Trumps Rechenfehler
Wie die Zoll-Obsession des US-Präsidenten seinem Land schadet
von Ulrike Herrmann

Präsident Donald Trump hat eine fixe Idee: Er glaubt, dass die Vereinigten Staaten ausgeplündert würden – und zwar von den Geschäftspartnern im Ausland. Die ganze Welt würde über die USA „lachen“, weil das Land mehr importiert als exportiert und Defizite im Außenhandel anhäuft.
Wutentbrannt kündigt Trump ständig neue Zölle an, um US-Firmen vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Zuletzt am 2. April, den er zum „Liberation Day“ erklärte, als er mit einem Rundumschlag quasi alle Handelspartner mit Einfuhrzöllen zwischen 10 und 50 Prozent belegte. Zwei Tage später schrieb er auf seiner Plattform Truth Social: „Meine Politik wird sich niemals ändern.“
Dass Trump die Außenhandelsdefizite für ein gigantisches Problem hält, ist nicht neu. Diese Behauptung hat er schon vor Jahrzehnten verbreitet. Rückblende ins Jahr 1987: Der 41-jährige Immobilienunternehmer aus New York steht kurz vor dem Bankrott, drängt dennoch ständig ins Rampenlicht. Versessen auf Eigen-PR, schaltet er am 2. September eine ganzseitige Anzeige in der New York Times, im Boston Globe und in der Washington Post. Die Anzeige – für satte 94 801 Dollar – ist ein Trump-Brief „an das amerikanische Volk“, in dem er schon damals behauptet, dass die „ganze Welt“ über „unser großartiges Land lachen“ würde.

Am selben Abend darf er seine Thesen dann in der beliebten CNN-Show „Larry King Live“ ausbreiten. Wie für Trump typisch, wiederholt er sich ständig und klagt mehrfach über das „entsetzliche Defizit“, das er auf 200 Milliarden US-Dollar bezifferte. Tatsächlich sind es zu diesem Zeitpunkt nur 160 Milliarden, aber das ist nebensächlich. Wichtig ist Trumps Satz: „Wären die Vereinigten Staaten ein Unternehmen, wären sie bankrott.“1
Dieser eine Satz bezeugt bereits den zentralen Denkfehler des heutigen US-Präsidenten: Trump unterscheidet nicht zwischen Volks- und Betriebswirtschaft. Er behandelt den Staat, als wäre er eine Baufirma. Die USA sind aber keine Klitsche, sondern die größte Volkswirtschaft der Welt – und können sich daher fast grenzenlos verschulden.
Seit 1975 ist die US-Außenhandelsbilanz permanent im Defizit. Dennoch kamen die Vereinigten Staaten bestens damit zurecht, „über die eigenen Verhältnisse“ zu leben, indem man ständig mehr importierte als exportierte.
Schulden sind eben nicht gleich Schulden. Wichtig ist, wer sie macht: Die USA sind nicht Griechenland. Die USA genießen ein „exorbitantes Privileg“, wie sich schon 1960 der spätere französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing beschwerte: Der US-Dollar ist die globale Leitwährung. Jeder will ihn haben – aber nur die USA können ihn „drucken“. Die Herstellung kostet fast nichts, aber mit diesen Dollars können sich die USA mit Waren aus aller Welt eindecken. Die US-Bevölkerung wird automatisch reicher.
Dies ist tatsächlich der beste „Deal“ aller Zeiten, was Trump aber nicht versteht, obwohl er sich selbst für den „besten Dealmaker der Welt“ hält.
Die weltweite Nachfrage nach US-Dollar hat mehrere Gesichter. In vielen Ländern Lateinamerikas und Afrikas ist der Greenback faktisch eine Zweitwährung, weil sich die Leute gegen die heimische Inflation absichern wollen. Die US-Notenbank Fed schätzt, dass etwa 950 Milliarden Dollar außerhalb der USA unterwegs sind, um vor Ort als Zahlungsmittel zu dienen. Zwei Drittel aller 100-Dollar-Scheine zirkulieren nicht in den USA.
Zudem dient der Dollar als globale Recheneinheit. Weltweit stellen Exporteure ihre Rechnungen in Dollar aus, auch wenn sie ihre Güter in ein anderes Land verkaufen und nicht in die USA. Die sind nur an rund 10 Prozent der weltweiten Handelskontrakte beteiligt – und doch werden 40 Prozent des globalen Warenverkehrs in Dollar abgewickelt.
Und schließlich decken sich viele Zentralbanken mit Dollars ein. Sie kaufen US-Staatsanleihen, damit sie ihre Währung verteidigen können, falls die auf den internationalen Finanzmärkten unter Druck gerät. Eher arme Schwellenländer wie Thailand müssen versuchen, einen Exportüberschuss zu erzielen, damit sie Dollars horten können.
Die Brics-Staaten wollen sich zwar vom Dollar emanzipieren und am liebsten selbst eine Leitwährung aufbauen. Dieses Projekt dürfte jedoch schon daran scheitern, dass die Brics-Märkte zu klein sind, um eine Leitwährung zu stützen. Nur Chinas Volkswirtschaft wäre groß genug, um dem Dollar Konkurrenz zu machen. Bekanntlich ist China jedoch eine Diktatur und kein Rechtsstaat, sodass sich das Land nicht als sicherer Hafen für überschüssige Finanzmittel anbietet.
Die Konsequenz ist trivial: Solange der US-Dollar die globale Leitwährung ist, müssen die USA ein Defizit im Außenhandel aufweisen. Die ganze Welt will Dollars besitzen, die sich aber nur verdienen lassen, indem man Waren an die USA verkauft.
Die USA machen also ständig Schulden beim Rest der Welt, was aber für das Land kein Problem ist, weil niemand an Rückzahlung denkt. Solange die Weltwirtschaft wächst, werden neue Dollars gebraucht und die Amerikaner können weiter Schulden machen. Faktisch bekommen die USA permanent Waren geschenkt.
Trump denkt, die Defizite im Außenhandel würden die USA arm machen. Tatsächlich ist es genau andersherum: Die ständigen Defizite zeigen, wie mächtig und reich die Vereinigten Staaten sind.
Da Trump die Weltwirtschaft nicht versteht, ahnt er auch nicht, wie sehr er seinem Land damit schadet, dass er flächendeckend neue Zölle einführt. Die USA werden zwar weniger importieren, aber das Außenhandelsdefizit dürfte noch anwachsen: Da Zölle importierte Waren teurer machen, werden die Amerikaner weniger im Ausland kaufen, werden also weniger Dollars in andere Länder fließen. Gleichzeitig bleibt der Dollar aber Leitwährung und damit sehr begehrt, sodass die Nachfrage nach Dollars das Angebot übersteigt.
Resultat: Der Dollarkurs wird steigen, obwohl Trump davon träumt, ihn massiv zu drücken. Ein steigender Dollar macht aber die US-Waren auf den Weltmärkten teuer, sodass die US-Exporte zurückgehen. Am Ende wird das Außenhandelsdefizit vielleicht sogar noch höher als jetzt, obwohl auch die Importe fallen. Einziger Unterschied: Alle sind ärmer als vorher.
Trump agiert, als wäre er Dagobert Duck, der seine Goldstücke im Tresor zählt. Naiv glaubt er, dass die USA gewinnen, wenn die Zölle steigen. Im Kongress prahlte er am 6. März: „Wir werden Billionen und Billionen von Dollar einnehmen und so viele Jobs schaffen wie noch nie.“ Journalisten erklärte er wenig später: „Wir werden so reich werden, dass wir gar nicht wissen werden, wie wir das ganze Geld ausgeben sollen.“
Trump träumt bereits davon, dass er die Steuern senken oder ganz abschaffen könnte, wenn er nur die Zolleinnahmen erhöht. Sein Handelsminister Howard Lutnick denkt genauso und schwärmte bei Fox, dass künftig „die Ausländer alles zahlen“ würden. Lutnick ist eigentlich Investmentbanker, aber von Steuern hat er offenbar keine Ahnung. Seine Milchbubenrechnung wird nicht aufgehen.
Da reicht schon ein Blick in die Statistik, wie Robert Reich aufgezeigt hat.2 Der Jurist war von 1993 bis 1997 Arbeitsminister unter Präsident Bill Clinton. Heute rechnet er nüchtern vor, dass in den USA jährlich 3 Billionen Dollar an Steuern gezahlt werden. Die Importe belaufen sich ebenfalls auf 3 Billionen Dollar. Wenn also die Steuern ganz wegfallen sollen, müsste man alle Waren mit einem Zoll von 100 Prozent belegen, damit der Staat weiterhin 3 Billionen Dollar einnimmt.
Zudem müsste die US-Bevölkerung weiterhin so viele ausländische Waren kaufen wie bisher, obwohl sie durch den Zoll doppelt so teuer wären. Das ist völlig ausgeschlossen. Die teuren Produkte aus der Ferne würden gemieden, sodass nicht genug Geld in die Staatskassen fließen würde, um die Steuern zu ersetzen.
Dieses Problem kommt Trump jedoch nicht in den Sinn, weil er beharrlich behauptet, dass das Ausland die Zölle aufbringen würde. Das ist schlicht falsch. Für die Importeure sind die Zölle Kosten, die sie an ihre Kunden weiterreichen, indem sie die Preise erhöhen. Am Ende zahlen die Konsumenten in den USA.
Allerdings scheint auch Trump dunkel zu ahnen, dass die Preise steigen könnten, wenn er flächendeckend die Zölle anhebt. Trotzig ließ er wissen, es sei ihm „völlig egal“, wenn importierte Autos teurer würden. Er hofft nämlich, dass Produktionskapazitäten in die USA verlagert werden, indem die ausländischen Konzerne weitere Fabriken in den USA hochziehen, um die Zölle zu vermeiden. Außerdem, so Trump, könnten ja auch die US-Hersteller mehr Autos produzieren.
So logisch dieser Ansatz klingt: Es ist immer gefährlich, die eigene Wirtschaft zu schützen, indem man die ausländische Konkurrenz durch Zölle fernhält. Man gewährt den heimischen Unternehmen gewissermaßen eine „Lizenz zum Gelddrucken“, weil sie nun Monopolgewinne kassieren können.
Diese unschöne Erfahrung musste schon US-Präsident Ronald Reagan machen, der ab 1981 gegen die japanischen Autos zu Felde zog. In einer „freiwilligen“ Vereinbarung zwang er die Japaner, 8 Prozent weniger Autos zu liefern. Reagan hatte angenommen, dass die US-Konzerne diese Lücke füllen würden. Doch stattdessen senkten die US-Firmen ihre Produktion sogar und erhöhten die Preise. Um 1000 Dollar wurden die amerikanischen Pkws im Durchschnitt teurer.
Damals ermittelte die Denkfabrik Brookings Institution, dass die Autoproduktion in den USA um 300 000 Stück schrumpfte, womit 32 000 Jobs verloren gingen. Gleichzeitig konnten die US-Autokonzerne ihre Profite um 8,9 Milliarden Dollar steigern.3
Mit seinen Zöllen provoziert Trump einen weltweiten Handelskrieg. China hat bereits Zölle auf US-Agrarprodukte eingeführt, um vor allem die ländlichen Regionen zu treffen, in denen die Republikaner dominieren. Unter anderem werden jetzt Hühner, Weizen und Mais mit jeweils 15 Prozent belegt. Die EU fährt einen ähnlichen Kurs und verlangt höhere Zölle bei Whiskey, Erdnussbutter, Rindfleisch, Videospielkonsolen, Booten und Motorrädern.
Trump müsste eigentlich wissen, dass Zölle keine gute Idee sind. Denn in seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2020 hatte er sich ebenfalls in einen Handelskrieg gestürzt, vor allem mit China. Das Ergebnis war desaströs, wie Robert Reich nachträglich vorgerechnet hat. Die US-Landwirtschaft wurde von den Gegenzöllen hart getroffen und verlor allein von Mitte 2018 bis Ende 2019 rund 27 Milliarden Dollar an Exporterlösen. Insgesamt hat der Handelskrieg von Trump I in den USA 300 000 Jobs vernichtet.
Doch unbeirrt kündigt Trump II immer neue Zölle an, weil er nicht weiß, wie er sonst die große Steuersenkung finanzieren soll, die er seinen Wählern versprochen hat. Dabei verschweigt der Präsident der Bevölkerung, dass Zölle faktisch ähnlich wirken wie Steuern – sodass die finanzielle Belastung insgesamt gar nicht gesenkt, sondern nur umgeschichtet wird.
Falls Trump am Ende alle Zölle einführt, von denen er öffentlich geträumt hat, müsste eine durchschnittliche US-Familie jährlich etwa 4000 Dollar mehr für ihre Einkäufe zahlen. Sie würde aber nicht gleichzeitig 4000 Dollar an Steuern sparen – weil die Steuersenkungen vor allem den Spitzenverdienern und Unternehmern zugutekämen. Die Armen und die Mittelschicht würden am Ende für die Reichen zahlen.
Dennoch wären auch die Reichen nicht so reich, wie sie sein könnten, wenn sie – ganz ohne Zollerhöhungen – das „exorbitante Privileg“ des Dollars voll auskosten würden. In Trumps Regierung sitzen 13 Milliardäre, so viele wie noch nie. Drei Monate sind sie erst im Amt, aber schon ist die Illusion zertrümmert, dass die Superreichen wüssten, wie die Wirtschaft funktioniert.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der taz und Autorin. Zuletzt erschien: „Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“, Köln (Kiepenheuer & Witsch) 2022.
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