Abschied von der Soft Power
von Philip S. Golub

Der Begriff Soft Power (weiche Macht) wurde 1990 von dem US-Politikwissenschaftler Joseph Nye geprägt. Seitdem ist er zum gängigen Begriff für Einflussdiplomatie im Rahmen der liberalen und auf die USA zentrierten Globalisierung geworden, deren Ende wir gerade erleben.
Auch in China und Europa fand das Wort Eingang in den politischen Diskurs auf akademischer Ebene wie in den Medien. In jüngster Zeit jedoch, in der wieder massiv aufgerüstet wird, das Völkerrecht erodiert und aggressive ethnonationalistische Strömungen auf dem Vormarsch sind, hat die Soft Power ihren Einfluss auf die globalen Realitäten verloren. Wenn sie ihn je hatte.
Donald Trumps Attacke auf die US-Entwicklungsbehörde (USAID) zielt auf eine Institution, die als Instrument im Kampf gegen den Kommunismus und später gegen sogenannte illiberale Regime gedacht war. Rund um den Globus sollte die freie Welt in ein positives Licht gerückt werden. Doch das Ringen um die hearts and minds hat ausgedient; was heute zählt, sind die Machtverhältnisse zwischen den Großmächten (China, Russland, USA) und die nackte Ohnmacht der „Schwachen“ (etwa Panama, Kolumbien, Palästina). „Die Starken tun, was sie wollen, und die Schwachen erdulden, was sie müssen“ – Trumps Verständnis von Diplomatie entspricht exakt dieser von Thukydides übermittelten Maxime der alten Griechen.

Damit ist die Kritik am Konzept der weichen Macht freilich nicht überflüssig geworden. Denn der Begriff steht nicht nur theoretisch auf schwachen Füßen, er verschleiert auch das Wesen der geopolitischen Machtstrukturen, statt es aufzudecken.
Der Begriff entstand gegen Ende des Kalten Kriegs, als man sich in den USA fragte, welche Rolle die westliche Vormacht innerhalb des internationalen Systems spielen sollte. Angesichts der Globalisierung galt die klassische Machtpolitik nun als Auslaufmodell.
In seinen Publikationen der 1990er Jahre1 versuchte Nye die Ende der 1980er Jahre weitverbreitete These vom Niedergang der USA zu entwerten und den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen, um den „USA ihre Position des größten und mächtigsten Staats auch am Ende des 21. Jahrhunderts“ zu sichern. Diesem Ziel sollte das ideologisch-politische Instrument der weichen Macht dienen.
Unter den Begriff Soft Power fasst Nye alle immateriellen Ressourcen, die in den internationalen Beziehungen eine „feststellbare, aber nicht greifbare“ Anziehungskraft entfalten, welche eine Anpassung an die politischen Präferenzen des „dominierenden Staats“ bewirkt. Für Nye beruhte diese Wirkung auf der global wirksamen Attraktion der „amerikanischen Werte“, auch im Bereich der Kultur und der politischen Ideale. Diese Anziehungskraft habe die USA befähigt, eine institutionelle Ordnung zu schaffen, die ihren eigenen Ambitionen erhöhte Legitimität verleihe.
Da die USA seit Langem über solche Soft Power verfügen, könnten sie auf „die kostspielige Ausübung von Zwang oder Gewalt“ verzichten und sich auf den freiwilligen Konsens anderer Gesellschaften und Staaten verlassen.
Wenn man die anderen dazu bringt, sich aus freien Stücken an die eigenen Einstellungen anzupassen, ist das natürlich besser, als sie gewaltsam zum Gehorsam zu zwingen. Aber die Wirkmechanismen, die dabei zum Einsatz kommen, sind eine zwiespältige Sache. Natürlich weiß man, dass Zustimmung – außer in einer Tyrannei – nicht allein auf autoritärer Macht oder auf der Furcht vor Gewalt basiert. Sie beruht auch, oder sogar vor allem, auf der Überzeugung großer Teile der Bevölkerung, dass die von den Herrschenden beanspruchte Autorität rechtmäßig ist.
Die Legitimierung von Herrschaft gibt die Hierarchie als etwas „Natürliches“ aus und trägt damit zu dem bei, was Max Weber – und später Pierre Bourdieu – die „Fügsamkeit der Beherrschten“ nannte. Die vermeintlich naturgegebene Ordnung wird jedoch immer wieder aufs Neue infrage gestellt, weshalb stets eine Machtreserve bereitsteht, um die gefährlichen Klassen in Schach zu halten.
Die Vorstellung einer Gesellschaft oder eines politischen Systems ohne Zwang ignoriert schlicht die bestehenden Macht- und Konfliktverhältnisse. Die symbolische Macht im Sinne Bourdieus ist nur eine „verkennbare, transfigurierte und legitimierte Form anderer Formen der Macht“.2
Kann es in der Sphäre der internationalen Beziehungen, wo in der Regel eine Konkurrenz ungleicher Akteure herrscht, überhaupt freiwilliges Einverständnis geben? Das Problem mit der Soft Power ist weniger, dass sie nicht quantifizierbar ist (weshalb sie als Erklärungsvariable für das Verhalten von Staaten wenig taugt), sondern dass sie die nationalen und imperialen Interessen der Herrschenden ins Gewand universaler Geltung kleidet.
Für Nye und andere liberale Theoretiker ist die Soft Power in den westlichen Gesellschaften und vor allem in den USA entstanden, die angeblich seit dem Zeitalter der Aufklärung universelle politische und moralische Werte repräsentieren, denen jedes rationale Individuum spontan zustimmen müsse. Der Westen behauptet seit dem 19. Jahrhundert, er beglücke den Rest der Welt, der auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe hängen geblieben sei, mit modernen zivilisatorischen Errungenschaften.
Doch der Universalitätsanspruch einer bestimmten Gesellschaft gerät zwangsläufig in Konflikt mit der Vielfalt des Lebens auf unserem Globus und mit verschiedenartigen Legitimationsansprüchen, die aus anderen historischen Entwicklungsverläufen resultieren. Bei alledem ist der westliche Legitimationsanspruch durch eine koloniale und imperiale Vergangenheit kontaminiert, die keineswegs abgeschlossen ist.
Die meisten Gesellschaften des Globalen Südens verfallen nicht in demokratische Verzückung, wenn sie sich in Erinnerung rufen, wie die USA mit nackter Gewalt oder mittels Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds ihre machtpolitischen Ziele verfolgt haben. Angesichts der Bilanz des militärischen Interventionismus der USA nach 1945 oder der gewaltsamen territorialen Expansion in den vorangegangenen 150 Jahren – insbesondere mit dem Krieg gegen Mexiko (1846–1848) – sowie der Unterstützung für autoritäre (kapitalistische) Regime in der Zeit des Kalten Kriegs käme man kaum auf die Idee, diesem Land eine inhärente demokratische Legitimität zuzuschreiben. Das Gleiche gilt auch für andere Länder, etwa für Frankreich hinsichtlich seiner Rolle in Afrika.
Dennoch hatte die US-Gesellschaft zweifellos eine gewisse Anziehungskraft und hat sie immer noch. Die Frage ist nur: Wann, wie und für wen?
Von Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Jahr 1924, als sich die Tür für People of Color und für nicht als hinreichend weiß befundene Menschen aus Europa schloss,3 zog das Traumland Amerika Millionen von Migrant:innen an, die der Armut oder religiös-ethnischer Verfolgung entkommen wollten. Anfangs waren das vornehmlich Menschen aus Irland und Südeuropa, dazu viele osteuropäische Juden. Nach 1945, in der Zeit des Kalten Kriegs, wurden viele Geflüchtete von jenseits des Eisernen Vorhangs aufgenommen, während aktive Linke aus Westeuropa oder Revolutionäre aus dem Globalen Süden weniger willkommen waren.
Besonders anziehend sind die USA für die wirtschaftlichen und kulturellen Eliten, die sich problemlos zwischen den Metropolen dieser Welt bewegen, etwa Wissenschaftlerinnen oder Studierende. Im Gegensatz dazu wollen die Millionen von Migrant:innen und Asylsuchenden aus Lateinamerika und allgemein dem Globalen Süden der Armut und endemischer Gewalt entkommen. Ob sich Menschen von den USA angezogen oder abgestoßen fühlen, hängt also von ihrem soziokulturellen Hintergrund ab. Internationale Legitimitätsansprüche lassen sich also nicht von zeitlosen Merkmalen oder dem Wesen einer Gesellschaft ableiten.
Doch Soft Power spielt nicht nur in den Strategien westlicher Staaten eine Rolle. 2006 übernahm die Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) das Konzept für Pekings Außenpolitik. Präsident Hu Jintao formulierte es so: „China muss seine Stellung und seinen Einfluss auf internationaler Ebene zum einen durch harte Machtfaktoren – allen voran Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie und Landesverteidigung – und zum anderen durch weiche Machtfaktoren wie die Kultur stärken.“ Auf dem 17. Kongress der KPCh im Oktober 2007 erklärte Hu: „Die Kultur ist zu einem wichtigen Faktor für den Wettbewerb um globale nationale Stärke geworden.“4
Hus Nachfolger Xi Jinping entwickelte das Konzept weiter zu seiner Vision vom Chinesischen Traum, die sich als historisches Projekt der nationalen Erneuerung versteht. Gemeint ist damit der Aufbau einer prosperierenden Gesellschaft mittels Förderung des Nationalstolzes und einer sozialistischen geistigen Zivilisation. China soll seiner Stimme in der Welt mehr Gehör verschaffen, auch mit Verweis auf seine „herausragende Kultur, deren Geschichte in der ganzen Welt gehört werden sollte“.5
Ursprünglich war das Chinesischer-Traum-Konzept erdacht worden, um in China selbst die kollektive Identität und die Legitimität des Parteistaats auf ein neues Fundament zu stellen. Inzwischen wird der Traum aber auch nach außen getragen, kulturpolitisch vor allem durch die Konfuzius-Institute. Von denen wurden in den letzten 20 Jahren immer mehr gegründet: 2007 gab es nur 156, heute sind es 525.
Auch in diesem Fall verschleiern die Soft-Power-Diskurse die Machtstrukturen, die das weltpolitische Geschehen bestimmen. Das Verständnis von Soft Power ist in China wie in Nordamerika mit Zwang gepanzert, und das meist unverhohlen. Kurz nach Xi Jinpings erster Rede von 2023 über den Chinesischen Traum organisierte die Volksbefreiungsarmee eine besondere Demonstration: Auf dem Flugzeugträger „Liaoning“ ließ sie die Mannschaften an Deck in einer Formation antreten, die in chinesischen Schriftzeichen die Parole „Chinesischer Traum, militärischer Traum“ abbildete.
Propaganda dieser Art wird regelmäßig auch über die staatlichen Medien verbreitet. 2013 erschien in China Daily unter der Überschrift „Zum Chinesischen Traum gehört eine starke VBA“ ein Artikel von Meng Xiangqing. Der Professor an der Pekinger Hochschule für Landesverteidigung erklärt: Wenn sich China zu militärischer Macht bekenne, so sei dies nicht mit anderen Ländern vergleichbar. Der Chinesische Traum stehe nämlich für „Frieden und eine Win-win-Entwicklung Chinas und des Rests der Welt“.6 Dass der Rest der Welt – vor allem die Länder Südostasiens – das genauso sehen, darf bezweifelt werden.
Wir sollten uns also von Soft Power als analytischer Kategorie verabschieden. Natürlich ist die diplomatische Beilegung von Konflikten dem Einsatz nackter Gewalt vorzuziehen. Das Gegenmittel gegen den harten Machteinsatz der Mächtigen kann jedoch nicht der Einsatz von weichen Mitteln der Machtausübung sein – sondern allein das Völkerrecht.
5 „Background: Connotations of Chinese Dream“, China Daily, 5. März 2014.
6 Meng Xiangqing, „China Dream Includes Strong PLA“, China Daily, 8. Oktober 2013.
Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld
Philip S. Golub ist Professor für internationale Beziehungen an der American University of Paris und Autor von „Power, Profit and Prestige. A History of American Imperial Expansion“, London (Pluto Press) 2010.