Kriegstage in Teheran
Mehr als 900 Tote und tausende Verletzte hat Israels 12-Tage-Krieg hinterlassen. Auch das Evin-Gefängnis wurde bombardiert, wo das Mullah-Regime politische Gegner einsperrt. Viele Dissidenten kritisierten die Angriffe als maximal kontraproduktiv.
von Shervin Ahmadi und Marmar Kabir

Zerstörte Hochhäuser mitten in Teheran, Rauchsäulen am Horizont: Am 13. Juni startete Israel seinen seit Jahren befürchteten Angriff. In den ersten Stunden flüchteten die Reichen in ihre Villen am Kaspischen Meer. Vor den Tankstellen und Lebensmittelgeschäften bildeten sich lange Warteschlangen, und viele Tagelöhner mit ohnehin mageren Einkommen standen plötzlich ohne Arbeit da. Der Polizeichef rief derweil die Bevölkerung dazu auf, versteckte „Terroristen“ aufzuspüren.
Innerhalb kürzester Zeit erlangte Israel die Hoheit über den iranischen Luftraum, zerstörte überirdische Atomforschungsanlagen und Raketenstartplätze. Zahlreiche Wissenschaftler und Kommandeure von Armee und Revolutionsgarden (Pasdaran) wurden gezielt getötet. Insbesondere diese Angriffe, bei denen zahlreiche unbeteiligte Zivilisten ums Leben kamen, wären ohne die jahrelange Unterwanderung Irans durch den israelischen Geheimdienst Mossad wohl kaum möglich gewesen.
Nur eine Woche später warf Israels Schutzmacht USA zwölf bunkerbrechende Bomben auf die unterirdische Atomanlage Fordo ab, die „monumentale Schäden“ anrichteten, wie US-Präsident Trump später stolz verkündete. Nach 12 Tagen war der Krieg vorbei.
Der schnelle Erfolg der israelischen Schläge offenbarte, dass die Bedrohung durch Iran übertrieben worden war: Die seit Langem sinkenden Rüstungsausgaben des Teheraner Regimes entsprachen 2024 nur noch 14 Prozent des israelischen Militärbudgets. Bereits die israelischen Angriffe auf Irans Verbündete in der Region – die schiitische Hisbollah im Libanon, die syrische Armee unter Diktator Assad und die Huthis im Jemen – haben gezeigt, dass Teheran bei den martialischen Proklamationen über seine „Achse des Widerstands“ ziemlich dick aufgetragen hatte.
Die Führung der Revolutionsgarden behauptete zwar auch noch nach den US-Bombardements, alles unter Kontrolle zu haben in diesem „hybriden und totalen Angriffskrieg“. Tatsächlich aber war sie nicht in der Lage, einem Gegner, der über die Atombombe verfügt und sich auf die Unterstützung des Westens verlassen kann, großen Schaden zuzufügen.
Der Schock in den Straßen von Teheran erinnerte an die Situation nach der irakischen Invasion im September 1980. Nur gab es damals – fast zwei Jahre nach dem Sturz des Schah-Regimes – noch eine revolutionäre Dynamik im Land und die Bevölkerung konnte leicht gegen die Truppen Saddam Husseins mobilisiert werden, um erobertes Territorium zurückzugewinnen. Im heutigen Iran erinnert sich aber nur eine kleine Minderheit an diese Zeiten, als große Teile der Gesellschaft auf dem Land lebten und weder lesen noch schreiben konnten. Mittlerweile wohnen 80 Prozent der Bevölkerung in Städten, die meisten Kinder gehen zur Schule, und viele junge Leute, vor allem Frauen, studieren an der Universität.
In Iran wird man heute ungefähr genauso selten bedingungslosen Anhängern des politischen Islam begegnen wie begeisterten Kommunisten in der UdSSR Ende der 1980er Jahre. Irans konstitutionelle Mullarchie – ein System, das sich mit demokratischen Federn schmückt, aber letztlich vom Klerus kontrolliert wird – ist zwar immer noch stabil. Doch die Islamische Republik, deren Verfassung einst per Referendum angenommen wurde, hat massiv an Legitimität verloren: Die brutale Unterdrückung – vor allem der Proteste gegen die hohen Lebenshaltungskosten 2019 und dann 2022 der Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ (Jin, Jiyan, Azadî) – hat das Land nachhaltig erschüttert.1
Doch die Zeiten der Selbstzensur scheinen passé. In den Wochen vor der israelischen Aggression haben sich viele Iraner:innen nicht gescheut, das Wort zu ergreifen. Die Regierung musste Zugeständnisse machen. So hat sie am 15. Dezember 2024 ein neues repressives Gesetz über den „Schleier und die Keuschheit“ wieder aufgehoben. In den Städten tragen mehr als ein Drittel der Frauen kein Kopftuch. Noch überraschender ist, dass sich das auch in einigen Behörden beobachten lässt.

Die Reichen flohen in ihre Villen am Meer
In westlichen Medien werden die Mullahs gern als Religionsfanatiker bezeichnet und auch darauf reduziert. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass das Regime sich durchaus pragmatisch verhalten kann: Irans erster Revolutionsführer Ruhollah Chomeini hatte 1988 einen Waffenstillstand mit dem Irak akzeptiert; 2015 unterschrieb sein Nachfolger Ali Chamenei das Atomabkommen mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, Deutschland und der Europäischen Union; im März 2023 normalisierte Teheran mit Hilfe chinesischer Vermittler die diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien; und im Juli 2024 erhob der religiöse Führer keinen Einspruch gegen die Wahl des „Reformers“ Massud Peseschkian zum Präsidenten der Republik. Mit seiner kurdischen Mutter und einem Vater, der Azeri ist, vertritt Peseschkian immerhin zwei bedeutende Minderheiten.
Mit seinem Befehl zum Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen ist Netanjahu ein großes Risiko eingegangen – nicht zuletzt das einer Verseuchung der gesamten Region. „Solche Angriffe haben schwerwiegende Folgen für die Sicherheit und den Schutz der Reaktoren, aber auch für den regionalen und weltweiten Frieden“, erklärte nicht zuletzt der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) Rafael Grossi in seinem Statement am 13. Juni.2
Das Ziel, mittelfristig Irans Fähigkeiten zum Bau einer Atombombe zu zerstören, kann so kaum erreicht werden. Die bunkerbrechenden Bomben der USA haben vielleicht die Anlagen zerstört, nicht aber die Vorräte an angereichertem Uran. Nur ein internationaler Kontrollmechanismus kann das Ende eines solchen Programms erreichen. Es fragt sich auch, warum der israelische Premier Donald Trump 2018 darum gebeten hat, das Atomabkommen zu torpedieren, und nun das Land während laufender Verhandlungen angegriffen hat, wenn die Iraner letztendlich wieder an den Verhandlungstisch gebracht werden sollen.
Die Blankovollmacht, die die G7-Staaten Israel verliehen haben, ist im Hinblick auf die Weiterverbreitung von Atomwaffen schlicht verantwortungslos. Die 20 wichtigsten Länder der arabisch-islamischen Region, ohne Iran, haben in einem gemeinsamen Kommuniqué vom 17. Juni erneut die Schaffung einer Zone ohne Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten gefordert, die „für alle Staaten der Region ohne Ausnahme gelten muss“.3
Natürlich ist das eine Anspielung auf Israel, das den Atomwaffensperrvertrag (NVV) nie unterzeichnet hat. Regionalmächte wie die Türkei, Saudi-Arabien oder Ägypten könnten sich fragen, wie sie sich selbst am besten vor den ständigen Übergriffen Israels schützen.
„Auf Gewalt anstatt auf Verhandlungen zu setzen, ist das sicherste Mittel, den Sperrvertrag zu zerstören; es ist eine klare Botschaft an viele Staaten, dass ihre Sicherheit letztlich darin besteht, selbst Atomwaffen zu entwickeln!“, warnte der ehemalige IAEO-Direktor Mohammed el-Baradei am 18. Juni auf X. Auch Iran selbst, von dem die USA seit 30 Jahren behaupten, das Land stehe an der „Schwelle“ zum Besitz von Atomwaffen, könnte offiziell seine Doktrin ändern und sich aus dem NVV zurückziehen.
„Rising Lion“ nannte die Netanjahu-Regierung ihren jüngsten Angriff – der Name ist natürlich kein Zufall: Das Bild vom Löwen vor aufgehender Sonne war das Hauptemblem Irans zu Zeiten des Schahs. Nach der Revolution von 1979 wurde es von der iranischen Flagge entfernt. Das Reden vom Regime Change in Iran weckt wiederum Erinnerungen an den Staatsstreich gegen die Regierung Mossadegh 1953, den britische und US-amerikanische Geheimdienste anzettelten, um die Verstaatlichung des Erdöls zu verhindern und Schah Mohammad Reza Pahlavi wieder auf den Thron zu hieven.4
Sein heute 64-jähriger Sohn Reza Pahlavi, der in den USA im Exil lebt und schon lange von Israel unterstützt wird, hat zwar Beziehungen in der Diaspora und zu den Satellitenfernsehsendern. Aber die Erinnerungen an die Grausamkeiten des Schahregimes und dessen Geheimdienst Savak verleihen ihm wenig Legitimität.
Nach der Panik kam die alte Verdrossenheit
Und die Volksmudschaheddin, der andere Pfeiler der iranischen Opposition, sind bis heute durch ihr früheres Bündnis mit Saddam Hussein diskreditiert, auch wenn einige von ihnen im Land aktiv sind. Es sind also einige Kräfte am Werk, um den geschwächten Staat zu destabilisieren, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass er vor dem Zusammenbruch steht.
In den letzten Monaten schienen viele Iraner zu allem bereit, um einen Regimewechsel herbeizuführen. Der israelische Überfall führte bei manchen allerdings zu einem Meinungsumschwung. Zwar sind viele gegen das Regime und für eine Annäherung an den Westen, aber es wäre ein großer Fehler, den iranischen Nationalismus zu unterschätzen. Viele Accounts in den sozialen Medien, die bis zum 13. Juni die Mullahs kritisierten, zeigen seither die Nationalflagge. „Ich möchte lieber sterben als zum Verräter werden“, erklärte etwa der frühere Fußballstar und Regimekritiker Ali Daei.
Die wichtigsten Vertreter der Reformfraktion, die von der Polizei verfolgt werden und seit der „Grünen Bewegung“ gegen die Wiederwahl des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad 2009 unter Hausarrest stehen, haben den Angriff scharf verurteilt: „Die kriminelle Hand und das aggressive Wesen Netanjahus zielen auf unsere Nation. Die Militärschläge gegen die Infrastruktur, die Wissenschaftler und das Leben unschuldiger Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder sind eine unverhohlene Verletzung aller internationalen Regeln“, erklärte etwa Zahra Rahnavard, die Ehefrau des 2009 unterlegenen Reformkandidaten für die Präsidentschaftswahl Mir Hossein Mussawi.
Mostafa Tajzadeh, stellvertretender Innenminister unter Präsident Mohammed Chatami (1997–2005), schmuggelte aus dem Evin-Gefängnis, in dem er seit 2022 erneut wegen seiner politischen Ansichten einsitzt, die folgende Nachricht: „Eine ausländische Militäraggression zu unterstützen, befohlen von einem Mann, der vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen angeklagt ist, lässt sich politisch und moralisch nicht rechtfertigen. Auch wenn dieser Krieg am Ende das schwache religiöse Regime stürzen würde, ließe er Iran in Ruinen zurück, und wahrscheinlich würden bald Anarchie und Chaos herrschen.“5
Tajzadeh setzt sich für einen friedlichen Übergang zur Demokratie durch die Bildung einer verfassunggebenden Versammlung ein. Doch nun liefert der Angriff den Machthabern wieder einen Vorwand, die inneren Repressionen zu verstärken und die sozialen Bewegungen zu unterdrücken. Aber es gibt auch diese Anekdote: Nachdem das Regime Mahnungen, den Schleier zu tragen, nach dem 13. Juni per SMS an Frauen verschickt hatte, entschuldigte sich ein Verantwortlicher sogleich für den „technischen Fehler“.
Mehrere unabhängige Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter eine Busfahrergewerkschaft und ein Kriegsveteranenverein, haben die israelischen Lügen angeprangert: „Wir machen uns keine Illusionen über den angeblichen Wunsch der USA und Israels, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zu bringen – ebenso wenig wie über die repressive, interventionistische, abenteuerliche und arbeiterfeindliche Natur der Islamischen Republik.“6
Im Gegensatz zu seinen Amtskollegen auf dem G7-Gipfel erklärte der türkische Präsident Erdoğan, Netanjahu habe „wieder einmal gezeigt, dass er die größte Bedrohung für die Region ist“. Daher sei es nur natürlich und legitim, wenn sich Iran gegen Israels Brutalität und Staatsterrorismus verteidigen würde.
Die 57 Mitgliedstaaten der Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC) äußerten ebenso wie viele Staaten des Globalen Südens einhellig ihre Enttäuschung über die Doppelmoral des Westens beim Umgang mit dem Völkerrecht. Über diese Bekenntnisse können sich die Iraner vielleicht freuen, doch ihr Land hat keinen einzigen Verbündeten, der es militärisch unterstützen würde – auch nicht die befreundeten Staaten Russland und China.
Nach der Panik der ersten Tage kam der alte, von Verdrossenheit und Sorgen dominierte Alltag in den versehrten Städten bald wieder in Gang. Es gibt keinen Mangel an Grundnahrungsmitteln, die Schlangen vor den Bäckereien wurden schnell wieder kürzer, nur das Internet war noch ab und zu unterbrochen.
Wenn das Regime noch weiter in die Enge getrieben wird, könnte es radikale Entscheidungen treffen, wie sie im Parlament bereits vorgeschlagen wurden: die Blockade der Straße von Hormus oder der Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag. Nach dem Waffenstillstand kann nur die Rückkehr zu Verhandlungen für die Bevölkerung Erleichterung bringen, zumal wenn sie mittelfristig zur Aufhebung von Sanktionen führen würden – doch bis dahin ist es noch ein sehr langer Weg.
2 „Statement on the situation in Iran“, IAEA, 13. Juni 2025.
4 Siehe Mark Gasiorowski, „Die USA und die Irankrise 1953“, LMd, Oktober 2000.
6 akhbar-rooz.com, 17. Juni 2025.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Shervin Ahmadi ist Chefredakteur und Marmar Kabir ist Journalistin und Übersetzerin für LMd auf Farsi. Unter Beteiligung von Philippe Descamps.