Die fünfte Siegermacht
Die Rolle Chinas im Zweiten Weltkrieg und der Beitrag der Kommunisten zum Sieg über Japan
von Julia Haes und Klaus Mühlhahn

Am Ende des Zweiten Weltkriegs bestritt niemand in Europa den entscheidenden Beitrag der Sowjetunion zum Sieg über den Nationalsozialismus. Heute, nach Jahrzehnten der Geschichtsvergessenheit, glauben viele Menschen, die USA hätten den Alten Kontinent im Alleingang gerettet. Ähnliches ist in Bezug auf den Beitrag Chinas zu beobachten.
Als in Peking der 80. Jahrestag des chinesischen Sieges über Japan begangen wurde, nahmen westliche Medien die Gelegenheit war, um Analysen zu präsentieren oder aufzugreifen, in denen die Rolle der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im Zweiten Weltkrieg heruntergespielt wurde.
So äußerte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas am 3. September ihr Erstaunen über eine russische Stimme, die Moskau und Peking als „gemeinsame“ Siegermächte von 1945 benannte. „Das ist ja etwas ganz Neues“, kommentierte sie.1

Wer wie Kallas argumentiert, setzt die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Denn China machte, wie die Historikerin Rana Mitter resümiert, nicht nur „furchtbare“ Kriegsleiden durch, sondern auch über längere Zeit als alle alliierten Mächte: Hier begann der Krieg bereits im Juli 1937 mit dem Einfall der Japaner im Norden Chinas. Acht lange Jahre leistete China – damals ein armes und unterentwickeltes Land – erbitterten militärischen Widerstand. Bei Kriegsende im September 1945 verzeichnete China 20 Millionen Todesopfer und an die 100 Millionen Vertriebene.
Eine andere Lesart über die Rolle Chinas im Zweiten Weltkrieg präsentierte der französische Journalist Pierre Haski ebenfalls am 3. September auf France Inter: China habe zwar durchaus gekämpft, aber „die meisten seriösen Historiker“ seien sich einig, „dass die Kommunisten im Krieg gegen Japan ihre Kräfte schonten und Chiang Kai-sheks nationalistische Armee an vorderster Front kämpfte“. Die Kommunisten hätten sich also während des Krieges tatsächlich auf die späteren Kämpfe vorbereitet, sprich: „auf den Bürgerkrieg, der auf die japanische Kapitulation folgte und mit Maos Sieg und der Ausrufung der Volksrepublik am 1. Oktober 1949 endete“.
Derselben Argumentation folgte am 5. September auch Steve Bannon, ehemaliger Berater von US-Präsident Donald Trump, in einer Rede auf der National Conservatism Conference. Die KPCh, so Bannon, wolle sich lediglich den Anschein einer Siegermacht im Zweiten Weltkrieg geben; tatsächlich habe sie vor allem die Nationalisten bekämpft, um nach Kriegsende selbst Macht und Land zu übernehmen.2
Als Beleg für dieses Narrativ wird meist angeführt, dass die kommunistischen Streitkräfte von 1937 bis 1945 von rund 40 000 auf über 900 000 Soldaten anwuchsen. Für diese Entwicklung könne es nur eine Erklärung geben: Diese Truppenstärke sei nur erreicht worden, weil die Partei sich vor den Kämpfen gedrückt habe. Diese Darstellung passt zwar denen ins Konzept, die die Machtübernahme der KPCh mit ihrem Opportunismus und nicht mit ihrem Rückhalt in der Bevölkerung erklären, kann sich aber nicht auf historische Fakten stützen.
Das China, das den Zweiten Sino-Japanischen Krieg führte, war ein tief gespaltenes Land. Die Nationale Volkspartei Chinas (Kuomintang, kurz KMT) hatte beim Wiederaufbau des Landes nach dem erfolgreichen Feldzug von 1928 gegen eine Allianz regionaler Kriegsherren im Norden bedeutende Fortschritte erzielt. Sie stand sogar kurz davor, ihren inneren Hauptgegner – die KPCh – zu zerschlagen, als japanische Truppen 1931 in die Mandschurei in Nordchina einfielen.
Damals wurde innerhalb der Regierung wie in der Bevölkerung der Ruf nach einem breiten nationalen Schulterschluss immer lauter. Der KMT-Führer Chiang Kai-shek reagierte zögerlich, weil er den Kommunismus für bedrohlicher hielt als das japanische Kaiserreich. Erst als er im Dezember 1936 von seinen eigenen Generälen entführt wurde, war er bereit, den Kampf gegen die KPCh einzustellen und der Einheitsfront beizutreten.
Damit war das Land – zumindest formell – geeint für einen Krieg zur Verteidigung des eigenen Territoriums. Es begann ein langer und erbitterter Abwehrkrieg, der ungeheure Opfer forderte. Die schweren Verluste und die großflächige Zerstörung machten die vor dem Krieg erzielten wirtschaftlichen Fortschritte zum großen Teil zunichte. Während der ersten Kriegsjahre bekam China sehr wenig Hilfe von außen. Eine Ausnahme war die Sowjetunion, die das Land mit Beratern, Geld, Ausrüstung und Munition unterstützte.
In der Anfangsphase eroberte Japan große Teile der ostchinesischen Küste, so dass die Regierung Ende 1937 nach Chongqing ausweichen musste. Die Unterstützung durch die Sowjetunion nahm immer weiter ab und brach mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt 1939 schließlich ganz weg. Eine Niederlage schien nur noch eine Frage der Zeit. Dennoch leistete China erbitterten Widerstand und der japanische Vormarsch kam zum Stillstand.
Wer wie Bannon und Haski behauptet, die KPCh habe das Kämpfen der Kuomintang überlassen, verkennt die Dynamik dieser Allianz und die strategische Arbeitsteilung, die sich daraus ergab. Die KMT hatte als die anerkannte Regierung Chinas die oberste Führung des konventionellen Krieges inne und trug die Hauptlast bei den Kämpfen um Großstädte wie Shanghai, Nanjing oder Wuhan. Aber die KPCh übernahm eine komplementäre Rolle, insbesondere in den riesigen Weiten Nordchinas, in denen traditionelle Armeen nur schwer operieren konnten.
Der Krieg gegen Japan war vor allem ein „Volkskrieg“, für den die Landbevölkerung mobilisiert werden musste. Und darin war die KPCh sehr viel besser als die Kuomintang, weil sie Agrarreformen vorantrieb und die bäuerliche Bevölkerung organisierte. Auf dieser Basis konnten ihre Kämpfer hinter den japanischen Linien „befreite Gebiete“ schaffen und weiter ausbauen.
Allein die Achte Marscharmee, die in Nordchina operierte, war bis 1940 auf 400 000 Soldaten angewachsen. Die wachsende Macht der KPCh beruhte darauf, dass sie mit ihrem Widerstandskampf immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung gewann – und nicht etwa auf mangelnder Kampfbereitschaft.
Die „befreiten Gebiete“ erfüllten diverse administrative und militärische Funktionen. Hier liefen die Informationen über die japanischen Truppenbewegungen zusammen, hier wurden neue Soldaten rekrutiert und ausgebildet und die kämpfenden Truppen mit Nachschub versorgt.
Um die Guerillaangriffe aus diesen Gebieten abzuwehren, mussten die Japaner einen beträchtlichen Teil ihrer militärischen Ressourcen abzweigen. Dieser Widerstand hinter den feindlichen Linien band mindestens 600 000 japanische Soldaten auf chinesischem Gebiet, die damit an anderen Kriegsschauplätzen fehlten.
Der militärische Beitrag der KPCh beschränkte sich nicht auf kleine Scharmützel oder passiven Widerstand. Die Achte Marscharmee und die Neue Vierte Armee vollführten die vielfältigsten Operationen, von Sabotageakten über Feindaufklärung bis zu regelrechten Feldzügen mit hunderttausenden Soldaten.
In der kommunistischen Führung war die Frage umstritten, ob man die eigenen Truppen im Kampf gegen die japanische Armee aufs Spiel setzen sollte. Doch solche Meinungsverschiedenheiten gab es auch innerhalb der Kuomintang: Beide Seiten gingen davon aus, dass es nach dem Sieg über Japan zu einem Bürgerkrieg kommen würde.
Dennoch beschloss die KPCh, ihre Angriffe fortzusetzen. Der vielleicht spektakulärste Beweis, wozu sie militärisch in der Lage war, war die am 20. August 1940 eingeleitete Hundert-Regimenter-Offensive.
Ziel dieses koordinierten Großangriffs mit 105 Regimentern und mehr als 400 000 Soldaten unter dem Befehl von General Peng Dehuai waren die von den Japanern kontrollierten Eisenbahnstrecken, Bergwerke und Befestigungsanlagen im gesamten Norden Chinas. Diese Kampagne sollte die Logistik der Japaner treffen und deren Kontrolle über die besetzten Gebiete schwächen. Tatsächlich wurden hunderte Kilometer Bahngleise, Brücken und Fernmeldeanlagen zerstört, was einen beträchtlichen taktischen Erfolg darstellte.
Für diese Offensive musste die KPCh zwar einen hohen Preis zahlen, weil die Japaner mit schweren Vergeltungsmaßnahmen reagierten und einige „befreite Gebiete“ verlorengingen. Aber der Beweis war erbracht, dass die KPCh in der Lage war, groß angelegte Militäroperationen durchzuführen.
Jenseits solcher Großoperationen erwies sich die Guerillataktik der KPCh im alltäglichen Kampf gegen die japanische Besatzung als höchst wirkungsvoll. Die kommunistischen Streitkräfte operierten in kleinen mobilen Einheiten, die die japanischen Nachschublinien attackierten, Patrouillen überfielen und allgemein die Kontrolle der Japaner über die besetzten Gebiete schwächten. Der permanente Druck zwang die japanische Armee, eine große Anzahl von Soldaten zum Schutz ihrer Garnisonen abzustellen, womit sie nicht anderweitig eingesetzt werden konnten.
Wie erfolgreich die Guerillataktik der KPCh war, bemisst sich nicht nur an ihren unmittelbaren Erfolgen, sondern auch an den langfristigen Auswirkungen auf Ressourcen und Kampfmoral der Japaner. Denn obwohl die kaiserlichen Streitkräfte nach herkömmlichen militärischen Maßstäben haushoch überlegen waren, gelang es ihnen nicht, die ländlichen Gebiete dauerhaft unter ihre Kontrolle zu bringen.
Selbst auf der Ebene des globalen Kriegsgeschehens war der von der KPCh geführte Guerillakampf keineswegs nebensächlich, sondern integraler Bestandteil des Kampfes. Mit jeder japanischen Division, die in China gebunden wurde, fehlte eine japanische Division im Pazifikkrieg gegen die US-Streitkräfte oder im Norden an der langen Grenze zur Sowjetunion. Ohne dieses Patt in China hätte der Zweite Weltkrieg womöglich einen anderen Verlauf genommen.
Die Behauptung, dass die KPCh den Krieg gegen Japan „ausgesessen“ habe, ist eine politisch motivierte Geschichtsverzerrung. Dass die KMT im Rahmen der konventionellen Kriegsführung die zentrale Rolle spielte, steht außer Zweifel. Aber für den Widerstand gegen die japanische Aggression insgesamt war der Beitrag der KPCh ebenso entscheidend.
Der Kampf Chinas innerhalb des Zweiten Weltkriegs machte auch die Kraft des Nationalismus deutlich, der Studierende, Soldaten und die breite Bevölkerung über die Parteigrenzen hinweg zusammenbrachte. Chiang Kai-shek ging aus dem Krieg mit Japan als anerkannter nationaler Anführer hervor. Doch auch die KPCh konnte sich eine dauerhafte Legitimität verschaffen. Dass die ehemals als „Banditen“ denunzierten Kommunisten in die patriotische Koalition aufgenommen wurden, hat die politische Landschaft Chinas von Grund auf verändert.
Dass im Westen das Narrativ vom taktischen „Kräfteschonen“ der chinesischen Kommunisten weiterlebt, macht eine allgemeinere Tendenz in der westlichen Erinnerungskultur sichtbar: das sture Bestreben, den Beitrag der nicht-westlichen Alliierten kleinzureden.
Diese Uminterpretation ist keine rein akademische Angelegenheit. Sie hat vielmehr konkrete Auswirkungen auf das aktuelle internationale Beziehungsgeflecht, insofern historische Narrative unsere Wahrnehmung der Gegenwart und damit politische Entscheidungen beeinflussen.
Eine nuancierte, historisch fundierte Sicht auf den Krieg ist entscheidend, um die Entstehung des modernen China und die geopolitischen Dynamiken des 21. Jahrhunderts zu verstehen. Die heterogene Koalition, die Nazideutschland und das japanische Kaiserreich besiegte, bestand aus Ländern, die lediglich durch die Konfrontation mit dem gemeinsamen Feind geeint waren. In China – damals eine der ärmsten Regionen der Erde – trugen alle an diesem Kampf Beteiligten eine unverhältnismäßig große Last.
Die Rolle der KPCh in diesem Krieg zu leugnen, heißt die Beteiligung eines Großteils des chinesischen Volkes an ihrem eigenen Widerstand zu leugnen.
Am Ende seines Beitrags auf France Inter zitiert Haski den Historiker Victor Louzon: „Die Kontrolle über die Geschichtsinterpretation ist für die chinesische Regierung schon immer eine zentrale Frage gewesen.“ Auch wenn Haskis Analyse dies nicht belegt, macht sie deutlich, wie sehr auch in Frankreich und anderswo um Deutungshoheit gerungen wird.
2 „Steve Bannon: Getting America First Done“, Youtube, 8. September 2025.
Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld
Julia Haes ist Gründerin des China-Instituts für die deutsche Wirtschaft (CIDW). Klaus Mühlhahn ist Professor für moderne chinesische Geschichte an der Freien Universität Berlin und Autor des Buches „Geschichte des Modernen China: Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart“, das bei C.H. Beck erschienen ist.


