Die Sponsoren kommen
Privatfirmen verdienen am englischen Schulsystem von Richard Hatcher
Auf dem EU-Gipfel von Lissabon wurde vor fünf Jahren die Produktion von profitablem Humankapital zum Hauptziel der europäischen Bildungspolitik ausgerufen. Damit soll die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit langfristig abgesichert werden. Doch die Umgestaltung der staatlichen Bildungssysteme im Sinne dieses neoliberalen Programms ist nicht so einfach zu bewerkstelligen. Denn welche sozialen Akteure sollen den Prozess vorantreiben? Die Lehrer ganz bestimmt nicht: Sie gelten als unzuverlässig und werden eher als Teil des Problems gesehen und nicht als dessen Lösung.
In England hat die Labour-Regierung drei neue Instrumente entwickelt, um – auf der Basis der in der Thatcher-Ära gelegten Fundamente – das Schulsystem umzubauen.1 Da gibt es erstens neue, mächtige Behörden wie das Ofsted (das Office for Standards in Education) oder die Teacher Training Agency. Das Ofsted ist für strenge Schulinspektionen, die Agency für die Aufsicht über die Aus- und Fortbildung der Lehrer zuständig. Zweitens sollen, um die Spielräume der Schulen zu erweitern, die Schulleiter in mächtige Manager verwandelt werden, die sich dem Regierungsprogramm verpflichtet fühlen. Und drittens ist der private Sektor zu einem wichtigen Element im Transformationsprozess geworden. Dieser Privatisierungsaspekt wird im Folgenden näher beleuchtet.
Der Pädagogikprofessor Michael Barber hat 1998, kurz nach seiner Ernennung zum Bildungsbeauftragten der Labour-Regierung, über den privaten Sektor gemeint, er sei „in einzigartiger Weise befähigt, für Wandel und Innovation zu sorgen“. Sieben Jahre später haben private Firmen und Unternehmer eine zentrale bildungspolitische Rolle übernommen, insofern sie – je nachdem in profitorientierter oder in gemeinnütziger Rolle agierend – die neue Bildungspolitik umsetzen und die erforderlichen Serviceleistungen erbringen.
Als profitables Kerngeschäft hat sich dabei die „Lieferung“ von lokalen Bildungsangeboten und neuen Bildungsstrategien für die Regierung erwiesen. Bei fast allen wichtigeren bildungspolitischen Initiativen der Regierung, ob sie die Lehrerausbildung, die Lehrpläne oder das Schulmanagement betreffen, wurden private Unternehmen mit der praktischen Umsetzung betraut. Ein gutes Beispiel ist der mit 177 Millionen Pfund dotierte Fünfjahresvertrag für Capita, eines der führenden „Bildungsunternehmen“. Capita engagierte mehrere tausend Berater, um Kurse und Beratungsstunden für Lehrer an Grundschulen abzuhalten, die Lese-, Schreib- und Rechenfertigkeiten vermitteln sollen. Die Rolle der privaten Unternehmen im Schulmanagement wird auch daran sichtbar, dass Lehrer plötzlich nach Leistung bezahlt werden sollen. Dabei wurden Verträge im Wert von zig Millionen Pfund an private Firmen vergeben, die Kriterien entwickeln sollen, nach denen die Leistung der Lehrer zu bewerten ist. Mitarbeiter dieser Firmen bringen überdies den Schulleitern bei, wie sie die Effektivität des Lehrerkollegiums zu bewerten haben. Zugleich kontrollieren sie, ob die Schulleiter dieser Aufgabe auch richtig nachkommen.2
Eine weitere wichtige Quelle für Profite ist die Privatisierung von Dienstleistungen für Schulen, die vormals von einer örtlichen Schulbehörde (Local Education Authority, LEA) erbracht wurden. Dazu gehören die Lieferung von Mahlzeiten für die Schüler, der Reinigungsdienst, aber auch die Gewährleistung von genuin pädagogischen Aufgaben, zum Beispiel durch Schulpsychologen und Nachhilfekräfte. Die LEAs sind die Bildungsabteilungen der gewählten örtlichen Gemeinderäte. Diese wurden inzwischen von der Labour-Regierung gezwungen, ihre Finanzmittel fast vollständig auf die Schulen selbst zu verteilen, die heute die meisten Serviceleistungen von privaten Anbietern kaufen. In einigen Fällen wurden LEAs, nachdem sie bei der Inspektion durch das Ofsted „durchgefallen“ waren, dazu gezwungen, sämtliche Dienstleistungen von privaten Anbietern zu beziehen.
Dagegen zeigen die Privatunternehmen bislang noch keine Neigung, die Leitung der staatlichen Schulen selbst zu übernehmen. Nicht dass dies nicht erlaubt wäre – im Gegenteil: Das Gesetz über das Erziehungswesen aus dem Jahre 2002 verpflichtet die LEAs sogar, bei Schulneugründungen oder wenn bestehende Schulen bei Ofsted-Kontrollen „durchgefallen“ sind, auch private Bewerber als mögliche Schulbetreiber anzusprechen. Aber seit Labour an der Macht ist, wurde dies erst in drei Fällen in die Praxis umgesetzt. Das liegt zum einen an den LEAs, die keine privaten Anbieter haben wollen, zum anderen auch an den Firmen selbst, die das Geschäft als nicht hinreichend profitabel einschätzen.
Unternehmergeist, um an 50 000 Pfund zu kommen
Doch die Regierung hat sich eine andere Strategie ausgedacht, die Privatunternehmen einschaltet, um Veränderungen im Schulsystem voranzutreiben: non-profit sponsorship. Diese gemeinnützige Sponsoring existiert in zwei Formen. Die harmlose, aber üblichere Form ist das Sponsoring von „Fachschulen“, also von weiterführenden Schulen, die sich neben dem Pflichtlehrplan auf Fachgebiete wie Kunst, moderne Sprachen, Wissenschaft oder Wirtschaft spezialisieren. Der Grundgedanke ist, dass Schulen der wachsenden Diversifizierung ihrer Schülerschaft gerecht werden, um sämtliche Begabungen fördern zu können. Diese Auswahlmöglichkeit wird als Schritt zur Demokratisierung gesehen; allerdings sind die wenigsten Lehrer von dem Prinzip überzeugt. Doch die Finanzierungsanreize seitens der Regierung haben bewirkt, dass über die Hälfte aller weiterführenden Schulen in Großbritannien inzwischen Spezialschulen sind. Um diesen Fachschulstatus zu erreichen, müssen die Schulen 50 000 Pfund, etwa 73 000 Euro, von externen Sponsoren auftreiben – vorzugsweise aus der privaten Wirtschaft.
Diese Regelung hat eine doppelte Funktion: Zum einen soll die Schulleitung mit „Unternehmergeist“ infiziert werden; zum anderen sollen die Schulen engere Beziehungen zur Geschäftswelt entwickeln. In der Praxis sind viele der Sponsoren große Banken, Einzelhändler oder Industriefirmen, die vor allem ihr „gemeinnütziges Engagement“ demonstrieren wollen. An der Leitung einer Schule sind sie nicht interessiert, auch wenn sie zuweilen einen Sitz in einem Schulausschuss anstreben. Auffällig ist, dass unter den Sponsoren keine „Bildungsunternehmen“ vertreten sind. Nur einige engagieren sich für spezielle Businesskurse, von denen sie sich Einfluss auf die Ausbildung künftiger Arbeitskräfte versprechen. Manche Software-Verkäufer sind allerdings auf direktere Profite aus, indem sie eine Schule unterstützen, die ihnen im Gegenzug ihre Software abkauft.
Die zweite, massivere Form ist das Sponsoring von „Akademien“, die ebenfalls auf eine Initiative der Labour-Regierung zurückgehen. Die Akademien sind neue staatliche weiterführende Schulen in sozial benachteiligten Gegenden. Sie werden von der Regierung direkt finanziert und unterliegen dem Gesetz für Privatschulen, womit sie außerhalb des gesetzgebenden Rahmens für die übrigen staatlich organisierten Schulen liegen. Das bedeutet unter anderem, dass diese Schulen nicht den LEAs unterstehen und damit in ihrer Lehrplangestaltung frei sind. Nach dem Wunsch der Regierung sollen die Akademien von Unternehmern, Kirchen oder Verbänden betrieben werden. Bislang gibt es im ganzen Lande erst 17, bis 2010 sollen es 200 sein. Sponsoren müssen 20 Prozent der Investitionskosten der Schule tragen, meist umgerechnet knapp 3 Millionen Euro. Die Regierung übernimmt den Rest der Kosten für den Bau der Schule – tatsächlich um die 40 Millionen Euro, weit mehr als für reguläre Schulen – sowie die laufenden Kosten. Den Sponsoren wird also mehr oder weniger eine Schule zu weniger als einem Fünftel des eigentlichen Werts überlassen. Was das Leitungsgremium betrifft, so kann der Sponsor die Mehrheit der Posten besetzen, womit er die gesamte „Akademie“ – einschließlich Ernennung und Beförderung der Lehrer – kontrolliert.
2004 plädierte Tony Blair für diese Akademien mit dem Argument, dass „ein externer Sponsor […] nicht nur finanzielle Absicherung, sondern auch Visionen und Engagement verspricht und zudem berufliche Erfolge außerhalb des schulischen Systems vorzuweisen hat“3 . Neben den Sponsoren aus der Wirtschaft ermutigt die Regierung nun auch Kirchen und elitäre Privatschulen zum Engagement in solchen Akademien.4 Die Sponsoren sind oft Multimillionäre mit ganz unterschiedlichen Motiven. Sie reichen von philanthropischen bis zu kommerziellen Zielen, etwa der Übertragung von Firmeneigentum oder der Förderung des Firmenimages; auch Politik spielt eine Rolle. Sir Peter Vardy etwa, ein großer Autohändler und fundamentalistischer Christ, verfolgt ein besonderes Anliegen: Seine Akademie unterrichtet eine streng bibeltreue Schöpfungsgeschichte als Gegenmodell zur Darwin’schen Evolutionstheorie. Harry-Potter-Bücher sind an der Schule ebenfalls verboten, da sie den Glauben an Hexerei anheizen sollen. Die Schule wurde vom Ofsted inspiziert und positiv bewertet.5
Einige der Business-Sponsoren verfolgen handfestere Ideen und fördern Akademien, die sich mit Wirtschaft beschäftigen. Sie sind an einer berufsorientierten Ausbildung interessiert, die potenzielle Arbeitskräfte liefert. Ein unmittelbares Profitinteresse ist noch nirgends zu erkennen. Die gewinnorientierten „Bildungsunternehmer“ haben sich bislang jedenfalls – bis auf eine Ausnahme – auch aus dem Akademie-Sponsoring herausgehalten.
Noch liegen die Hürden hoch, bis das Sponsoring dazu führt, dass immer mehr staatliche Schulen von gewinnorientierten Unternehmen übernommen werden. Erstens müssten existierende Sponsoren durch eine neue Gruppe ersetzt werden, die die Schulen nach dem Profitprinzip betreiben wollen. Für solche Leute müssten die Schulen also rentabler sein als vergleichbare Investments. Interessant ist dabei ein Blick auf die USA, wo es nur sehr wenige Schulen gibt, die von gewinnorientierten Bildungsunternehmern geleitet werden; kaum eines hat dabei Gewinne gemacht. Die Bilanz der letzten Jahre in England und den USA ergibt ein klares Bild: Die profitablen Chancen für Privatinvestoren liegen eher im Bereich von Bildungsserviceleistungen für die Institutionen – sozusagen in der „Software des Systems“ – als in der Leitung der Schulen selbst.
Die EU-Verfassung kann „Bildungshandel“ verhindern
Die Rentabilität hängt auch davon ab, wie sich die Gats-Regeln für unbeschränkte internationale Dienstleistungen auf das Schulwesen auswirken. Die Lobby der Bildungsunternehmer hat viel eher die weiterführende Bildung im Auge, etwa das profitable Fernstudium, und nicht die Grundschulen. Zudem sind die EU-Regierungen wenig begeistert von dem Gedanken, dass auch die obligatorische Schulbildung unter den Einfluss des Gats gerät. Das Europäische Gewerkschaftskomitee der Lehrer (Etuce) geht davon aus, dass der EU-Verfassungsvertrag einen gewissen Schutz gewährleistet, insofern er den Mitgliedstaaten die Entscheidung darüber überlässt, ob sie sich dem „Bildungshandel“ öffnen wollen oder nicht. Wenn bestimmte Regelungen von einem Mitgliedsland als „ernsthafte Bedrohung“ seines nationalen Schulsystems gesehen werden, bedürfen sie der einstimmigen Verabschiedung durch den EU-Rat. Eine qualifizierte Mehrheit reicht also nicht aus.6
Das Schulsystem in England durchläuft einen Wandlungsprozess, der von einem neuen, vom Staat initiierten Verbund angetrieben wird. In diesem öffentlich-privaten „Bildungskomplex“ wirken zentrale wie lokale Regierungsbehörden mit der Privatwirtschaft zusammen, und zwar an Gewinn bringenden wie an gemeinnützigen Projekten, wobei an letzteren auch Kirchen und andere wohltätige Organisationen beteiligt sein können. Dieser ganze Bildungskomplex orientiert sich immer stärker an privatwirtschaftlichen Zielen, im Sinne einer unmittelbaren Profitabilität der Bildungsbranche ebenso wie im Sinne langfristiger Gewinnperspektiven der Wirtschaft insgesamt. Dabei eignen sich die Bildungsunternehmen Steuergelder an, während zugleich durch die Abhängigkeit der einzelnen Trägerinstitutionen von Sponsoren das Prinzip der vollen staatlichen Alimentierung untergraben wird. Eine weitere Folge ist, dass privatwirtschaftliche Interessen – also Firmen, die Aufträge im Bildungssektor akquirieren, oder Unternehmen, die dank ihrer Sponsorenrolle das Direktorium einer Schule oder „Akademie“ dominieren – das demokratische Mitbestimmungsrecht in Bildungsfragen immer stärker einschränken.