13.03.2025

Liebesgrüße nach Moskau

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Liebesgrüße nach Moskau

Mit seiner 180-Grad-Wende in der US-amerikanischen Ukraine-Politik leitet Präsident Trump das Ende einer geopolitischen Ära ein

von Hélène Richard

Franziska Reinbothe, ohne Titel, 2024, Acryl auf Baumwolle, 100 × 70 × 6 cm
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Innerhalb von nur drei Wochen haben sich die transatlantischen Beziehungen fundamental verändert – und die Ukrainerinnen und Ukrainer höchstwahrscheinlich den Krieg verloren.

Am 12. Februar 2025 gab US-Verteidigungsminister Pete Hegseth den Startschuss für Verhandlungen über den Frieden in der Ukraine. Zwei russischen Forderungen gab er von vornherein nach: Die Ukraine wird kein Nato-Mitglied, und die „neuen territorialen Realitäten“ – sprich: die Annexion von vier ukrainischen Oblasten sowie der Krim durch Russland – sind abgehakt.

Tags darauf verkündete Donald Trump nach einem (langen) Telefonat mit Wladimir Putin den Beginn von Verhandlungen unter Ausschluss der Ukrainer und der Europäer. Zwei Wochen später kanzelte er Präsident Selenskij im Weißen Haus vor der Weltöffentlichkeit ab, nachdem er ihm zuvor die demokratische Legitimation abgesprochen hatte. Schließlich setzte der US-Präsident am 3. März die US-Militärhilfe für die Ukraine aus.

Schon am 14. Februar hatte Vizepräsident J. D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz die europäischen Staats- und Regierungschefs beschuldigt, sie würden die freie Meinungsäußerung untergraben und die Wünsche der eigenen Bevölkerung missachten. Zuvor hatte Trump bereits die Erhöhung der Zölle auf Einfuhren aus Kanada, Mexiko und der EU angekündigt und die Annexion von Grönland in Aussicht gestellt.

Dem US-Präsidenten geht es eindeutig nicht mehr nur darum, seinen „Verbündeten“ mehr Rüstungskäufe aufzunötigen oder die Handelsbilanz mit Europa aufzubessern. Trump hat klargemacht, dass die USA der Ukraine keine Sicherheitsgarantien gegen Russland geben werden, und das gilt auch für europäische Truppen, die einen etwaigen Waffenstillstand auf ukrai­ni­schen Boden überwachen sollen.

All das weckte zwangsläufig Zweifel, ob sich die USA im Falle eines Angriffs auf das Territorium eines Nato-Mitgliedstaats zum vorgesehenen Beistand verpflichtet fühlen würden. Die transatlantischen Bande wären ohne die gegenseitige militärische Beistandspflicht nichts weiter als ein reines Abhängigkeitsverhältnis.

Allerdings haben die USA seit 2022 pro Jahr durchschnittlich 35,3 Milliarden Dollar in die Ukraine „investiert“.1 Das ist fast die Hälfte der Summen, die sie von 2001 bis 2019 jährlich für Afghanistan ausgegeben haben, und da ging es um die Finanzierung einer militärischen Besatzungstruppe und deren direkte Operationen. Donald Trump hat die US-Ausgaben für die Ukraine noch propagandistisch aufgebläht, um zu unterstreichen: Dieser teure Krieg ist kein Krieg der USA, sondern allein seines Vorgängers Joe Biden.

Das Ausmaß der westlichen Unterstützung hat offenbar aber auch die Ukraine zu einem Fehler verleitet, nämlich Verhandlungen zu verweigern. Gleich nach dem 24. Februar 2022, als Kyjiw noch nicht die militärische Unterstützung des Westens hatte, gelang es der Ukraine, den vom Kreml angestrebten Regimewechsel zu vereiteln und die Gebietsverluste zu minimieren. Nach vier Wochen harter Kämpfe bewegten sich die Kriegsparteien auf ein Abkommen zu.

Bei diesen Verhandlungen, zuletzt in Istanbul, war die Ukraine bereit, sich zu einem neutralen, atomar abgerüsteten Staat zu erklären, also auf einen Beitritt zum atlantischen Bündnis zu verzichten. Als Gegenleistung wollte Kyjiw in weiteren Verhandlungen erreichen, dass Moskau sich freiwillig aus den seit dem 22. Februar besetzten Gebieten zurückzieht. Was Kyjiw allerdings brauchte, waren Sicherheitsgarantien des Westens. Doch dazu waren die USA und die Europäer damals nicht bereit. Statt Garantien lieferte man lieber Waffen.2

Eine Zeit lang sah es so aus, als würde die Wette aufgehen. Nach einer ersten Gegenoffensive eroberte die Ukraine im November 2022 die Stadt Cherson am rechten Ufer des Dnipro zurück. Euphorie machte sich breit, das Wort „Verhandlungen“ wurde tabu. Wer das erklärte Ziel Kyjiws, die Grenzen von 1991 mit militärischen Mitteln wiederherzustellen, nicht befürwortete, wurde verteufelt. Maßgebliche westliche Medien begrüßten das ukrainische Dekret vom Oktober 2022, das Verhandlungen mit Putin untersagte, der einzig als Angeklagter vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu Wort kommen sollte.

Schwindelerregende Zugeständnisse an den Kreml

Die zweite ukrainische Gegenoffensive im Juni 2023 endete jedoch in einem Debakel. Das führte laut Medienberichten zu Unmut im Pentagon: Die ukrainische Führung begnüge sich mit kleinen taktischen Operationen an vielen Stellen der Front, statt einen Großangriff an einer Stelle zu starten, in der Hoffnung, die russischen Minenfelder zu überwinden und die Landverbindung zwischen Russland und der Krim durchschneiden zu können.3

Im April 2024 senkte die Regierung in Kyjiw auf Druck aus Washington das Einberufungsalter von 27 auf 25 Jahre; die Forderung einer Absenkung auf 18 Jahre lehnte sie im Dezember ab. Da hatte die ukrainische Offensive längst ihr tragisches Ende gefunden. Die Verluste zehntausender Menschenleben waren so vergebens wie die Opfer, die der Allgemeinheit abverlangt wurden.4

Die Entwicklung in Russland verlief umgekehrt. Mit seiner „militärischen Spezialoperation“ erlebte Putin zunächst ein Fiasko, weil sein Geheimdienst den Widerstandswillen der ukrai­ni­schen Bevölkerung wie der Eliten unterschätzt hatte. Der russische Angriff wurde vor dem Zentrum der ukrainischen Hauptstadt gestoppt. Daraufhin konzentrierte der Kreml seine Streitkräfte im Donbass und auf der Krim. Was als blitzartiger Expeditionskrieg geplant war, wurde zu einem Feldzug von ganz anderen Dimensionen. Die im September 2022 angeordnete Mobilmachung löste eine Protestwelle aus und trieb viele Menschen ins Exil.

Russland saß in der Falle seines eigenen Kriegs, womit sich seine Sicherheitslage nur verschlechtert hatte. Mit dem Angriff auf die Ukraine wollte Putin einerseits die Wiederaufrüstung des Nachbarlands verhindern, bevor Kyjiw die von prorussischen Separatisten besetzten Regionen zurückerobern könnte – und andererseits der Nato-Erweiterung einen Riegel vorschieben.

Wenige Monate nach Kriegsbeginn sah die Bilanz ganz anders aus: Russland hatte den ukrainischen Patriotismus entfacht, der Gegner wurde kontinuierlich mit Waffen versorgt, und die Nato hatte sich durch Schweden und Finnland verstärkt, die beide auch noch Anrainer der für Moskau strategisch wichtigen Arktisregion sind.

Zudem stockten die Europäer ihre Truppen an der Nato-Ostflanke auf, wobei jetzt auch Frankreich mitmachen will, das sich bislang gegen eine dauerhafte Militärpräsenz im Osten gesperrt hatte. Die schnelle Nato-Eingreiftruppe vervierfachte ihre Truppenstärke; in Polen erhöhten die USA ihre Militärpräsenz auf rund 10 000 Soldaten und trieben den Bau einer neuen Raketenabwehrbasis voran.

Da der Westen zunächst unerwartet stark und geschlossen reagierte, wurden in Moskau die Sorgen um die eigene Sicherheit nicht kleiner, sondern größer. Zumal das demografisch seit Langem schrumpfende Land seine Erfolge, die es seit Ende 2023 an der ukrai­ni­schen Front erzielt, mit hohen Verlusten an Soldaten bezahlt.

Wirtschaftlich erwies sich das militärisch schwächelnde Russland allerdings als erstaunlich widerstandsfähig. Die russische Zentralbank hatte genügend Reserven aufgebaut, um die finanzielle Konfrontation mit dem Westen zu verkraften. Obwohl ihre Vermögenswerte in Europa und den USA eingefroren wurden, schaffte sie es, den Rubel zu stützen und das russische Bankensystem abzusichern.

Was die Sanktionen gegen russisches Öl und Gas betrifft, so schadeten sie eher den Europäern.5 Moskau dagegen konnte den Ausfall der Exporte in die EU durch höhere Weltmarktpreise auffangen und fand neue Kunden für seine fossilen Brennstoffe in Asien.

Die westliche Isolationsstrategie war eindeutig gescheitert. Moskau musste sich zwar an „Pariastaaten“ wie Nordkorea oder Iran wenden, um sich Waffen und Soldaten zu beschaffen, aber es mangelte nicht an neuen Kunden für seine verbilligten fossilen Energien.

Zudem hat Washington mit einer Batterie von Sanktionen gegen russische Finanzgeschäfte und Vermögenswerte die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) derart verschreckt, dass sie noch enger zusammenrückten und die Entdollarisierung ihres Handelsverkehrs vorantrieben. Seit 2024 hat die Vereinigung fünf neue Mitglieder aufgenommen, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die für die Neuausrichtung der russischen Öl- und Gaswirtschaft von zentraler Bedeutung sind. (siehe Artikel auf den Seiten 4 und 5).

Mit seiner Entscheidung, direkt mit Russland zu verhandeln, hat Trump dem Kreml einen Ausweg eröffnet. Er bietet seinem neuen Freund – zumindest verbal – geradezu schwindelerregende Zugeständnisse an: Abrüstungsverhandlungen, die Aussicht auf Wiederaufnahme in die G7 und perspektivisch die Aufhebung der Sank­tio­nen. Selbst wenn Trump diese Angebote noch abschwächen sollte, hat er die transatlantische Solidarität bereits weitgehend erledigt.

Trumps Ankündigungen könnten eine geopolitische Ära beenden, die 1949 begonnen hat, als die USA ein transatlantisches Bündnis gründeten, das die Hälfte Europas zu ihrer Einflusszone machte. Die andere Hälfte gehörte zum sowjetischen Lager und seit 1955 zum Warschauer Pakt.

Nach dem Mauerfall zeigte sich Michail Gorbatschow, als letzter Staatschef der durch das Wettrüsten wirtschaftlich ausgezehrten Sowjetunion, zu einseitigen und etwas wirren Konzessionen bereit. So stimmte er dem Verbleib des wiedervereinigten Deutschland in der Nato zu, ohne sich schriftlich garantieren zu lassen, dass das Bündnis nicht nach Osteuropa ausgeweitet wird.

Auf diese Weise hat die Nato den Kalten Krieg überlebt, auch die expandierende Europäische Union blieb fest an der Seite der USA. Aus dem Zerfall des sowjetischen Blocks ging keine alternative Sicherheitsstruktur hervor, obwohl es kurzzeitig Überlegungen in diese Richtung gab. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hat zum Teil mit dieser verpassten Chance zu tun. Wenn Trump und Putin den Ukrainekrieg durch bilaterale Verhandlungen beenden, erfolgt die russisch-amerikanische Aussöhnung auf dem Rücken der Europäer.

In diesem Kontext hat Trumps Vize Vance in München eine neue strategische Ausrichtung der USA angedeutet: „Es liegt nicht in Putins Interesse, der kleine Bruder in einer Koalition mit China zu sein.“ Will die Maga-Politik damit an jene Dreiecksstrategie anknüpfen, mit der sich 1971 das Tandem Nixon/Kissinger dem „kleinen Bruder“ (damals China) annäherte, um den Hauptrivalen (die Sowjetunion) zu isolieren?

Falls Trump Derartiges vorschweben sollte, wird er Mühe haben, die Achse Russland–China zu lockern. Denn Peking hat Putin zwar übel genommen, dass er mit seiner Invasion vollendete Tatsachen geschaffen hat, und stört sich am Missbrauch der russischen atomaren Abschreckung, hält aber nach wie vor zu Moskau. China liefert dem militärisch-industriellen Komplex Russlands die erforderlichen Technologien und intensiviert die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind zwar ungleichgewichtig, haben aber eine solide Basis: die gemeinsame Frustration über eine Weltordnung, die seit dem Ende des Kalten Kriegs von den USA dominiert wird.

In der größten Bredouille sind jetzt die Europäer: Bereits geschwächt durch die Energiekrise, die sie mit dem Verzicht auf das billige russische Gas herbeigeführt haben, werden sie die Folgen von Trumps Handelskrieg zu spüren bekommen. Zugleich werden sie bei der Bewältigung der Konsequenzen aus Washingtons 180-Grad-Wende in der Ukraine alleingelassen.

Obwohl die Europäer ihre Arsenale bereits zugunsten Kyjiws geleert haben, beeilen sie sich, ihre Rüstungsausgaben aufzustocken, und das heißt: amerikanische Waffen zu kaufen. Und mit der von Trump geforderten „Lastenteilung“ bei der Finanzierung der ­Nato kommt eine doppelte Bürde auf sie zu: Sie müssen den Wiederaufbau der Ukraine finanzieren (den Putin und Trump gern der EU überlassen) und selbst für ihre Sicherheit sorgen. Das überfordert die Finanzkraft vieler Mitgliedstaaten und dürfte die Spaltung Europas vorantreiben.

1 „Ukraine Support Tracker“, Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW).

2 Siehe Samuel Charap und Sergej Radchenko, „La négociation qui aurait pu mettre fin au conflit en ­Ukraine“, LMd, Juli 2024. Wolodymyr Selenskyj leugnet, dass Boris Johnson die hier beschriebene Rolle gespielt habe. Siehe Shaun Walker „Zelenskyy rejects claim Boris Johnson talked him out of 2022 peace deal“, The Guar­dian, 12. Februar 2025.

3 Alex Horton und John Hudson, „US intelligence says Ukraine will fail to meet offensive’s key goal“, The Washington Post, 17. August 2023.

4 Hélène Richard, „Arbeiten, kämpfen, durchhalten“, LMd, November 2023.

5 Hélène Richard „Der Preis der Sanktionen“, LMd, November 2022.

Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld

Le Monde diplomatique vom 13.03.2025, von Hélène Richard