11.09.2025

Städte im Wasserstress

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Städte im Wasserstress

In Mexiko-Stadt, New York, Jakarta und Tianjin fällt der Grundwasserspiegel – deshalb sinken sie seit Jahren immer weiter ab. In Küstenstädten steigt zudem das Risiko von Überflutungen.

von Toni Keppeler und Laura Nadolski

Gefährdete Idylle: die Kanäle von Xochimilco in Mexiko-Stadt MARCO UGARTE picture alliance/ap
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Am 26. August schüttete es wie aus Kübeln. Straßen wurden abgesperrt, manche standen bis zu einem Meter tief unter Wasser. Der Verkehr stand still. Die Bewohner von Mexiko-Stadt sind so etwas gewohnt. Juli und August sind die Monate der Überschwemmungen, selbst jetzt, da die Stadt seit über drei Jahren unter einer Dürre leidet und in vielen Stadtteilen das Trinkwasser rationiert ist. Aber wenn es dann einmal zu einem Wolkenbruch kommt, sind Überflutungen fast unumgänglich. Das liegt am Untergrund der Megastadt: Er ist so instabil, dass es zu Absenkungen und Brüchen kommt. In Abwasserleitungen, die einmal ein Gefälle hatten, müsste das Wasser heute bergauf fließen, und weil es das nicht kann, kommt es zu Rückstaus.

Auch das gegenteilige Phänomen kommt immer wieder vor: dass Wasser einfach verschwindet. In größerem Stil geschah das zuletzt in der Nacht zum 27. Januar 2017 in Xochimilco im Süden von Mexiko-Stadt. Ein Nachtwächter war der Erste, der es gehört hat: ein lautes Schlürfen und Gurgeln. „Es war, als habe man den Stöpsel aus einer gigantischen Badewanne gezogen“, erinnert sich Ángel Cristóbal, der tagsüber Touristen auf einem Floß durch die Kanäle im Feuchtgebiet von ­Xochimilco stakt. „Es war ein gewaltiger Strudel, der alles verschluckt hat.“

Auf dem Grund eines Kanals tat sich ein Loch auf, zwei mal drei Meter groß, darunter ein über einen Kilometer in die Tiefe reichender Schlund, der in einem fast leeren natürlichen Wasserspeicher endete. Darin war durch Wassermangel ein gewaltiger Unterdruck entstanden, und der hatte dort, wo es am wenigsten Bodenwiderstand gab, ein paar Quadratmeter Kanalgrund in die Tiefe gerissen. Sieben Stunden brauchten Arbeiter, um das Loch zu isolieren. In dieser Zeit sank in dem über 150 Kilometer langen Kanalsystem, das schon die Azteken angelegt hatten, der Wasserspiegel um einen halben Meter. Es dauerte fast ein Jahr, bis er wieder sein vorheriges Niveau erreichte.

Schon vorher hatte es immer wieder Löcher im Kanalsystem gegeben. Nur war keines so spektakulär wie das vom 27. Januar 2017. Und der Boden wird sich wieder auftun, nicht nur in Xochimilco.

Mexiko-Stadt ist auf unsicherem Grund gebaut. Dort, wo sich heute mehr als 20 Millionen Menschen drängen, war einst eine riesige Seenplatte, etwa doppelt so groß wie der Bodensee. Als die Spanier 1521 Tenochtitlán, die Hauptstadt der Azteken, erobert hatten, begannen sie diese Seen trockenzulegen. Das Feuchtgebiet von Xochimilco ist der kümmerliche Überrest der Seen von einst. Deshalb besteht der größte Teil des Untergrunds aus weichen und feuchten Tonerden, die von Schichten aus Sand und anderen Ablagerungen durchzogen sind. Zusammen können sie mehr als 50 Meter in die Tiefe reichen. Die Tonerden selbst nehmen kaum Wasser auf. Was versickert, sammelt sich in den Schichten dazwischen. Diese natürlichen Wasserspeicher halten nicht nur die Tonschichten feucht, sie können auch angebohrt werden, um Frischwasser zu gewinnen.

Zur einstigen Seenplatte gehörten auch Inseln aus hartem vulkanischem Basalt. Weil dieses Gestein viele kleine Gasblasen enthält, ist es porös. Wasser kann darin versickern und in tiefe unterirdische Speicher gelangen. Der Schlund von Xochimilco endete in einem solchen. Und schließlich gibt es noch Übergangszonen zwischen diesen beiden Typen von Untergrund.

Wenn mehr Grundwasser im Gebiet der ehemaligen Seen gefördert wird als im Boden versickert, werden die wasserführenden Ablagerungsschichten kompakter, die Tonschichten trocknen aus und schrumpfen. Der Wasserdruck im Untergrund nimmt ab, es entsteht Unterdruck. In der Folge gibt die Oberfläche nach und senkt sich.1

Tatsächlich wird in Mexiko-Stadt schon lange mehr Grundwasser entnommen als auf dem Weg der Versickerung wieder zurückkommt. Nur drei Viertel der bekannten unterirdischen Wasserspeicher werden auf natürliche Weise wieder aufgefüllt, ein Viertel trocknet langsam aus.2 Die Stadt sinkt ab.

Am schlimmsten war es im Zeitraum von 1947 bis 1957, als die Bevölkerungszahl explodierte und es noch Tiefbrunnen im Zentrum gab. In diesem Jahrzehnt sackte die Gegend rund um die Kathedrale um 29 Zentimeter pro Jahr ab. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist Mexiko-Stadt durchschnittlich 10 Meter gesunken, in einzelnen Vierteln sogar um über 13 Meter. Heute senken sich die Kathedrale und andere Areale im Zentrum noch immer um 10 Zentimetern pro Jahr. In Xochimilco, wo die meisten Tiefbrunnen gebohrt wurden, gibt es sogar Gebiete, die um bis zu 40 Zentimeter im Jahr absacken.4

In fast allen Megastädten der Welt gibt es dieses Phänomen. Die Hauptursache ist überall dieselbe: Es wird zu viel Grundwasser verbraucht. Wenn solche Metropolen an der Küste liegen, können wenige Zentimeter fatal sein. Steigende Meeresspiegel verstärken nämlich den Effekt der Absenkung. Genauso kann die natürliche sogenannte Sedimentkompaktion eine verstärkende Wirkung haben. Sie führt zu Absenkungen, wenn abgelagerte Sedimente im Untergrund durch das Eigengewicht der Stadt immer kompakter werden.

So sind in den vergangenen zehn Jahren Teile von New York um 3 Zentimeter abgesunken. Das klingt auf den ersten Blick vernachlässigbar. Aber New York leidet schon jetzt unter regelmäßigen Überflutungen und hat für viele Millionen US-Dollar entlang des East River ein fast vier Kilometer langes Hochwasserschutzsystem aus Dämmen und Schleusen errichtet, um wenigstens einen Teil der Infrastruktur vor Flutschäden zu schützen. Und doch sagen Klimatologen voraus, dass man in 50 Jahren Manhattan nur noch mit Booten wird befahren können.4

Die gesamte Ostküste der USA ist vom Phänomen des Absinkens betroffen. Meist sind es weniger als 10 Zentimeter pro Jahr, in Miami in Florida nur 1,5 Zentimeter. Aber auch die spielen eine Rolle. Mit dem Klimawandel steigt nicht nur der Meeresspiegel; tropische Stürme, die man früher fast nur in der Karibik und im Golf von Mexiko kannte, ziehen immer weiter nördlich durch. Sie bringen nicht nur enorme Regenmengen, sondern peitschen auch das Meer zu hohen Wellen auf, die dann die absinkenden Städte mit Sturmfluten bedrohen.

Ein gewaltiger Strudel, der alles verschluckte

Ähnliche Probleme wie New York, nur schon jetzt und viel dramatischer, hat Jakarta.5 Die an der Küste Javas liegende Hauptstadt Indonesiens ist Mittelpunkt einer Agglomeration mit über 30 Millionen Einwohnern. Jedes Jahr sackt sie um durchschnittlich 3 Zentimeter ab, in manchen Gegenden sind es bis zu 25 Zentimeter. Auch hier sind Brunnen, die die Grundwasserspeicher leeren, das Hauptproblem. Jakarta wurde auf sumpfigem Gelände gebaut.

Die Probleme ähneln denen von Mexiko-Stadt, nur dass Jakarta an der Küste liegt und schon heute rund 40 Prozent seiner Fläche unterhalb des Meeresspiegels liegen. Um das Meer aus der Stadt zu halten, wurde 2014 mit dem Bau einer Betonmauer entlang der Küste begonnen. Bis 2027 soll sie 46 Kilometer lang sein. Ein zweiter Schutzwall von 120 Kilometern Länge wurde von der Regierung bereits angekündigt. Die Hauptstadt soll nach Plänen der Regierung von Java ins Inland von Kalimantan verlegt werden.6

Auch in China gibt der Boden nach. Dortige Wissenschaftler haben gemessen, dass 16 Prozent aller Großstädte um mehr als 1 Zentimeter pro Jahr absinken.7 Bei fast der Hälfte sind es wenigstens 3 Millimeter. In Kombination mit dem steigenden Meeresspiegel könnte in hundert Jahren ein Viertel der Küstenstädte unterhalb des Meeresspiegels liegen. Die hauptsächliche Ursache des Absinkens ist übermäßiger Grundwasserverbrauch.

Der Effekt wird verstärkt durch das Gewicht von Gebäuden und von Infrastruktur wie Straßen oder Bahnlinien sowie durch menschliche Aktivitäten wie Ölbohrungen oder Kohleminen – eben durch alles, was Hohlräume im Untergrund hinterlässt. In Tianjin etwa, einer Industriemetropole mit 6,5 Mil­lio­nen Einwohnern südöstlich von Peking, mussten 2023 mehrere tausend Bewohner aus Hochhäusern evakuiert werden, weil die Straßen davor plötzlich auseinanderbrachen.

Die einzige Möglichkeit, das Absinken zu bremsen, besteht darin, den Verbrauch von Grundwasser einzuschränken. In Shanghai wurde dies schon verordnet, und die Stadt sinkt heute tatsächlich langsamer ab als die meisten anderen chinesischen Großstädte. In Japan wurden so Tokio und Osaka stabilisiert. Andernorts pumpt man Wasser in die leer getrunkenen unterirdischen Speicher, um den Boden da­rü­ber wieder stabil zu machen.

Aber in Mexiko-Stadt, das unter Trockenheit leidet, lässt sich die Entnahme von Grundwasser nur schwer begrenzen. Und wo Wasser herholen, um die geleerten Grundwasserspeicher wieder zu füllen? Schon jetzt wird jedes Frühjahr, wenn es am trockensten ist, das Trinkwasser rationiert. Ganze Stadtteile werden seit über einem Jahrzehnt nur noch mit Tankwagen versorgt.

Das Problem der plötzlich aufbrechenden Straßen wie in Tianjin kennt man auch hier. Wenige Wochen bevor sich der Schlund von Xochimilco auftat, klaffte keine zwei Kilometer entfernt plötzlich ein Riss in der Landstraße. Anwohner erzählen, er sei so breit und so tief gewesen, dass zwei Kleinbusse darin verschwanden. Es grenze an ein Wunder, dass es keine Toten gegeben habe.

Zu solchen Rissen kann es bei großen Spannungen oder Dehnungen im Boden kommen. Sie entstehen zum Beispiel, wenn weicher Ton austrocknet und schrumpft. Die größten und gefährlichsten sind in aller Regel eine direkte Folge des Absinkens, das durch Abpumpen von Grundwasser verursacht wurde.8 Wasser- und Abwasserleitungen können bersten, U-Bahn-Schächte werden instabil.

Man kann mit bloßem Auge sehen, wie Mexiko-Stadt im Erdboden versinkt. Das prominenteste Opfer ist die Kathedrale am Zócalo, dem riesigen Platz im Zentrum der Stadt. Er ist in den vergangenen hundert Jahren um 9 Meter gesunken – nicht gleichmäßig, sondern mit einem deutlichen Gefälle nach Westen hin. Vom Zócalo aus betrachtet neigt sich der linke Glockenturm der Kathedrale deutlich nach links, der rechte ein bisschen weniger deutlich nach rechts. Der westliche Gebäudeteil mit dem Tabernakel scheint auf den Vorplatz zu stürzen.

So wuchtig die Kathedrale erscheinen mag – stabil war sie nie. Im Kirchenschiff verläuft keine vertikale Linie parallel zur andern, der Boden ist wellig, durch die verwirrenden optischen Eindrücke wird der Gleichgewichtssinn irritiert. Gläubige mögen das dadurch ausgelöste Körpergefühl als heiligen Schauder empfinden. Ungläubigen wird schlicht ein wenig schwindlig. Verlässliche Orientierung geben nur die Kronleuchter, die der Schwerkraft folgen, und ein riesiges Senkblei in Silber und Gold, das im Mittelgang des Hauptschiffs hängt. Seine Spitze zeigt auf eine weiße Marmortafel, wo eine eingravierte schwarze Linie die Bewegung des Bodens seit 1573 zeigt. Man kann darauf klar erkennen, wie sich das Absinken mit der Bevölkerungsexplosion und der massiven Entnahme von Grundwasser Mitte des vergangenen Jahrhunderts beschleunigt hat.

Mitte der 1980er Jahre stand die Kirche so schief, dass der Anbau mit dem Tabernakel einzustürzen drohte. Die Kathedrale wurde deshalb zwischen 1993 und 1998 in aufwendigen Sanierungsarbeiten untergraben und auf einen Betonsockel gestellt. Doch sie bewegt sich weiter, wie die Linie unter dem Senkblei dokumentiert. Die Ingenieure hoffen nun, dass das Gebäude wenigstens gleichmäßig sinken und nicht in Schräglage geraten oder gar auseinanderbrechen möge. Der Boden, der früher einmal ein Seegrund war, hat ein langes geologisches Gedächtnis. Manchmal scheint es fast, als wolle er sich rächen.

1 Gabriel Auvinet Guichard u. a., „Soil Fracturing In­duced by Land Subsidence in Mexico City“, in: „Proceedings of the 18th International Conference on Soil Mechanics und Geotechnical Engeneering“, Paris 2013.

2 Siehe Pablo Quinde und Eduardo Reinoso, „Subsoil Characteristics of Mexico City, acerleration and ­hysteretic energy spectra for the Mexico earthquake of September 19, 2017“, in: Geofísica Internacional, Bd. 59, Nr. 4 (2020), S. 235.

3 Siehe S. Randal Voss u. a., „A Tale of Two Axolotls“, in: BioScience, Bd. 65, Nr. 12 (2015), S. 1135.

4 Siehe Mireya Navarro, „New York Is Lagging as Seas and Risks Rise, Critics Warn“, New York Times, 10. September 2012.

5 Vgl. Krithika Varagur, „Brief aus Jakarta“, LMd, Februar 2020.

6 Dandy Koswaraputra, „Auf nach Borneo“, LMd, April 2022; sowie Christina Schott, „Jakarta: Die sinkende Stadt“, Wobei, Magazin der WOZ, 18. Juli 2024.

7 Vgl. Shi Ming, „Chinas sinkende Städte“. LMd, Dezember 2024.

8 Guichard u. a., „Soil Fracturing …“ (Anm. 1).

Toni Keppeler ist Journalist, Laura Nadolski ist Klima- und Umweltwissenschaftlerin. Gemeinsam haben sie ein Buch zu diesem Thema geschrieben: „Wasserstress. Noch sind Mexiko-Stadt und der Axolotl nicht verloren“, Zürich (Rotpunktverlag) 2025.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 11.09.2025, von Toni Keppeler und Laura Nadolski