Tulpen, Pilz und Pandemie
In der industriellen Blumenzucht kommen massenhaft Fungizide zum Einsatz – mit gefährlichen Folgen für die globale Gesundheit
von Émile Boutelier und Copélia Mainardi

Die Straße führt meilenweit und schnurgerade mitten durch die Tulpenfelder. Die Gegend hier im historischen Holland, 40 Kilometer südwestlich von Amsterdam, heißt nicht umsonst Bollenstreek, auf Deutsch: Blumenzwiebelregion. Der sandige Boden und das gemäßigte Klima sind ideal für den Anbau von Blumen.
Hier hat Sam van Schooten vor 20 Jahren seinen Tulpenbetrieb gegründet. In den riesigen Lagerhallen warten zigtausende Tulpen-, Dahlien- und Lilienzwiebeln darauf, in die ganze Welt verschifft zu werden oder einen Pseudowinter in der Kühlkammer zu verbringen. Es ist feucht, die auf vollen Touren laufenden Ventilatoren sorgen für das richtige Klima.
Hier herrschen beste Bedingungen für die Ausbreitung phytopathogener Pilze: „Das ist für uns Gartenbauer ein enormes Problem, schlimmer als Insekten oder andere Parasiten“, sagt van Schooten. Botrytis und Fusarium, die beiden bekanntesten Arten, sind wahre Plagen für die 1500 Pflanzenarten, die van Schooten hier auf 10 Hektar anbaut.

Um sie loszuwerden, müsse man massiv Fungizide einsetzen, und zwar in drei Etappen: Vor der Pflanzung werden die Blumenzwiebeln besprüht, danach sind, sobald die Zwiebeln sprießen, die Felder dran; und schließlich werden die neuen Zwiebeln nach der Ernte und vor der Lagerung behandelt. „Aber unsere Pestizide sind alle biologisch“, sagt van Schooten.
Die Niederlande haben ein Modell hochintensiver Pflanzenzucht entwickelt und sind damit zur weltgrößten Exportnation von Schnittblumen und Blumenzwiebeln aufgestiegen; 2024 lag ihr Marktanteil bei 52 Prozent mit einem geschätzten Wert von ca. 4,7 Milliarden Euro.1 Sie setzen vor allem auf technische Innovationen und eben den massiven Einsatz von Pestiziden: Fungizide, Insektizide, Herbizide und Mittel gegen Parasiten.
Das Geschäft mit den Blumen ist eng mit der Entwicklung des Kapitalismus verbunden. Mitte des 17. Jahrhunderts sorgte die sogenannte Tulpenmanie für die vermutlich erste Spekulationsblase in der modernen Wirtschaftsgeschichte; bestimmte seltene Zwiebeln waren damals teurer als Häuser in der Amsterdamer Innenstadt. Nicht wenige Spekulanten, wie auch der berühmte Maler Rembrandt van Rijn, haben sich dabei hoch verschuldet.
Heute sind die Blumen zwar billig, aber der Wettbewerb ist hart. „Unsere 2 Prozent Gewinn pro Jahr werden automatisch in Innovationen reinvestiert. Wenn es hier gut läuft, dann kauft man einen Traktor und keinen Ferrari!“, sagt van Schooten. Doch der intensive Einsatz von immer neuen Pflanzenschutzmitteln hat dazu geführt, dass der für Menschen gefährliche Schimmelpilz Aspergillus fumigatus resistente Mutationen entwickeln konnte.
Überall in unserer Umwelt und in unseren Organismen leben Pilze, ebenso wie Bakterien und Viren. Weltweit gibt es schätzungsweise 3,8 Millionen Pilzarten, von denen nur 150 000 wissenschaftlich beschrieben sind.2 Die meisten Pilze sind harmlos, manche sind an lebenswichtigen Symbiosen beteiligt. Der Schimmelpilz Penicillium hat Medizingeschichte geschrieben: Am 28. September 1928 entdeckte der britische Bakteriologe Alexander Fleming durch einen Zufall, dass der Schimmelpilz das Wachstum von Bakterienkulturen hemmt. Es sollte jedoch noch viele Jahre dauern, bis das Penizillin nach dem Zweiten Weltkrieg als Breitbandantibiotikum gegen Infektionskrankheiten in großen Mengen produziert und angewendet wurde.
Aber manche Pilze lösen invasive Infektionskrankheiten (invasive fungal infections, Ifis) aus. Wenn zum Beispiel der für die Schleimhäute zwar unangenehme, aber harmlose Hefepilz Candida in den Blutkreislauf gerät, kommt es zu einer Candidämie, die im schlimmsten Fall zu einer lebensgefährlichen Sepsis führen kann. Solche systemischen Pilzinfektionen verbreiten sich inzwischen auf der ganzen Welt und sorgen in der Fachwelt wegen ihrer drastischen Zunahme für Besorgnis. Die Pilzart Candida auris, die 2009 erstmals in Japan im Ohr einer Frau gefunden wurde, erklärten die US-Gesundheitsbehörden inzwischen sogar zu einer weltweiten Bedrohung: Allein in den USA stiegen die Fallzahlen von 51 im Jahr 2016 auf 4514 im Jahr 2023.3
Paradoxerweise geht mit dem medizinischen Fortschritt auch die Verbreitung invasiver Pilzerkrankungen einher. „Durch den zunehmenden Einsatz von Immunsuppressiva und Chemotherapien sowie durch Transplantationen von Organen oder Rückenmark hat auch in den entwickelten Ländern die Anzahl von Menschen mit geschwächter Abwehr zugenommen; sie sind mykosegefährdet“, erklärt Fanny Lanternier, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für invasive Pilzinfektionen (CNRMA) am Pariser Institut Pasteur.
Die 2023 von diesem Zentrum erfassten systemischen Mykosen wurden vor allem an Krankenhauspatienten in der Hämatologie, in der Onkologie und auf Intensivstationen festgestellt.In Frankreich hat eine Studie zu invasiven Pilzinfektionen auf Grundlage der landesweiten Datenbank der Krankenhausentlassungen in der Zeit zwischen 2001 und 2010 fast 36 000 Fälle dokumentiert.
Die Autor:innen schätzen, dass die weltweite Inzidenz bei jährlich 5,9 Fällen pro 100 000 Menschen liegt. Die invasive Aspergillose, bei der meistens die Lunge infiziert wird, ist für 26 Prozent dieser Fälle verantwortlich und die Candidämie für 43 Prozent. In dem genannten Zeitraum ist auch die Inzidenz der tödlichsten Infektionen stark gestiegen.
Die weltweite Verbreitung von Pilzinfektionen hängt allerdings mit verschiedenen Faktoren und Risiken zusammen. So sind etwa bei HIV-Patient:innen die invasiven Mykosen stark zurückgegangen, weil ihr Immunsystem dank der antiretroviralen Medikamente besser dagegen gewappnet ist. Bei Diabetes oder nach Organtransplantationen hat sich das Infektionsgeschehen kaum verändert, wohingegen bei Patient:innen mit hämatologischen oder onkologischen Erkrankungen immer öfter besonders schwere Verläufe durch Pilzinfektionen beobachtet werden.
Dass heutzutage mehr Mykosen entdeckt werden, ist auch einer verbesserten Diagnostik zu verdanken, etwa durch Biomarker (PCR- und Antigentests), mit deren Hilfe ungefähr seit den 2000er Jahren Pilzinfektionen viel schneller und präziser identifiziert werden können, erklärt Laurence Millon, Leiterin der Abteilung für Parasitologie und Mykologie am Universitätskrankenhaus von Besançon. Daher sei unklar, ob die Gefahr wirklich wächst oder „ob wir einfach nur unsere Fähigkeiten verbessert haben, sie zu entdecken“.
Neben den Fallzahlen bereiten auch die Sterblichkeitsraten den Experten Sorgen. Nach Angaben des Institut Pasteur verstarben 40 Prozent der 3666 Patient:innen, bei denen 2023 eine invasive Mykose festgestellt wurde, innerhalb von drei Monaten nach der Diagnose. Bei den aggressiven Mukormykosen, auch als „schwarzer Pilz“ bezeichnet, waren es sogar 50 Prozent. „Pilzinfektionen sind nach wie vor sehr schwer zu behandeln“, erklärt die Forscherin Millon. „Oft ist es schwierig nachzuweisen, ob sie allein zum Tod geführt haben. Nur eines ist sicher: Die Patient:innen haben eine viel kürzere Lebenserwartung.“
Bis in die 1980er Jahre war das medizinische Personal bei schweren Pilzinfektionen nahezu hilflos: Die einzigen Antimykotika, die damals zur Verfügung standen, wie Amphotericin B seit den 1950er Jahren oder Clotrimazol, das von der Firma Bayer in den 1970er Jahren produziert wurde, hatten toxische Nebenwirkungen und schädigten zum Beispiel die Nieren. Sie eigneten sich daher nicht für die systemische Anwendung.
Weiterentwicklungen mit besserer Verträglichkeit sind heute Fluconazol, Voriconazol oder Posaconazol, das 2005 unter dem Handelsnamen Noxafil auf den Markt kam. Die Medikamente sind gut verträglich und werden oft prophylaktisch oral verabreicht, das heißt bereits vor dem Auftreten von Symptomen allein aufgrund der Gefährdung einer Person. Dadurch sank die Zahl der mit invasiven Pilzinfektionen verbundenen Todesfälle beträchtlich.
„Die Verbesserung der Diagnoseinstrumente in den 2000er Jahren ging auch mit einer besseren epidemiologischen Kontrolle einher“, berichtet Laurence Millon. Die hochentwickelten Länder richteten nach und nach eigene Kontrollbehörden ein, wie 2011 die Niederlande oder 2012 die USA. In Frankreich und Deutschland erfassen und überwachen die jeweiligen Nationalen Referenzzentren für Invasive Pilzinfektionen (CNRMA beziehungsweise NRZMyk) die Infektionsdaten, ebenso das Europäische Exzellenzzentrum für Invasive Pilzerkrankungen (ECMM).
Für die weltweite Verbesserung der Diagnose und erschwingliche Tests für alle setzt sich seit 2013 die internationale Organisation Gaffi (Global Action Fund for Fungal Infections) ein, die ihren Sitz in Genf in der Schweiz hat und einen weiteren in Altrincham bei Manchester in Großbritannien (siehe nebenstehenden Kasten).
Neben der medikamentösen Behandlung geht es mittlerweile auch um Risikominimierung, etwa durch Isolationszimmer in Krankenhäusern, die mit einer speziellen Lüftungstechnik ausgestattet sind, damit keine Pilzsporen in die Zimmer vorerkrankter Patient:innen gelangen können.
In der Universitätsklinik von Besançon etwa werden in allen Fluren wöchentlich Luftproben entnommen und im Labor analysiert. „Unsere Stationen für Intensivmedizin und Hämatologie/Onkologie sind wirklich Antisporenbunker“, sagt die Forscherin Steffi Rocchi, „aber die Patienten stecken sich auch zu Hause an.“
Seit 2015 wird allen Patient:innen mit Immunschwäche oder Blutkrankheiten daher eine Beratung für die Gestaltung ihrer Wohnräume empfohlen. „Manchmal findet man in den Wohnungen der Patienten ausgestopfte Tiere oder Kornähren als Dekoration, auf denen ganz viele Pilzsporen sitzen“, erzählt Steffi Rocchi. „Und die Leute glauben, sie leben in einer gesunden Umgebung!“ Derartige Vorsorgemaßnahmen haben zusammen mit den Fortschritten in der Diagnostik und der Wirksamkeit der neuen Medikamente viel bewirkt und die Todesfälle deutlich reduziert. „Doch die Infektionen stellen wegen ihrer hohen Letalität und dem Auftauchen einiger sehr resistenter Pilze nach wie vor eine Bedrohung dar“, warnt Fanny Lanternier,
Seit etwa 20 Jahren sind durch die Intensivlandwirtschaft – vor allem im Gartenbau – tatsächlich besorgniserregende Resistenzen entstanden, die die Wirksamkeit der Antimykotika reduzieren. Bis dahin kamen Resistenzen, ähnlich wie bei den Antibiotika, hauptsächlich nach einer falschen Anwendung der Medikamente vor.
Doch dann entdeckte die Forschung einen anderen Typ von Resistenz, die sogenannte Umweltresistenz, die sich durch den Einsatz von Fungiziden in der Landwirtschaft bei infektiösen Pilzen entwickelt. „Die Verdichtung von Kulturen, der Einsatz produktiverer Pflanzensorten mit schnellem Wachstum, die folglich auch empfindlicher sind, und die äußerliche Perfektionierung der Produkte nach rein ästhetischen Maßstäben haben zu einer massiven Steigerung beim Einsatz von Fungiziden geführt und damit auch der Resistenzen“, kritisiert Sylvie Colas, Sprecherin der Bauernvereinigung Confédération paysanne.
Auch wenn die Forstwirtschaft und der Wein- und Getreideanbau ebenfalls stark betroffen sind, gilt der Gartenbau als Nummer eins bei der Entwicklung resistenter Pilzstämme. „Dort nutzt man viel mehr Pestizide als bei den anderen Kulturen, weil es hier weniger strenge Vorschriften als für essbare Produkte gibt“, erklärt Patrice Le Pape, Professor für medizinische Parasitologie und Mykologie an der Universität Nantes. Zudem erleichtert das Lagern von Gartenabfällen und das häufigere Pflügen der Blumenfelder die Ausbreitung schädlicher Pilze.
„In Holland weisen heute fast 20 Prozent der Aspergillus-fumigatus-Stämme, die wir bei unseren Patienten entdecken, Umweltresistenzen auf. Was die Ärzte bereits dazu bewogen hat, im ersten Schritt gar keine Azole mehr einzusetzen“, sagt Paul Verweij, Professor für klinische Mykologie am Gesundheitszentrum der Radboud-Universität in Nijmegen.
Verweij verfasste die ersten wissenschaftlichen Arbeiten zu den kombinierten Resistenzen gegen landwirtschaftliche Fungizide und Antimykotika. Die resistenten Aspergillusmutationen, die vor allem aus der intensiven Tulpenzucht stammen, verbreiten sich von Holland aus über die ganze Welt.
Als man 2019 im Uniklinikum von Besançon für eine Studie die Tulpen von der Krankenhausterrasse untersuchte, fand man massenweise azolresistente Pilzsporen.4 Es stellte sich heraus, das von 69 resistenten Aspergillus-fumigatus-Isolaten 59 aus niederländischen Tulpentöpfen stammten, fünf aus der Erde von eingetopften Bäumen und fünf aus Luftproben in den Fluren des Krankenhauses.
In Frankreich haben solche Resistenzen in den letzten Jahren stark zugenommen, wie das Nationale Referenzzentrum feststellte: Das Institut Pasteur erfasste 2023 insgesamt 500 Fälle invasiver Aspergillosen; 9 Prozent dieser Aspergillus-fumigatus-Stämme wiesen eine Resistenz gegen Azole auf. „Es gibt nur vier Klassen von Antimykotika, und die drei anderen sind entweder weniger wirksam oder haben toxische Nebenwirkungen. Wenn wir den Vorteil der Azolfungizide verlieren, gerät unser gesamtes Modell zur Bekämpfung invasiver Pilzinfektionen in Gefahr“, warnt Laurence Millon.
„Denn solche Infektionen verlaufen sehr schnell. Wir brauchen aber vier bis fünf Tage, um festzustellen, ob der Pilzstamm resistent ist. Erst danach können wir ein alternatives Fungizid verabreichen. In der Zwischenzeit kann sich der Pilz in der Lunge ausbreiten oder in die Blutgefäße gelangen. Wenn wir eine invasive Aspergillose feststellen, beträgt die Mortalität bei einem nichtresistenten Pilzstamm 40 Prozent, aber wenn er resistent ist, steigt sie auf 90 Prozent.“ Das Problem muss daher grundsätzlich angegangen werden.
Etwa 100 Kilometer entfernt von der Bollenstreek liegt der Bauernhof der Huiberts. Niedriger Himmel, feuchter Wind, eisiger Regen: An diesem Winternachmittag scheint alles wie erstarrt. In seinem schlammigen Hof empfängt uns John Huibert. Der zurückhaltende Gartenbauer hat nach einigem Zögern schließlich zugestimmt, mit uns über seinen Umstieg auf Biolandwirtschaft zu sprechen.
„Vor zehn Jahren erkrankte meine Tochter an Enzephalitis“, erzählt er. „Die Ärzte vermuteten damals, es könnte etwas mit unseren Pestiziden zu tun haben.“ Dieser Zusammenhang ist zwar schwer nachzuweisen, doch es gibt schon Studien darüber, dass der regelmäßige Kontakt mit Pestiziden das Risiko erhöht, an Neurodegenerationen wie Parkinson zu erkranken. Die Huiberts waren jedenfalls so alarmiert, dass sie beschlossen, aus der konventionellen Landwirtschaft auszusteigen.
„Die ersten Jahre waren sehr hart“, berichtet John Huiberts, weil sie sich komplett hätten umstellen müssen. Aber die Mühe habe sich gelohnt: „Heute haben wir keine Probleme mehr mit Pilzen. Die Biozucht nährt nicht nur die Pflanze, sondern auch den Boden, und gesunde Böden brauchen keine Fungizide.“
Kann die biologische Pflanzenzucht das Risiko von Antimykotikaresistenzen tatsächlich verringern? Um das zu testen, machte Millons Team im Krankenhaus von Besançon ein kleines Experiment: Alle gespritzten Tulpenzwiebeln in den Beeten wurden durch biologisch gezüchtete ausgetauscht. Ein Jahr später waren die resistenten Pilzstämme von 71 auf 3 Prozent zurückgegangen.
Im Großen ist so ein Umstieg auf den Bioanbau allerdings komplizierter – gerade in den Niederlanden, wo 80 Prozent der Blumenzwiebeln für den Export angebaut werden. „Die konventionellen Betriebe produzieren größere und billigere Zwiebeln und können deshalb mehr exportieren, was auch für mehr Steuereinnahmen sorgt“, erklärt Huiberts. „Das verschafft ihnen auch politischen Rückhalt.“
Sachverständige fordern europaweit schon länger verschärfte Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pestiziden. Am 30. Januar 2025 stellten die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) und vier weitere für Gesundheit und Umwelt zuständige EU-Agenturen einen entsprechenden Bericht vor, nachdem sie erstmals überprüft hatten, wie sich die Anwendung von Azolen außerhalb der Humanmedizin auf die Gesundheit auswirkt.5
„Wenn man die Fungizide schon insgesamt nicht verbieten kann, muss man zumindest eine Wirkstoffklasse für medizinische Zwecke vorbehalten und sicherstellen, dass sie nicht durch den Einsatz in der Landwirtschaft wirkungslos werden“, sagt Laurence Millon. Blockiert werden solche Maßnahmen allerdings durch die enge unternehmerische Verquickung von medizinischer und agrochemischer Forschung. So produziert die Bayer AG als Weltmarktführer in der Pharma- und Chemieindustrie sowohl die in der Landwirtschaft eingesetzten Azolfungizide als auch medizinische Antimykotika.
Wegen der in der Landwirtschaft stetig wachsenden Resistenz von Pilzen, die ganze Ernten vernichten können, versucht die Agrarindustrie immer neue Wirkstoffe zu finden. Erst vor Kurzem hat die US-Umweltbehörde EPA drei neue Produkte mit dem Wirkstoff Florylpicoxamid, einem Breitbandfungizid, zugelassen.6 Dabei gibt es schon Studien, die einen Zusammenhang zwischen den Resistenzen von Antipilzmitteln in Landwirtschaft und Humanmedizin festgestellt haben, etwa bei dem agrochemischen Fungizid Ipflufenoquin, dessen Wirkstoff auch in dem Medikament Olorofim enthalten ist.7
Die mangelnde Transparenz der chemischen Industrie erschwert die Einhegung durch Regelwerke. „Selbst die Bauern wissen nicht, was sie da versprühen“, sagt Verweij. „Wir verfügen zwar über Daten der verkauften Produkte, aber es gibt kein detailliertes Register der chemischen Zutaten.“ Dadurch lassen sich Kausalitäten zwischen bestimmten Pflanzenschutzmitteln und Resistenzen immer noch schwer nachweisen. Nachdem das EU-Parlament im November 2023 den Vorschlag der EU-Kommission abgelehnt hatte, bis 2030 die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln in der Europäischen Union um die Hälfte zu reduzieren, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Februar 2024, dass die geplante Pestizidverordnung zurückgezogen wird. Nach wochenlangen Protesten von Landwirten bräuchte es „einen intensiveren Dialog und eine andere Vorgehensweise“. Bis heute hat man nichts mehr davon gehört.
3 „Candida auris“, US Centers for Disease Control and Prevention, www.cdc.gov.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Copélia Mainardi und Émile Boutelier sind Journalist:innen.
Globale Verbreitung
Während in den industrialisierten Ländern die Todesfallzahlen nach invasiven Pilzinfektionen minimiert werden konnten, stellt die rasche Verbreitung dieser Infektionen eine große Gefahr für die Länder des Globalen Südens dar.
Mitten in der Coronapandemie erlebte etwa Indien 2021 einen heftigen Ausbruch von Mukormykose, einer Pilzinfektion, die sich in Augen, Nebenhöhlen und Gehirn verbreitet und zu Gesichtsnekrosen führen kann. Waren bis dahin weltweit 10 000 Fälle pro Jahr aufgetreten, wurden allein in Indien innerhalb von drei Monaten 47 500 Fälle diagnostiziert, mit einer Sterblichkeitsrate von 50 Prozent. Eine Studie an einer Testgruppe kam zu dem Ergebnis, dass fast 80 Prozent der Patient:innen an Diabetes litten und etwa derselbe Prozentsatz Immunsuppressiva gegen die Covidinfektion erhalten hatte.
In Zukunft könnten Pandemien wie Grippe oder Covid eine Welle invasiver Pilzinfektionen nach sich ziehen: Eine französische Mycovid-Studie konnte zeigen, dass Patient:innen mit einer schweren Coronainfektion ein erhöhtes Risiko hatten, an invasiver Aspergillose zu erkranken, und diese Infektion ihr Sterblichkeitsrisiko verdoppelte. In Verbindung mit unzureichenden Gesundheitssystemen lassen solche Studienergebnisse verheerende Doppelepidemien befürchten.
Auch die Erderwärmung trägt dazu bei, dass sich invasive Pilzinfektionen noch stärker ausbreiten könnten als bisher. Das Institut für Mikrobiologie der chinesischen Akademie der Wissenschaften hat im Juni 2024 erstmals den Hefepilz Rhodosporidiobolus fluvialis beim Menschen nachgewiesen, der bei 37 Grad Körpertemperatur schneller mutierte als bei 25 Grad und eine Resistenz gegen die üblichen Antimykotika entwickelte. Pilze seien stressresistent und könnten sich an steigende Temperaturen und die Bedingungen im menschlichen Körper genetisch anpassen, erklärt der niederländische Mykologe Paul Verweij.
Eine solche Entwicklung lässt sich auch bei extremen Klimaereignissen beobachten: Der Tsunami, der 2004 Küstengegenden in Südostasien überschwemmte, zog einen Anstieg invasiver Pilzinfektionen wie Mukormykosen nach sich, da sich die Menschen über oberflächliche Wunden mit Sporen im Wasser und in den Trümmern infizierten. Und in Kalifornien und Arizona verbreiten sich Pilzsporen regelmäßig durch Staubstürme über große Entfernungen und lösen einen Anstieg von Kokzidioidomykosefällen (auch Valley Fever oder Wüstenrheumatismus genannt) aus.
Solche Ereignisse zeigen, wie wichtig eine globale Koordination gegen Pilzinfektionen ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte 2022 eine Liste, die als Referenzwerk zur Identifikation und Klassifikation von krankheitserregenden Pilzen, die für die öffentliche Gesundheit besonders bedrohlich sind, dienen kann.
Der Global Action Fund for Fungal Infections (Gaffi) will Pilzinfektionen weltweit bekämpfen und den ärmsten Ländern besseren Zugang zu Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten verschaffen. „In der offiziellen Zahl von 1,6 Millionen Toten pro Jahr sind längst nicht alle Fälle erfasst, weil viele Länder gar nicht über die entsprechenden Diagnoseinstrumente verfügen“, sagt der Mitbegründer der NGO und Mikrobiologe Juan Luis Rodríguez Tudela. Sobald solche Diagnosemöglichkeiten vorhanden seien, steige den Studien zufolge auch die Inzidenz. „Im Zentrum müsste der Transfer von Technologie und Ausbildung von Ländern mit hohem Einkommen hin zu solchen mit geringem und mittlerem Einkommen sein.“⇥É. B. und C. M.