13.02.2025

Ja und nur Ja?

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Ja und nur Ja?

Unter dem Eindruck des Falls Pelicot wird – vor allem in Frankreich – intensiv über die Einverständnislösung im Sexualstrafrecht diskutiert, die vielen als Meilenstein gilt.

von Clara Serra

Ximena Ferrer Pizarro, The relationship with my sister, 2024, Acryl auf Leinwand, 84 x 85 cm
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In Spanien ist seit 2022 ein Gesetz zur sexuellen Selbstbestimmung in Kraft, das auf dem Grundsatz „Nur Ja heißt Ja“ beruht.1 In den hitzigen Debatten, die seiner Verabschiedung vorausgingen, wurde die Angelegenheit von den Be­für­wor­te­r:in­nen auf die simple Formel reduziert: Der Einführung einer klaren, eindeutigen, unmissverständlichen Zustimmung als Grundlage jeder sexuellen Handlung stünden lediglich veraltete Gesetze und machistische Richter entgegen.

Brutale Taten sexualisierter Gewalt, die uns regelmäßig erschüttern, lassen uns jede Aussicht auf eine Strafrechtsreform begrüßen. Aber wir kommen nicht um die Frage herum, ob sich sexuelle Einvernehmlichkeit auf eine Doktrin der ausdrücklichen Einwilligung reduzieren lässt. Und ob dies wirklich das beste Mittel ist, sexuelle Straftaten zu bekämpfen.

Der Prozess um die zahlreichen Vergewaltigungen, die Gisèle Pelicot in völlig betäubtem Zustand über sich ergehen lassen musste, legt eher das Gegenteil nahe. Die Vergewaltiger gaben vor, sie hätten geglaubt, Gisèle Pelicot hätte ihrem Mann die Erlaubnis erteilt, und dieses Ja hätte ihre Tat zu einem einvernehmlichen sexuellen Akt gemacht.

Wenn wir dieser Argumentation folgen, müssen wir in der Tat anerkennen, dass ein solches Ja nicht von vornherein ausgeschlossen ist, und dass man folglich zum Nachweis der Vergewaltigung beweisen müsste, dass Gisèle Pelicot niemals Ja gesagt hat. Doch warum sollte man dieses hypothetische Ja (sofern es denn ausgesprochen worden wäre) als Kriterium für Zustimmung nehmen, wenn doch das Hauptmerkmal dieser Taten darin liegt, dass sie einem Opfer angetan wurden, das jeder Möglichkeit zur Gegenwehr beraubt war? Ein Ja kann nicht als Beweis für eine Zustimmung geltend gemacht werden, wenn es die Möglichkeit zum Nein gar nicht gibt.

Um zu verstehen, wie es überhaupt dazu kam, dass die ausdrückliche Einwilligung den Rang eines Beweismittels erhielt, muss man in die 1980er Jahre in den USA zurückgehen, als in feministischen Kreisen heftig über Sexualität gestritten wurde. Die sogenannten Sex Wars, die später vor allem um das Thema Pornografie ausgefochten wurden, hatten zunächst ein sehr viel wichtigeres strukturelles Thema, nämlich die Frage der Einvernehmlichkeit.

In ihrem Buch „Sexual Harassment of Working Women“ (1979) untersuchte Catharine MacKinnon, welche Möglichkeiten eine Angestellte besaß, sexuelle Avancen ihres Chefs zurückzuweisen, wenn sie in der Folge berufliche Nachteile zu befürchten hat. Unter derartigen Herrschaftsbedingungen sei Einverständnis, so MacKinnon, nichts als patriarchale Fiktion: Die liberale Vertragstheorie legitimiere die Freiheit der Männer und die Unterordnung der Frauen.

Sie untersuchte Arbeitsstrukturen, in denen Männer meist übergeordnete Positionen bekleideten und ihre Macht über untergeordnete Frauen leicht missbrauchen konnten. Später schwenkte MacKinnon auf die Linie feministischer Antiporno-Aktivistinnen wie Andrea Dworkin ein und hörte auf, konkrete Arbeitssituationen unter die Lupe zu nehmen. Das sei ein „tragischer Irrtum“ gewesen, meinte dazu Judith Butler: „Seitdem galt sexuelle Belästigung nicht mehr als kontingent und durch einen institutionellen Kontext bestimmt, sondern der Begriff wurde so weit ausgedehnt, dass er eine gesellschaftliche Struktur beschrieb, in der Männer unterdrücken und Frauen unterdrückt werden. Frauen waren also immer Opfer von Erpressung und befanden sich immer in einer feindlichen Umgebung; ja, die ganze Welt war eine feindliche Umgebung und Erpressung nichts anderes als der Modus operandi der Heterosexualität.“2

Butler selbst kritisiert die Heterosexualität aus ganz anderen Gründen, nämlich dass sie als Norm und als „natürlich“ dargestellt wird. Gemeinsam mit anderen verteidigte Butler verschiedene Formen sexueller Differenz (wie etwa lesbische Sexualität, Transidentität oder Sexarbeit), kritisierte aber zugleich jeden Versuch, im Namen des Feminismus neue sexuelle (zum Beispiel lesbische) Normvorstellungen durchzusetzen.

Es gehe vielmehr darum, die Grenzen weiblichen Begehrens auszudehnen, sich von Schuldgefühlen zu befreien, Fantasien zu entkriminalisieren und sich Möglichkeiten zu erobern, mit Geschlechterrollen zu spielen. So wie es etwa in lesbischen Butch/Femme-Beziehungen (in der eine Partnerin sich „maskulin“, die andere „feminin“ identifiziert) geschieht oder auch in den Machtspielen der S/M-Szene, sofern alle sexuellen Handlungen einvernehmlich sind. Man könne Sexualität nicht von Macht befreien, sagt Butler, und wenn man die völlige Abwesenheit von Macht zur Bedingung macht, um Sexualität zu erlauben oder zu legitimieren, führe das zu moralisierenden Vorschriften, die letztlich der Sexualität schaden.

Genau das kritisierten Judith Butler und jene Feminist:innen, die sich gegen ein Pornoverbot aussprachen, auch an den Thesen von MacKinnon und ihren Nachfolgerinnen: die Behauptung einer guten, das heißt feministischen Sexua­li­tät, die sich nicht mehr an der Frage orien­tiert, ob sexuelle Handlungen gleich welcher Art (zwischen Erwachsenen) einvernehmlich stattfinden, sondern an bestimmten Inhalten und Sexualpraktiken, die an sich als gut oder schlecht gelten (wie etwa liebevoller Sex vs. sadomasochistischer Sex).

Die feministische Strömung, der Judith Butler angehört, nahm ihren Ausgang in den Kämpfen queerer Ak­ti­vis­t:in­nen und der Verteidigung von Sexarbeitenden und setzt daher auf sexuelles Einverständnis als entscheidendes Kriterium, um Sex von Gewalt zu unterscheiden. Den „tragischen Irrtum“ Catharine MacKinnons analysiert Butler wie folgt: Wenn die ungleichen Machtverhältnisse die Grundlagen des Einvernehmens unterminieren, seien in letzter Konsequenz alle sexuellen Beziehungen zwischen Männern und Frauen erzwungen und damit gewalttätig. Der Unterschied zwischen heterosexuellem Geschlechtsverkehr und Vergewaltigung verblasse. Sobald man Macht mit Gewalt gleichsetze, werde es jedoch unmöglich, sexuelle Gewalt juristisch abzugrenzen, was zu einer unüberschaubaren Ausdehnung der Strafbarkeit führe.

Wenn ein Altersunterschied zwischen Erwachsenen die Möglichkeit eines freiwilligen Einverständnisses unterminiert, warum nicht auch der Klassenunterschied? Stellt in einer Welt, in der verschiedene Hautfarben zweifelsohne mit Machtungleichheit einhergeht, race nicht auch ein Hindernis für echte Zustimmung dar? Und sollte man nicht Beziehungen zwischen Personen, die in derselben Firma auf verschiedenen Hierarchiestufen arbeiten, grundsätzlich verbieten?

In der puritanisch geprägten nordamerikanischen Gesellschaft, in der eine große Angst vor Sexualität herrscht, fanden MacKinnons Thesen großen Anklang. Die Philosophin Amia Srinivasan beschreibt „das nahtlose Ineinandergreifen einer radikalfeministischen Pornokritik und einer konservativen Ideologie, die zwischen ‚bösen‘, vom Staat zu disziplinierenden Frauen (Sexarbeiterinnen, ‚Sozialschmarotzerinnen‘) und ‚guten‘, schutzwürdigen Frauen unterschied, während Männer als Raubtiere von Natur aus betrachtet wurden“.3

Bündnis von Feministinnen und Puritanern

Präsident Ronald Reagan, „die Lichtgestalt der Neuen Rechten“, so Srinivasan, „ordnete die Einrichtung einer Untersuchungskommission zu negativen Folgen von Pornografie an, vor der Mac­Kinnon und Dworkin als Expertinnen aussagten“. Die Aktivistinnen der Anti-Porno-Bewegung verbündeten sich mit der rechten sogenannten Moral Majority in den USA und nutzten deren Einfluss, um bis heute gültige prohibitionistische Gesetze durchzusetzen.

Dieses juristische Erbe ist nicht auf Pornografie-Gesetze beschränkt. Die Grundsätze, die ein Pornoverbot rechtfertigten, wurden auch genutzt, um die sexuelle Einvernehmlichkeit in der US-Gesetzgebung neu zu definieren: Macht wurde mit Gewalt gleichgesetzt, und die Unmöglichkeit, in Herrschaftsbeziehungen „Nein“ zu sagen, nahezu unbegrenzt ausgedehnt. Der Radikalfeminismus in den USA inspirierte den juristischen Begriff Affirmative Consent (ausdrückliche Zustimmung), und dieser Standard gilt bis heute in mehreren Bundesstaaten. „2014 unterzeichnete etwa der kalifornische Gouverneur Jerry Brown den mit feministischer Unterstützung eingebrachten Gesetzentwurf SB 967, seither als ‚Ja heißt Ja‘-Gesetz bekannt“, schreibt Srinivasan.

In den internen Regelwerken US-amerikanischer Universitäten findet der Grundgedanke breite Anwendung. 1996 verabschiedete das Antioch College im Bundesstaat Ohio einen bis heute gültigen Verhaltenskodex, demzufolge jedem sexuellen Kontakt eine „verbale Einwilligung“ vorausgehen müsse, die „bei jedem Schritt der sexuel­len Begegnung“ zu wiederholen sei. Damit will man den juristischen Rahmen verlassen, in dem Einverständnis dadurch definiert wird, ob eine ablehnende Willensäußerung (die selbstverständlich nicht auf körperliche Gegenwehr beschränkt ist) vorliegt oder nicht, und zu einer Regelung gelangen, die ausdrückliche – und verbale – Zustimmung erfordert.

Die berühmte indische Schauspielerin Genelia Deshmukh erklärte in einem Video kategorisch: „ ‚Nein‘ heißt ‚Nein‘. ‚Vielleicht‘ heißt ‚Nein‘. ‚Ich weiß nicht‘ heißt ‚Nein‘, und Schweigen bedeutet auch ‚Nein‘ “.4 Alles andere als ein absolut klares Ja bedeutet demnach ein klares Nein, zusammengefasst im Satz „Nur Ja heißt Ja“.

Diesen Anspruch auf Klarheit findet man auch in einer Kampagne von Amnesty International von 2020, in der es hieß: „Ja + Ja = Ja, Ja + Nein = Nein, Nein + Ja = Nein, Ja + Hmm = Nein, Ja + Weiß nicht = Nein“. Der gesamte Bereich der Sexualität wird auf diese Weise in zwei Teile geteilt: Auf der einen Seite steht das, was wir ganz klar wollen, auf der anderen das, was wir ganz klar nicht wollen.

In Frauenmagazinen, Sexualratgebern und Instagram-Feeds werden wir aufgefordert, unser Begehren zu erläutern, Worte zu finden für unsere Sexua­lität, um einen sexuellen Konsens, ein mündliches Abkommen zu erreichen. Der Optimismus, der dieser Position zugrunde liegt, stützt sich auf ein Versprechen: Wenn wir unsere sexuellen Handlungen kontinuierlich vertraglich vereinbaren, werden wir nicht nur zu einer einvernehmlichen – also nicht gewalttätigen –, sondern auch zu einer erfüllten, angenehmen und glücklichen Sexualität gelangen.

War es unter einer Ordnung der sexuellen Gefährdung unmöglich, zu sagen, was wir nicht wollten, herrscht jetzt, paradoxerweise, ein unbegrenztes Vertrauen in die Möglichkeit zu sagen, was wir wollen, und zwar ohne die mindeste Zweideutigkeit. War es vorher nicht möglich, auch nur den geringsten Widerspruch zu äußern, so scheint es jetzt möglich, einfach alles zu sagen. Vom Pessimismus des Gedankens, dass Sexualität unvermeidlich von Gewalt durchdrungen sei, gehen wir ohne Weiteres zu dem naiven Glauben über, Erfüllung und Lust könnten durch Sprache und ausdrückliches Einverständnis garantiert werden.

Doch mit diesen beiden Alternativen begeben wir uns womöglich in eine Falle: Zustimmung ist entweder bedeutungslos, oder wir erwarten zu viel von ihr. Und wie kann unsere Gesellschaft überhaupt beide Alternativen gleichzeitig akzeptieren?

Spätestens seit Freud müssen wir die große Unbekannte in dieser Gleichung berücksichtigen, nämlich unsere Psyche. Die innere Spaltung des Subjekts – das zur selben Zeit wollen und nicht wollen kann, und vielleicht unterdrückt, was es wirklich will – setzt das souveräne Individuum stark unter Druck, das laut Gesetz im Besitz eines eindeutigen und seiner selbst bewussten Willens ist. Die Psychoanalyse war und ist so unangenehm für dieses Paradigma, weil „die Hypothese des Unbewussten dem Narzissmus der klassischen Subjektvorstellung eine schreckliche Wunde zugefügt hat“, wie die Philosophin Rosi Braidotti schrieb.5

Es ist gar keine Frage, dass das Zusammenfallen von Begehren und Einverständnis ein wünschenswertes Ziel darstellt. Doch nichts und niemand kann uns vor der Möglichkeit bewahren, dass wir nicht wählen, was wir begehren, oder dass wir nicht begehren, was wir wählen. Allein dem Subjekt kommt es zu, diese Divergenz aufzulösen, nicht einer feministischen Avantgarde und auch nicht dem Staat. Man kann uns nicht davor bewahren, ohne zu behaupten, man müsse uns vor uns selber schützen.

Judith Butler schreibt: „Wie es die Regeln des Antioch College zum Sexual­verhalten versucht haben, können wir vereinbaren, dass jeder se­xuel­le Akt zuvor zwischen zwei Personen besprochen und ein Einverständnis erzielt werden muss, bevor es überhaupt dazu kommt. In einem solchen Moment ist das Gesetz in die sexuelle Begegnung eingedrungen.“6

Es ist genau diese Anmaßung, das Begehren in eine aufgeklärte, wortreiche Angelegenheit zu verwandeln, dieser Willen, es in den Rahmen eines Vertrags einzuschreiben, die das Strafrecht dazu einlädt, seine Kompetenzen zu überschreiten. Wenn man das Begehren aus seiner Dunkelheit löst, gestattet man dem Gesetz, dort einzudringen, wo es niemals eindringen sollte: in das Feld dessen, was man begehrt – oder nicht.

1 Schweden führte 2018 als erstes EU-Land eine solche Regelung ein, mittlerweile gilt sie in gut einem Dutzend der Mitgliedstaaten. Der Versuch, „Nur Ja heißt Ja“ als EU-Richtlinie einzuführen, scheiterte im Februar 2024.

2 Éric Fassin und Michel Feher, „Une éthique de la sexua­lité: harcèlement, pornographie, prostitution. Entretien avec Judith Butler“, in: Vacarme, Paris, 22. Januar 2003.

3 Amia Srinivasan, „Das Recht auf Sex. Feminismus im 21. Jahrhundert“, Stuttgart (Klett-Cotta) 2022.

4 „Only Yes Means Yes“, Facebook, 20. April 2022.

5 Rosi Braidotti, „Feminismo, Diferencia sexual y subjetividad nómade“, Barcelona (Gedisa) 2004.

6 Judith Butler, „Sexual Consent: Some Thoughts on Psychoanalysis and Law“, in: Columbia Journal of Gender & Law 21 (2), 2011.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Clara Serra ist Philosophin und Verfasserin des Buchs „El sentido de consentir“ (Der Sinn von Einverständnis), Barcelona (Anagrama) 2024. Der vorliegende Text wurde aus der französischen Übersetzung „La doctrine du consentement“, Paris (La Fabrique), kompiliert, die soeben erschienen ist.

Le Monde diplomatique vom 13.02.2025, von Clara Serra