Die braven Maoisten von Nepal
von Philippe Descamps
Rupak schlängelt sich auf seinem indischen Moped zwischen Autos und Lastwagen hindurch. Der Verkehr lässt ihm keine Zeit, um in der Ferne den Mond über den hohen, verschneiten Gipfeln des Langtang aufgehen zu sehen. Auf der engen Ring Road von Kathmandu muss er höllisch aufpassen, um entgegenkommenden Fahrzeugen, Schlaglöchern, Fußgängern, Fahrrädern oder auch Kühen auszuweichen.
Rupak trifft sich mit seinem Freund Ajay. Zwischen zwei Handygesprächen beschreiben die beiden Kämpfer der „Maoistischen Jugend“ ihre Träume. Sie sind zwanzig, wollen im Hier und Jetzt leben und glauben, dass der Kommunismus die Welt retten kann.
„Bei der Gesamtsituation in unserem Land war der Bürgerkrieg unvermeidbar“, erklärt Ajay. „Wir haben ihn gewonnen. Doch wir haben immer noch keine Unabhängigkeit und kein Vertrauen. Wir glauben nicht, dass der Kommunismus gescheitert ist, er wurde nur entstellt. Wir wollen weder ein sowjetisches noch ein chinesisches System. Wir brauchen für die Zeit des Übergangs eine parlamentarische Demokratie und einen fortschrittlichen Kapitalismus, um den Feudalismus in unserer Gesellschaft zu überwinden und um vor allem die Rechte von uns Ureinwohnern, den Tamang, zu stärken.“
In den letzten drei Jahrzehnten hat sich die nepalesische Bevölkerung auf annähernd 30 Millionen Einwohner verdoppelt. In der Hauptstadt Kathmandu ist sie im letzten Jahrzehnt gar um 60 Prozent gewachsen. Trotz der Steuern, die die erste Regierung unter Führung der Maoisten 2008 eingeführt hatte, wächst die Zahl der Autos ebenso schnell. Die Straßen werden nicht repariert – auch eine Methode, um die Zahl der Verkehrsunfälle in Grenzen zu halten. Die Hupen sind im Dauereinsatz, 30 Stundenkilometer sind unter den Straßenhändlern, Fahrrad- und Autorikschas, die hier Tuk-Tuk heißen, schon ein Rekord. Eine Fahrt ins Stadtzentrum mit dem öffentlichen Bus kostet 15 Cent. Der Kleinbus, der in Europa neun Sitze hätte, befördert fünfzehn und mehr Fahrgäste. Touristen bevorzugen unter solchen Umständen meistens die zwanzigmal so teuren Taxis. Nepalesen, die es im Geschäftsleben oder im Tourismus zu etwas gebracht haben, fahren in glänzenden Geländewagen, die inklusive Steuern dreieinhalbmal so viel kosten wie in Europa.
Die Straße ist einer der wenigen Orte, wo sich alle Schichten der Gesellschaft begegnen, wobei die Schnelleren keine Rücksicht auf die Langsamen nehmen. Henri Sigayret meint: „Die Nepalesen fahren so, wie sie sich auch sonst verhalten.“ Der Ingenieur aus Grenoble bezwang 1979 mit der Annapurna I den ersten Achttausender auf Skiern. Dann verliebte er sich in die Berge und ihre Bewohner. Er lebt seit zwanzig Jahren in Nepal und ist inzwischen zum Maobadi geworden, einem Anhänger der Maoisten. Sigayret vergleicht sie gern mit den Sansculotten, den Kleinbürgern, die bei der Französischen Revolution ab 1789 aufbegehrten: „Das ärmste Volk Asiens hat sich aufgelehnt und gegen eine Monarchie, eine Kastenaristokratie, eine feudale Bürokratie gekämpft.“1 Der 76-Jährige wird wütend, wenn er die vielen Bergsteiger, Wanderer und Touristen sieht, die behaupten, Nepal im Herzen zu tragen, sich aber für die gesellschaftlichen und politischen Zustände des Landes nicht interessierten. Sie brächten höchstens mal eine karitative Aktion zustande, während sie sich für die Freiheit der Tibeter wirklich engagierten.
Hit Bahatur, Exminister und Mitglied des Zentralkomitees der Vereinigten Kommunistischen Partei Nepals (Maoisten) – UCPN(M), ist vorsichtig optimistisch: „Wir haben den Krieg gewonnen. Aber nicht ganz. Wir haben die Wahlen gewonnen. Aber auch nicht ganz.“ Als im November 2006 der Friedensvertrag zwischen den Maoisten und der nepalesischen Regierung unterschrieben wurde, hatten die Maoisten drei Viertel des Landes unter ihrer Kontrolle. Sie schienen mächtig genug, um die Abdankung des Königs, das Ende des Hinduismus als Staatsreligion und die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung durchsetzen zu können. Doch da die Truppen der Aufständischen einer von den USA, Großbritannien, Indien und sogar China unterstützten Armee gegenüberstanden, gelang es ihnen nicht, die Städte zu erobern und die Macht tatsächlich zu übernehmen.
Am 28. April 2008 gingen die Maoisten dann, entgegen allen Prognosen, als Sieger aus den Parlamentswahlen hervor. Sie erzielten – aufgrund des gemischten Wahlsystems – mit 30 Prozent der Stimmen 38 Prozent der Abgeordneten, das sind 238 von 601 Sitzen.2 Damit lagen sie vor der Nepalesischen Kongresspartei mit 119, der Kommunistischen Partei Nepals (Vereinigte Marxisten-Leninisten) – CPN(UML) mit 109 und der Vereinigten Demokratischen Madhesi-Front (UDMF) aus dem südlichen Terai mit 83 Sitzen. Sie hatten nun also die Republik erobert, doch um den Friedensprozess fortzusetzen, musste erst mühsam ein Konsens errungen werden. Die künftige Verfassung, die Ende Mai in Kraft treten soll, muss von zwei Dritteln der Abgeordneten angenommen werden. Unterdessen geht das parlamentarische Hickhack weiter, einschließlich Blockadehaltungen, Drohgebärden und Bruderküssen.
Als westlicher Beobachter kann man leicht den Eindruck gewinnen, alle im nepalesischen Parlament vertretenen Parteien stünden links. Sogar die Kongresspartei, die lange an der Macht war, bezeichnet sich immer noch offiziell als sozialistisch und gehört der Sozialistischen Internationale an. Im Kampf für die Demokratie waren ihre Anhänger in den 1950er Jahren in den Untergrund gegangen. Als die Partei an die Macht kam, erwies sie sich jedoch als konservativ. Sie diente den Wohlhabenden und unterstützte Privatisierungen.
Die Enttäuschung über diese Politik ließ den Kommunismus wieder aufleben, den sich heute mehr als zwanzig Parteien auf die Fahnen geschrieben haben. Die CPN(UML), die nach der ersten demokratischen Revolution 1990 die wichtigste Rolle spielte, erwies sich in der Praxis als sehr zentralistisch. Programmatisch trennt sie, trotz aller Rivalitäten, nicht viel von der Kongresspartei. Aus den unlängst bei Wikileaks publizierten Depeschen des US-Botschafters in Kathmandu geht hervor, dass die Führer der CPN(UML) enge Beziehungen zur US-Botschaft unterhielten, einige, wie Khadga Prasad Sharma Oli, können sogar als Informanten der USA bezeichnet werden.3
Die nepalesischen Kommunisten, die sich als Maoisten bezeichnen, bilden auf ihren Plakaten oder den Visitenkarten der Abgeordneten neben Stalin und Mao gern die Porträts von Marx, Engels und Lenin ab. Aber in ihren konkreten politischen Positionen unterscheiden sie sich kaum von denen der europäischen Sozialdemokraten. Sie reden weder von Nationalisierung noch von Planwirtschaft und auch nicht von staatlicher Regulierung, sondern vom allseits beliebten Modell der Public-private-Partnership.
All diese Parteien bestehen aus Strömungen und Fraktionen, die oft an eine Persönlichkeit gebunden sind. So gibt es bei den Maoisten die Anhänger von Baburam Bhattarai. Der zum Pragmatiker gewendete frühere Chefideologe der Partei ist seit Sommer 2011 Premierminister und Verbündeter des legendären Parteiführers Pushpa Kamal Dahal, genannt „Prachanda“. Ihnen gegenüber stehen die Freunde des Vizepräsidenten der Partei, Mohan Baidya oder „Kiran“, die dem pragmatischen Flügel Opportunismus oder sogar Verrat vorwerfen. In Parlamentsdebatten und Abstimmungen halten die Lager allerdings immer zusammen.
Der Politkommissar von Nuwakot probt die Demokratie
Hit Bahatur war während des Bürgerkriegs Politkommissar des Distrikts Nuwakot. Von 2004 bis 2005 war er dreizehn Monate in Indien inhaftiert. Er engagiert sich in der Politik, seit er 14 ist, und er weiß, dass der Weg in die Demokratie noch lang sein wird. „Es ist ein großer Erfolg, dass Nepal heute ein säkularer Staat ist“, erklärt er. „Aber die Bürger sind immer noch genauso arm wie früher. Die Probleme sind die gleichen. Um sie zu beseitigen, müssen wir zunächst die früheren Kämpfer in die Gesellschaft integrieren und eine demokratische Verfassung beschließen.“
Der zwischen 1996 und 2006 schwelende Bürgerkrieg hat etwa 13 500 Opfer gefordert, fast zwei Drittel von ihnen wurden von Regierungssoldaten getötet.4 2006 wurden dann 19 500 Kämpfer der „Volksbefreiungsarmee“ unter Aufsicht der UNO in Militärlagern überall im Land untergebracht. Seither ist die Politik von der Frage blockiert, wie sie in die reguläre Armee eingegliedert werden sollen. Im August 2009 trat wegen dieses Problems sogar Premierminister Prachanda zurück: Der Chef der Maoisten hatte versucht, den Generalstabschef der Armee abzusetzen, da dieser die von den Vereinten Nationen unterstützte Integration boykottierte. Staatspräsident Ram Baran Yadav von der Kongresspartei machte die Absetzung rückgängig und überschritt damit seine Kompetenzen – allerdings mit dem Rückhalt der anderen Parteien. Daraufhin gingen die Maoisten in die Opposition und versuchten vergeblich, die Öffentlichkeit zu mobilisieren.
Dhruba Raj Adhikari hat früher als Bataillonschef 300 Aufständische befehligt. Heute setzt er seine ganzen Hoffnungen in den Friedensprozess. Er wohnt im Erdgeschoss eines kleinen Hauses am Rand von Kathmandu, hinter einer der wenigen Pepsi-Cola-Fabriken in Nepal. Auch seine Frau, Sunita Regmi, war bei den Aufständischen. In den Kämpfen verlor sie ihren ersten Mann und ihr linkes Bein: „Ich bedaure nicht, dass ich am Krieg teilgenommen habe. Ich persönlich habe viel verloren. Aber unser Opfer hat dem Land viel gegeben.“ Ihr Mann mahnt jedoch: „Wenn wir die Leute vergessen, die für den Wandel gekämpft haben, kommt der Wandel ins Stocken.“
Ein Abkommen, das die vier wichtigsten Parteien5 am 1. November 2011 unterzeichnet haben, sieht die Integration von 6 500 Kämpfern in eine Spezialeinheit der Armee vor. Diese Einheit besteht zu 35 Prozent aus Maoisten und soll Infrastrukturprojekte absichern, Wälder schützen und Rettungskräfte für den Katastrophenschutz stellen. Von den 16 508 Kämpfern, die im Dezember 2011 in den Camps gezählt wurden, wollen sich mehr als 9 000 in die Armee integrieren lassen. Sehr wenige erklärten sich zu einer Ausbildung bereit, 7 365 wählten die Pensionierung mit einer Abfindung von 5 000 bis 8 000 Euro (der monatliche Mindestlohn beträgt in Nepal 62 Euro).
Eine Entschädigung der Opfer des Bürgerkriegs ist geplant, auch eine Wahrheits- und Versöhnungskommission sowie eine Untersuchungskommission für die Verschwundenen. Heikle Punkte sind noch die Auflösung der paramilitärischen Maoistischen Jugend und die Rückgabe des während des Konflikts beschlagnahmten Bodens. Die Kongresspartei, die sich als Verteidigerin der Enteigneten sieht, hat 6 000 betroffene Familien aufgelistet. Im Januar 2012 hat die Regierung die Rückgabe eingeschränkt: Alle Landzuteilungen, die die Aufständischen in den von ihnen kontrollierten Gebieten vorgenommen hatten, sollen anerkannt werden.
Der oberste Gerichtshof hat einer letzten sechsmonatigen Verlängerung des Mandats der verfassunggebenden Versammlung zugestimmt und damit den Countdown für die Verfassung gestartet. Er endet im Mai 2012. Die meisten kleineren Probleme haben die großen Parteien inzwischen gelöst. Aber die Aufteilung der Bundesstaaten und der Wahlmodus für die Exekutive sind immer noch umstritten. Das wurde auch bei einer Fernsehdebatte zwischen Arjun Narasingha von der Kongresspartei und Dina Nath Sharma, dem Sprecher der Maoisten und neuen Bildungsminister, deutlich. „Wir wollen kein Präsidialsystem und auch keine föderative Aufteilung nach ethnischen Kriterien“, erklärt Narasingha. „Um entschlossenes Handeln und eine parlamentarische Stabilität zu ermöglichen, sollte der Präsident vom Volk gewählt werden“, entgegnet Sharma. „Außerdem müssen die vielen Völker in Nepal Anspruch auf Selbstverwaltung bekommen. Wir müssen alles tun, um die Armut und die Korruption zu überwinden, und den Frauen und den niederen Kasten mehr Rechte geben.“
Ein Kompromiss könnte ein direkt gewählter Staatspräsident oder Premierminister sein, dessen Macht durch starke Rechte des Parlaments eingeschränkt wird. Der von den Maoisten geforderte und von den anderen Parteien im Prinzip akzeptierte Föderalismus birgt allerdings Risiken. So fordert Kripa Sur, der scheidende Präsident der Sherpa-Vereinigung Nepals, einen eigenen Sherpa-Staat und die Anerkennung der Minderheiten.
Das in den Hochtälern lebende Volk der Sherpas, bekannt für seine Dienste für internationale Extrembergsteiger, macht rund 0,5 Prozent der Bevölkerung Nepals aus. Wenn in diesem Land jedes Volk seinen autonomen Kleinstaat verlangt, wird es sich auflösen. Insgesamt werden hier über 100 Sprachen und Dialekte gesprochen, nur für weniger als die Hälfte der Menschen ist die Amtssprache Nepalesisch auch die Muttersprache. Auf der anderen Seite würden staatliche Gelder womöglich besser eingesetzt, wenn die Dorfgemeinschaften dafür verantwortlich wären. Eine solche Dezentralisierung würde auch die gesellschaftlich Dominanz der oberen Kasten beenden.
Bleibt noch die Frage, wie sich ein Gleichgewicht zwischen den Regionen herstellen lässt. Der größte Teil des Reichtums kommt aus der Hauptstadt und den fruchtbaren Ebenen des Terai, wo jeder zweite Nepalese lebt. Die Strukturkommission des Staates hat Ende Januar mehrheitlich eine Aufteilung in elf Regionen vorgeschlagen, in denen jeweils eine dominante Ethnie anerkannt ist. Drei Mitglieder haben jedoch einen Gegenvorschlag mit sechs rein geografisch definierten Regionen unterbreitet. Nun muss die verfassunggebende Versammlung entscheiden.
Mit einem geringeren Pro-Kopf-Einkommen als Bangladesch oder Afghanistan ist Nepal das ärmste Land Asiens. Auf dem Index der menschlichen Entwicklung von 2011 (Human Development Index) steht Nepal bei den schwächsten afrikanischen Staaten: auf Platz 157 von 187. Auch wenn das Elend nicht mehr ganz so dramatisch erscheint wie vor zehn Jahren, lebte 2010 ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 180 Euro im Jahr.6 Es fehlt an Trinkwasser und Toiletten, an qualifizierten Lehrern und Ärzten.
Die wichtigste natürliche Ressource sind die hohen Berge
Jedes Jahr wandern 250 000 junge Nepalesen aus. Mindestens 3 Millionen arbeiten angeblich in Indien oder im Nahen Osten. In den letzten Jahren machten Überweisungen der Nepalesen aus dem Ausland nach offiziellen Statistiken etwa ein Fünftel des Bruttonationalprodukts aus,7 wahrscheinlich ist es wesentlich mehr. Diese Auslandsüberweisungen sind die wichtigste Einkommensquelle des Staates, weit vor dem Tourismus, der jährlich mehr als 500 000 Menschen anzieht. Die über 8 000 Meter hohen Berge sind Nepals wichtigste natürliche Ressource. Aber ihr riesiges Wasserkraftpotenzial wird bisher kaum genutzt.
Dass keine Investitionen in einen derart rentablen Bereich fließen, ist ein weiterer Beleg für die gravierendsten Probleme des Landes: Kapitalflucht, Unterschlagung und eine große Rechtsunsicherheit für Investoren und Geldgeber. Die Unruhen der letzten Jahre haben eine Abstumpfung gegenüber der Gewalt erzeugt, die durch weitgehende Straffreiheit noch befördert wird. Laut UN-Angaben wurde bisher niemand für im Bürgerkrieg begangene Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt.8 Das Gefährlichste ist jedoch die Machtlosigkeit der Behörden, wie die International Crisis Group feststellt: „Der Staat hat den Konflikt erstaunlich unbeschadet und ohne Reformen überstanden. Nicht zuletzt, weil er weniger den Bürgern dient als den Netzwerken der Korruption.“9 Jedes bisschen Macht wird hier genutzt, um sich zu bereichern, die eigene Familie und seine „Höflinge“ zu versorgen. Dem Jahresbericht 2011 von Transparency International zufolge ist Nepal nach Afghanistan das korrupteste Land Asiens.
Weil in Nepal keine rechtsstaatlichen Strukturen existieren, ist die Macht der hohen Kasten der Bahun (den Brahmanen in Indien vergleichbar) und der Chhetri trotz aller Emanzipationsversuche immer noch ungebrochen. „Die Praxis und die Kultur dieser monopolistischen und relativ abgeschotteten Elite sind eigentlich nicht mit einer Demokratie zu vereinbaren. Gleichzeitig haben die hohen Kasten einen starken Einfluss auf die nepalesische Gesellschaft und ihr Entwicklungspotenzial“, urteilt die Politikwissenschaftlerin Michelle Kergoat.10
Die Tatenlosigkeit der etablierten Parteien trägt viel zur Popularität der Maoisten bei, die weit über ihre traditionelle Anhängerschaft unter den Armen auf dem Land hinausgeht. Das Vertrauen in sie ist hoch, weshalb sie bei der nächsten Wahl mit einer klaren Mehrheit rechnen – obwohl sie, abgesehen von der Einführung eines Mindestlohns und subventionierten Grundnahrungsmitteln, keine nennenswerten Fortschritte erzielt haben. „Die Freiheit bringt viele Blumen zum Blühen. Ich bin voller Hoffnung für die Zukunft“, verkündet Jyoti Adhikari, der Direktor des Hotel de l’Annapurna und der Reiseagentur Eco Trek. Dass ein Unternehmer für Luxus- und Ökotourismus sein Land mit den Revolutionären verändern will, zeigt, welch weiter Weg schon zurückgelegt wurde. Nepals Maoisten haben, obwohl sie in den Augen der USA immer noch als terroristische Organisation gelten,11 die über sie verbreiteten Klischees widerlegt. Jetzt müssen sie nur noch beweisen, dass sie nicht die üblichen Reflexe der nepalesischen Machthaber entwickeln.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Philippe Descamps ist Journalist.
Was wann geschah
Februar 1951 König Tribhuvan gelangt an die Macht, verspricht eine Verfassung und sichert sich dadurch die Unterstützung des indischen Premierministers Jawaharlal Nehru und der Nepalesischen Kongresspartei.
Februar 1959 Der Staat wird laut erster Verfassung parlamentarische Monarchie. Die Kongresspartei gewinnt die Wahlen.
Dezember 1961 Das Parlament wird aufgelöst. Nepal wird wieder absolute Monarchie.
8. April 1990 Der erste Volksaufstand Jana Andolan beginnt. Nach zwei Monaten Demonstrationen und Repressionen lässt König Birendra wieder politische Parteien zu.
13. Februar 1996 Die Kommunistische Partei Nepals (Maoisten), CPN(M), beginnt den „Volkskrieg“ gegen die Zentralmacht.
1. Juni 2001 König Birendra und mehrere Mitglieder der Königsfamilie fallen einem Attentat zum Opfer. Die Krönung des als konservativ bekannten Bruders des Königs, Gyanendra, löst schwere Unruhen aus.
24. November 2001 Nach Angriffen der Maoisten wird der Ausnahmezustand verhängt.
1. Februar 2005 König Gyanendra entlässt die Regierung, verhängt den Notstand, löst das Parlament auf und erklärt sich zum Alleinherrscher.
21. November 2005 In Neu-Delhi unterzeichnen die sieben wichtigsten Parteien mit den Maoisten ein Zwölf-Punkte-Abkommen gegen die absolute Monarchie.
6. April 2006 Die zweite Volksbewegung Jana Andolan II beginnt. Es kommt zu Generalstreiks und Aufständen. Am 24. April gibt der König nach und setzt das Parlament wieder ein. Die CPN(M) verkündet einen einseitigen Waffenstillstand.
21. November 2006 Ein Friedensvertrag wird geschlossen und eine Regierung der nationalen Einheit gebildet.
23. Januar 2007 Der UN-Sicherheitsrat beschließt die Unmin (United Nations Mission in Nepal) die Unterstützung des Friedensprozesses (Unterbringung der früheren Kämpfer in Übergangslagern und Registrierung der Waffenbestände, Hilfe bei der Vorbereitung der Wahlen).
28. April 2008 Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung. Die CPN(M) wird stärkste Partei. Die Versammlung soll binnen zwei Jahren den Friedensprozess vollenden und eine föderale Verfassung beschließen. Die Frist wird dreimal verlängert.
28. Mai 2008 Abschaffung der Monarchie und Gründung der Bundesrepublik Nepal.
15. August 2008 Pushpa Kamal Dahal, genannt „Prachanda“, Vorsitzender der CPN(M), wird Premierminister an der Spitze einer Sechs-Parteien-Koalition ohne die Kongresspartei.
4. Mai 2009 Der Premierminister entlässt den Generalstabschef, der die Integration der maoistischen Kämpfer in die reguläre Armee blockiert. Daraufhin nimmt der Staatspräsident die Entlassung wieder zurück. Die Maoisten der CPN(M) – umbenannt in Vereinigte Kommunistische Partei Nepals/UCPN(M) – verlassen die Regierung.
7. Januar 2010 Maoisten, Regierung und UN schließen ein Abkommen über die minderjährigen Kämpfer; die parlamentarische Blockade ist beendet.
15. Januar 2011 Ende des Unmin-Mandats von 2007. Die maoistischen Lager kommen unter das Kommando des Sonderkomitees für Integration und Rehabilitation.
28. August 2011 Baburam Bhattarai, der zweite Vorsitzende der UCPN(M), wird Premierminister.
1. September 2011 Die Maoisten übergeben dem Sonderkomitee die Schlüssel zu ihren Waffenlagern.
1. November 2011 Die vier größten Parteien Nepals unterzeichnen einen Sieben-Punkte-Vertrag über die Integration der maoistischen Kämpfer.
25. November 2011 Der oberste Gerichtshof verlängert das Mandat für die verfassunggebende Versammlung um sechs Monate.