Verzweifelt in Kuba
Eine schwache Opposition zwischen Wirtschaftsmisere, Repression und US-Einfluss
von Maïlys Khider und Jésus Lopes

Am 11. Juli 2021, mitten in der Coronapandemie, als in ganz Lateinamerika soziale Distanzierung und Lockdowns galten, gingen in Havanna und im übrigen Kuba tausende Menschen dicht gedrängt auf die Straße. Mit Rufen nach „Freiheit!“ und dem Protestklassiker „El pueblo unido jamás será vencido“ (Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden) brachten sie ihre Verzweiflung über den wirtschaftlichen Zusammenbruch zum Ausdruck.
Noch am selben Tag und in den darauffolgenden Wochen wurden mehr als 1000 Personen verhaftet und Hunderte zu langen Haftstrafen verurteilt.
Vier Jahre später sprechen wir mit Antonio1 über diesen Tag. Er sitzt mit leerem Blick neben seiner Mutter Gabriela. „Mein Sohn ist ein alter Mann geworden“, sagt sie. Die Familie lebt in einem Armenviertel am Rande der Hauptstadt zu sechst in einem winzigen Dachgeschoss, das man von der lärmenden Straße über eine schmale Treppe erreicht. Wohnraum und Küche sind gerade einmal 10 Quadratmeter groß. Es ist später Nachmittag. Der Strom ist mal wieder ausgefallen, ein zermürbendes Problem, das für die meisten Kubanerinnen und Kubaner zum Alltag gehört.
Antonio war erst 17 Jahre alt, als er inhaftiert wurde, weil er an der größten Demonstration gegen die Regierung seit der Revolution 1959 teilgenommen hatte. Damals interessierte er sich kaum für Politik. „Meine Freundin war schwanger. Ich habe nach der Schule Brot verkauft und nicht genug verdient“, erinnert er sich. „An dem Tag gab es von allen Seiten Gewalt auf der Straße. Alle wurden gejagt. Ich hatte weder einer Machete noch eine Pistole, nicht mal einem Stock dabei. Aber: Ja, ich habe Steine geworfen.“
Dann ging alles ganz schnell. Antonio wurde festgenommen und sofort wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“, „Beleidigung“ und „Verbreitung einer Epidemie“ angeklagt, während das Land einen Ansteckungsrekord verzeichnete. Er kam erst nach zehn Monaten wieder frei.
Die Demonstrationen machten den sozialen und politischen Unmut im Land erstmals deutlich sichtbar. Die Gesundheitskrise und die Schließung der Grenzen, auch für den Tourismus, von dem das Land so sehr abhängig ist, stürzten es in eine tiefe wirtschaftliche Depression.
Verschärft wurde diese Lage noch durch zwei weitere Faktoren: Zum einen die von US-Präsident Donald Trump 2019 eingeleitete Politik des „maximalen Drucks“, die das seit 1962 über die Insel verhängte Embargo noch einmal verschärfte. Zum anderen die Abschaffung des konvertierbaren Peso als Parallelwährung zum 1. Januar 2021, wodurch die Inflation in die Höhe schnellte.2 Bis heute sind die Regale in den Apotheken leer, und für lebensnotwendige Güter muss man oft stundenlang Schlange stehen.
Nach den Protesten forderte der damalige US-Präsident Joe Biden die kubanische Regierung auf, auf ihr Volk und „seinen leidenschaftlichen Ruf nach Freiheit“ zu hören. Diese hingegen bezeichnete die Demonstranten als „Söldner“ oder „verwirrte Revolutionäre“. Ein Jahr später verkündete Präsident Miguel Díaz-Canel im Fernsehen: „An diesem ersten Jahrestag des 11. Juli gedenken wir der Tatsache, dass das kubanische Volk und die kubanische Revolution einen Staatsstreich vereitelt haben.“
Gabriela wirft einen Blick auf das kaputte Dach über ihrem Schlafzimmer: „Wenn wir Söldner wären, glauben Sie, dass das Dach meines Schlafzimmers eingestürzt wäre? Wenn wir Söldner wären, hätte ich für die Zeit der Stromausfälle garantiert einen Generator im Haus.“
Am 14. Januar 2025 kündigte die kubanische Regierung nach einem von Papst Franziskus eingeleiteten Vermittlungsprozess die Freilassung von 553 Gefangenen an. Wenige Tage zuvor hatte zudem Biden seine Entscheidung bekannt gegeben, Kuba von der Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten zu streichen. Viele der Freigelassenen waren Protestierende vom 11. Juli.
So wie Alina, die dreieinhalb Jahre inhaftiert war. Wir treffen sie in ihrem Haus in einem der ärmsten Viertel der Hauptstadt. „Es fehlte an Medikamenten, und es gab kein Wasser mehr. Die Leute starben wie die Fliegen an Corona. Ich habe friedlich demonstriert. Es war spontan. Zusammen mit anderen haben wir die Leute motiviert, rauszugehen und zu protestieren.“ Einige Tage später rückte die Polizei „mit sechs Lastwagen und 25 Motorrädern“ an, um sie festzunehmen – „als wäre ich eine Serienmörderin“. Sie erzählt von ihrem Verhör: „Das Erste, was sie mich nach meiner Festnahme fragten, war, ob ich Geld bekommen hätte. Sie beschuldigten uns, alles geplant zu haben und dafür bezahlt worden zu sein. Es war aber weder geplant noch bezahlt.“
Bis heute wird sie von einem Beamten des Staatssicherheitsdienstes überwacht. „Ich brauche eine Genehmigung, um Havanna zu verlassen, oder auch, um Freunde zu mir nach Hause einzuladen. Ich unterliege einer nächtlichen Ausgangssperre bis zum Ende meiner Bewährung“, das noch einige Jahre entfernt ist. Seit ihrer Verhaftung hat sich Alinas Gesundheitszustand verschlechtert. „Ich kann nicht mehr schlafen. Ich werde als Konterrevolutionärin sterben. Sie haben mich zu etwas gemacht, das ich nie war.“
Die US-Regierung instrumentalisiert und fördert die Opposition in Kuba, die kubanische Staatssicherheit überwacht und schikaniert sie. Sie ist schwach, wenig organisiert und hat kein wirkliches politisches Programm. Viele Kubaner sind einfach erschöpft und wandern lieber aus, als die Staatsmacht herauszufordern. Laut offiziellen Angaben haben seit der Coronapandemie mehr als 10 Prozent der Bevölkerung das Land verlassen.3
Außer den spontanen, aus Überdruss entstandenen Protesten existieren im Land noch Netzwerke, die mit der exilkubanischen extremen Rechten in den USA verbunden und strukturierter sind. Einigen der vor oder nach dem 11. Juli in Kuba Inhaftierten wird die Planung oder Ausführung von Sabotageakten in Verbindung mit einschlägigen Gruppen in Miami vorgeworfen. Ihre Gesichter werden regelmäßig in den staatlichen Medien gezeigt.
Wir besuchen Benito in seinem Haus im Stadtzentrum, wo gerade Wasser aus der Waschmaschine den Boden überschwemmt hat und ein Haufen nasser Kleidung auf dem Sofa liegt. Der 30-Jährige sitzt tief versunken in einem Sessel und raucht Zigarre. Er zeigt uns Fotos seines Bruders Alberto, der 2020 ins Gefängnis kam. Sie zeigen ihn mal mit seiner Familie, mal vor einer US-Flagge posierend, auf den Bauch tätowiert die Parole: „Nieder mit den Castros und ihren kommunistischen Schergen.“
Benito erzählt: „Nach dem Tod unserer Mutter 2013 wurde Alberto immer radikaler und redete wie ein Oppositioneller. Er sagte, dass die Ärzte sie getötet hätten. Sie war krank.“ Auf den Fotos aus jüngerer Zeit, aufgenommen im Gefängnis, erscheint Alberto ausgezehrt, mit eingefallenem Gesicht und angespannten Zügen. Er verbüßt eine siebenjährige Haftstrafe wegen Gefährdung der Staatssicherheit. Wir hinterlassen Benito unsere Nummern, und er verspricht, sie an seinen Bruder weiterzuleiten, damit er sich mit uns in Verbindung setzen kann.

Seit der Pandemie hat jeder Zehnte das Land verlassen
Zwei Tage später erreicht uns ein Anruf aus dem Gefängnis „Kilo 5 ½“ in Pinar del Río im Westen des Landes. Alberto hat das Recht auf einen Anruf nach draußen pro Woche. „Ich habe ein Transparent aufgehängt, auf dem stand: ‚Trump, Feuer gegen Kuba‘, und ein Video veröffentlicht, in dem ich gesagt habe, dass man den Kommunisten den Kopf abschlagen sollte“, erzählt er freimütig. „Dann kam die Polizei und holte mich ab.“
Er gibt zu, mit zwei Kubanern in Kontakt gestanden zu haben, die seit mehreren Jahren in Florida leben: Kiki Naranjo und Willy González, beide Mitglieder einer Gruppe namens „Nueva Nación Cubana en Armas“ (Neue kubanische Nation unter Waffen, NNCA).
Diese in Florida ansässige Organisation wird von der kubanischen Regierung als terroristische Vereinigung eingestuft. Alberto kam im November 2020 über einen Bekannten per Videocall mit ihr in Kontakt. „Wir haben über Sabotage und Training gesprochen. Sie sagten mir, ich soll mich bewaffnen und für den Tag bereithalten, an dem sie in Kuba einmarschieren würden.“ Seine Kontaktleute sollten ihm beibringen, „wie man Bomben baut“. Jahre später lassen diese Männer aber immer noch auf sich warten. „Ich bin wütend auf Naranjo und die anderen. Sie spielen mit unserer Verzweiflung. Sie haben versprochen, dass sie nach Kuba kommen würden, aber sie haben nichts getan.“
Der NNCA-Gründer González ist in Florida wohlbekannt. Wir kontaktieren ihn über sein Facebook-Konto. Er behauptet, Mitglieder seiner Organisation hätten in den letzten Jahren staatliche „Zuckerrohrfelder und Tabakplantagen angezündet. Das ist Teil des Kampfs. Die Kommunisten lassen uns nur einen Weg: den Aufstand, die Konfrontation. Jede Handlung, die wir planen, ist ein Aufruf zur Rebellion.“ Dank des Internets und der sozialen Netzwerke wachse die NNCA. „Wir kommen voran.“
Im November 2023 wurde ein gewisser Ardenys García Álvarez von den kubanischen Behörden auf hoher See aufgefischt. Der in den USA lebende Kubaner wurde erwischt, als er versuchte, von Florida aus mit einem Jetski Pistolen und Munition auf die Insel zu schmuggeln. Ihm wurde vorgeworfen, er habe auf kubanischem Staatsgebiet Kämpfer für die NNCA rekrutieren wollen, um einen bewaffneten Aufstand loszutreten.
González, der selbsternannte Verteidiger der Freiheit Kubas, tritt in seinen Videos in militärischer Kleidung auf, seine Beiträge in den sozialen Medien zeigen Männer in kugelsicheren Westen, die Gewehre oder Pistolen abfeuern. Naranjo, den wir ebenfalls zu kontaktieren versuchten, ist nicht erreichbar, womöglich weil er pausenlos mit seinen vielen verschiedene Facebook-Konten beschäftigt ist.
Bei denjenigen Demonstranten von 2021, die ihren Familien zufolge von Organisationen aus Miami angeworben worden waren, handelte es sich vor allem um benachteiligte und verzweifelte Jugendliche. Zum Beispiel David, dessen Mutter Claudia uns auf der kleinen Terrasse ihres Hauses empfängt. Mit blassem Gesicht erzählt sie, wie Kiki Naranjo damals über Facebook mit ihrem Sohn in Kontakt trat. Er habe ihm einen Deal angeboten: Wenn David einen Molotowcocktail auf ein Geschäft wirft, würde man ihm helfen, die Insel mit einem Schiff Richtung Florida zu verlassen.
„Mein Sohn wollte unbedingt weg. Außerdem ist Kiki von hier. Sie waren früher mal befreundet“, fügt sie hinzu. David willigte ein. 2021 warf er Brandsätze auf ein staatliches Geschäft und auf ein öffentliches Telefon, ohne dabei großen Schaden anzurichten. Eine Woche später wurde er festgenommen.
„Diese Leute versuchen, junge Menschen zu manipulieren“, seufzt Ana. Die energische Frau empfängt uns in ihrer Wohnung im obersten Stock eines Häuserblocks im Osten von Havanna. Sie liest aus dem Gerichtsurteil gegen ihren Sohn Leandro vor, das auf ihrem Schoß liegt. Ein in den USA lebender Kubaner habe ihm vorgeschlagen, „einen Markt in Brand zu setzen und eine Kette auf eine Hochspannungsleitung zu werfen“. Er sollte auch „einen Ort suchen, an dem mehrere öffentliche Busse parken, um Sand in die Motoren zu streuen und sie lahmzulegen“. Und schließlich habe der Mann ihm noch einen Beamten des Innenministeriums genannt, den er angreifen solle.
Aus den Unterlagen geht hervor, dass der Auftraggeber Leandro „einen monetären Gewinn“ und die „regelmäßige Bezahlung der Aufladung seines Telefons“ versprochen hatte. Seine Mutter bestätigt das: „Dafür sollte er Sabotageakte durchführen.“ Ana beteuert jedoch, ihr Sohn habe nie beabsichtigt, die Taten wirklich zu begehen. Leandro wurde festgenommen, ohne irgendwelche strafbaren Handlungen begangen zu haben, wurde aber wegen „Vorbereitung terroristischer Handlungen“ zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Die Unterstützung für die kubanische Opposition aus den USA ist aber nicht auf radikale Gruppen in Florida beschränkt. Die Regierung in Washington finanzierte viele Jahre Programme zur Förderung der Demokratie in Kuba. So stellte etwa die Stiftung National Endowment for Democracy (NED) 2024 gemeinsam mit USAID 20 Millionen US-Dollar dafür zur Verfügung. Für die NED, 1983 von Präsident Ronald Reagan gegründet, war Kuba laut ihrem Jahresbericht 2024 nach Russland, China, der Ukraine und Myanmar das fünftwichtigste Zielland ihrer Aktivitäten.
Im Gegensatz zur Bundesbehörde USAID, die am 1. Juli aufgelöst wurde, ist das NED weiter als gemeinnützige Stiftung aktiv. Eine Handvoll Organisationen kanalisiert die Finanzströme der NED, zum Beispiel das der Demokratischen Partei nahestehende National Democratic Institute (NDI) und sein republikanisches Gegenstück, das International Republican Institute (IRI).
Diese Parteistiftungen sind von Bundesmitteln abhängig und werden von ehemaligen Mitarbeitern der US-amerikanischen Regierung geleitet. Bis 2024 gehörte dem IRI-Vorstand auch Marco Rubio an, ein erbitterter Gegner der Kommunistischen Partei Kubas und der erste Kubanoamerikaner, der es zum Minister brachte.
Seit den 2000er Jahren bemühte sich die Organisation, „Führungspersönlichkeiten auszuwählen“ und „Netzwerke innerhalb der Zivilgesellschaft auf der ganzen Insel“ zu schaffen. Sie bietet auch gezielte Schulungen „für Nachwuchskräfte (…) für den Fall eines Machtwechsels“ an. Trumps radikale Mittelkürzungen haben bestimmte kubanische Programme verschont, die Lobbyarbeit der kubanoamerikanischen Abgeordneten hat offenbar Früchte getragen.4 Die Projekte fallen nun unter die direkte Verantwortung von Außenminister Rubio.
Mehrere in Miami ansässige Organisationen werden von alten Anti-Castristen geführt. Solchen wie Sylvia Iriondo, der Präsidentin von „Mothers and Women against Suppression in Cuba“. Sie ist die Tochter von Cecil Goudie, dem Anführer einer Gruppe, die an dem von der CIA orchestrierten Invasionsversuch in der Schweinebucht im Jahr 1961 beteiligt war.
In den 1990er Jahren war Iriondo eine Unterstützerin der „Hermanos al rescate“ (Brüder zur Rettung), offiziell eine Hilfsorganisation für Balseros, also Kubaner, die mit kleinen Booten die Küste Floridas erreichen wollten. Die Flugzeuge der „Hermanos“ verletzten bei ihrer Arbeit allerdings den kubanischen Luftraum und verschossen Leuchtraketen und Rauchbomben.
Mittlerweile sei der bewaffnete Kampf der Exilkubaner zwar einem anderen Ansatz gewichen, nämlich der Förderung der Menschenrechte, meint José Luis Méndez Méndez, der an der Universität von Havanna über die Geschichte der Staatssicherheit arbeitet. Doch die Ziele seien dieselben geblieben. „Fast alle Terroranschläge, die wir seit 1959 erlebt haben, wurden von den Vereinigten Staaten aus organisiert“, sagt er. „Aus Haien werden keine Vegetarier.“
Fakt ist, dass bekannte kubanische Dissidenten Verbindungen zu den USA unterhalten. José Daniel Ferrer, der als eine wichtige Figur der Opposition in Kuba gilt und 2011 die „Patriotische Union Kubas“ (Unpacu) gründete, war seit 2003 mehrfach im Gefängnis. Seine Aktivitäten – unter anderem die Verteilung von Brennholz, Medikamenten und Lebensmitteln an Bedürftige – werden von Organisationen in Florida unterstützt. Auch er wurde am 11. Juli 2021 nur wenige Meter von seinem Haus entfernt von der Staatssicherheit festgenommen.
Im Rahmen der Vereinbarung vom Januar 2025 wurde er freigelassen, kam im April aber wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen erneut in Haft. In einem Interview mit dem kubanoamerikanischen Influencer Manuel Milanés Pizonero auf Youtube5 sagte Ferrer, die „älteste und sicherste Finanzierung“ für Unpacu stamme von der kubanoamerikanischen Nationalstiftung FNCA, die in der Vergangenheit auch öffentliche Gelder erhalten hat.
„Der kubanische Staat hat es geschafft, die Entstehung einer starken inneren Bedrohung zu verhindern“, konstatiert der Politikwissenschaftler William Leogrande von der American University in Washington, D. C. „Das Problem für regierungskritische Kubaner ist, dass es für die Führung schlichtweg zu einfach ist, sie mit den von den USA unterstützten Dissidenten in einen Topf zu werfen. Das ist der perverse Effekt dieser Unterstützung: Sie öffnet den politischen Raum nicht, sondern schließt ihn vielmehr.“
Seit Jahrzehnten führt Washington auch einen Informationskrieg gegen Kuba. Im Jahr 1990 kreuzte das militärische Luftschiff „Fat Albert“ vor der Küste Floridas, um von dort die Anti-Castro-Programme von Radio y Television Martí nach Kuba zu übertragen. Havanna störte jedoch den Empfang. Die Bevölkerung nannte den Kanal „das Fernsehen, das man nicht sieht“.
2009 gab es einen weiteren Versuch. Diesmal mit einem sozialen Netzwerk auf SMS-Basis namens ZunZuneo. Es wurde von der USAID-Sondereinheit „Office for Transition Initiatives“ verwaltet und existierte bis 2012. Der Aufbau des Netzes war eine verdeckte Operation, die über Briefkastenfirmen auf den Kaimaninseln und in Spanien lief, damit sich keine Verbindung zwischen Nutzern und US-Regierung herstellen ließ. Die Macher von ZunZuneo analysierten die Nachrichten und Daten der mindestens 40 000 Nutzer nach Geschlecht, Alter und politischer Einstellung.6 Das Ziel war offenbar, einen „kubanischen Frühling“ auszulösen.
Aber am Ende war es dann die Kommunistische Partei selbst, die ihrem Quasiinformationsmonopol ein Ende setzte. Als die Regierung 2018 der gesamten Bevölkerung den Zugang zur mobilen Datenübertragung ermöglichte, leitete sie eine der tiefgreifendsten gesellschaftlichen Umwälzungen in Kuba seit dem Ende des Kalten Kriegs ein. Es entstand eine Vielzahl von Onlinemedien, von denen die meisten regierungskritisch sind. So verfügte etwa CubaNet, eine 1994 in Florida gegründete Nachrichtenwebsite, die für einen Regimewechsel trommelt, bis 2018 über ein höchst begrenztes Publikum.
Doch der plötzliche Internetzugang für die Masse der Bevölkerung in Verbindung mit US-Finanzspritzen für Akteure der Zivilgesellschaft eröffnete der Opposition neue Möglichkeiten und sorgte für die Verbreitung eines US-freundlichen Diskurses. Noch 2024 erhielt CubaNet 500 000 US-Dollar von USAID; doch im vergangenen März wurden die Mittel gestrichen, das Medium, zu dem Journalisten vor Ort beitragen, hält sich nun mit Spenden über Wasser.
Dabei hatte ein Kommentar auf CubaNet die Ernennung von Marco Rubio zum Außenminister der USA als „großartige Nachricht für alle, die für die Demokratie kämpfen“ gefeiert. Am Tag des Wahlsiegs von Donald Trump schrieb die Journalistin Camila Acosta, die auch auf CubaNet veröffentlicht, auf Facebook: „Ein glückliches Erwachen. Trump ist Präsident!“
Acosta hatte auch am 11. Juli 2021 über die Proteste berichtet. Sie wurde festgenommen und blieb vier Tage in Haft. „Sie drohten, mich wegen eines Vergehens gegen die Staatssicherheit anzuklagen, was mir 20 bis 30 Jahre Gefängnis hätte einbringen können“, erzählt sie. Ihre Freilassung mit Auflagen sah einen zehnmonatigen Hausarrest vor, während sie auf ihren Prozess wartete. Schließlich wurde sie lediglich zu einer Geldstrafe von 1000 kubanischen Pesos (damals etwa 12 Euro) verurteilt.
In Kuba ist in den letzten fünf Jahren die Qualität des Gesundheits- und Bildungswesens, der „Säulen der Revolution“, deren Niveau lange Zeit weit über dem anderer Länder Lateinamerikas lag, eingebrochen. Die Ernährungslage hat sich verschlechtert. Die landwirtschaftliche Produktion ging zurück, weil es an Saatgut, Treibstoff und Investitionen fehlt. An den Straßenecken der Hauptstadt türmen sich Berge von Müll. Wut und Überforderung beherrschen den Alltag der Kubanerinnen und Kubaner.
Und das Land leert sich. „Die Auswanderung in die Vereinigten Staaten dient als eine Art Sicherheitsventil, um den sozialen Druck abzubauen,“ meint der Soziologieprofessor William I. Robinson von der University of California in Santa Barbara. „Infolgedessen konnte sich innerhalb Kubas keine strukturierte Opposition mit breiter Unterstützung in der Bevölkerung herausbilden.“
Auf der Insel glaubt kaum noch jemand daran, dass die kubanische Regierung die wirtschaftliche und soziale Dauerkrise lösen kann. Reaktionäre Ideen, die seit Langem mit US-Dollars gefördert werden, haben an Boden gewonnen. Zugleich verhindert die Regierung die Entstehung einer organisierten kritischen Linken.
„Es gibt hier eine linke Protestbewegung, aber für die Regierung sind wir Feinde“, seufzt ein Journalist und Schriftsteller, der anonym bleiben möchte. Die Linke werde in Kuba einfach zum Schweigen gebracht. „Wir sind sehr wenige. Das Nationalgefühl ist verloren gegangen. Das ist eine Tragödie nach Jahrhunderten des Kampfs gegen Kolonialismus, Imperialismus und Autoritarismus. Alle denken nur noch ans Weggehen.“
Die Regierung in Washington hat es nicht geschafft, eine lebensfähige und populäre Opposition vor Ort aufzubauen; sie hat Kuba bloß mit ihrem jahrzehntelangen Embargo erschöpft. Der längste Wirtschaftskrieg der modernen Geschichte hat sein Ziel tatsächlich erreicht, nämlich „Hunger und Verzweiflung“ im Land zu verursachen, wie es der stellvertretende Staatssekretär für interamerikanische Angelegenheiten, Lester Mallory, 1960 forderte. Doch der Sturz der Regierung bleibt bis auf Weiteres unerreichbar.
In einem Konflikt, der nun schon 66 Jahre andauert, ist die Hauptleidtragende die kubanische Bevölkerung. Denn sie leidet doppelt: einerseits unter dem Autoritarismus und der wirtschaftlichen Ineffizienz ihrer Regierung und andererseits unter den Sanktionen und der Einmischung seitens der USA.
1 Gesprächspartner:innen, die nur mit ihrem Vornamen genannt werden, wollten anonym bleiben.
2 Siehe Maïlys Khider, „Schlange stehen für fünf Würstchen“, LMd, November 2023.
3 Vgl. Karl Kaufmann, „Kubas Zukunft verlässt das Land“, LMd, Juli 2024.
6 „Twitterplattform ZunZuneo: USA griffen kubanische Regierung an“, taz, 3.April 2014.
Aus dem Französischen von Nicola Liebert
Maïlys Khider und Jésus Lopes sind Journalisten.


