10.04.2025

Wie sich Spanien engagiert

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Wie sich Spanien engagiert

von Lilith Verstrynge​

Rachel Bühlmann, Das karge Mahl I, 2016, Fotografie, Fine Art Print
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Seit Beginn des verheerenden Kriegs im Gazastreifen, mit dem Israel auf den Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 reagierte, verteidigt Madrid die Palästinenser und zieht Netanjahus Zorn auf sich. Innerhalb Europas agiert es als eigenwilliger diplomatischer Akteur.

Auch die Minderheitskoalition, die das Land derzeit regiert, ist ein Sonderfall. Präsident Pedro Sánchez von der Sozialistischen Spanischen Arbeiterpartei (PSOE) stützt sich auf das linke Parteienbündnis Sumar, in dem die Vereinigte Linke (IU, Izquierda Unida), die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) und verschiedene Regionalparteien zusammengeschlossen sind.

Für die parlamentarische Mehrheit ist Sánchez außerdem auf die Partei Podemos angewiesen, die von 2020 bis 2023 Teil seiner Regierungskoalition war, aber nach der Wahl 2023 mit Sumar brach; außerdem auf die Parteien baskischer und katalanischer Independentisten. Alle diese politischen Kräfte verstehen sich als solidarisch mit den antikolonialen Kämpfen weltweit und unterstützen deshalb – in verschiedener Weise und Intensität – den Widerstand des palästinensischen Volks.

Die engagierte Haltung Madrids steht zudem in einer bestimmten außenpolitischen Tradition. So haben die am 28. Mai 2024 (gemeinsam mit Irland und Norwegen) vollzogene Anerkennung des palästinensischen Staats, die Unterstützung des von Südafrika angestrengten Völkermord-Verfahrens gegen Israel vor dem IGH und die teilweise Aussetzung von Waffenexporten nach Israel ihren Ursprung nicht nur in den politischen Umständen.

Erst 1986, nach dem Beitritt Spaniens zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, erkannte Spanien unter dem Sozialisten Felipe González Israel als Staat an – später als alle anderen Länder Europas.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Niederlage der Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan war das ab 1939 faschistisch regierte Spanien außenpolitisch isoliert. Großbritannien und Frankreich standen dem Franco-Regime feindlich gegenüber, bei der Gründung von UNO und Nato war das Land ausgeschlossen.

Die franquistische Führung verfolgte eine Politik der Separatverträge. Sie vertiefte die Beziehungen zu Lateinamerika und der arabischen Welt, insbesondere zu den Monarchien in Jordanien, Saudi-Arabien und Ägypten.

Mehrere Faktoren erleichterten diesen Schwenk: Zum einen die persönlichen Beziehungen, die Franco mit afrikanischen und arabischen Militärs seit dem Ende des französisch-spanischen Protektorats in Marokko (1912–1956) geknüpft hatte; dann die von manchen arabischen Kreisen gepflegte Nostalgie für al-Andalus (die Zeit der muslimischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel zwischen 711 und 1492); und schließlich die Anglophobie und Frankophobie der Franquisten, die im Nahen Osten und Afrika weithin geteilt wurde.

Die arabischen Monarchien versorgten Spanien mit lebenswichtigen Ressourcen wie Erdöl und Nahrungsmitteln oder setzten sich für seine Aufnahme in die Vereinten Nationen ein, die schließlich Ende 1955 erfolgte. Auch traten sie als Vermittler auf, um Madrid in den Augen der USA zu rehabilitieren. Es war bezeichnenderweise König Abdallah I. von Jorda­nien, der 1949 als erster ausländischer Staatschef nach dem Krieg Spanien besuchte.

Diese privilegierten Beziehungen zur arabischen Welt schufen mit der Zeit eine einzigartige kulturelle Bindung. Nicht von ungefähr schlug Sabino Alonso Fueyo, Direktor der Tageszeitung Arriba (Zentralorgan der Falange), 1966 dem Bildungsminister vor, Arabisch als Schulfach einzuführen, um die Beziehungen zwischen Madrid und Riad zu stärken. Auch die Anerkennung des Staats Israel durch Spanien erfolgte erst nach der Rückkehr des Landes zur Demokratie. Und erst 1996 stattete König Juan Carlos I. dem Land einen ersten offiziellen Besuch ab.

In Ländern wie Deutschland, Italien und Frankreich ging die wachsende Etablierung des Gedenkens an den Holocaust einher mit breiter Unterstützung für die israelische Staatlichkeit. Spanien hingegen, zurückgeworfen auf sich selbst und international isoliert, ignorierte diese Dynamik.

Natürlich versuchte das franquistische Regime, seine offiziellen Verlautbarungen an die veränderte Situation im Nachkriegseuropa anzupassen. Es erinnerte an seine Neutralität während des Weltkriegs, die allerdings pure Fassade war, und strich nach Kräften die Rolle seiner Diplomaten bei der Rettung tausender Juden heraus. Doch im Herzen des Regimes hatte die antisemitische Rhetorik überlebt, insbesondere im spanischen Nationalkatholizismus.

Heute setzt sich Pedro Sánchez mit seinen Partnern in Oslo und Dublin (siehe den nebenstehenden Artikel) im Namen der Achtung und Verteidigung des Völkerrechts dafür ein, die EU zu einer gemeinsamen Position und für die Anerkennung eines palästinensischen Staats zu bewegen. Parallel verfolgt seine Regierung eine zunehmend kritische Haltung gegenüber der israelischen Regierung und klagt den Krieg gegen die Zivilbevölkerung von Gaza ebenso an wie die wiederholten Verletzungen internationalen Rechts.

Im Februar jedoch meldete die spanische Presse, die Behörden hätten seit Januar 2024 – trotz des beschlossenen Ausfuhrverbots – zugelassen, dass über den Flughafen von Saragossa mehr als 60 000 Rüstungsgüter vor allem US-amerikanischer Provenienz (Artillerie, Flugabwehrraketen, Maschinengewehre, Granaten und anderes) in Richtung Israel weitertransportiert wurden.1

Woraufhin sich Francesca Albanese, die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas, an Sánchez wandte: „Ich beschwöre die spanische Regierung, die sich als eine der hörbarsten Verteidigerinnen internationalen Rechts einen Namen gemacht hat, alle militärischen Unterstützungsflüge mit Ziel Israel zu unterbinden.“

Laut einer Studie des Real Ins­ti­tu­to Elcano von Mai 2024 sind 78 Prozent der spanischen Bevölkerung der Ansicht, die europäischen Staaten sollten Palästina als souveränen Staat anerkennen. Diese Ansicht überwiegt in allen parteipolitischen Lagern und folgt dennoch keiner simplistischen Lesart des Konflikts: Die Spa­nie­rin­nen und Spanier unterscheiden sehr wohl zwischen einer historischen Sicht der Dinge und den verheerenden Zerstörungen, die die israelische Armee seit dem Herbst 2023 im Gazastreifen angerichtet hat.

Zwar sind 48 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Israelis und Palästinenser zu gleichen Teilen die Verantwortung für die Fortdauer des Konflikts tragen, doch sehen 50 Prozent die Schuld für die gegenwärtige Situation bei Israel.2 Trotz wachsender Verärgerung angesichts der Eskalation der Gewalt, die die israelische Politik in Gaza entfesselt, sprechen sich 60 Prozent der Befragten für eine Zweistaatenlösung zur Beilegung des Konflikts aus. Und liegen damit auf einer Linie mit EU und UN.

Und es gibt eine Minderheit von 37 Prozent, die einen alternativen Ansatz verficht: Die Schaffung eines einzigen, binationalen und demokratischen Staats, in dem Israelis und Palästinenser gleichberechtigt zusammenleben. Diese Option wird vor allem von linken und propalästinensischen Organisationen und Initiativen wie der Solidaritätsgruppe Rescop und von transnationalen Kampagnen wie BDS befürwortet. Sie trägt der Einsicht Rechnung, dass die Ausweitung der israelischen Siedlungen und die Fragmentierung der palästinensischen Gebiete eine Zweistaatenlösung nahezu unmöglich gemacht haben.

Die spanische Regierung ihrerseits beruft sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords. Es gibt in der Bibel, im Buch Obadja, einen Ort namens „Sepharad“, Zufluchtsort für die aus Jerusalem vertriebenen Juden. Diesen Namen gaben die Juden seit dem Spätmittelalter der Iberischen Halbinsel – bevor sie 1492 von den katholischen Königen aus Spanien vertrieben wurden. Heute will es die Ironie der Geschichte, dass dieses „Sepharad“ eine Rolle bei der Lösung eines der ältesten territorialen Konflikte spielen will.

1 Olga Rodríguez und Pol Pareja, „Más que 60 000 piezas de armamento han salido en aviones desde España a Israel en una ruta que continúa en 2025“, El Diario, 19. Februar 2025.

2 Carmen González Enríquez und José Pablo Martínez, „La opinión pública española ante el reconocimiento del Estado de Palestina“, Real Instituto Elcano, 17. Mai 2024.

Aus dem Französischen von Christian Hansen

Lilith Verstrynge ist Politologin und war Abgeordnete von Podemos.

Le Monde diplomatique vom 10.04.2025, von Lilith Verstrynge​