Côte d’Ivoire – Frankreichs letzte Bastion in Afrika
Präsident Ouattara pflegt engste Beziehungen nach Paris. Nun strebt er eine vierte Amtszeit an
von Fanny Pigeaud

Am 16. Juli empfing der französische Präsident Emmanuel Macron seinen ivorischen Amtskollegen Alassane Ouattara im Élysée-Palast, offiziell zu einem einfachen Arbeitsessen. In Côte d’Ivoire wurde das Treffen allerdings mit Misstrauen betrachtet, denn der 83-jährige Ouattara hielt sich drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen noch immer bedeckt, was eine erneute Kandidatur betraf. Er hat bereits drei Amtszeiten hinter sich, obwohl die Verfassung nur zwei zulässt.
Erst nach seiner Rückkehr gab der Staatschef bekannt: Er wird erneut antreten. Hat Macron grünes Licht für eine umstrittene vierte Amtszeit gegeben? Während Mali, Burkina Faso und Niger mit Frankreich gebrochen haben1 – Soldaten, Diplomaten und Journalisten wurden ausgewiesen – und Senegal auf Distanz geht, unterhält Côte d’Ivoire weiterhin enge Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht.
2010 hatte es noch etwas anders ausgesehen: Präsident Laurent Gbagbo war bei den Wahlen vom Verfassungsrat zum Sieger erklärt worden, doch die meisten afrikanischen und westlichen Staats- und Regierungschefs, allen voran der französische, erkannten – nach deutlichen Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen – seinen Gegner Ouattara als legitimen Staatschef an.
Es kam zu Kämpfen zwischen Gbagbo-treuen Truppen und denen des Oppositionsführers, der diskret von im Land stationierten französischen Militärs unterstützt wurde. Der Konflikt endete mit einer vom UN-Sicherheitsrat genehmigten Militärintervention.2 Die französische Licorne-Truppe beschoss mehrere Nächte die Präsidentenresidenz, in der sich Gbagbo aufhielt. Am 11. April 2011 wurde er verhaftet, Ouattara als Staatsoberhaupt eingesetzt.
Mittlerweile sind die Spuren der Kämpfe verschwunden. In Abidjan, der Wirtschaftsmetropole des Landes, sind französische Handelsketten wie Auchan, Carrefour und Décathlon präsent, der Bouygues-Konzern baut dort die erste U-Bahn-Linie der Küstenstadt.
Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 waren französische Unternehmen noch nie so stark im Land vertreten wie heute: Nach Zahlen des ivorischen Schatzamts sind es mehr als 1000 (gegenüber 600 im Jahr 2011), davon rund 300 Tochtergesellschaften oder Niederlassungen französischer Firmen und 700 nach ivorischem Recht gegründete, aber von Franzosen geführte Unternehmen. Sie sind in Sektoren wie Bauwesen, Telekommunikation und Handel aktiv und erwirtschaften schätzungsweise 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Drei Flugverbindungen täglich zwischen Paris und Abidjan zeugen von der Intensität der Beziehungen.
Französische Konzerne profitieren von den rund 7 Prozent Wirtschaftswachstum in Côte d’Ivoire. Die Regierung erklärt diesen Erfolg mit der politischen „Normalisierung“ und den Ansätzen zur nationalen Versöhnung nach 2011.3 „Côte d’Ivoire befindet sich auf einem Kurs der Stabilität und Entwicklung“, erklärt Landwirtschaftsminister Kobenan Kouassi Adjoumani, der zugleich Sprecher der Regierungspartei RHDP ist.
Die Wirtschaft hängt stark von der Rohstoffproduktion ab. Das Land ist der weltweit größte Produzent von Kakao und Cashewnüssen und verfügt über Öl-, Gas- und Mineralvorkommen. Mit seinen 29 Millionen Einwohnern, von denen 70 Prozent jünger als 35 Jahre sind, setzt es aber auch auf Branchen wie FinTech, wo seine extrem internetaffine Jugend besondere Stärken hat. Das wirkt sich nicht immer positiv aus: Côte d’Ivoire ist zu einem der weltweit aktivsten Zentren für netzbasierte Erpressung und Betrug wie „Sextortion“ und „Love Scams“ geworden.
Côte d’Ivoire hat sich als zweitgrößte Wirtschaftsmacht Westafrikas hinter Nigeria etabliert. In der Innenstadt von Abidjan gibt es zahlreiche Anzeichen für diesen Aufstieg. Autobahnkreuze, Neubauten und elegante Brücken prägen das Stadtbild. Ein 75-stöckiger Glasturm wird bald zu den höchsten Wolkenkratzern Afrikas zählen. Ausländische Investoren zeigen sich interessiert – insbesondere China, der inzwischen wichtigste Handelspartner des Landes.
Peking realisiert ein Großprojekt nach dem anderen: Straßen, Wohnungen, Industriegebiete. Türkische Unternehmen sind im Bauwesen tätig, im Finanzsektor dominieren marokkanische Banken. Die marokkanische Gruppe Sintram baut aber auch die Autobahn, die die politische Hauptstadt Yamoussoukro mit dem landwirtschaftlichen Departement Tiébissou verbindet. Investoren aus Indien, Russland und den Golfstaaten ziehen langsam nach.

Französisches Konsortium baut die Metro von Abidjan
Trotz dieser Konkurrenz hält Frankreich nach wie vor den größten Bestand an Auslandsinvestitionen, zudem ist Côte d’Ivoire in Subsahara-Afrika der zweitgrößte Abnehmer von französischen Exportwaren. Diese Stellung verdankt Frankreich dem großen Wohlwollen der ivorischen Regierung. Mit vorteilhaften bilateralen Steuerabkommen und viel „Willen zur gemeinsamen Entwicklung“ rollt diese den französischen Unternehmen den roten Teppich aus.4
Und wenn nötig, greift Paris den französischen Firmen unter die Arme. So ging der Auftrag für den Bau der U-Bahn von Abidjan, der zunächst an ein südkoreanisches Konsortium vergeben worden war, schließlich an die französischen Konzerne Alstom, Bouygues und Keolis. Zuvor hatte Frankreich Côte d’Ivoire ein Darlehen gewährt, das an die Bedingung geknüpft war, dass von den gigantischen Aufträgen mit einem Volumen von 1,36 Milliarden Euro französische Unternehmen profitierten.
Die erhalten auch Unterstützung aus alten Netzwerken: Jean-Marc Simon, von 2009 bis 2012 französischer Botschafter in Abidjan, ist heute Unternehmensberater und fungiert gleichzeitig als inoffizieller Berater für Ouattara. Auch Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der Ouattara schon lange freundschaftlich verbunden ist, spielt dabei eine wichtige Rolle. Als Initiator der Militärintervention von 2011 stattete er Abidjan häufig Besuche ab.
So begleitete er zum Beispiel 2022 Cyrille Bolloré, Chef des gleichnamigen Mischkonzerns, zu einem persönlichen Gespräch mit Ouattara. Er nahm auch an den Galas der Stiftung Children of Africa teil, deren Vorsitzende Ouattaras französische Gattin Dominique ist. Bei diesen glamourösen Abendveranstaltungen rund um Philanthropie und Geschäfte kommt die Crème de la Crème der französischen und ivorischen Gesellschaft zusammen, von den Familien Bouygues und Bolloré bis zu Stars des französischen Kinos.
Auch im militärischen Bereich hat Frankreich – das inzwischen aus Mali, Burkina Faso, Niger, Senegal und Tschad abziehen musste – in Côte d’Ivoire seinen Einfluss behalten. Zwar hat Paris im Februar seine Truppen auf dem Militärstützpunkt in Port-Bouët reduziert: Bis Ende 2023 waren dort rund 1000 Soldaten stationiert. Aber es unterhält dort weiterhin eine diskrete Präsenz mit etwa 80 Militärangehörigen.
Zudem spielte die französische Armee nach dem Krieg von 2011 eine zentrale Rolle bei der Ausbildung der ivorischen Streitkräfte. Frankreich leistet darüber hinaus nachrichtendienstliche Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus an der Grenze zu Burkina Faso und leitet gemeinsam mit seinen afrikanischen Partnern die 2021 eröffnete Akademie für Terrorismusbekämpfung in Jacqueville.
Die ivorische Regierung dient als Brückenkopf des französischen Einflusses in Afrika – auch auf die Gefahr hin, ihre Nachbarn zu verärgern. So empfing Ouattara 2019 Macron, der – ohne Absprache mit den sieben anderen betroffenen afrikanischen Staatschefs – überraschend eine Reform der westafrikanischen Gemeinschaftswährung CFA-Franc ankündigte.5 Und 2022 führte Côte d’Ivoire das Lager der Befürworter einer Wirtschaftsblockade gegen Mali an, das von einer frankreichfeindlichen Militärjunta regiert wird. Im Jahr darauf war Ouattara dann der Erste, der die Entsendung eines Bataillons nach Niger vorschlug, um den durch einen Staatsstreich gestürzten Mohamed Bazoum – auch er ein Freund Frankreichs – wieder an die Macht zu bringen. Das Projekt scheiterte allerdings.
Ouattara, einst in führender Position beim Internationalen Währungsfonds (IWF) tätig, besitzt eine Wohnung in der vornehmen Avenue Victor Hugo in Paris sowie eine Villa an der Côte d’Azur. Er besucht Frankreich häufig, dieses Jahr zwischen Januar und August nach offiziellen Angaben bereits fünfmal.
Alles erinnert an die goldenen Zeiten der französisch-ivorischen Partnerschaft von 1960 bis 1980. Damals verzeichnete das gerade unabhängig gewordene Côte d’Ivoire ein solides Wirtschaftswachstum, von dem vor allem französische Unternehmen profitierten. Die ehemalige Kolonialmacht setzte beträchtliche Mittel ein, um diese so strategische wie lukrative Beziehung weiter zu pflegen. Erschüttert wurde sie 1993 durch den Tod des ersten ivorischen Präsidenten Félix Houphouët-Boigny, der in den 1940er und 1950er Jahren Abgeordneter und Minister in Paris gewesen war und zeitlebens ein Freund Frankreichs blieb.
Nach einem Konflikt um dessen Nachfolge verfolgte Präsident Gbagbo (2000–2010) eine von Frankreich unabhängigere Wirtschaftspolitik. 2002 scheiterte ein Putschversuch ehemaliger ivorischer Militärs, die von Blaise Compaoré, dem damaligen Präsidenten von Burkina Faso und seinerseits engen Verbündeten Frankreichs, unterstützt worden waren. Die erfolglosen Putschisten gründeten daraufhin die „Forces nouvelles“, die die Kontrolle über die Nordhälfte des Landes erlangten.
Côte d’Ivoire blieb acht Jahre zweigeteilt, wobei eine UN-Friedenstruppe mit Unterstützung des französischen Militärs für einen relativen Frieden sorgte. Mehrfach warf Gbagbo Frankreich vor, die Rebellion zu unterstützen. Tatsächlich bekundete Sarkozy 2010 offen seine Unterstützung für Ouattara, der seinerseits von den Forces nouvelles unterstützt wurde.
Die seit 2011 wiederhergestellte französisch-ivorische Freundschaft ist allerdings kein Selbstläufer. Sie steht auf tönernen Füßen. Côte d’Ivoire zieht zwar Investoren an, aber die Verschuldung steigt in besorgniserregendem Tempo: von umgerechnet 9,15 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf mittlerweile 48,8 Milliarden Euro, was 56 Prozent des BIPs entspricht – und damit weit unter der französischen Schuldenquote liegt.
Allein der Bau einer neuen Brücke über die Lagune von Abidjan kostete 113 Milliarden CFA-Francs (172,3 Millionen Euro), gegenüber den ursprünglich veranschlagten 77 Milliarden. Die 36 Milliarden an Mehrkosten seien der Gegenwert von 350 Gesundheitszentren, moniert die Demokratische Partei von Côte d’Ivoire (PDCI), die früher mit Ouattara verbündet war und inzwischen in die Opposition gegangen ist.
Das Hauptproblem ist, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung vom Wirtschaftswachstum profitiert. „Fünf Prozent der Unternehmen, hauptsächlich multinationale Konzerne, erwirtschaften 80 Prozent des nationalen Wohlstands“, erklärt Stanislas Zézé, Gründer der ivorischen Ratingagentur Bloomfield Investment. „Die restlichen 95 Prozent, überwiegend kleine und mittlere Unternehmen, erwirtschaften nur 20 Prozent des BIPs.“ Der Großteil der Gewinne der ausländischen Konzerne fließt ins Ausland.
Folglich wächst die Ungleichheit, insbesondere in Abidjan, wo fast 70 Prozent der Wirtschaftstätigkeit konzentriert ist. Im vergangenen Jahr wurden in vielen Stadtteilen rücksichtslos Sanierungsmaßnahmen durchgeführt, meist um Platz für Immobilienprojekte oder den U-Bahn-Bau zu schaffen. Zehntausende Menschen verloren ihr Zuhause, manchmal von einem Tag auf den anderen.
So wie der 44-jährige Guillaume Ballé, Landwirt in Gesco am Rand der Wirtschaftsmetropole: Im Februar 2024 kamen Bulldozer ohne Vorwarnung zu seinem Hof. Schweineställe, Fischteiche, Zäune, Vieh – innerhalb weniger Stunden war alles zerstört. Und er war nicht der Einzige. Am selben Ort wurden weitere 132 Bauern Opfer des großräumigen Abrisses, den die Kommunalbehörden mit Zustimmung der Regierung begonnen hatten. Dabei war die Ansiedlung der Menschen dort bekannt, sie wurde toleriert und überwacht, ein staatliches Unternehmen hatte ihnen das Land für die landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung gestellt.
Ballé hatte fünf Jahre in Nordafrika gearbeitet, um sein Startkapital von 14,8 Millionen CFA-Francs (22 700 Euro) zusammenzubringen. Fünf Leuten verschaffte er damit Arbeit. Heute ist er mittellos, kann seinen Kindern kein Dach über dem Kopf bieten und ihre Schulausbildung nicht bezahlen. „Ich muss ganz von vorn beginnen, aber ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, klagt Ballé. „Anstatt uns zu unterstützen, haben die Behörden unsere Arbeit zerstört. Sie haben keine Alternative angeboten.“ Warum er und die anderen Bauern vertrieben wurden, weiß er nicht. Das Land, das sie bewohnten, liegt seitdem brach.
Die Schwierigkeiten, mit denen viele Ivorer zu kämpfen haben, zeigen sich an verschiedenen sozialen Indikatoren: 2021 lebten 37,5 Prozent unterhalb der Armutsgrenze, das heißt mit weniger als 20 000 CFA-Francs (rund 30 Euro) pro Monat. Tatsächlich empfänden sich über 70 Prozent als arm, so Zézé. Zwar liegt der Mindestlohn bei 75 000 CFA-Francs (etwa 114 Euro), und die offizielle Arbeitslosenquote ist mit rund 2 Prozent ausgesprochen niedrig. Doch dahinter verbirgt sich eine weit verbreitete Prekarität: Mehr als 70 Prozent der Erwerbstätigen leben von informellen Gelegenheitsjobs ohne jegliche soziale Absicherung.
Und auch die Bauern bleiben in Côte d’Ivoire, dem größten Kakaoproduzenten der Welt, in Armut gefangen. Einige Produzenten verkaufen ihre Ernte lieber in Liberia, wo sie mehr dafür bekommen. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt für Männer bei 60, für Frauen bei 64 Jahren und damit unter der anderer Länder südlich der Sahara.
Zugleich gewährt der Staat der herrschenden Elite kaum zu rechtfertigende Privilegien. Im Frühjahr 2025 wurde ein Abkommen zwischen fünf großen ivorischen Institutionen, darunter Senat und Nationalversammlung, und der französischen Fluggesellschaft Corsair bekannt und sorgte für einen Skandal. Es legte fest, dass Amtsträger und ihre Familien für private Reisen ermäßigte Flugtickets erhielten. Zudem wurden ihnen Vorzugspreise in der Luxusklinik American Hospital of Paris eingeräumt.
„Die Bevölkerung hinterfragt immer offener ein Wachstum, das ihr wenig oder gar keinen Nutzen zu bringen scheint“, schrieben die Botschafter der EU in Côte d’Ivoire bereits 2018 in einer gemeinsamen vertraulichen Mitteilung. „Und deshalb tolerieren sie die finanziellen Vergünstigungen, von denen die Mächtigen profitieren, immer weniger.“ Die ivorische Gesellschaft sei „zunehmend von einer spürbaren Unzufriedenheit geprägt“, auch im Norden des Landes, der aus historischen Gründen der aktuellen Regierung nahesteht.
In diesem Landesteil ist die Enttäuschung umso größer, als die Hoffnungen bei der Amtsübernahme von Ouattara riesig waren, erklärt Issa Malick Coulibaly, Arzt und Funktionär der Partei der afrikanischen Völker (PPA-CI). „Der Norden hat zu den Waffen gegriffen und viele seiner Söhne verloren, um Ouattara an die Macht zu bringen, weil der versprochen hatte, für die Entwicklung dieser Region zu sorgen. Aber es gab keinerlei Verbesserungen.“ Laut offiziellen Statistiken bleibt der Norden die ärmste Region des Landes. Die soziale Kluft vergrößert sich sogar durch Ouattaras Politik des „Aufholens“, die Führungskräfte aus dem Norden begünstigt, aber den sozialen Aufstieg für andere verhindert.
Hinzu kommt das Schweigen der Justiz. Es wurde nichts unternommen, um die zwischen 2002 und 2011 begangenen Verbrechen zu ahnden, insbesondere die der Forces nouvelles im Dienst von Ouattara. Gbagbo und seine Weggefährten wurden hingegen sehr wohl strafrechtlich verfolgt. „Es gibt viel Frustration. Zu viele Opfer haben nie eine Wiedergutmachung erhalten. Die Wunden sind immer noch offen“, meint ein ivorischer Analyst, der anonym bleiben möchte.
Ouattaras „ivorisches Entwicklungsmodell“ geht zudem mit einer Einschränkung bürgerlicher Freiheiten einher – die, wie im Jahr 2020, durchaus brutal sein kann. Damals stellte sich der Präsident unter Berufung auf eine umstrittene Auslegung der Verfassung zur Wiederwahl und die darauffolgende Protestwelle wurde blutig niedergeschlagen. Es gab 85 Tote und hunderte Verhaftungen. Ouattara wurde mit 94 Prozent der Stimmen wiedergewählt.
Von den kommenden Präsidentschaftswahlen am 26. Oktober 2025 wurden die wichtigsten Oppositionspolitiker – Gbagbo und der Liberale Tidjane Thiam – ausgeschlossen: Gbagbo, der 2021 nach einem Freispruch durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in sein Land zurückkehrt war, durfte wegen einer umstrittenen Verurteilung in Côte d’Ivoire nicht kandidieren, für die er jedoch begnadigt worden war. Und Thiam, Vorsitzender der PDCI, weil er seine französische Staatsbürgerschaft zu spät aufgegeben habe.
Mehrere Aktivisten wurden wegen ihres Engagements festgenommen. Im Land soll es mehr als 100 politische Gefangene geben, unter ihnen zwei Führungskräfte der PPA-CI, die im August inhaftiert wurden: der ehemalige Minister Moïse Lida Kouassi und der frühere Botschafter Boubacar Koné. Beide sind über 70 Jahre alt.
Kandidatur mit Macrons Segen
Gewerkschaften, Verbände und Bürgerbewegungen stehen unter Beobachtung, werden infiltriert, schikaniert, neutralisiert. „Die Machthaber kontrollieren alles. Wenn die Zivilgesellschaft zu einer Demo aufruft, organisieren sie eine Gegendemonstration“, sagt Hervey Delmas Kokou, Direktor der ivorischen Sektion von Amnesty International. „Das Ergebnis ist, dass sich niemand mehr rührt. Es herrscht Angst. Nur die katholische Kirche wagt es noch, sich zu äußern.“
Die Menschenrechtsaktivistin Pulchérie Gbalet saß von August 2020 bis April 2021 in Haft, weil sie zu Demonstrationen gegen Ouattaras dritte Amtszeit aufgerufen hatte, und noch einmal für fünf Monate ab August 2022 aufgrund unklarer Anschuldigungen. Der Lehrer und Gewerkschaftsführer Ghislain Assy Dugarry wurde im April dieses Jahres mitten in der Nacht in seinem Haus festgenommen, nachdem er einen offiziellen Streik angekündigt hatte.
Er wurde wegen Verstoßes gegen das Koalitionsverbot für Beamte zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt, später jedoch wieder freigelassen. Die unabhängigen Gewerkschaften sind geschwächt und werden zunehmend durch Marionettenorganisationen ersetzt, die den Anweisungen der Regierung oder der Arbeitgeber folgen.
In diesem explosiven sozialen und politischen Umfeld ist es kein Wunder, dass der Schulterschluss mit Paris zum Streitthema wurde. Die politische Elite hält in der Mehrheit an dieser historischen Beziehung fest. Die jüngere Generation teilt diese Verbundenheit jedoch nur noch bedingt. „Die Emanzipation Côte d’Ivoires von Frankreich ist unausweichlich“, meint ein 30-Jähriger, der in Frankreich studiert hat. Das französische Schweigen zum autoritären Gebaren der Regierung wird als Komplizenschaft wahrgenommen.
„Die Regierungspartei tritt zusammen und bittet den Staatschef, ihr Kandidat zu sein, aber der Staatschef antwortet nur: ‚Ich habe verstanden, ich werde darüber nachdenken.‘ Und steigt ins Flugzeug und fliegt nach Frankreich“, spottete Gbagbo in einer Rede vor seinen Anhängern im August. „Und als er nach Abidjan zurückkommt, erklärt er uns: ‚Ich werde kandidieren.‘ Hat er also im Élysée-Palast nachgedacht?“ Gbagbos Partei, die PPA-CI, warnte kurz darauf die französische Regierung vor jeglicher Unterstützung einer „verfassungswidrigen vierten Amtszeit“.
Bereits 2020 hatte Ouattara öffentlich versichert: „Côte d’Ivoire ist ein souveränes Land. Hört auf zu glauben, dass die Entscheidungen in Paris oder in New York getroffen werden. Sie werden hier getroffen, von den Ivorern.“ Fünf Jahre später beteuert der regierungsfreundliche Kolumnist Arthur Banga im Fernsehsender NCI: „Die Kolonialisierung ist vorbei. Macron kann Ouattara nichts vorschreiben.“
Offiziell ist die französische Regierung neutral. Frankreichs Außenminister Barrot sprach vor der Nationalversammlung von einem „Dialog mit allen politischen Kräften“ und „Wachsamkeit“, „ohne Einmischung, ohne Gleichgültigkeit“.6 Einen Monat später gab es den nächsten Skandal: Bei einer offiziellen Zeremonie in Abidjan erschien der französische Botschafter Jean-Christophe Belliard mit dem Konterfei von Präsidentengattin Dominique Ouattara am Hemd.
Zweifel an der Neutralität Frankreichs sind durchaus angebracht, hatte Macron 2021 doch eine Einmischung in die Präsidentschaftswahl von 2020 zugegeben. Er habe Ouattara von einer dritten Amtszeit abgeraten, und man habe „zwei Jahre lang daran gearbeitet, einen Machtwechsel zu erreichen“.7 Nach dem vorzeitigen Tod seines Wunschkandidaten Amadou Gon Coulibaly gab er dann doch der erneuten Kandidatur Ouattaras seinen Segen.
Die Nähe Ouattaras zu Paris schwächt nicht nur seine Legitimität, sie isoliert ihn auch innerhalb Westafrikas, wo er sich für Sanktionen gegen die Konföderation der Sahelstaaten (Burkina Faso, Mali, Niger) starkmachte. Die drei betroffenen Militärregime brachte das nicht zum Einlenken. Aber in einer Region, in der Frankreich zum Feindbild geworden ist, könnte Ouattaras Politik zu Vergeltungsmaßnahmen gegen Côte d’Ivoire führen.
Derzeit bremsen die Angst und das Fehlen einer geeinten Opposition die Mobilisierung der Bevölkerung gegen Ouattaras Regierung. Die Gefahr eines Staatsstreichs, wie in den Nachbarländern, scheint gering. Ouattara hat den Sicherheitsapparat fest im Griff. Es ist ihm gelungen, die Soldaten der regulären Armee, die unter Gbagbo gedient hatten, kaltzustellen und die Meutereien von ehemaligen Mitgliedern der Forces nouvelles zu beenden.
Für Frankreich geht es bei all dem um mehr als nur um den Einfluss in einem Land. „Côte d’Ivoire ist nicht nur die letzte Säule Frankreichs in Westafrika, sondern auch seine letzte Bastion im gesamten frankofonen Afrika. Wenn sie fällt, wird es einen Dominoeffekt geben“, meint Ahoua Don Mello. Er ist abtrünniges Mitglied der PPA-CI, Vertreter Zentral- und Westafrikas bei den Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und tritt bei den Präsidentschaftswahlen als unabhängiger Kandidat an. Im Falle seiner Wahl werde er als Erstes „die Kooperations- und Verteidigungsabkommen mit Frankreich kündigen“.
Andere Mächte scheinen diese Dynamik erkannt zu haben. Die USA, die unlängst die Erlaubnis zur Errichtung einer Drohnenbasis auf ivorischem Boden erhielten, „haben verstanden, dass ein Teil der Bevölkerung nach mehr Emanzipation strebt. Im Gegensatz zu seinem französischen Amtskollegen steht der US-Botschafter im Dialog mit allen Akteuren“, berichtet eine Quelle aus dem diplomatischen Dienst.
Mittelfristig wird die französische Regierung ihren Einfluss auf Côte d’Ivoire schwerlich aufrechterhalten können. „Wenn Frankreich glaubt, es sei eine gute wirtschaftspolitische Strategie, die Chinesen oder Russen zu verteufeln, so wie derzeit, täuscht es sich. Alle sind doch aus den gleichen Gründen hier“, betont Stanislas Zézé von Bloomfield Investment. Paris müsse seine Beziehung zu Afrika überdenken: „Die afrikanischen Gesellschaften werden immer jünger, und die junge Generation bricht mit den Mustern der Kolonialzeit. Ob es Frankreich passt oder nicht, der Wandel ist schon im Gange.“
1 Siehe Rémi Carayol, „Das Ende von Françafrique?“, LMd,Januar 2025.
2 Siehe Vladimir Cagnolari, „Der Fernsehkrieg in der Côte d’Ivoire“,LMd, Mai 2011.
3 Siehe Vladimir Cagnolari, „Misstrauen und Aufbruch“, LMd, Oktober 2015.
5 Siehe Fanny Pigeaud, „Wut auf Paris in Françafrique“, LMd, März 2020.
6 Siehe „France et Côte-d’Ivoire“,connectionivorienne.net, 23. Mai 2025.
7 Pascal Airault und Antoine Glaser, „Le Piège africain de Macron“, Paris (Fayard) 2021.
Aus dem Französischen von Nicola Liebert
Fanny Pigeaud ist Journalistin und zusammen mit Ndongo Samba Sylla Autorin von „L’arme invisible de la Françafrique. Une histoire du franc CFA“, Paris (La Découverte) 2024.


