „Powering up the Global South“, Rocky Mountain Institute, Basalt, Oktober 2024.
Aus dem Französischen von Markus Greiß
Arnaud Bertrand ist geopolitischer Analyst und Unternehmer.
Energiegigant China
Windkraft China verfügte Ende 2024 über eine installierte Leistung von etwa 500 Gigawatt (ein Großteil sind On-Shore-Anlagen), was knapp der Hälfte der weltweiten Kapazität entspricht.
Atomenergie Aktuell befinden sich 30 Atomkraftwerke im Bau, gegenüber zwei in der Europäischen Union. In den USA ist derzeit kein AKW im Bau, doch nach einem Dekret der Trump-Administration soll bis 2030 der Bau von zehn Kraftwerken beginnen.
Wasserkraft China hat das weltweit größte Potenzial an Wasserkraft, die fast ein Fünftel der Strommenge erzeugt. In Tibet entsteht der größte Staudamm mit einer Leistung von 60 Gigawatt.
Stromübertragung China verfügt über 41 Ultrahochspannungsleitungen (mit 800 bis 1100 Kilovolt Gleichstrom), die längste verläuft über 3200 Kilometer von der Wüste in Xinjiang bis zu den Küstenprovinzen im Osten. Zum Vergleich: Die längste europäische Stromleitung, NordLink, verbindet Norwegen und Deutschland über eine Distanz von 623 Kilometern und ist auf 525 Kilovolt ausgelegt. Die USA betreiben einige 765-Kilovolt-Leitungen mit einer Gesamtlänge von etwa 3200 Kilometern.


