13.03.2025

Entscheidung in Ecuador

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Entscheidung in Ecuador

Vor der Stichwahl am 13. April fürchten die Gewerkschaften den Sieg des neoliberalen Amtsinhabers Daniel Noboa

von Knut Henkel

Soldatenpatrouille in Cayambe, 18. Januar 2025 DOLORES OCHOA/picture alliance/ap
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René Contreras steht im Vorgarten seines Hauses und legt gemeinsam mit seinen Nachbarn ein Gemüsebeet an. Sie wollen Kräuter, Tomaten und Salat ziehen. „Auf die Idee hat uns die Gewerkschaft gebracht, heute machen wir uns an die Umsetzung“, sagt der hagere Mann. Etwa zweihundert Meter von seinem Grundstück entfernt wiegen sich die riesigen Stauden der Bananenplantage von Danica Fruit, wo der 45-Jährige arbeitet. Links und rechts stehen die Häuser von ein paar Dutzend weiteren Familien.

Contreras’ kleines Dorf Recinto Versailles ist eine von diesen vielen Siedlungen, die in Ecuador am Rand oder auch inmitten von Bananenplantagen liegen. Das Land ist der größte Bananenexporteur der Welt. Selbst am heutigen Samstag gibt es keine Ruhe.

Ein Sprühflugzeug donnert im Tiefflug über die Plantage mit den üppigen grünen Stauden, an denen die in blaue Plastiktüten gehüllten Fruchtstände hängen, und lässt einen feinen, weißen giftigen Cocktail ab. „Alle zwei Wochen fliegen sie über uns hinweg“, erklärt René Contreras und rümpft missbilligend die Nase.

Für die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen am 13. April hat er seine Entscheidung längst getroffen und macht auch kein Geheimnis daraus. „Ich arbeite auf einer Bananenplantage, bin Gewerkschafter und verdiene gerade mal 250 US-Dollar im Monat. Ich weiß einfach, dass ich von Daniel Noboa nichts Gutes zu erwarten habe“, sagt er und schiebt sich die Baseballkappe in den Nacken.

Daniel Noboa regiert erst seit 16 Monaten das Land, nachdem sein umstrittener Amtsvorgänger Guillermo Lasso im Mai 2023 das Parlament aufgelöst und vorzeitige Wahlen ausgerufen hatte. Nun bewirbt sich Noboa um ein volles Mandat über vier Jahre. Contreras ist der Ansicht, dass Noboas Wahl ein Desaster wäre, denn er geht davon aus, dass es danach einen neuen Anlauf geben wird, das Arbeitsrecht im Plantagenanbau zu flexibilisieren. „Wir haben es mit einem Präsidenten zu tun, der nur die Interessen seiner Familie im Kopf hat, und die heißt nun einmal Noboa“, sagt Contreras. Den Namen kennt in Ecuador jedes Kind.

Daniels Vater Álvaro Noboa ist wahrscheinlich der reichste Mann im Land. Mit seiner Marke Bonita Bananas spielt der Industrie- und Handelsunternehmer erfolgreich im Konzert der großen Fruchtkonzerne Dole, Chiquita, Del Monte und Fyffes mit. Dafür hat der Firmenpatriarch so manchen Konflikt mit organisierten Arbeitern wie Contreras für sich entschieden und Milliarden Dollar mit den krummen Früchten verdient.

Sohn Daniel, mit 37 Jahren bislang jüngster Präsident Ecuadors, ist in dem Familienkonzern groß geworden. Im Gegensatz zu seinem Vater, der sich zwischen 1998 und 2013 fünfmal erfolglos für das hohe Amt bewarb, gewann er bereits bei seiner ersten Kandidatur im Oktober 2023 das Rennen.

Noboa ist seit ein paar Jahren mit der jungen Influencerin Lavinia Valbonesi verheiratet und ein hyperaktiver Social-Media-Nutzer. Im Wahlkampf 2023 versprach er unter anderem auf seinem Tiktok-Kanal schnelle Lösungen für Ecuadors Sicherheitskrise. Er werde mit harter Hand gegen die Drogenkartelle vorgehen, die über die Küstenstädte Machala, Guayaquil und Manta das Kokain nach Europa und Nordamerika verschiffen.

Mit diesem Versprechen katapultierte er sich nach dem Mord an dem Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio, der am 9. August während einer Wahlkampfveranstaltung in Quito erschossen wurde, von den hinteren Rängen ganz nach vorn – und landete im November 2023 tatsächlich im Präsidentenpalast.1

Die Militarisierung der Gesellschaft ließ sich Noboa am 21. April 2024 per Referendum von fast 14 Millionen Wahlberechtigen absegnen. Die Mehrheit stimmte neun Sicherheitsmaßnahmen zu und so bekam die Regierung Noboa grünes Licht für den Einsatz der Armee im öffentlichen Raum und in den Haftanstalten. Auch René Contreras war damit einverstanden, denn er macht sich wie alle große Sorgen wegen der Drogenkriminalität.

Angst macht ihm jedoch die zehnte Frage in dem Referendum, die so gar nichts mit den anderen Fragen zu tun hatte. „Es ging dabei um ein Nein oder Ja zur Legalisierung von Arbeitsverträgen auf Stundenbasis“, erinnert sich Contreras. Er ist erleichtert, dass die Bevölkerung dagegengestimmt hat, fürchtet aber, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. „Wenn Daniel Noboa die Stichwahl am 13. April gewinnen sollte, wird er in den kommenden vier Jahren bestimmt einen neuen Anlauf nehmen, um stundenweise Beschäftigung möglich zu machen.“ Die Ar­bei­te­r:in­nen im Bananenanbau werden dann auf jeden Fall weniger verdienen, und auch die Arbeitsbedingungen dürften sich verschlechtern. „Deshalb wähle ich Luisa“, sagt Contreras fast inbrünstig.

Luisa González von der Bewegung „Bürgerrevolution“ (Movimiento Revolución Ciudadana, CR) war schon 2023 Noboas Gegenkandidatin. In der Regierungszeit von Rafael Correa (2007–2017) hatte sie verschiedene Posten inne. Correas Name steht für die einen vor allem für staatliche Investitionen, Umverteilungspolitik und funktionierende Sozialsysteme; die anderen kritisieren seinen zunehmend autokratischen Regierungsstil, auch gegenüber Gewerkschaften und Medien, und machen ihn für die überbordende Korruption verantwortlich.2 Der Ex-Präsident hat zwar viele Anhänger, aber auch mindestens genauso viele Gegner im extrem polarisierten Ecuador.

Bereits vor dem ersten Wahlgang am 9. Februar zeichnete sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Luisa González und dem wirtschaftsliberalen Daniel Noboa ab. Nach dem Urnengang lagen die beiden nur 0,2 Prozent auseinander: Noboa kam auf 44,15 Prozent der Stimmen, González auf 43,95 Prozent. Auf Platz drei landete der Indigenen-Aktivist und Menschenrechtler Leonidas Iza, der seinen überwiegend indigenen Wäh­le­r:in­nen eine Empfehlung für die Stichwahl geben könnte.

Und die dürfte der deutlich sozialeren Luisa González zufallen, deren größtes Manko ihr Mentor ist: 2020 wurde der im belgischen Exil lebende Correa wegen Korruption in Abwesenheit zu acht Jahren Haft verurteilt. Nun wird in Ecuador darüber spekuliert, dass González ihn zurückholen könnte – unter Umgehung der Justiz. Die 47-jährige Anwältin lässt deshalb kaum eine Gelegenheit aus zu betonen, dass sie und nicht Correa regieren werde.

„Genau das ist die zentrale Frage, wenn es um Luisa González geht“, sagt Jorge Acosta am Rande einer Gewerkschaftsversammlung in Isla de Bejucal. Der 64-Jährige ist Koordinator in der Bananen-Gewerkschaft Astac, die erst 2014 gegründet wurde. Sie versucht die weit über 200 000 Ar­bei­te­r:in­nen in der Branche zu organisieren. Denn das ist alles andere als einfach. Politiker und Bananenproduzenten sind eng vernetzt. „Es hat schon fast Tradition, dass die Schlüsselpositionen im Arbeits- und Landwirtschaftsministerium mit Bananenunternehmern besetzt sind“, erklärt Acosta.

Stalin Herrera, Soziologe am Institut für Ecuadorstudien (IEE), berichtet, wie den Gewerkschaften ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen werden und die Appelle der Interna­tio­nalen Arbeitsorganisation (ILO) an die Regierung ignoriert werden, Branchengewerkschaften zu akzeptieren. „Obwohl die Astac inzwischen offiziell registriert ist, läuft noch ein Verfahren beim Verfassungsgericht, das klären muss, ob Branchengewerkschaften verfassungskonform sind. Hintergrund ist, dass die Unternehmen der Ansicht sind, diese Gewerkschaften seien ein wirksames Mittel zur Reanimierung der daniederliegenden Gewerkschaftsbewegung“, meint Herrera.

Noch nicht einmal 3 Prozent der ecuadorianischen Ar­bei­te­r:in­nen sind gewerkschaftlich organisiert, wofür neben den gewerkschaftsfeindlichen Strategien der Unternehmen auch strategische Fehler der Gewerkschaften und Korruption verantwortlich seien, meint Herrera. Mit der Eröffnung lokaler Gewerkschaftsbüros versucht die Astac dem entgegenzuwirken, wie zum Beispiel in Isla de Bejucal.

Die Kleinstadt im Verwaltungsbezirk Los Ríos, unweit von Recinto Versailles, wo René Contreras lebt, ist eine Drehscheibe des Bananenanbaus. Hier soll es künftig eine Beratungsstelle für die Gewerkschafter geben – von Organisationsfragen über die Gesundheitsversorgung bis hin zum Eigenanbau von Gemüse. Das ist auch in anderen Regionen mit starker Mitgliederbasis geplant. Die umtriebige Gewerkschaft erhofft sich davon mehr Zulauf.

Die mangelhafte medizinische Versorgung gehört neben der prekären Sicherheitslage und der omnipräsenten Korruption zu den zentralen Herausforderungen für die künftige Regierung. In allen drei Bereichen hat Daniel Noboa nicht spürbar punkten können, meint Jorge Acosta. „In Guayaquil, wo ich lebe und wo die Astac-Zentrale sitzt, ist die Sicherheitslage nach wie vor prekär. Im Herbst 2023 wurden uns vier Morddrohungen gemeldet. Ein paar Monate später wurde auf ein Gewerkschaftsbüro geschossen und eine Granate geworfen, die zum Glück nicht explodiert ist“, erinnert er sich und reibt sich nervös die Hände.

Seit Monaten ist Acosta auf der Suche nach zusätzlichen Mitteln, um die Gewerkschaftseinrichtungen besser schützen zu können. Das geht vielen Organisationen in Ecuadors Küstenregion so. Dort sind seit Jahren 22 bis 26 Kartelle – je nach Quelle – aktiv. Der Einsatz von Soldaten, die seit dem 9. Januar 2024 auf Befehl des Präsidenten die Gefängnisse kontrollieren und im öffentlichen Raum patroullieren, hat daran nichts geändert.

Das bestätigen auch Experten wie Fernando Carrión, Kriminalwissenschaftler der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (Flacso) in Quito. „Zwar ist die Mordrate 2024 von 47 auf 40 pro 100 000 Einwohner zurückgegangen – was ein Erfolg ist, auf den Daniel Noboa im Wahlkampf auch immer wieder hingewiesen hat. Aber in den letzten Monaten sind die Kartelle wieder aktiver geworden.“ Ende November 2024 kam es im größten Gefängnis des Landes, im El Litoral nahe Guayaquil, erneut zu einem Kampf mit 15 Toten.

Auch während der landesweiten Stromausfälle zwischen Oktober und Dezember 2024 nahm die Zahl der Morde deutlich zu. Damals waren aufgrund anhaltender Trockenheit die großen Wasserkraftwerke nicht in der Lage, die benötigte Energie zu liefern. 88 Tage lag das ganze Land immer wieder im Dunkeln – deshalb eskalierten wohl auch vermehrt Konflikte zwischen den Kartellen – oft in den Armenvierteln von Hafenstädten wie Guayaquil, Manta, Esmeraldas oder Machala.

Außerdem rekrutieren die Kartelle hier unter den Jugendlichen. Jorge Acosta hat Freunde, die sich deshalb Sorgen um ihre Kinder machen: „Sie leben im Süden der Stadt und haben zwei Söhne. Der eine ist 12, der andere 14 Jahre alt, die beiden sind recht groß und kräftig.“ Junge Männer mit Geld, die gern mal eine dicke Lippe riskieren, würden außerdem bei den Mädchen gut ankommen, behauptet Acosta.

Für den Kriminologen Carrión sind solche elterlichen Befürchtungen alles andere als aus der Luft gegriffen: „Uns fehlen in Ecuador Perspektiven für die Jugend – das ist Daniel Noboa uns schuldig geblieben.“ Im Wahlkampf 2023 hatte der junge Präsident versprochen, eine Million Jobs zu schaffen, vor allem für die Jugend. Doch die Wirtschaft lahmt. Das treibe den Kartellen den Nachwuchs in die Arme, meint Carrión. Die Regierung Noboa hat lediglich ein Stipendienprogramm für Studierende aufgelegt.

Die fehlenden Perspektiven für den Nachwuchs sind auch unter Gewerkschaftern ein Thema. „Kaum jemand will die eigenen Kinder auf den Plantagen oder in der Bananenverpackung schuften sehen“, sagt René Contreras, der auch zu der Gewerkschaftsversammlung nach Isla de Bejucal gegangen ist. „Ich tue alles, um meinen beiden Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen.“ Er sei froh, dass die Situation rund um Recinto Versailles und in der Region von Isla de Bejucal ruhig ist und die Kartelle hier, jedenfalls bisher, nicht aktiv geworden sind. „Ich habe Familie in der Hafenstadt Machala, und dort geht nach 18 Uhr niemand mehr vor die Tür“, sagt er und runzelt traurig die Stirn.

Das muss sich wieder ändern, meint Contreras und der Astac-Koordinator Acosta nickt. Neben dem Einsatz von Polizei und Armee bräuchte es jedoch Reformen und mehr soziale Programme – und dafür sei Lucia González die Richtige.

1 Siehe Maurice Lemoine, „Explosion der Gewalt in Ecuador“, LMd, Dezember 2023.

2 Vgl. Franklin Ramírez Gallegos, „Rechtsschwenk in Ecuador“, LMd, Dezember 2018.

3 Vanessa Buschschlüter, „At least 15 inmates killed in Ecuador prison fight“, BBC, 12. November 2024.

Knut Henkel ist freier Journalist mit Schwerpunkt Lateinamerika.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 13.03.2025, von Knut Henkel