Plaste ohne Ende
Kein Abkommen, keine Kontrolle
von Mohamed Larbi Bouguerra

Die weltweite Plastikproduktion wird sich bis zum Jahr 2060 verdreifachen, es sei denn, sie wird durch ein global verbindliches Abkommen begrenzt. 2022 hatte die UN-Umweltversammlung (Unea) in Nairobi einstimmig eine Resolution zur Beendigung der Plastikverschmutzung verabschiedet. Doch nach fünf ergebnislos verlaufenen Verhandlungsrunden scheiterte am 15. August in Genf auch die sechste Runde. Trotz eines zehntägigen Beratungsmarathons gibt es also immer noch keinen rechtsverbindlichen Vertragstext.
Seit Beginn der Verhandlungen werden die rund hundert Länder, die ein solches Abkommen befürworten, von einer Koalition Erdöl produzierender Staaten ausgebremst, die von Saudi-Arabien und den USA angeführt wird. Die wichtigsten Streitfragen lauten: Soll die Herstellung von Primärpolymeren, aus denen alle Kunststoffe hergestellt werden, beschränkt werden? Oder soll lediglich die Verschmutzung reduziert werden, zum Beispiel durch Recycling und ein besseres Abfallmanagement? Soll der Vertrag auch einen Passus über die gesundheitlichen Auswirkungen der 16 000 Zusatzstoffe enthalten, die in die Kunststoffproduktion einfließen? Von denen sind 4200 erwiesenermaßen giftig oder hormonell aktiv – etwa Phthalate, bestimmte Farbstoffe und perfluorierte Alkylverbindungen (PFAS).
Aus Sicht Saudi-Arabiens soll das Abkommen nur die Abfälle betreffen, die am Ende der Verwertungskette anfallen, nicht aber die mit der Kunststoffproduktion verbundene Umwelt- und Gesundheitsbelastung. Die USA wollen vor allem eine Beeinträchtigung der Geschäfte verhindern. Am Ende der letzten außerplanmäßigen Nachtsitzung konstatierte der norwegische Vertreter in den Morgenstunden des 15. August: „Es wird in Genf kein Abkommen zur Plastikverschmutzung geben.“
Die Lobbyisten der Petrochemie und der fossilen Brennstoffproduzenten konnten sich die Hände reiben. Nach vorsichtiger Schätzung des Center for International Environmental Law (Ciel)1 hatten sich 234 von ihnen in der Schweiz akkreditiert – laut Le Temps waren es sogar 307. Die Zahl der privaten Interessenvertreter der Plastikbranche überstieg damit die der diplomatischen Delegationen aus 27 EU-Ländern und Europäischer Union – Letztere waren mit 233 Personen vor Ort.
Der American Chemistry Council hatte sieben Berater entsandt, ebenso viele die DOW-Gruppe; ExxonMobil war durch sechs Berater vertreten. Einige Länder wie Ägypten, Kasachstan, China oder Iran gingen so weit, die Lobbyisten von vornherein in ihre Delegationen einzubinden. Gegen diese Übermacht waren die 60 Mitglieder der Scientists’ Coalition for an Effective Plastics Treaty faktisch machtlos. Das galt erst recht für die 36 Delegierten des Indigenous Peoples’ Caucus.
Einige Industrieverbände hatten im Vorfeld der Verhandlungen Werbekampagnen finanziert und Tiktok-Influencer angeheuert, die Propagandafilme
über die – völlig illusorische – Wiederverwertbarkeit von Plastik verbreiten. „In einer Zeit, da die Welt von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umsteigt, ist die ungebremste Kunststoffproduktion der Plan B der petrochemischen Industrie, insbesondere in den Bereichen Verpackungs- und Textilindustrie“, erläutert Juan Carlos Monterrey Gómez, Sondergesandter Panamas für den Klimawandel, in einem Webinar mit der Nachrichtenplattform Climate Home.2
„Diese Branche hat sich in die Verhandlungen eingeschaltet, um ihre Profitinteressen zulasten der Gemeinschaft offensiv zu verfechten“, meint Gómez weiter. Doch solche Willfährigkeit gegenüber der Industrie sei keinesfalls von Gott befohlen: 2003 zum Beispiel waren Lobbyisten von den Verhandlungen über ein Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs ausgeschlossen.
Das Fiasko am Genfer See ist die Neuauflage einer bereits sechs Monate zuvor inszenierten Sabotage, die man schon in der fünften Verhandlungsrunde Ende November 2024 im südkoreanischen Busan erleben konnte. Damals hatte der südkoreanische Umweltminister verkündet: „Wir müssen der Plastikverschmutzung ein Ende setzen, bevor die Plastikverschmutzung uns ein Ende setzt.“ Nicht alle Teilnehmer zeigten sich von dieser Einschätzung überzeugt. War es der Minister selbst?
Das Gastgeberland Südkorea ist der weltweit viertgrößte Produzent von Ethylen, das Ausgangsmonomer für zahlreiche Kunststoffarten ist.3 Im Übrigen hat Seoul die Erklärung „A Bridge to Busan“4 , die eine Beschränkung der Synthese von Primärpolymeren fordert, selbst nicht unterzeichnet.
Was die Erfolgsaussichten eines Abkommens zusätzlich schmälert, ist die geforderte Einstimmigkeit. Das macht es kleinen, aber gut organisierten Minderheiten leicht, die Verhandlungen zu blockieren. Die Länder der Europäischen Union und Lateinamerikas, die sich für eine Beschränkung der Plastikproduktion starkmachen, fordern mittlerweile, Beschlüsse nach dem Mehrheitsprinzip zu fassen, um nicht in einer Sackgasse zu enden. Für solche Bestrebungen ist Trumps Rückkehr ins Weiße Haus allerdings eine äußerst ungünstige Voraussetzung.
Wie in Genf hatten die Lobbyisten der Öl- und Kunststoffindustrie auch ein halbes Jahr zuvor in Busan eine Koalition Erdöl produzierender Länder organisiert, die alle möglichen „Manöver zur Behinderung, Ablenkung, Einschüchterung und Desinformation“ unternahm, berichtet Delphine Lévi Alvarès, Koordinatorin von Ciel.5
Offenbar mit Erfolg, denn die Delegierten der „Arabischen Gruppe“ als Repräsentanten der im Golf-Kooperationsrat (GKR) organisierten Monarchien wiederholten damals gebetsmühlenartig und wortgetreu die Äußerungen ihres saudischen Amtskollegen, während die Zeit verstrich.
Auch in Busan waren die Fragen der Produktionsobergrenzen und der Indizierung chemischer Giftstoffe in Kunststoffen entscheidende Streitpunkte gewesen. Schon damals hatten 900 unabhängige Wissenschaftler:innen an die Delegierten appelliert, „weltweite, rechtlich bindende Regelungen für den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen“ zu beschließen, und ausdrücklich gemahnt: „Die von der Plastikverschmutzung verursachten Umweltschäden können nicht allein durch eine verbesserte Abfallwirtschaft vermieden werden.“ Dem widersprachen der saudische Vertreter Khalid Abdulrahman Abdullah Al Gwaiz und sein kuwaitischer Amtskollege, die unisono erklärten: „Die Plastikverschmutzung muss eingedämmt werden, nicht die Plastikproduktion.“6
Das saudische Königreich steht an vorderster Front der Länder, die in einem rechtsverbindlichen Abkommen einen tödlichen Angriff auf ihre wirtschaftlichen Interessen sehen. Deshalb betreibt Riad seit geraumer Zeit eine energische Umweltdiplomatie, um andere Regierungen zu beeinflussen. Unter anderem wirbt man dabei mit der „Saudi Green Initiative“ für Umweltschutz oder verweist darauf, dass man in Riad, dem urbanen Aushängeschild des Königreichs, die Mülltrennung und das Recycling von Haushaltskunststoffen eingeführt hat.7

Plan B der Petrochemie
In diesem November wird in der saudischen Hauptstadt die Recycling Expo Middle East stattfinden. Im November 2023, auf der 28. Weltklimakonferenz (COP28) in Dubai, schien Saudi-Arabien gewillt zu sein, sich von seiner Rolle als entschiedener Fürsprecher der thermoindustriellen, also der auf der Nutzung fossiler Energien gründenden Zivilisation, allmählich zu verabschieden. Doch schon ein Jahr später bezog das Königreich sowohl auf der 29. Weltklimakonferenz (COP29) in Baku als auch beim G20-Gipfel in Rio de Janeiro erneut eine kompromisslose Haltung. In Baku verhinderte es jeden Bezug auf „fossil fuels“ in der Abschlusserklärung, was ihm den Ruf einer „Abrissbirne“ der Klimaverhandlungen verschaffte. Und das, obwohl das saudische Mekka aller Voraussicht nach bis Ende des Jahrhunderts unbewohnbar sein wird.8
Die strategischen Allianzen der Saudis (mit Russland, Brasilien, Iran und Kuwait) und der Einfluss, den das Königreich auf die Gespräche in Busan nahm, sind starke Indizien dafür, dass sich die Kontroverse um die Herstellung von Kunststoffen zu einer wichtigen geopolitischen Streitfrage entwickeln wird.9 In Busan trat dem Block der Erdölproduzenten eine Koalition von 75 Ländern entgegen (darunter Frankreich, Deutschland, Senegal und Ruanda), die für ein global verbindliches Abkommen zur drastischen Begrenzung der Produktion von Primärpolymeren sowie für die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips und für massive Recyclinganstrengungen eintrat.
Sechs Monate später, beim Genfer Plastikgipfel, waren die Positionen noch immer verhärtet. Und doch gab es ein einzelnes Zeichen des Wandels: Am Ende erkannte auch China die Notwendigkeit an, den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen, von der Produktion bis zum Nutzungsende, im Abkommen zu berücksichtigen, was Peking lange Zeit abgelehnt hatte.
Der weltweit größte Plastikproduzent weiß im Grunde, dass die Zeit drängt. Heute sind mehr als 6 Milliarden Tonnen Plastikabfall über den gesamten Planeten verteilt, wovon weniger als 10 Prozent recycelt werden; jedes Jahr werden weitere 430 Millionen Tonnen Plastik produziert; in jeder Minute landet eine weitere Lkw-Ladung Plastikmüll im Meer. Die bei der Zersetzung von Kunststoffen entstehenden Mikro- und Nanopartikel sind in der Nahrungskette, in der Luft und in den Organismen sämtlicher Lebewesen dieser Erde nachzuweisen.
„Kunststoffe stellen eine ernste, stetig wachsende und stark unterschätzte Gefahr für die Gesundheit des Menschen und des ganzen Planeten dar.“ Zu diesem Fazit kommt die renommierte medizinische Zeitschrift The Lancet. „Sie verursachen Krankheiten und Todesfälle, von frühester Kindheit bis ins hohe Alter, woraus wirtschaftliche Einbußen von jährlich mehr als 1,5 Billionen US-Dollar resultieren. Die Auswirkungen treffen überproportional einkommensschwache und gefährdete Bevölkerungsgruppen.“10 Die Zeitschrift erfasst diese Folgen mit ihrem indikatorbasierten globalen Monitoringsystem, dem „Lancet Countdown on health and plastic“.
Für Graham Forbes, Chef der Greenpeace-Delegation in den Genfer Verhandlungen, kommt die unkontrollierte Plastikproduktion einem „Todesurteil“ gleich. Für ihn ist „der einzige Weg, um diese Verschmutzung zu beenden, die Produktion von so viel Plastik zu stoppen“.
Während ein verbindliches Abkommen in weite Ferne rückt, gab es im Juni 2025 auf der dritten Ozeankonferenz der Vereinten Nationen in Nizza immerhin einen schwachen Hoffnungsschimmer. Obwohl in Busan das Vertrauen in multinationale Organisationen weiter unterminiert wurde, haben die Delegationen aus 190 Staaten einige Fortschritte erzielt, um die giftige Plastikflut zumindest in den Weltmeeren einzudämmen.
In Nizza hat eine ausreichend große Anzahl von Staaten das Hochseeschutzabkommen (BBNJ) ratifiziert oder dessen Ratifizierung zugesagt. Dieses BBNJ eröffnet die Möglichkeit, bis 2030 rund 30 Prozent der Weltmeere als Schutzgebiete auszuweisen. „Ich beobachte hier einen Elan und eine Begeisterung, die in der Vergangenheit kaum erkennbar waren“, erklärte UN-Generalsekretär António Guterres.11
Es hat zwei Jahrzehnte der Verhandlungen gebraucht, um 2022 in Nairobi eine Einigung zustande zu bringen, die erste Schritte hin zu einem Plastikabkommen möglich machte. Doch die Hoffnungen auf einen verbindlichen Vertrag wurden diesen Sommer vorläufig zunichtegemacht. Im Genfer Palast der Nationen hat sich, um Jean Ziegler zu zitieren, eine Koalition der „kalten Monster“ zusammengefunden, deren Wirken auf „die Umweltzerstörung, den Raubbau an unseren natürlichen Ressourcen, das langsame Sterben des Planeten“ hinausläuft.12
9 Vgl. Michael T. Klare, „America First 2.0“, LMd, Januar 2025.
Aus dem Französischen von Christian Hansen
Mohamed Larbi Bouguerra ist Chemiker und Mitglied der tunesischen Akademie für Wissenschaft, Literatur und Kunst in Beït Al-Hikma (Karthago).


