Kongos Schwäche, Ruandas Stärke
Der ruandische Präsident Kagame unterstützt die M23-Rebellen in Kivu. Was steckt dahinter?
von Erik Kennes und Nina Wílén

Mitte Januar 2025 eroberte die von Ruanda unterstützte Rebellenmiliz Bewegung 23. März (M23) erneut die Stadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Die M23 besetzte weitere Gebiete und nahm kaum einen Monat später Bukavu ein, die Hauptstadt der Provinz Südkivu. Bereits im November 2012 waren Goma und Teile Nordkivus von den Rebellen besetzt worden. Es folgten Kämpfe, die erst mit dem Friedensabkommen von Nairobi im November 2013 beendet wurden.1
Diesmal ist die Lage anders: Die M23 hält ihre Position in Goma und setzt ihren Vormarsch fort. Unterstützt wird sie von mehr als 4000 Soldaten der ruandischen Streitkräfte; und sie verfügt über Panzer, Drohnen und Flugabwehrraketen.2 Ruandas Präsident Paul Kagame erklärte am 3. Februar gegenüber CNN, er wisse nicht, ob seine Truppen im Nachbarland im Einsatz sind, doch die Expertenkommission der UN für die DR Kongo hat die Beteiligung ruandischer Soldaten zwischen 2022 und 2024 sechsmal bestätigt.
Am 25. Januar forderte die Europäische Union die M23 zum Rückzug auf und wies dabei auch auf die ruandische Unterstützung hin. Einen Tag später forderte der UN-Sicherheitsrat nach einer Dringlichkeitssitzung den Rückzug der „ausländischen Streitkräfte“, ohne diese explizit zu nennen, und rief die Regierungen in Kigali und Kinshasa zu Verhandlungen auf.
Die humanitäre Krise in den Kivu-Provinzen ist verheerend: Seit März 2022 wurden 4 Millionen Menschen vertrieben, und allein in den letzten Wochen knapp 3000 getötet.3 Wie hat es Ruanda geschafft, trotz vieler Beweise einer scharfen Kritik ebenso zu entgehen wie Sanktionen der internationalen Gemeinschaft, die bisher nur die M23 und ihre Anführer treffen?
Paul Kagame, der seit Ende des Völkermords (1994) die Macht hat und 2000 zum Staatspräsidenten gewählt wurde, hat das Ansehen Ruandas grundlegend verbessert. Der kleine Staat gilt heute aufgrund seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung als Vorzeigeland, das zum Beispiel die Gleichberechtigung von Mann und Frauen umsetzt.
Dank seiner gut ausgebildeten und ausgerüsteten Armee stellt Ruanda mit 5874 Blauhelmen das drittgrößte Kontingent für UN-Friedensmissionen (nach Nepal und Bangladesch). Und die britische Regierung hatte für ihren – juristisch gescheiterten – Plan, Migranten jedweder Herkunft loszuwerden, Ruanda als Abnehmerland ausersehen.
Kagame und Ruanda haben also bei den internationalen Akteuren immer noch ein positives Image. Und das ungeachtet einiger Zweifel am weitgehend durch Subventionen finanzierten ruandischen Wirtschaftswunder,4 trotz erheblicher Verletzungen wichtiger Grundrechte und obwohl der Anspruch auf Gleichberechtigung immer noch weniger zählt als politische Loyalität und ethnische Zugehörigkeit.5
Zudem bietet sich Kigale seit zehn Jahren als Ordnungshüter in Afrika an. So haben ruandische Soldaten die Dschihadisten vertrieben, die im Norden von Mosambik die Provinz Cabo Delgado bedrohten, sehr zur Freude des französischen Unternehmens TotalEnergies, das die dortigen Erdgasvorkommen erschließt. Für diese Operation bezog Ruanda von der EU seit 2022 eine umstrittene Finanzhilfe von 40 Millionen Euro aus der Europäischen Friedensfazilität (EFF).6
Die Kritik an dieser Finanzhilfe verstummte auch dann nicht, als der EFF 2023 eine ähnliche Summe für die Streitkräfte der DR Kongo bewilligte. Zumal die EU-Kommission im Februar 2024 eine strategische Partnerschaft mit Präsident Kagame einging, die Europa eine nachhaltige Versorgung mit Rohstoffen aus Ruanda garantieren soll. Dabei übersteigen die Liefermengen, zu denen sich Ruanda verpflichtet, die Produktionskapazitäten des Landes – was impliziert, dass die EU die Ausplünderung der Demokratischen Republik Kongo absegnet. Nachdem das Europäische Parlament die Suspendierung des Abkommens gefordert hat, sagte die Kommission immerhin eine Überprüfung zu.
Natürlich gibt es innerhalb der EU unterschiedliche Ansichten darüber, wie auf die Lage in Ostkongo zu reagieren sei, aber insgesamt wird die Beteiligung Ruandas am Treiben der M23 merklich kritischer gesehen. Dennoch wächst in der DR Kongo die Verbitterung über die Haltung der internationalen Gemeinschaft. Hier glaubt man, dass die westlichen Staaten Ruanda derart nachsichtig behandeln, weil sie zynisch nur ihre eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen verfolgen und insbesondere den russischen Einfluss in Afrika zurückdrängen und die Ausbreitung des Dschihadismus verhindern wollen.
Präsident Kagame wiederum nutzt die Rebellenbewegungen im Kongo seit den 1990er Jahren so regelmäßig wie beharrlich für seine eigenen strategischen Ziele. Die aktuelle Offensive der M23 ist bereits die sechste derartige Aktion. 1996/97 fand die von Ruanda unterstützte AFDL zwar zunächst Unterstützung in der Bevölkerung. Doch ihre Popularität, die mit dem Sturz des Diktators Joseph Mobutu ihren Gipfelpunkt erreicht hatte, schwand wieder, als ihre militärischen Operationen zu viele zivile Opfer forderten. Am Ende beschränkte sich die Gefolgschaft der AFDL auf die Kinjaruanda sprechende Bevölkerung der Region Kivu.
Der zweite Kongokrieg 1998 bis 2002, der mit dem Sturz von Präsident Laurent Kabila endete, wurde im Ostkongo hauptsächlich vom kinjaruandasprachigen RCD (Rassemblement congolais pour la démocratie) angeführt, das von Ruanda unterstützt wurde. Im Norden des Landes kämpfte das MLC (Mouvement de libération du Congo) mit Hilfe von Uganda, dessen Präsident Museveni ein alter Freundfeind von Kagame war.7

Westen genervt von der Dauerkrise
Die Wahlniederlage des MLC von 2006 offenbarte jedoch, wie politisch fragil diese militärischen Siege waren. Ruanda verlor ein wichtiges Einflussinstrument und musste andere Rebellengruppen adoptieren: den CNDP (Congrès national pour la défense du peuple) und später die M23. Mit der Offensive der M23 am Jahresende 2021 wollte Kagame seinen Einfluss im Ostkongo offenbar weiter ausbauen.
Dabei stieß Ruanda auf weniger Widerstand als 2012. Damals sollte die M23 kinjaruandasprachigen Soldaten der kongolesischen Armee in den Kivu-Provinzen unterstützen und Geflüchteten von 1993 zur Rückkehr in die DR Kongo verhelfen. Weitergehende politischen Ziele hatte sie nicht.
Als die M23 Ende 2013 die Waffen niederlegte, hatte sie kaum etwas erreicht. Stattdessen wurde sie, zusammen mit Ruanda, von den USA, mehreren EU-Staaten und dem UN-Sicherheitsrat unter anderem wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten mit Sanktionen belegt. Die UN-Mission für die Stabilisierung in der DR Kongo (Monusco) wurde geschaffen; die DR Kongo organisierte ihre Streitkräfte neu; der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) erließ Haftbefehl gegen die M23-Führer Sultani Makenga und Bosco Ntaganda, die untereinander zerstritten waren. Nach all diesen Entwicklungen war die Bewegung so gut wie am Ende. Das 2013 in Addis-Abeba unterzeichnete Rahmenabkommen, das die Ursachen des Konflikts im Osten der DR Kongo beseitigen sollte, wurde nur zu einem kleinen Teil umgesetzt.
Anfang 2025 sind die westlichen Regierungen vorrangig mit Krisen befasst, die wie der Ukrainekrieg und der Nahostkonflikt ihre eigene Sicherheit betreffen. Die Dauerkrise in der DR Kongo nervt sie nur, den kongolesischen Politikern werfen sie Gleichgültigkeit oder Unfähigkeit vor. Bereits im März 2023 kanzelte der französische Präsident Emmanuel Macron seinen Amtskollegen Félix Tshisekedi in Kinshasa mit dem Vorwurf ab: „Sie haben es nicht geschafft, die Souveränität Ihres Landes wiederherzustellen, weder im militärischen noch im Bereich der inneren Sicherheit und der Verwaltung.“
Auch die M23 ist nicht mehr dieselbe. Heute verfügt sie über schwere Waffen und die Unterstützung durch ein größeres Kontingent ruandischer Soldaten. Zudem wird sie von Corneille Nangaa, dem früheren Präsidenten der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission der DR Kongo, unterstützt, der jetzt Chef der AFC (Alliance du fleuve Congo) ist, einer undurchsichtigen Koalition bewaffneter Banden.
Zwei Dinge sind dagegen unverändert: Noch immer stehen die Abkommen und institutionellen Strukturen, die seit 2006 offiziell in Kraft sind, nur auf dem Papier; und noch immer ist Ruanda entschlossen, die Kivu-Provinzen zu kontrollieren.8
Präsident Kagame ist auch deshalb so stark, weil Tshisekedi so schwach ist. Sein Gegenspieler im Kongo schafft es nicht, die strukturellen Schwächen der Streitkräfte – mangelnde Ausbildung, fehlende Finanzierung, verbreitete Korruption und Gewalt – zu beheben und die Dauerkrise im Ostkongo pragmatisch und realistisch anzugehen. So bleiben seine Hilferufe angesichts der Einmischung Ruandas mangels Glaubwürdigkeit vergebens.
Präsident Kagame legt seine Absichten nicht offen dar. Daher ist es von außen betrachtet schwer, sein Agieren in der DR Kongo einzuschätzen. Einige Beobachter finden es zu einfach, ihm rein wirtschaftliche Motive zu unterstellen, sprich Interesse an den Bodenschätzen des Kongo. Sie halten ihm zugute, die kongolesischen Tutsi beschützen zu wollen, die in der DR Kongo schon immer diskriminiert wurden. Und sie verweisen auf die FDLR (Forces démocratiques de libération du Rwanda), die als anhaltende Bedrohung für die Sicherheit Ruandas gesehen wird.9 Diese Rebellengruppe besteht aus ruandischen Hutu, die nach ihrer Beteiligung am Völkermord an den Tutsi in die DR Kongo geflohen waren.
Die Schaffung einer Pufferzone im Osten der DR Kongo, wie sie von Ruanda ganz offen gefordert wird10 , wäre eine gefährliche Absage an das Prinzip der Unantastbarkeit der mit der Entkolonialisierung geschaffenen Grenzen. Dieses Prinzip wurden von der internationalen Gemeinschaft anerkannt und 1964 von der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) verabschiedet.
Die wilden Drohungen des Rebellenführers Corneille Nangaa, mit seiner AFC auf Kinshasa zu marschieren, sind aber wohl nur Aufschneiderei. Kagame hat null Interesse, direkte Autorität über die DR Kongo auszuüben. Er versucht eher, wie schon in den 1990er Jahren, die Regierung in Kinshasa unter Druck zu setzen.
Egal ob der Konflikt am Verhandlungstisch oder mit Waffengewalt entschieden wird, Kagame wird auf keinen Fall ein für ihn unbefriedigendes Arrangement akzeptieren. Nicht nachdem sein Land mehrere tausend Soldaten mobilisiert und hohe Verluste erlitten hat und darüber hinaus hohe finanzielle und diplomatische Risiken eingegangen ist.
Was die Entwicklung in der Demokratischen Republik Kongo betrifft, so könnte die extreme Schwäche der Regierung Tshisekedi die Machtambitionen von – zivilen oder militärischen – Rivalen anheizen. Es ist nun nicht mehr auszuschließen, dass in Kinshasa eine antiwestliche Regierung an die Macht kommt. Für eine solche Entwicklung – wie sie in Westafrika seit 2021 vonstatten geht – ist die allgemeine Unzufriedenheit über den endlosen und verheerenden Krieg ein geeigneter Nährboden.
1 Siehe Rodrigue Nana Ngassam, „Gescheiterter Staat“, LMd, Mai 2024.
2 Jason Stearns, „Goma: Understanding the M23 and RDF attack“, ebuteli.org, 30. Januar 2025.
7 Vgl. Marion Fiquet, „Ruanda – 30 Jahre danach“, LMd, Mai 2024.
8 Vgl. Erik Kennes und Nina Wilén, „Niemals Frieden im Ost-Kongo?“, LMd, Mai 2024.
9 Jason Stearns, „Discrimination and the M23 rebellion“, Congo Siasa, 23. Januar 2023.
10 Kristof Titeca, „Krieg im Schatten“, IPG-Journal, 17. Februar 2025.
Aus dem Französischen von Heike Maillard
Erik Kennes ist Forscher und Nina Wilén Leiterin des Afrika-Programms am Egmont Royal Institute for International Relations in Brüssel.