10.04.2025

Chinas Megaprojekt in Peru

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Chinas Megaprojekt in Peru

von Romain Migus

Der Hafen von Chancay, kurz vor der Eröffnung im November 2024 JANKOVSKY/alamy
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Vom Felsen über dem Ozean aus hört man das Rauschen der Brandung, das sich mit einem metallischen Surren der gigantischen Anlage mischt. Der riesige Hafen von Chancay ist seit November 2024 in Betrieb. Hinter einer hohen Mauer liegen Containerschiffe am Kai, riesige vollautomatisierte Kräne löschen ihre Fracht oder beladen sie.

Schon 2013 hatte das peruanische Bergbauunternehmen Volcan Compañía Minera in der Bucht von Chancay einen Großhafen geplant, der Südamerika direkt mit Asien verbinden sollte – vor allem mit China, dem wichtigsten Handelspartner sämtlicher Staaten der Region. Die kleine Stadt, knapp 80 Kilometer nördlich von Lima, mit 60 000 Einwohnern wurde nicht zufällig gewählt: Die Meerestiefe ermöglicht das Anlegen von Containerschiffen, die bis zu 18 000 TEU (20-Fuß-Standardcontainer) transportieren.

Und von Chancay aus lässt sich eine perfekte Gerade zum 17 000 Kilometer entfernten Schanghai ziehen. Die Fahrt dauert 23 Tage, 12 bis 15 Tage weniger als auf den bisher üblichen Routen – eine Einsparung an Zeit und Kosten von 20 Prozent pro Überfahrt, die sich auf den Preis der Importe und Exporte auswirkt. Auf den bestehenden Routen erreichten die Frachter mit Agrar- und Bergbauprodukten aus Südamerika China nur über die Hafenknotenpunkte im Norden: Manzanillo in Mexiko und Long Beach in Kalifornien.

2019 nahmen die ursprünglichen Pläne von Volcan neue Dimensionen an, als sich das Unternehmen mit der staatlichen chinesischen Reederei Cosco zusammentat; deren Tochtergesellschaft Cosco Shipping Ports (CPS) ist der viertgrößte Hafenbetreiber der Welt (die auch am Hamburger Hafen beteiligt und Mehrheitseigner des Hafens von Piräus ist) und dominiert den Containertransport im Pazifik. Die neuen Partner gründeten das Konsortium Cosco Shipping Ports Chancay, das mit der Erweiterung des Projekts beauftragt wurde. Der chinesische Riese erhielt 60 Prozent der Anteile und investierte 1,3 Milliarden US-Dollar, um die erste Bauphase zu beginnen. Volcan verschuldete sich 2023 bei chinesischen Banken mit 975 Millionen US-Dollar.

Die Anlage ist mit einer Fläche von 141 Hektar eine der größten Infrastrukturbaustellen, in die China in Lateinamerika investiert. Nach endgültiger Fertigstellung soll der Hafen Schiffe mit 24 000 TEU aufnehmen. Die angekündigten Gesamtinvestitionen belaufen sich auf 3,5 Milliarden US-Dollar. Die Zahl der jährlich umgeschlagenen Container soll von 1 auf 3 Millionen steigen. Chancay soll dank seiner strategischen Lage zur Drehscheibe des Handels zwischen der Region und der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt werden. Zwischen 2000 und 2022 ist das Handelsvolumen zwischen China und Südamerika von 12 auf 482 Milliarden US-Dollar gewachsen.1

Auch Brasilien glaubt an das Potenzial des Projekts. 2024 kündigte die Regierung Lula da Silvas den Bau von „fünf neuen Verbindungen zur Inte­gration und Entwicklung Südamerikas“2 an und knüpft damit an die Ini­tia­tive zur Regionalen Integration Südame­rikas (IIRSA) aus den 2000er Jahren an, mit der bereits ein großes Programm gemeinsamer Transport-, Energie- und Telekommunikations­infra­strukturen finanziert werden sollte. Zwei wichtige Verbindungen sollen nach Chancay führen: die Route 2, genannt Amazonica, und die Route 3, Quadrante Rondon. Über diese Korridore sollen die für China bestimmten brasilianischen Exporte zum Pazifik gebracht werden.

Südamerikas größter Pazifikhafen

Der Hafen von Chancay ist Teil der Ini­tia­tive Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI), die 2013 von Chinas Präsidenten Xi Jinping eröffnet wurde. Nachdem sich Panama aufgrund des Drucks durch die Trump-Regierung (wegen des Panamakanals) aus dem Projekt zurückgezogen hat, beteiligen sich noch 21 Länder der Region an dem gigantischen Infrastrukturprogramm, das durch Kredite und Investitionen aus Peking finanziert wird. In Lateinamerika geht es um die Sektoren Transport, Energie, Telekommunika­tion, Internet und künstliche Intelligenz.

Mit dem neuen Hafen wurde eine neue Entwicklungsstufe der intra­re­gio­nalen Infrastrukturen erreicht, um den Transport der von China benötigten Rohstoffe besser zu vernetzen. Im Gegenzug will China, die Großmacht der verarbeitenden Industrie, den Import seiner Produkte für den regionalen Markt weitgehend über Chancay abwickeln.

Noch stehen diesen Aussichten viele Hindernisse im Weg. Trotz der chinesischen Investitionen mangelt es in Peru wie anderswo in Südamerika an Straßen und Bahnstrecken, was dem regionalen Aufschwung hinderlich ist. Größtes Hemmnis für die Entwicklung der BRI über den Hafen von Chancay ist jedoch die Schwäche der staatlichen Institutionen in Peru.

Die Stadt Chancay selbst ist durch eine gewaltige Betonmauer vom Hafen getrennt. Zwischen der Küste und der Ruta Panamericana, die sich entlang der Pazifikküste in Nord-Süd-Richtung durch den Kontinent zieht, möchte Chancay, das lange von der Fischerei und einem schäbigen Freizeitpark gelebt hat, auch von den neuen Aktivitäten profitieren. Jahrelang haben die Bewohner unter der Baustelle zu leiden gehabt, nun wollen sie nicht von Entwicklung und Fortschritt ausgeschlossen werden, die die PR-Abteilung des Hafenbetreiber versprochen hat.

Einige Monate vor der Eröffnung des Hafens hatten lokale Gruppen zu Demonstrationen aufgerufen. „In Chancay funktioniert einfach nichts“, erzählt eine Demonstrantin. „Das wenige, was wir an Infrastruktur haben, ist in einem elenden Zustand. Man setzt uns den modernsten Hafen Südamerikas vor die Nase, aber wir leben im Mittelalter.“

Eine andere Frau sagt: „Wir wollen kein zweites Callao werden.“ Callao ist der Hafen von Lima, die drei Betreiber sind der Logistikriese Dubai Ports World (DP World), die niederländische APM Terminals und ein Konsortium, an dem die Rohstoffgiganten Glencore und Trafigura beteiligt sind. Die sozialen Probleme Callaos – Gewalt, Armut, Ausgrenzung – sind eklatant, während der Hafen Produktivitätsrekorde schlägt. 2024 wurden fast 2 Millionen Container umgeschlagen.3

Nach der Demonstration empfängt uns Chancays Bürgermeister Juan Álvarez Andrade. Neben dem Rathaus befindet sich das Chifa Laifu, ein riesiges chinesisches Restaurant, und ein Asia-Supermarkt. Álvarez zieht ein bitteres Fazit: „Chancay hat nur ein einziges Krankenhaus, ausgelegt für eine Bevölkerung von 10 000 Einwohnern. Wir haben nur zwei Bankfilialen, 39 Prozent der Haushalte sind nicht an die Kanalisation angeschlossen, jeder Dritte hat keinen Zugang zu Trinkwasser. Wir haben nicht einmal einen Busbahnhof. Und die Polizei hat hier nur vier Autos und zwei Motorräder für 64 Polizisten.“

Unter diesen Bedingungen könne das zu erwartende schnelle Anwachsen der Bevölkerung zu noch mehr Armut führen und einen idealen Nährboden für Mafiastrukturen bilden. Schließlich liegt der Hafen von Chancay inmitten der drei großen Kokain produzierenden Länder Kolumbien, Peru und Bolivien. Die neue Schnellverbindung nach Asien könnte die Drogenhändler verlocken, auf die asiatischen Märkte zu expandieren, aber auch dazu, die von der chinesischen Pharmaindustrie produzierten Grundstoffe zur Herstellung synthetischer Drogen wie Fentanyl zu importieren.

Der stellvertretende Generalsekretär von Cosco Shipping Ports Chancay, Gonzalo Ríos, wiegelt ab. Er versichert uns, dass „die Automatisierung die Präsenz von Personal und damit auch die Möglichkeiten für das Eindringen des organisierten Verbrechens und der Korruption reduziert“. Die Technologie garantiere „die Überwachung und die Sicherheit des Containerparks“.

In 23 Tagen nach Schanghai

China, Neue Seidenstraße, Drogenhandel. In Washington blinken die Warnlichter. Und noch ein Thema besorgt die größte Weltmacht. Generalin Laura Richardson, bis 2024 Kommandeurin des US-Südkommandos, befürchtet, der Tiefseehafen Chancay könnte auch von der chinesischen Kriegsmarine genutzt werden: „Das ist ein Szenario, das wir schon in anderen Weltregionen erlebt haben.“4 Richardsons Sorge wird von Robert Evan Ellis geteilt. Der Professor am Institut für strategische Studien des U.S. Army War College hält die neue Infrastruktur für „eine mögliche militärische Bedrohung für die Westküste der USA“.5

Nur zwei Tage nach der Einweihung im November 2024 verkündete der Trump-Vertraute Mauricio Claver-Ca­rone, von 2020 bis 2022 Direktor der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDP): „Jedes Produkt, das über Chancay oder einen anderen von China kontrollierten Hafen in der Region importiert wird, sollte mit einem Zoll von 60 Prozent belegt werden, als handelte es sich um ein Produkt aus China. Diese Zölle sollen die Länder dazu bringen, zweimal zu überlegen, bevor sie Peking erlauben, einen Hafen auf ihrem Territorium zu bauen.“6 Heute ist der aus Kuba stammende Claver-Carone Sondergesandter des Außenministeriums für Lateinamerika.

Gerät nach Mexiko und Panama nun auch Peru unter Druck? Die Regierung versichert, man sei offen für Investitionen von allen Seiten, und verweist darauf, dass sie nicht nur mit China, sondern auch mit den USA ein Freihandelsabkommen unterzeichnet habe. Zwar richte sich gerade alle Aufmerksamkeit auf Chancay, aber die Zusammenarbeit mit den USA entwickle sich parallel dazu weiter.

Tatsächlich haben die Betreiber der auf Agrarprodukte und Autos spezialisierten Häfen von Hueneme in Kalifornien und Paita im Norden Perus einen Tag nach der Einweihung von Chancay ein Partnerschaftsabkommen geschlossen. Die vom US-Außenministerium finanzierte Initiative soll, so ein offi­ziel­les Kommuniqué der US-Botschaft in Peru vom 15. November, dazu dienen, „die Wirtschaftsbeziehungen zu begünstigen, den Handelsaustausch zu verbessern und die Wirtschaftsentwicklung beider Häfen und der umliegenden Regionen zu fördern.“

Auch wenn sich die USA seit 2023 regelmäßig empört über chinesisch finanzierte Infrastruktur in Peru äußern: Sie bewahren ihren traditionellen Einfluss auf das Land, seine Politiker und die Militärführung. So unterstützen sie die seit der Absetzung von Pedro Castillo 2022 amtierende, äußerst unbeliebte Präsidentin Dina Boluarte.7 Zwischen beiden Ländern bestehen zahlreiche Abkommen über Sicherheit und Verteidigung, etwa im Kampf gegen den Drogenhandel, illegalen Fischfang und Cyberangriffe sowie in der Ausbildung und Ausrüstung von Polizei und Armee, die Washington militärische Präsenz in Peru sichern.

Die Trump-Regierung hat also genug Druckmittel, um sich in die inneren Angelegenheiten Perus einzumischen, wenn sie das will. 2026 finden dort Wahlen statt. Und weiterhin schlägt die Brandung gegen den Hafendamm von Chancay.

1 Karin L. Johnston, „China, Latin America, and the United States. Geopolitial Impacts and New Chal­lenges“, Konrad-Adenauer-Stiftung USA, 17. Januar 2025.

2 „Rotas de Integração Sul-Americana“, Brasilianisches Ministerium für Planung und Staatshaushalt, 2. Juli 2024.

3 „DP World Callao moviliza el mayor volumen de contenedores de la historia portuaria peruana“, MundoMaritimo, 10. Januar, 2025.

4 Michael Stott, „Chinese warships could use Peru’s big new port, US general warns“, Financial Times, London, 4. November 2024.

5 Robert Evan Ellis, „Strategic Implication of the Chinese-Operated Port of Chancay“, in: Redcaem. Working Paper Series (WPS), Nr. 42, November 2024.

6 Eric Martin, „Trump ally urges duties on goods shipped via China’s Peru port“, Bloomberg, 17. November 2024.

7 Siehe Aníbal Garzón, „Peru: Fehler im System“, LMd, Januar 2023.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Romain Migus ist Journalist und Gründer der Web­site les2rives.info.

Le Monde diplomatique vom 10.04.2025, von Romain Migus