Bürgerkrieg und Arbeitskampf
Am 27. November hat der Chefankläger des IStGH gegen Myanmars Putsch-General Min Aung Hlaing Haftbefehl beantragt. Dieser wird für die Verbrechen an den Rohingya 2017 verantwortlich gemacht. Widerstand gegen das Regime kommt nicht nur von den Guerillas, sondern auch von den streikenden Arbeitern.
von Stephen Campbell
Die Junta in Myanmar, die sich vor vier Jahren zurück an die Macht geputscht hat, gerät von allen Seiten immer mehr in Bedrängnis. Es begann damit, dass die Three Brotherhood Alliance (TBA), ein Bündnis aus drei Untergrundmilizen, Ende Oktober 2023 eine koordinierte Offensive startete.
Diese sogenannte Operation 1027 hat dem bewaffneten Widerstand eine neue Dynamik verliehen: Im Laufe des vergangenen Jahres haben die Rebellengruppen große Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht (siehe Karte), darunter etwa 50 Städte und hunderte Garnisonen, wobei tausende Soldaten getötet wurden.
Die Junta reagierte mit verstärkten Luftangriffen auf die Zivilbevölkerung: Nachdem die TBA Anfang August 2024 die Stadt Lashio im Nordosten eingenommen hatte, ging ein Bombenteppich auf die 150 000-Einwohner-Stadt nieder. Am 23. Oktober weitete die Armee die Luftangriffe auf das benachbarte Namshan und die Stadt Nawnghkio aus.
In diesem Krieg ist die Zivilbevölkerung kein sogenannter Kollateralschaden, sondern militärisches Ziel: Die kollektive „Bestrafung“ soll dazu führen, dass die Untergrundarmeen ihren Rückhalt bei der Zivilbevölkerung verlieren. Doch die Rechnung der Junta geht nicht auf. Die Rebellen werden vielmehr breit unterstützt. Und das hat seine Geschichte:
Im Februar 2021 stürzte die Armee unter dem amtierenden Verteidigungsminister Min Aung Hlaing die regierende Nationale Liga für Demokratie (NLD) und installierte unter dem neutral klingenden Regime-Namen SAC (State Administration Council) wieder einmal eine Militärdiktatur in Myanmar.
Seit den Parlamentswahlen von 2010, den ersten nach 20 Jahren Pause, war ein Demokratisierungsprozess in Gang gekommen, der sich zum großen Missfallen der Militärs offensichtlich nicht mehr aufhalten ließ. Diese fürchteten um den Verlust ihrer Macht und um die ökonomischen Pfründen. Und dann gewann die NLD unter Aung San Suu Kyi bei den letzten Parlamentswahlen im November 2020 auch noch die absolute Mehrheit; bei einer Wahlbeteiligung von über 70 Prozent.
Nach dem Putsch und der Festnahme von Aung San Suu Kyi kam es zu einem landesweiten Aufstand, der von Armee und Polizei brutal unterdrückt wurde.1 Allein in den ersten 12 Monaten nach dem Sturz der Zivilregierung verhafteten die Sicherheitskräfte über 12 000 Regimekritiker:innen und töteten mehr als 1500 Menschen. Laut der myanmarischen Menschenrechtsorganisation AAPP (Assistance Association for Political Prisoners) hat die Junta seit Februar 2021 mindestens 6000 Menschen getötet und mehr als 21 000 inhaftiert.2
Trotz dieser massiven Repressionen leistete ein Teil der Bevölkerung weiter Widerstand. Und zu den bereits bestehenden, bewaffneten Oppositionsgruppen kamen neue hinzu. Scharenweise schlossen sich junge Menschen den verschiedenen Rebellengruppen an. So begann Myanmars „Frühlingsrevolution“.
Dieser Aufstand wird oft darauf reduziert, dass die unter Aung San Suu Kyis Regierung (2016–2021) sozialisierte Jugend ihre demokratischen Ideale verteidigt. So würde die internetaffine Generation Z vor allem deshalb gegen die Putschisten rebellieren, weil sie ihre selbstverständlich gewordenen Freiheiten bedroht sieht.
Es stimmt zwar, dass die jungen Menschen bei dem Volksaufstand eine tragende Rolle spielen. In der ausländischen Berichterstattung wird jedoch selten darauf eingegangen, dass der Großteil der Demonstrierenden aus der Arbeiterschaft kommt. Deren Forderungen zählen zu den wichtigsten Antriebskräften des Widerstands gegen die Junta.
Das Jahrzehnt vor dem jüngsten Putsch wird oft als Übergang von der Militärdiktatur zur liberalen Demokratie dargestellt. Auch auf dem Feld der Arbeit zeichnete sich seit 2011 eine positive Entwicklung ab: 2012 wurden Gewerkschaftsgründungen wieder zugelassen – zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert; 2013 wurde ein Mindestlohn eingeführt.
Unter Aung San Suu Kyi, die in vielen westlichen Medien lange als Ikone der Demokratiebewegung galt, wurden diese Fortschritte allerdings überraschend schnell zurückgenommen: Zwischen 2016 und 2021 wurden Gewerkschaftsgründungen gezielt erschwert, und Arbeitnehmer klagten, dass sich der zuständige Minister bei Arbeitskämpfen eher auf die Arbeitgeberseite schlug. Die Schutzmaßnahmen während der Coronapandemie nahmen die Behörden zum Vorwand, um Gewerkschafter einzuschüchtern oder zu verhaften. Und die eigentlich alle zwei Jahre vorgeschriebene Anpassung des Mindestlohns wurde 2020 zum wiederholten Mal verschoben.
Die NLD rechtfertigte sich damit, dass es ihr nur um ein stabiles und einladendes Umfeld für ausländische Direktinvestitionen gehen würde. Unterstützt wurde sie dabei von internationalen Finanzinstitutionen. Die International Finance Corporation (IFC), die zur Weltbank gehört, konzipierte sogar 2016 Myanmars Investitionsgesetz, das diverse Einschränkungen für ausländische Investitionen aufhob und den Investoren erhebliche Privilegien einräumte.3
Seit dem Militärputsch hat sich die Lage der Arbeiter weiter verschlechtert, was aber den Widerstand von unten nicht geschwächt hat – im Gegenteil. Am 6. Februar 2021 kam es in der Wirtschaftsmetropole Yangon zur ersten Massendemonstration. An der Spitze marschierten Textilarbeiterinnen aus den zahlreichen Fabriken, die in Yangons Industriegürtel angesiedelt sind. Ein paar Tage später riefen die Gewerkschaften zum Generalstreik auf.
Bis Ende 2021 nahmen etwa 400 000 Beschäftigte daran teil, darunter Lehrkräfte und andere Staatsbedienstete wie Eisenbahner oder Ärzt:innen, denen sich bald Lkw-Fahrer, Bergleute und Bankangestellte anschlossen. Infolge dieser breiten Protestbewegung und der instabilen Lage nach dem Putsch schrumpfte Myanmars Wirtschaft im ersten Jahr nach dem Staatsstreich um 18 Prozent.4
Ein großer Teil der Streikenden sah sich dennoch gezwungen, die Arbeit wieder aufzunehmen, weil das Regime vor allem Gewerkschaftsmitglieder ins Visier nahm. Am 26. Februar 2021 wurden 16 der wichtigsten Gewerkschaften verboten. Am 14. März töteten Soldaten und Polizisten am Rande Yangons in der Industriezone von Hlaing Tharyar, einem Zentrum der organisierten Arbeiterschaft, mindestens 65 Protestierende. Am folgenden Tag verhängte die Junta in Hlaing Tharyar und weiteren Produktionsstandorten das Kriegsrecht. Am 15. April stürmten etwa 40 Soldaten das Büro der Gewerkschaft Solidarity Trade Union of Myanmar (Stum) und verhafteten deren Anführer Daw Myo Myo Aye. Zahlreiche Gewerkschafter sind inzwischen im Untergrund oder ausgewandert, um ihrer Verhaftung zuvorzukommen.
Währenddessen nutzten viele Arbeitgeber das Repressionsklima und verschlechterten die Arbeitsbedingungen. So lösten zahlreiche Firmen bestehende Arbeitsverträge willkürlich auf und stellten ihr Personal erneut „auf Probe“ ein – zu Löhnen und Gehältern unter Mindestlohn. Wer sich dagegen zu wehren versuchte, bekam es mit der Junta zu tun.
Am 16. März 2021 etwa rief der Chef der Schuhfabrik Xing Jia die Polizei, weil sechs Arbeiter gegen den geringen Lohn protestiert hatten, der ihnen ausgezahlt worden war. Die Ordnungskräfte schlugen die Protestierenden zusammen. Monate später schrieb die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die Gewerkschaften in Myanmar seien einer „existenziellen Bedrohung“ durch die Junta ausgesetzt.5
In den folgenden Monaten ging die Anti-Putsch-Bewegung von städtischen Straßenprotesten zu bewaffneten ländlichen Aufständen über. Manche schlossen sich bereits bestehenden Widerstandsgruppen an, etwa der Demokratischen Front birmanischer Studierender (All-Burma Student’s Democratic Front, ABSDF), die nach dem Militärstreich von 1988 entstanden war, oder der Kommunistischen Partei, die nach dem Putsch wieder zu den Waffen gegriffen hatte, oder einer der Armeen der Three Brotherhood Alliance (TBA).
Es entstanden auch neue Gruppen, die sich nach und nach innerhalb der Volksverteidigungskräfte (People’s Defence Forces, PDF) vernetzten. Oft spenden diejenigen, die noch einer regulären Arbeit nachgehen, einen Teil ihres mageren Lohns an die Widerstandsgruppen und Untergrundmilizen.
Wenn über Myanmar in der internationalen Presse berichtet wird, geht es meist um den bewaffneten Kampf und die Gräueltaten der Junta in den Dörfern und Städten im Frontgebiet. Die anhaltenden Arbeitskämpfe und deren Rolle im Widerstand kommen so gut wie nie vor – abgesehen von den Organen der internationalen Gewerkschaftsbewegung wie Global May Day.
Die Beschäftigten organisieren sich vor allem in Fabriken, die für den Export produzieren, und das manchmal sogar mit Erfolg. Am 13. August 2024 traten beispielsweise in der Industriezone 3 von Yangon 2800 Arbeiterinnen und Arbeiter in einer Fabrik für Sportartikel der Very Impressive Prospect Co Ltd (VIP) in einen wilden Streik. Der VIP-Konzern mit Hauptsitz in Taiwan produziert hier für Marken wie Wilson Sporting Goods Company (USA), BH (Spanien) oder Bianchi (Italien). Am Ende kam ihnen das Management bei zwölf Forderungen entgegen, darunter Lohnerhöhungen und Urlaub an öffentlichen Feiertagen.6
Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch offen, wie der Streik in einer Fabrik der Charis Company Ltd im Yangoner Vorort Hlaing Tharyar ausgehen wird: Am 6. November legten 300 von 500 Beschäftigten, die Dekofiguren für den taiwanesischen Konzern Wise Unicorn herstellen, ihre Arbeit nieder.
Parallel versucht die Junta ihre Verluste bei den kämpfenden Truppen auszugleichen. Die Niederlagen gegen die Untergrundmilizen und der kontinuierliche Abgang von Deserteuren und Überläufern hat die Armee geschwächt. Am 10. Februar 2024 verkündete ein Sprecher des Regimes, dass das vernachlässigte Wehrpflichtgesetz wieder angewandt werden soll.
Die Ankündigung löste eine Fluchtwelle junger Männer aus, die der Einberufung entkommen wollten. Ihr bevorzugtes Ziel: Thailand. Seit 2021 sind schon Hunderttausende aus Myanmar in das Nachbarland geflüchtet. Anfang Mai 2024 verkündete die Junta, dass alle Männer, die für eine Musterung infrage kämen, fortan keine Arbeitserlaubnis im Ausland mehr erhalten sollen. Auch diese Maßnahme ging nach hinten los. Denn die jungen Männer gingen weiterhin nach Thailand, nur ohne Papiere. Wegen der potenziellen Arbeitskräfte aus Myanmar drücken wiederum die thailändischen Arbeitgeber massiv die Löhne.
Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die heute gegen die Junta in Myanmar Widerstand leisten, haben schon die frühere Regierung bekämpft. Es war schließlich die NLD, die zuerst die Organisationsmöglichkeiten der Beschäftigten eingeschränkt hatte. Jetzt präsentiert sie sich als „Regierung der Nationalen Einheit“ (National Unity Government of Myanmar, NUG), die von früheren NLD-Abgeordneten im Exil oder im Untergrund geleitet wird.
Für die Aufständischen war es indes ein erster Triumph, dass sie es geschafft haben, die Opposition im Untergrund für die soziale Frage zu sensibilisieren. Auch wenn fraglich ist, was die Gegenregierung tun wird, sollte sie tatsächlich an die Macht kommen.
1 Siehe Christine Chaumeau, „Déjà-vu in Myanmar“, LMd, März 2021.
2 „Daily Briefing in Relation to the Military Coup“, AAPP, 27. November 2027.
3 „New investment law helps Myanmar rebuild its economy and create jobs“, Weltbank, 25. Januar 2017.
4 Soe Nandar Linn, „Myanmar plunges deeper into economic crisis“, East Asia Forum, 24. Januar 2023.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Stephen Campbell ist Professor für Anthropologie an der Nanyang-Universität in Singapur.